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Der junge Pecorai fand nicht Ruhe, in Orvieto zu feiern und zu schmausen, und er bat Herrn Mino, daß er ihn heimsende; als erster wollte er den Sieg verkünden und dem Herzog die Botschaft bringen, nach der er so begierig aushorchte. Hätte Mino die Stadt nicht gewonnen, die so viel Beute verhieß, dann wäre die klägliche Armut des Salvani und seiner Sippe hinter aller Pracht offenbar geworden. Pecorai prüfte die Ställe von Orvieto und wählte drei starke Pferde aus und gutes Sattelzeug dazu, stieg auf den prächtigen Fliegenschimmel, der keinem geringen Herrn zu eigen gewesen sein mochte, und ritt, zwei Knechte hinter sich, gegen Siena.
Der Mond schien seinem Weg. Aber mochte Pecorai auch eilen: als es über eine Wiese ging, wo Anemonen silbern, wie stille Lichter fast leuchteten, da saß er ab und pflückte einen Strauß. Höhnisch, doch hinter verpreßten Lippen lachten die Knechte.
Die Torhüter von San Marco wollten nicht aufschließen, weil der Tag noch nicht vom Stadtturm herab eingeläutet worden war; allein das herrische Wort des Jünglings und der Drache Salvanis, den er und die Knechte auf dem Brustlatz trugen, machten sie gefügig. Ehe noch den Bürgern die Türe ihrer Häuser aufgetan ward von der Ratsglocke, klapperten die Hufe der drei müden Gäule übers Pflaster.
Hoch oben aus dem kleinen Fenster seines massig getürmten Hauses neigte sich, noch schlafestrunken, der alte Carolino de' Tolomei, der heimtückische Feind des Herzogs. – »Läßt man Reiter ein bei Nacht? Öffnet man das Tor vor dem Zeichen des Glöckners?« – Pecorai gab nicht Antwort. Carolino rieb sich die roten Augen, erkannte den Blutsfreund des verhaßten Hauses, war sogleich munter und entbot ihm mit einem Zuwinken der Hände einen unehrlichen Gruß. »Verschnauft doch eine Weile, Herr Pecorai, und nehmt einen Imbiß mit mir nach dem harten Ritt!« –
Aber Pecorai war schon um die Ecke gebogen, wo es scharf anstieg zum Hause des Herzogs.
Carolino schloß mit bösem Murren sein Fenster zu, stieg hinab ins Haus, rüttelte die Söhne und schürte ihnen neu den alten Haß. Wiederum schworen sie sich's, der Tolomei und die fünf Söhne, daß es ein Ende nehmen sollte mit dem Salvani und seiner Bettelsippe. Geringer war ja sein Haus als das der Tolomei, die von ihrem Wehrturm hinabsehen konnten auf alle anderen Türme, gar auf den bröckeligen des Provenzan Salvani, der sich frech Herzog nannte in Siena.
Pecorai ritt langsam bergan mit den Knechten, fast rührten in den engen Gassen ihre Füße an die Mauern. Oben verstellten die vierkantigen grauen Türme das Morgenlicht. Die Hufe glitten auf dem Stein, und bei der Bude des Goldschmiedes Neri kroch eine schwere Kröte zur Tür, so schnell sie vermochte. Der Goldschmied öffnete sein Fensterlädlein, sah begierig auf den Jüngling, den er kannte. War Orvieto gefallen? Der alte Mann bedachte mit Kummer, daß es um die Habe des Salvani schlecht bestellt war, daß die Herzogin unbezahlt die Perlen trug, die er selbst in Venedig gegen Gold eingekauft hatte. Wenn Orvieto fiel, mußten dann nicht Schätze in die Kammern des Herzogs rinnen? Sollte ihm auch dann noch vorenthalten bleiben, was sein war? – Doch als der Goldschmied endlich den Mut faßte, ihn anzureden, war Pecorai nicht mehr zu sehen.
Mit drei Gesellen stand der runde Bäcker Capece im Flur seines Hauses unter den Lauben, sie kneteten den Brotteig in weiten irdenen Schüsseln. Sogleich lief Capece heraus und fragte hinter den Reitern her, ob Bürger und Söldner, die vor Orvieto lagen, noch an diesem Tag heimkehren sollten. Dann hätte er allsogleich ein paar Bottiche frisch mit Mehl angefüllt, Sauerteig dazugetan und in den großen Ofen viel Holz geschoben – aber die Knechte wußten ihm keine Antwort.
Pecorai saß ab vor dem Hause des Herzogs, er stieg die marmorne Treppe, die breit zur Türe hinaufquoll, sandte zu Provenzan. Einer Magd, die Wände scheuerte, gab er die Blumen, die er nächtens gepflückt, und bat, daß sie Monna Ginevra hingelegt würden als ein Morgengruß.
Der Herzog trat hervor im fließenden schwarzseidenen Nachtgewand, vernahm aufleuchtenden Auges die Kunde. Orvieto war gefallen! Und als er viel wissen wollte und nach jedem Sturmbock und nach jedem Hauptmann und nach jedem Schusse fast Begehren trug, da errötete endlich Pecorai und vermochte nur zagend zu berichten, wie es zur entscheidenden Stunde gewesen war, denn im Herzen schien dem jungen Krieger unrecht, daß Herr Mino die Stadt mit Lachen und sonder Scham gewonnen hatte. In des Herzogs harte dunkle Augen trat ein mildes Lächeln, sein pergamentenes Gesicht wurde mit schwachem Rote behaucht. – »Daran erkenne ich Mino! Aber wir wollen ihn feiern, noch höher feiern als den deutschen Konradin, von dessen Einzug die Lieder klingen!« – Er gedachte Karls, der den königlichen Knaben verräterisch hatte köpfen lassen, und er sprach: »Der Fall von Orvieto wird ihm gerechte Strafe sein!«
»Schon singen sie, daß König Karl den gelben Wein von Orvieto so lange getrunken hat, bis er die Gelbsucht davongetragen!«
»Das könnte wahr sein!« – Provenzan faßte die Hände des Jünglings. – »Ich danke dir, Pecorai! Und nun ruhe, du bist die Nacht durch hergeritten, um mich zu erfreuen!«
»Gern brächte ich Monna Ginevra noch die Kunde!«
»Bring sie ihr, Ginevra empfängt sie freudig von deinen Lippen!« – Der Herzog ging.
Mit tiefem Erröten barg sich Pecorai hinterm Pfeiler, da wollte er warten, bis des Herzogs Schwester zur Frühmesse ging; er ließ sich nicht von Wassergüssen und Strohbesen verscheuchen. Früher als er gehofft hatte, kam Ginevra, lautlos, fast schwebend. Süß, wie eine Flötenmelodie, schwang die eng geschnittene Nase in die feinen Halbkreise der Brauen ein, und das Goldhaar lag morgendlich unter einer roten Haube verborgen. In die Gürtelrinke war ein goldenes Band geschlungen, und daran hing ihr das Gebetbuch bis an die Kniee. Pecorai trat mit einem Neigen vor die Frau, sie blieb stehen und ergriff seine Hand. – »Pecorai! Ihr kommt von Orvieto!«
»Ich komme von Orvieto und bin hergeeilt, Euch und Provenzan von unserem Siege zu sagen – von Herrn Minos Siege!«
Licht überflammte Ginevra, sie wuchs höher, und die Kraft des schmalen Leibes zuckte im Aufrecken. – »Wir haben gesiegt! Oh – ich will der Madonna danken, inniger will ich beten als jemals noch! Aber sagt – die Unsrigen – die Freunde – sind sie alle heil?« – Sie sah auf ihn mit goldenen Augen.
»Der Monaldi ist verletzt – nicht zu gefährlich, so scheint es.«
Doch sie hörte nicht, und ihre Augen, in denen das Leben der Seele kristallen sich spiegelte, waren mit ängstlicher Erwartung voll. – »Und die anderen – alle unversehrt?«
»Unser großer Feldherr ist heil!«
»Mino!« – Aber schnell sanken ihre Wimpern, um den Jubel der Augen zu bergen, und die Lippen murmelten Worte des Dankes. – »Erzählt! Pecorai! Erzählt mir, wie es gewesen ist!«
»Oh! Herrlich war es, wie die Pfeile um uns flogen und die Geschosse aus den krachenden Turmschleudern!«
Mit dem Lächeln einer Mutter fast fragte sie: »Und habt Ihr Euch gar nicht gefürchtet?«
»Glaubt das nicht, Monna Ginevra!«
»Aber ein ganz klein wenig bange werdet Ihr doch gewesen sein! Bedenket! Das erste Mal!« – Sie trat langsam ans Fenster.
Pecorai schlug die Blicke nieder. – »Mir ist, als könntet Ihr durch alle Wände meiner Seele schauen! So wisset denn, Ihr ganz allein, daß mir ein leises Zittern durchs Herz gehuscht ist, als die ersten Pfeile flogen. Neben mir wurde einer schnell in die Schulter getroffen, er fiel von seinem Pferde, und ich sah, wie ihm zwischen Halsberg und Armschiene das Blut hervorquoll, und wie sein Gesicht grau wurde. Da habe ich ein kurzes Gebet für ihn gesprochen. Aber keinem Menschen möchte ich das verraten als nur Euch allein, Monna Ginevra.«
Sie lächelte aufs neue. – »Oh, es ist keine Schande, für sich und den Freund zu bangen! Die anderes vorgeben, dünken mich bloß Prahlhänse!«
Eifrig sprach Pecorai: »Ich glaube gewiß, daß jeder einmal gebangt hat, nur nicht Euer großer Bruder und Herr Mino!«
Sie kehrte sich, und er konnte das rosige Morgenlicht auf ihren Wangen sehen, das mit dem Erröten in eines floß.
Heiß redete er fort: »Wahrhaftig, Mino ist ein Mann, wie es nicht viele in der Welt gibt! Ich war nahe von ihm, und er bat den Guempeba um einen Schluck Wein und trank so ruhig auf seinem Pferd, als säße er in Siena. Um uns flogen die Bolzen. Und als Herr Mino dem Guempeba die Flasche wiedergab, da brach sie in seiner Hand und splitterte, und der Wein spritzte umher wie Blut.«
In Angst wandte sie ihr Gesicht dem Jüngling zu. – »Und seine Hand – blieb sie heil?«
»Sie blieb heil, Madonna! Und wie ich Herrn Minos frohes Lachen hörte, da war all mein Zagemut hingegangen, und ich glaube bei Gott, daß er mir nimmer wiederkehrt!«
Sie lächelte ihm freudig zu, er sprach leise: »Dann dachte ich Euer!«
»Ich danke Euch, Pecorai!«
Um ihn gellten noch die Trompeten von Orvieto, Pfeilsausen war in der Luft, Pferdewiehern und Männergeschrei. – »O Monna Ginevra, auch ich habe gekämpft, ich bin kein Knabe mehr!«
»Ich weiß es, Pecorai!«
»Mein Herz ist kühn seit gestern, so kühn, daß ich Euch viel sagen möchte!«
Sie schritt langsam zur Türe. – »Die Messe beginnt – begleitet Ihr mich?«
»Wenn ich es darf?«
»Bis zum Tor des Domes! Und Ihr erzählt mir, was sich noch weiter begeben hat vor Orvieto!«
»Jetzt verspottet Ihr mich!«
»Glaubt das nicht! Wie wurde die Stadt erobert?«
»Durch die Umsicht des großen Feldherrn und die Tapferkeit unserer Männer und der Deutschen!« – Aber von Minos Streich redete er ihr nicht.