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»Demetrios!« rief sie aus.
Und sie stürzte ihm entgegen.
Doch, nachdem er sorgfältig den Holzverschluß wieder geschlossen, hatte sich der junge Mann nicht gerührt, und sein Blick bewahrte eine so tiefe Ruhe, daß Chrysis plötzlich daran erstarrte.
Sie hoffte eine Aufwallung der Zärtlichkeit, eine Bewegung der Arme, der Lippen, Etwas, ein Hinstrecken der Hand ...
Demetrios regte sich nicht.
Er wartete einen Augenblick stillschweigend, mit einer vollkommenen Korrektheit, als ob er klar hätte feststellen wollen, daß er zur Verfügung stehe.
Aber als er sah, daß man nichts von ihm verlangte, that er vier Schritte bis zum Fenster und lehnte sich in die Oeffnung, den Tagesanbruch betrachtend.
Chrysis saß auf einem sehr niederen Lager, mit starren Augen, fast stumpfsinnig.
Dann redete Demetrios zu sich selbst.
»Es ist besser so,« sagte er sich. »Solche Spiele, im Augenblick des Todes wären eigentlich recht trübselig. Ich bewundere nur, daß sie nicht von Anfang die Vorahnung davon gehabt und daß sie mich mit solcher Begeisterung empfangen hat. Was mich betrifft, so ist es ein abgeschlossenes Abenteuer. Es thut mir ein wenig leid, daß es so endet, denn im Grunde genommen hat Chrysis kein anderes Unrecht begangen, als frei heraus ein Verlangen auszudrücken, das wohl dasjenige der meisten Frauen ist, und wenn man nicht der Entrüstung des Volkes ein Opfer bringen müßte, würde ich mich begnügen dieses allzu hitzige Mädchen verbannen zu lassen, um mich seiner zu entledigen und ihm die Freude am Leben zu gönnen. Aber es hat einen Skandal gegeben und Niemand kann mehr abhelfen. Das sind die Wirkungen der Leidenschaft. Die gedankenlose Wollust, oder das Gegentheil, der Gedanke ohne Genuß haben niemals schlimme Folgen. Man muß viele Geliebten haben, aber mit der Götter Hilfe sich hüten zu vergessen, daß ein Mund dem anderen gleicht.«
Nachdem er so in einem kühnen Aphorisma eine seiner moralischen Theorien kurz zusammengefaßt hatte, nahm er mit Leichtigkeit den Faden seiner Gedanken wieder auf.
Er erinnerte sich dunkel eine Einladung zum Mittagsmahle, die er für den vorigen Tag angenommen und im Wirbel der Ereignisse vergessen hatte, und er nahm sich vor, sich zu entschuldigen.
Er dachte über die Frage nach, ob er seinen Schneider-Sklaven verkaufen sollte, einen alten Mann, der dem unter der früheren Regierung modernen Schnitt treu blieb und nur unvollkommen die falschen Falten der neuen Tuniken zuwege brachte.
Sein Geist war so frei, daß er mit der Spitze seines Schraffirmeißels rasch einen Entwurf für seine Gruppe Zagreus und die Titanen an die Wand zeichnete, eine Variante, welche die Bewegung des rechten Armes bei der Hauptfigur umstellte.
Kaum war sie vollendet, als leicht an die Thür geklopft wurde.
Demetrios öffnete, ohne sich zu beeilen. Der alte Nachrichter trat ein, von zwei behelmten Soldaten gefolgt.
»Ich bringe den kleinen Becher,« sagte er mit einem unterwürfigen Lächeln, das dem königlichen Geliebten galt.
Demetrios beharrte in seinem Schweigen.
Chrysis hob verwirrt den Kopf in die Höhe.
»Nun, meine Tochter,« begann der Gefängnißwärter von Neuem, »der Augenblick ist gekommen. Der Schierling ist zerrieben. Du brauchst ihn nur nach zu trinken. Habe keine Angst. Man leidet nicht dabei.«
Chrysis blickte Demetrios an, der die Augen nicht von ihr wandte.
Ohne ihre großen, schwarzen, von grünem Lichte umgebenen Augen von ihm zu wenden, streckte sie die rechte Hand aus, nahm den Becher und führte ihn langsam zum Munde.
Sie benetzte die Lippen mit dem Tranke. Die Bitterkeit des Giftes und die Schmerzen der Vergiftung waren durch ein mit Honig gemengtes narkotisches Mittel gemildert worden.
Sie trank die Hälfte des Bechers aus, dann, sei es, daß sie diese Bewegung auf dem Theater im Thyestis des Agathon gesehen, sei es, daß sie wirklich von einer unmittelbaren Gemüthsbewegung herrührte, reichte sie den Rest dem Demetrios ... Aber der junge Mann wies mit der Hand diesen unbescheidenen Vorschlag zurück.
Daraufhin trank die Galilaeerin auch den Rest, bis auf den grünen Bodensatz. Und ein herzzerreißendes Lächeln, worin auch ein wenig Verachtung lag, kam über ihre Wangen.
»Was soll ich thun?« fragte sie den Gefängnißwächter.
– Gehe im Zimmer spazieren, meine Tochter, bis Dir die Beine schwer werden. Dann legst Du Dich auf den Rücken und das Gift wird allein wirken.
Chrysits ging bis zum Fenster, stützte ihren Arm an die Wand, ihre Schläfe auf die Hand und warf der violetten Morgenröthe den letzten Blick der verlorenen Jugend zu.
Der östliche Himmel war in ein Farbenmeer getaucht. Ein langer Streifen, fahl wie ein Wasserblatt, umgab den Horizont mit einem olivenfarbigen Gürtel. Darüber entstanden mehrere Töne, der eine aus dem andern; es war ein flüssiges Himmelszelt, das graugrün, iris- und lila-farben war und unmerklich in das bleierne Azur des Vollhimmels überging. Dann hoben sich langsam diese Farbenschichten, eine Goldlinie erschien, stieg in die Höhe und erweiterte sich; ein dünner Purpurfaden beleuchtete diese trübe Dämmerung und in einer blutigen Fluth wurde die Sonne geboren.
»Es steht geschrieben:
Das Licht ist süße ...«
So blieb sie stehen, solange ihre Beine sie stützen konnten. Die Soldaten mußten sie auf das Lager tragen, als sie durch einen Wink zu verstehen gab, daß sie zu schwanken beginne.
Dort ordnete der Greis die weißen Falten ihres Kleides, ihre langgestreckten Glieder entlang. Dann berührte er ihre Beine und fragte sie:
»Hast Du gefühlt?«
Sie antwortete:
»Nein.«
Er berührte ihr noch die Kniee und fragte sie:
»Hast Du gefühlt?«
Sie gab ein verneinendes Zeichen, und plötzlich, mit einer Bewegung des Mundes und der Schultern (denn selbst ihre Hände waren schon leblos), von einer letzten höchsten Gluth ergriffen und vielleicht von dem Bedauern um diese unfruchtbare Stunde, richtete sie sich auf, Demetrios entgegen ... Aber bevor es ihm möglich war zu antworten, fiel sie leblos zurück, die beiden Augen für immer erloschen.
Nun bedeckte der Nachrichter mit der oberen Falte des Kleides ihr Gesicht; und einer der Soldaten, in der Vermuthung, daß eine zartere Vergangenheit eines Tages diesen jungen Mann und diese junge Frau vereint habe, schnitt mit der Spitze seines Schwertes eine Locke des Haares ab, welches bis zu den Fliesen reichte.
Demetrios berührte das mit seiner Hand und in Wirklichkeit war es die ganze Chrysis, das überlebende Gold ihrer Schönheit, sogar der Vorwand ihres Namens ...
Er nahm die lauwarme Locke zwischen den Daumen und die Finger, zerstreute sie langsam, nach und nach, und unter seiner Fußsohle vermengte er sie mit dem Staube.