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IV.

Die Vorbeigehende.

Sie kam langsam, den Kopf etwas nach der Schulter geneigt, auf dem öden Strande daher, welchen das Mondlicht erhellte. Ein kleiner, beweglicher Schatten zitterte vor ihren Schritten dahin.

Demetrios sah sie näher kommen.

Diagonale Falten durchfurchten den kleinen Theil ihres Körpers, den man durch den leichten Stoff hindurch sah; einer ihrer Ellenbogen trat unter der fest anliegenden Tunika hervor; der andere Arm, den sie nackt gelassen hatte, hob die lange Schleppe in die Höhe, damit sie nicht den Staub fege.

Er erkannte an ihrem Schmucke, daß sie eine Hetäre sei; um einen Gruß von ihr zu vermeiden, ging er schnell über die Straße.

Er wollte sie nicht anschauen. Absichtlich beschäftigte er seine Gedanken mit dem großen Entwurfe des Zagreus. Und dennoch wandten sich seine Augen nach der Vorbeigehenden.

Da sah er, daß sie nicht stehen blieb, daß sie sich nicht um ihn bekümmerte, daß sie sich nicht einmal den Anschein gab das Meer zu betrachten, noch ihren Schleier nach vorn aufzuheben, noch in ihre Gedanken versunken zu sein; sondern, daß sie ganz einfach allein spazieren ging, hier nichts Anderes suchend als die Kühle des Windes, die Einsamkeit, die Stille.

Ohne sich zu rühren ließ Demetrios sie nicht aus den Augen und versenkte sich in ein sonderbares Verwundern.

Sie schritt immer weiter wie ein ferner gelber Schatten, nachlässig und von dem kleinen schwarzen Schatten, der vor ihr her ging, gleichsam geführt.

Er hörte bei jedem Schritte das leise Knirschen ihrer Schuhe im Staube des Weges.

Sie ging bis zur Insel des Leuchtturmes und stieg die Felsen hinan.

Plötzlich, als hätte er seit langer Zeit die Unbekannte geliebt, lief Demetrios ihren Spuren nach, dann hielt er inne, ging wieder zurück, zitterte, erzürnte sich, versuchte den Strand zu verlassen; aber er hatte stets seinen Willen nur seinem eigenen Vergnügen dienstbar gemacht, und wenn es sich darum handelte ihn zum Heile seines Charakters und zur Ordnung seines Lebens in Thätigkeit zu setzen, fühlte er sich von Unvermögen ergriffen und an die Stelle genagelt, wo die Last seiner Füße ruhte.

Da er nicht mehr aufhören konnte an diese Frau zu denken, suchte er sich selbst wegen des Gedankens, welcher seinen Geist so sehr im Banne hielt, zu entschuldigen. Er glaubte den Reiz ihrer Erscheinung durch ein rein ästhetisches Gefühl zu erklären und dachte, daß sie das geträumte Modell für die Charitin mit dem Fächer wäre, welche er den nächsten Tag entwerfen wollte.

Dann geriethen plötzlich alle seine Gedanken in Unordnung und eine Menge von ängstigenden Fragen strömte wegen dieses gelb gekleideten Weibes in seinem Geiste zusammen.

Was machte sie zu dieser nächtlichen Stunde auf der Insel? Warum, um wessen Willen ging sie so spät aus? Warum hatte sie ihn nicht angeredet? Sie hatte ihn gesehen, sicher hatte sie ihn, während er über den Weg schritt, gesehen. Warum hatte sie ihren Gang fortgesetzt, ohne ein Wort der Begrüßung an ihn zu richten? Es ging das Gerücht, daß manche Weiber die kühlen Stunden vor Tagesanbruch wählten, um im Meere zu baden. Aber man badete nicht bei dem Leuchtthurme. Dort war das Meer zu tief. Uebrigens war es unwahrscheinlich, daß ein Weib sich so mit Schmuck bedeckt hätte um zum Bade zu gehen? ... Was war es dann, was sie so weit von Rhacotis anzog? Vielleicht ein Stelldichein? Irgend ein junger Lebemann, der die Abwechselung liebte, und der für einen Augenblick die großen, von den Wogen geglätteten Felsen zum Lager wählte.

Demetrios wollte sich darüber Gewißheit verschaffen. Doch schon kam das junge Weib zurück, mit demselben ruhigen, weichen Schritte, von der milden Klarheit des Mondes voll beleuchtet, mit dem Ende ihres Fächers den Staub der Brüstung fegend.


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