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Die Türme von Siena schwankten, wollten niederstürzen über die rasende Menge. Köpfe, Beine, Arme entwanden sich Knäueln, ins Leere wurden Krallen gespannt, Zähne bissen nach Ringen im Staub. Über dem zuckenden Gliedergewirr schien die Luft zu johlen. »Gold! Gold!« Die Männer, die Weiber, die fetten Bürger und das hungrige Jammerpack – sie wühlten sichs voll Gier aus den Händen, Kleider fetzten, Metall klirrte, Getretene heulten. In die Häuser wurden die überhängenden Köpfe geschluckt, alle Tore warfen schwirrende Menschen aus – »Gold! Gold!«
»Fünfzehn Goldstücke habe ich hineingelegt!« schrie der Cipolla. Und der alte Galgano, der sich an eine Mauer drückte und nichts erraffen konnte, wehklagte mit der Stimme eines hungrigen Esels: »Was er mir alles schuldet! Laßt doch! Mir gehört es!« – Doch es schütterte aus dem Gewirr: »Her! Her!« – »Für uns! Für uns!«
»Wir müssen bezahlt werden!« schrie der Cipolla, er hielt die goldene Mütze des Visconti. Aber ein Bursche faßte und riß. – »Ihr Schufte! Ihr seid reich!« – Cipolla klammerte; jeder hatte ein Stück.
»Mein Perlenband!« klagte der Neri. – »Ihr wißt doch alle, daß es mir gehört! Daß es niemals bezahlt worden ist!« – Allein er wagte sich nicht dorthin, wo schon Blut floß; die Perlen rollten verstreut über die Steine.
Frauen kreischten. – »Auch mir! Auch mir! Der Herzog schenkt es uns!«
Der dicke Capece kam hergelaufen. – »Fort ihr! Das Armband ist mein! Und der Ring! Und die Kette! Vor allen Augen hat sie es hineingelegt! Der Herzog gibt jedem zurück, was er geschenkt hat!«
»Stoß nicht, du Dickwanst! Du hast genug!«
»Die Scherben! O weh! Die Scherben!« – Ein Mädchen hatte sich den Fuß blutig getreten.
»Diebsgesindel!«
»Arme Schelme sind auch da!« – Der Capece hatte seinen Ring errafft, aber ihm wurde der Finger abgebissen, der ihn hielt, und er floh heulend. – »All mein Gut! Alles haben sie mir gestohlen!« – Er sah, wie der Cipolla, der wild kämpfte, die Kette der Bianca unters Hemd schob, und dazu schrie er: »Die Stunde der Zahlung ist gekommen! Der Herzog tilgt seine Schulden!«
Wie aus einer geborstenen Kloake ergoß es sich aus den schwarzen Gassen. Die Dirnen von Malborghetto und Malcucinato liefen in ihren gelben Kleidern herbei, Eseltreiber, Würfeldreher, Weinschröter, Hundebrater, Schwertschlucker, Schlangenfänger, Hurenmütter, Sauschneider, Zuhälter, Lockknaben wurden auf den Platz gespieen.
Der alte Galgano weinte Tränen in seinem sicheren Winkel. – »Unser Gut! Nicht für das Lottervolk!«
Der Vivaldo puffte die schwarze Veronika, die jedermann kannte, weil sie ihr Gewerbe schon zu der Zeit ausgeübt hatte, da die im Rinnstein gespielt, die heute Männer waren. Er wollte sie fortjagen, aber sie kreischte: »Laß mich nur! Du bist mir auch noch drei Batzen schuldig!«
»Du stinkende Geiß, ich kenne dich nicht einmal! Fort! Sonst hängen dich die Stadtknechte an deinen gepökelten Beinen in die Luft!«
»So? So? Kennst mich nicht?« keifte das Weibsstück, das dem säumigen Zahler vor nicht lang eine Urne über den Kopf geleert hatte. – »Schandkerl du! Großmaul! Iltis!«
»Gestäupt wirft du, und die Nase wird dir abgeschnitten!«
Ein anderer griff zu. – »Sie hat die Perlen verschluckt! Haut sie!«
»Schneidet ihr den Bauch auf!« hetzte der Vivaldo.
Aber sie biß um sich. – »Mein Geld her, du Schwein! Jetzt kennst du mich nicht, und im Rosengäßchen verlangst du wieder Liebe auf Borg!«
Er schlug ihr ins Gesicht. Aber der gestochene Vittorio war herbeigekommen und mit ihm der junge Herr Bartolomeo aus dem vornehmen Hause der Guastalani, der seine Zeit mit der Veronika und ihrem Zuhälter zu verbringen pflegte. Sie zahlten dem Vivaldo reichlich zurück, was er der Veronika angetan hatte, indes kroch sie mit blutender Nase auf allen vieren und wühlte nach Gold wie ein Schwein nach Trüffeln.
Der Paternostermacher Zaffi, der kriegerische Taten nicht liebte, hatte sich dem Galgano gesellt, und sie klagten gemeinsam. – »Unser Gold! Unser schönes Gold!« – »Das Gesindel hat alles!« – »Das Pack!«
Den Vivaldo schmerzten stark die Glieder, und als er merkte, daß nichts mehr zu gewinnen war, trat er zu ihnen aus dem Getümmel. – »Wir haben das Nachsehen!«
»Du verlierst wohl nicht viel bei dem Handel!« fuhr ihn Cipolla an, dessen Hände mit Schmutz bedeckt waren.
»Du etwa?«
»Dieb!«
»Molch!«
»Hurentreiber!«
»Grindkopf!«
Sie fuhren aufeinander, prügelten sich.
»Mailand und Siena!« höhnte der Goldschmied, und die anderen, der Herzoge gedenkend, lachten dazu, so gut ihr Leid es dulden wollte.
Die letzte Perle aus dem Halsband der Herzogin war aufgesammelt worden, kein Goldstück mehr lag zwischen Steinritzen und nicht einmal ein kupferner Heller. Gierig kratzten noch einige an den bröckelnden Ziegelsteinen, die den Boden zudeckten. Aber die meisten waren schon verschwunden; sie fürchteten, daß die Lanzknechte über sie kommen könnten und ihnen abjagen, was so unverhofft vom Himmel gefallen war in ihre Tasche. Heut würden Spielkneipen und Tavernen gut leben, und die Türen in Malborghetto würden sich müde drehen in ihren Angeln. In einiger Ferne stand Magister Placidi und schüttelte den Kopf über alles, was hier geschah. Er hatte dabei nichts gewonnen, aber so viel besaß er stets, um einen Krug guten Weines zu trinken, und nicht selten war Gelegenheit, einen zweiten dazu zu verdienen. Magister Placidi machte sich auf den Weg, heut würde viel Redens sein bei Vater Scarpina!
Die Glocke schlug zwölfmal vom großen Stadtturm.
Auf den Stufen seines Hauses stand Provenzan Salvani wie eine Säule von Erz, nahe von ihm kauerte Ginevra. Jetzt hob sie das Gesicht auf. Und als der letzte Glockenschlag verklungen war, murmelte sie: »Das Beil fällt – einmal – zweimal – dreimal.« – Sie legte sich den Mantel vors Gesicht und redete nicht mehr.
Hoch über den Menschen stand die alte Valentina, schaute in Fernen. Ihre Worte tönten wie aus Schlaf: »Mir träumte, der Herzog von Siena sei zum Bettler geworden und gehe um Almosen auf den Markt – ein schwerer Traum. Aber nun bin ich wach und finde meinen Sohn wieder.« – Ihre Augen kamen zurück zu den Menschen. – »Wer ist die Frau, die verhüllten Hauptes auf der Schwelle sitzt?«
»Eure Tochter!« gab der Herzog zur Antwort.
»Um wen trauert sie?«
»Um ihren Liebsten, den ich erschlagen habe!«
Hochauf reckte sich die Greisin. – »Sie soll nicht trauern! Ist ihr Bruder nicht groß und stolz? Freue dich, Ginevra!«
»Sein Stolz ist dahin!« – Tonlos klang die Stimme des Salvani.
Aber die Frau oben redete, und es dröhnte wie Metall: »Herzog!«
»Kann Herzog sein, wer Bettler gewesen?«
»Was hat mein großer Sohn mit Bettlern zu schaffen! Böse Träume, die versunken sind!«
Er ballte die Faust. – »Unheil hast du über uns gebracht, Mino!«
»Vergessen! Vergangen!«
»Daß es vergessen sei! Aber die Scherben der Bettelbüchse haben ihre Spur in die Erde gegraben!«
Die Greisin redete nicht mehr. Unten waren die letzten zu ihrem Mahl gegangen. Die Sonne brannte auf das Haus des Herzogs, traf die Mutter oben und die grau verhüllte Ginevra. Der alte Ildebrando Aldobrandeschi saß auf seinem Turm, erspähte mit Adlerblick, was sich in Siena begab. Viel hatte er gesehen: Kampf und Sieg und Verderben, Aufblühen und Hinsinken, Menschengröße und Niedrigkeit. Heute sah er zum erstenmal, wie ein Großer seine Größe fortwirft.
Pferdehufe schlugen an Stein, von der Straße unten tauchte ein Reiter auf, es war der junge Pecorai da Turita. Die schimmernde Seide seines Festgewandes war mit Kot befleckt, die grünen Weinranken waren dorr, die Trauben abgefallen. Die gepufften Ärmel hingen ihm fetzig von den Schultern, und unbedeckt flatterte sein Haar, da er heranritt. Aber der goldene Drache des Hauses Salvani, den er auf dem Brustlatze trug, war unversehrt und rein.
Pecorai sah den Herzog an seiner Türe stehen, aber er sah nicht Ginevra, die ganz eingehüllt war in ihren grauen Mantel.
»Bittere Kunde!« – Er warf das Bein über und eilte die Treppe hinauf, ohne seines Pferdes zu achten, das herrenlos scharrte. – »Wieder hat Karl seine weißen Lilien in Blut getaucht! Ein wildes Vieh ist er! Wenn er nicht Gold zu fressen bekommt, muß er Blut saufen!«
»Kommst du von ihm?« fragte der Herzog.
»Meinen Leib bot ich zum Einsatz für Herrn Mino, daß er noch einen Tag und eine Nacht lebe – doch der König verschmähte das Pfand und schickte mich her, Euch das Schreckliche zu melden.«
»Ist Mino tot?«
»Als ich vor dem König bat, da wurde er vorübergeführt zum Tode.«
Durch den grauen Mantel, der Ginevra zudeckte, ging Beben.
Der Jüngling fuhr fort: »›Kniest du für mich, Pecorai?‹ fragte Herr Mino. – ›Für Euch, lieber Herr!‹ – Da faßte er meinen Arm. – ›Steh auf, Knabe! Dazu hat Provenzan dich nicht hergesandt!‹ – ›Er will Euch freikaufen!‹ schrie ich in Angst. ›Doch der König wartet nicht bis zum Abend!‹ – Da reckte sich Herr Mino, der waffenlos zwischen Speerträgern ging, hoch auf und sprach: ›Sag Provenzan, daß seine Liebe in mir lebendig ist, daß ich weiß, er setzt alles ein, mich zu retten!‹ – Und er sah auf den König mit solch stolzem, höhnischem Lächeln, als wäre Karl von ihm in den Tod gesandt worden. Der König stampfte auf – aber es war, so mein ich, die Scham, die er zertreten wollte: ›Schnell! Führt ihn fort!‹ – Ich ging hinter Herrn Mino wie ein Hündlein, das von seinem Herrn nicht lassen kann, er wandte sich mir zurück und flüsterte: ›Sag Monna Ginevra, sie möge meiner nur im guten denken und sie möge in ihrem Herzen alles auslöschen, womit ich sie gekränkt habe!‹«
Plötzlich wußte Pecorai, daß es Ginevra war, die unter dem grauen Mantel zuckte. Er reichte ein Kettlein hin, das er an der Brust geborgen. – »Dies gab er mir für Monna Ginevra!«
Eine Hand tastete danach aus den Falten.
»Weint Monna Ginevra um Mino?«
Ohne Antwort hielt ihn der Herzog. – »Dank, Pecorai! Dank für alles! Ginevra hat keinen Blick mehr für Menschen. – Hast du Mino sterben sehen?«
»Ich vermochte es nicht! In Hast ritt ich her, Euch die Kunde zu sagen.«
Der Herzog schwieg.
Aber der Jüngling hob die Schwurfinger auf. – »Wir wollen ihn rächen! So lang ich am Leben bin, soll kein anderer Gedanke –«
Da vernahm er die Stimme Ginevras: »Schwöret nicht! Rächet nicht!«
»Geh jetzt, Pecorai!« gebot der Herzog.
Mit hängendem Kopfe stieg er die Treppe hinab, faßte den Zaum seines Pferdes, führte es langsam in den Hof ein.
Eine Entrückte, stand oben die alte Valentina, Unschaubares war vor ihren Blicken. – »Mord und Widermord schreiten klirrend über die Erde, in die Tore brechen trunkene Krieger ein, Schwerter singen auf Eisenhelmen ein kurzes Todeslied, und durch die Städte, die vom Getön kreißender Frauen widerhallen, qualmt das Blut.« – Sie kam zurück, sah ihre Kinder. »Was weint Ihr, Menschen! Leben zeugen – Leben zerstören – Euer Los! Wahret nur Stolz und Größe!«
Da ließ Ginevra den Mantel vom Gesicht abfallen, hob den Kopf auf zur Mutter. – »Wie klein ist doch all Euer Stolz vor der Liebe!«
»Du bist ein schwaches Weib, Ginevra, und ich zürne dir nicht! Aber mein Sohn hat Stolz und Stärke wiedergefunden!«
»Die Stunde der Demut kann nicht mehr aus seinem Herzen gereutet werden!« rief Ginevra nach oben.
»Sie ist hinweggetilgt, verflogen wie ein Traum, diese Stunde der Schmach!«
Der Herzog regte sich nicht.
»Blick auf, Provenzan!« rief die Mutter. Ginevra sprach traurig zu ihm: »Gaspara hat dich verleugnet!«
»Tat sie das, so tat sie recht!« – Ein Hammer fiel auf Erz.
Provenzan schwieg.
Ginevra sah auf ihn. – »Sie war der Prüfung nicht gewachsen, da eine große Stunde, eine Königsstunde in dein Leben trat!«
»Eine schwache, eine vergessene Stunde, eine Bettlerstunde!« sprach die Mutter ohne Erbarmen.
»Bei dir wird es stehen, ob sie königlich ist oder bettlerhaft, lebendig oder vergessen! Dein Freund ist tot! Dein Weib ist tot! Deine Schwester ist tot!«
»Dein Stolz lebt!« – Es war der Schrei des Adlers über Eisbergen.
»Daß deine Demut lebe!« – Es war die Stimme der Heiligen.
Aber der Herzog kehrte sich ab von beiden. – »Fragt mich nicht! Schweigt und trauert!« – So trat er in die Tür seines Hauses ein, und er wußte nicht mehr, wer er war, wer er sein würde – sein Leben hatte sich ihm ganz verdunkelt.