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Am Morgen, wo das Bacchanal bei Bacchis ein Ende nahm, gab es in Mexandrien ein Ereigniß: es regnete.
Sofort war, im Gegensatz zu dem, was gewöhnlich in weniger afrikanischen Landen geschieht, Jedermann draußen, um den Guß zu empfangen.
Die Naturerscheinung war weder eine fluthartige noch eine stürmische. Breite, lauwarme Tropfen, die aus einer violetten Wolke fielen, durchkreuzten die Luft. Die Frauen fühlten, wie sie ihre Busen und ihr schnell zurechtgebundenes Haar benetzten. Die Männer betrachteten den Himmel mit Interesse. Kleine Kinder lachten laut auf und zogen ihre nackten Füße durch die dünne Kothschichte.
Dann verschwand die Wolke im Lichte; der Himmel blieb unerbittlich klar und kurze Zeit nach Mittag war der Koth in der Sonnenhitze wieder zum Staube geworden.
Aber dieser vorübergehende Regenguß hatte genügt. Die Stadt war aufgeheitert. Die Männer blieben auf dem Steinpflaster der Agora beisammen, die Frauen mengten sich in Gruppen untereinander, wo ihre lauten Stimmen sich kreuzten.
Die Hetären allein waren da, denn der dritte Tag der aphrodisischen Feste war der Frömmigkeit der verheiratheten Frauen allein vorbehalten und diese hatten sich soeben in einem großen Zuge auf die Straße des Ustarteion begeben; auf dem Platze blieben daher nur geblümte Kleider und schwarz geschminkte Augen zurück.
Als Myrtocleia vorbeiging, wurde sie von einem Philotis genannten Mädchen, das mit vielen anderen plauderte, an der Binde ihres Aermels gezogen.
»He, Kleine, Du hast gestern bei Bacchis gespielt? Was hat sich dort ereignet? Was hat man dort getrieben? Hat Bacchis ein neues, breites Halsband hinzugefügt, um die Gruben ihres Halses zu verbergen? Trägt sie Brüste von Holz oder von Kupfer? Hat sie vergessen ihre weiße Härchen auf der Schläfe zu färben, bevor sie ihre Perrücke aufgesetzt hat? Nun, sprich doch, stummer Fisch !«
– Glaubst Du denn, daß ich sie angeschaut habe? Ich bin nach dem Mahle gekommen, habe meine Szene gespielt, meinen Lohn erhalten und bin eilig weggegangen.
– Oh! ich weiß, daß Du keine Unzucht treibst.
– Um mein Kleid zu beschmutzen und Hiebe zu bekommen? nein, Philotis. Nur reiche Frauen können bei Gelagen mitthun. Die kleinen Flötenspielerinen können nur Leid davon tragen.
– Wenn man sein Kleid nicht beflecken will, so läßt man es im Vorzimmer. Wenn man Faustschläge bekommt, läßt man sich doppelt bezahlen. Es ist ganz einfach. Du hast uns also nichts zu erzählen? kein Abenteuer? keinen Scherz? keinen Skandal? Wir gähnen wie Ibisvögel. Erfinde etwas, wenn Du nichts weißt.
– Meine Freundin Theano ist nach mir dort geblieben. Als ich vorhin aufgewacht bin, war sie noch nicht nach Hause gekommen. Das Fest dauert vielleicht noch immer.
– Es ist aus, sagte ein anderes Weib. Theano steht dort, an die keramische Mauer gelehnt.
Die Hetären liefen dorthin, aber einige Schritte davon entfernt blieben sie mit einem mitleidigen Lächeln stehen.
Theano, im Taumel ihres harmlosen Rausches, zog eigensinnig an einer fast entblätterten Rose, deren Dornen in ihren Haaren hängen geblieben. Ihr gelbes Kleid war roth und weiß befleckt, als ob die ganze Orgie ihr über den Leib gefahren wäre. Die Bronzespange, die auf der Schulter die zusammenlaufenden Falten des Stoffes festhalten sollte, hing tiefer als der Gürtel und enthüllte die bewegliche Halbkugel einer jungen, schon überreifen Brust, welche zwei purpurrothe Male bewahrte.
Als sie Myrtocleia bemerkte, verfiel sie in ein sonderbares Lachen, das in Alexandrien Jedermann kannte und das ihr den Spitznamen »das Huhn« eingetragen hatte. Es war ein endloses Glucksen einer brütenden Henne, ein lustiger Tonfall, der athemlos bis zur untersten Stufe ging, um dann mit einem schrillen Aufschrei von Neuem zu beginnen, und so ging es rhythmisch fort, in der Freude eines frohlockenden Vogels.
»Ein Ei! ein Ei!« sagte Philotis.
Aber Myrtocleia machte eine Bewegung:
»Komm, Theano. Du mußt schlafen gehen. Du fühlst Dich nicht wohl. Komm mit mir.«
– Ah! ha! ... Ah! ha! lachte das Kind. Und sie nahm ihre Brust in ihre kleine Hand und rief mit entstellter Stimme:
»Ah! ha! ... der Spiegel ...«
– Komm! wiederholte Myrto ungeduldig.
– Der Spiegel ... er ist gestohlen, gestohlen, gestohlen! Ah! haaaa! Ich werde nie mehr so lachen, und wenn ich länger als Kronos lebe. Gestohlen, gestohlen, der Silberspiegel.
Die Sängerin wollte sie fortziehen, allein Philotis hatte verstanden.
»Ohe! rief sie den Anderen zu, die Arme in die Höhe streckend. Kommt doch schnell her! Man erfährt Neuigkeiten! Der Spiegel ist gestohlen!«
Und Alle riefen aus:
»Papaie! Bacchis' Spiegel!«
Im Augenblick drängten sich dreißig Frauen um die Flötenspielerin.
»Was sagt man?«
– Wie?
– Man hat Bacchis' Spiegel gestohlen; Theano hat es soeben gesagt.
– Aber wann denn?
– Wer hat ihn genommen?
Das Kind zuckte mit den Achseln:
»Weiß ich's denn?«
– Du hast die Nacht dort zugebracht. Du mußt es wissen. Es ist nicht möglich. Wer ist bei ihr eingedrungen? Man hat Dir's wohl gesagt. Erinnere Dich, Theano.
– Weiß ich's denn? ... Es waren ihrer mehr als zwanzig im Saale ... Sie hatten mich als Flötenspielerin gemiethet, aber sie hatten mich davon abgehalten zu spielen, weil sie die Musik nicht mögen. Sie haben von mir verlangt, ich solle die Figur der Danae darstellen und warfen Goldstücke nach mir, die mir Bacchis alle genommen hat ... Und was noch? Sie waren toll. Sie haben mich, den Kopf zu unterst, aus einem übervollen Zuber trinken lassen, wo sie sieben Becher hineingegossen hatten, weil es sieben Gattungen Weine auf dem Tische gegeben hatte. Mein Gesicht war ganz naß. Selbst meine Haare schwammen darin und meine Rosen.
– Ja, unterbrach Myrto, Du bist ein sehr häßliches Mädchen. Aber der Spiegel? Wer hat ihn genommen?
– Eben! Als man mich wieder auf die Beine gestellt hatte, war mir das Blut zu Kopfe gestiegen und ich hatte Wein bis in die Ohren. Ha! Ha! Sie haben alle zu lachen angefangen ... Bacchis hat den Spiegel holen lassen ... Ha! Ha! er war nicht mehr da. Jemand hatte ihn genommen.
– Wer? Man frägt Dich: wer?
– Ich war es nicht, das ist Alles, was ich weiß. Man konnte mich nicht durchsuchen, ich war ganz nackt. Ich kann einen Spiegel nicht unter dem Augenlid verbergen, wie eine Drachme. Ich war es nicht, das ist Alles, was ich weiß ... Sie hat eine Sklavin an's Kreuz geschlagen, vielleicht ist es deßhalb ... Als ich bemerkte, daß man mir nicht mehr zuschaute, habe ich die Goldstücke der Danae aufgelesen. Hier! Myrto. Ich habe deren fünf. Du kannst Kleider für uns drei dafür kaufen.
— — — — —
Das Gerücht von dem Diebstahl hatte sich nach und nach auf dem ganzen Platze verbreitet. Die Hetären verhehlten ihre eifersüchtige Befriedigung nicht. Eine geräuschvolle Neugierde belebte die bewegten Gruppen.
»Es ist ein Weib, sagte Philotis, es ist ein Weib, das diesen Streich gespielt hat.«
– Ja, der Spiegel war gut verborgen. Ein Dieb hätte Alles mitnehmen und Alles im Zimmer umstürzen können, ohne den Stein zu finden.
– Bacchis hatte Feindinen, ihre früheren Freundinen hauptsächlich. Diese wußten alle das Geheimniß. Eine derselben wird sie wohl irgendwohin locken haben lassen und bei ihr eingedrungen sein zur Stunde, wo die Sonne brannte und die Straße fast einsam ist.
– Oh! sie hat ihn vielleicht verkaufen lassen, um ihre Schulden zu zahlen.
– Wenn es einer ihrer Geliebten wäre? Man sagt, daß sie jetzt Packträger nimmt.
– Nein, es ist ein Weib, ich bin dessen sicher.
– Bei den beiden Göttinen, e» ist ihr recht geschehen!
Auf einmal rückte eine noch mehr erregte Menge einem Punkte der Agora zu, gefolgt von einem wachsenden Geräusch, das alle Vorbeigehenden anlockte.
»Was giebt's? was giebt's?«
Und eine gellende Stimme rief, den Tumult beherrschend, über die geängstigten Köpfe hinweg:
»Man hat die Gattin des Hohenpriesters getödtet!«
Ein starke Aufregung bemächtigte sich der ganzen Menge. Man glaubte nicht daran. Man wollte nicht denken, daß inmitten der aphrodisischen Feste, ein solcher Mord den Zorn der Götter auf die Stadt habe laden können. Doch überall wurde, von Mund zu Mund, derselbe Satz wiederholt:
»Man hat die Frau des Hohenpriesters getödtet; das Fest des Tempels ist unterbrochen!«
Rasch folgten sich die Nachrichten. Man hatte den Leichnam an einem entlegenen Ort, am höchsten Punkte der Gärten auf einer Bank von rothem Marmor gefunden. Eine lange Goldnadel war durch die linke Brust hindurch getrieben: die Wunde hatte nicht geblutet; aber der Mörder hatte alle Haare der jungen Frau abgeschnitten und den alten Kamm der Königin Ritaukrit mitgenommen.
Nach den ersten Angstschreien herrschte eine gedrückte Stimmung. Von Augenblick zu Augenblick wuchs die Menge immer mehr an. Die ganze Stadt war da. Es war ein Meer von entblößten Köpfen und von Frauenhüten, eine ungeheure Heerde, die gleichzeitig aus dem blauen Schatten der Straßen in das blendende Licht der Agora Alexandriens strömte. Man hatte einen solchen Zudrang seit dem Tage, wo Ptolemäus Auletes von der Partei der Berenike vertrieben wurde, nicht gesehen. Und die politischen Revolutionen erschienen weniger schrecklich, als dieses Verbrechen gegen die Religion, von welchem das Heil der Stadt abhängen konnte. Die Männer umdrängten die Zeugen zum Erdrücken. Man verlangte neue Einzelheiten. Man sprach Vermuthungen aus. Frauen theilten den neu Angekommenen den Diebstahl des berühmten Spiegels mit. Die Klügsten behaupteten, daß diese beiden nacheinander geschehenen Verbrechen von derselben Hand verübt worden seien. Aber von welcher? Mädchen, die am verflossenen Tage ihre Gabe für das nächste Jahr niedergelegt hatten, fürchteten, daß die Göttin dieselben nicht mehr anrechnen würde, und schluchzend saßen sie da, den Kopf in ihrem Kleide verborgen.
Ein alter Aberglaube verlangte, daß zwei ähnlichen Ereignissen ein drittes, noch schlimmeres folgen müsse, Die Menge erwartete dieses Ereigniß. Was hatte der geheimnißvolle Dieb nach dem Spiegel und dem Kamme gestohlen? Eine erstickende, von dem Südwind entzündete Atmosphäre voll Sand und Staub lastete auf der schier versteinerten Menge.
Unmerklich, als ob diese Menschenmasse nur ein Wesen wäre, wurde sie von einem Schauder ergriffen, der nach und nach bis zur Höllenangst anwuchs; und alle Augen richteten sich auf denselben Punkt am Horizonte.
Es war am äußersten Ende der großen, geradlinigen Allee, welche von dem Canope-Thor aus quer durch Alexandrien ging und von dem Tempel zur Agora führte. Dort, am äußersten Punkte des sanften Abhangs, wo sich die Aussicht auf den Himmel öffnete, war plötzlich eine zweite Menge erschienen, die herunterlief, auf die erste zu.
»Die Hetären! die geweihten Hetären!«
Niemand rührte sich. Man wagte nicht ihnen entgegenzueilen, aus Furcht, ein neues Unglück zu erfahren. Sie kamen wie eine lebende Überschwemmung, welcher der dumpfe Schall ihrer Schritte auf den Boden vorauseilte. Sie hoben die Arme in die Höhe, sie stießen sich, sie schienen vor einem feindlichen Heere zu fliehen. Jetzt erkannte man sie schon. Man konnte ihre Kleider, ihre Gürtel, ihre Haare unterscheiden. Lichtstrahlen fielen auf ihren Goldschmuck. Sie waren ganz nahe. Sie öffneten den Mund ... Ein Stillschweigen entstand ringsumher.
»Man hat das Halsband der Göttin gestohlen, die wahren Perlen der Anadyomene!«
Mit einem Schrei der Verzweiflung wurden diese verhängnisvollen Worte aufgenommen. Die Menge wich zuerst wie eine Woge zurück, dann stürzte sie vor, an die Wände schlagend, den Weg versperrend, die erschrockenen Weiber in die lange Strand-Allee zurückdrängend, der bestohlenen Unsterblichen zueilend.