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Gegen die Mitte der Nacht wurde Chrysis durch ein dreimaliges Klopfen an die Thür geweckt.
Sie hatte den ganzen Tag zwischen den beiden Epheserinen geschlafen, und ohne die Unordnung ihres Bettes hätte man sie für drei nebeneinander liegende Schwestern halten können. Rhodis lag an die Galilaeerin gepreßt, deren schweißbedeckter Schenkel auf ihr lastete. Myrtocleia schlief auf dem Bauche liegend, die Augen auf dem Arm, mit nacktem Rücken.
Behutsam machte sich Chrysis los, sie that drei Schritte auf dem Bette, stieg herunter und öffnete halb die Thür.
Man hörte Stimmen im Hausflur.
»Wer ist da, Djala? wer ist da?« fragte sie.
– Es ist Naukrates, der mit Dir sprechen will. Ich sage ihm, daß Du nicht frei bist.
– Doch, doch! welche Dummheit! gewiß bin ich frei! Tritt ein, Naukrates. Ich bin in meinem Gemache.
Und sie legte sich wieder auf das Bett.
Naukrates blieb eine Weile auf der Schwelle stehen, als ob er fürchtete zudringlich zu sein. Die beiden Musikspielerinen öffneten ihre schlaftrunkenen Augen und konnten sich ihren Träumen nicht entreißen.
»Setze Dich,« sagte Chrysis. »Zwischen uns ist jede Ziererei unnöthig. Ich weiß, daß Du nicht meinethalben kommst. Was willst Du von mir?«
Naukrates war ein bekannter Philosoph, der seit mehr als zwanzig Jahren Bacchis' Geliebter war und der sie nicht betrog, mehr aus Gleichgültigkeit, denn aus Treue. Sein graues Haar war kurz geschnitten, sein Bart spitz nach der Art des Demosthenes und sein Schnurbart erreichte nur den Saum der Lippen. Er trug ein großes, weißes Kleid aus einfach gestreifter Wolle.
»Ich komme um Dich einzuladen, sagte er. Bacchis giebt morgen ein Mahl, welchem ein Fest folgen soll. Mit Dir werden wir unser sieben sein. Komme sicher.
– Ein Fest? Aus welchem Anlasse?
– Sie befreit ihre schönste Sklavin Aphrodisia. Es werden Tänzerinen und Flötenspielerinen kommen. Ich glaube, Deine beiden Freundinen sind bestellt, und bin erstaunt, sie jetzt hier zu sehen. Es ist augenblicklich Probe bei Bacchis.
– Oh! es ist wahr, rief Rhodis aus, wir dachten nicht mehr daran. Auf, Myrto, wir haben uns sehr verspätet!
Doch Chrysis that Einsprache.
»Nein! noch nicht! wie böse Du bist, mir meine Frauen wegzunehmen. Wenn ich das vermuthet hätte, so hätte ich Dich nicht empfangen. Siehe, sie sind schon bereit.«
– Unsere Kleidung ist sehr einfach, sagte das Kind. Und wir sind nicht schön genug, um uns lange bei dem Ankleiden aufzuhalten.
– Werde ich Euch wenigstens im Tempel sehen?
– Ja. Morgen früh tragen wir Tauben dahin. Ich nehme eine Drachme aus Deiner Börse, Chrysis. Wir wären sonst nicht im Stande sie zu kaufen. Also auf morgen.
Und sie eilten von dannen. Naukrates schaute einige Zeit auf die Thür, die sie hinter sich geschlossen hatten; dann kreuzte er die Arme und sagte mit leiser Stimme, indem er sich zu Chrysis wandte:
»Recht so. Du führst Dich gut auf!«
– Wieso?
– Eine genügt Dir nicht mehr. Jetzt mußt Du deren zwei haben. Du suchst sie schon auf der Straße. Das ist ein schönes Beispiel. Aber, wenn es so zugeht, was wird dann uns Männern übrig bleiben? Ihr alle habt Freundinen und wenn ihr aus ihren ermüdenden Armen kommt, gebt ihr uns von eurer Leidenschaft nur noch so viel als Jene übrig ließen. Glaubst Du, daß das lange so dauern kann? Wenn das so fort geht, werden wir gezwungen sein Knaben aufzusuchen...
– Ah! das nicht, rief Chrysis aus. Das werde ich nie zugeben! Ich weiß es wohl, man macht diesen Vergleich. Es hat aber keinen Sinn; und ich bin erstaunt, daß Du, der Du den Beruf eines Denkers hast, nicht begreifst, daß dieser Vergleich unsinnig ist.
– Und welchen Unterschied findest Du da?
– Es handelt sich nicht um einen Unterschied. Es besteht zwischen den beiden Sachen gar keine Beziehung; das ist klar.
– Ich sage nicht, daß Du irrst. Ich will Deine Gründe kennen.
– Oh! Das ist in zwei Worten gesagt; höre gut zu. Das Weib ist für die Liebe ein vollkommenes Instrument. Vom Kopfe bis zu den Füßen ist sie einzig und wunderbar für die Liebe geschaffen. Sie allein versteht es zu lieben. Sie allein versteht es geliebt zu werden. Folglich: wenn ein verliebtes Paar aus zwei Frauen besteht, so ist es vollkommen; wenn nur eine dabei ist, so ist es um die Hälfte weniger gut; wenn gar keine dabei ist, so ist es ganz einfach blöd. Ich habe gesprochen.
– Du bist hart für Plato, meine Tochter.
– Ebenso wenig wie die Götter sind die großen Männer unter allen Umständen groß. Pallas versteht nichts vom Handel, Sophokles konnte nicht malen, Plato verstand nicht zu lieben. Jene Philosophen, Dichter, Redner, welche sich auf ihn berufen, taugen nicht mehr als er, und so bewunderungswürdig sie auch in ihrer Kunst sein mögen, in der Liebe sind sie Ignoranten. Glaube es mir, Naukrates, ich fühle, daß ich Recht habe.
Der Philosoph machte eine Bewegung.
»Du bist ein wenig unehrerbietig, sagte er; aber ich glaube keineswegs, daß Du Unrecht habest. Meine Entrüstung ist keine wirkliche. Es liegt etwas Reizendes in der Verbindung zweier jungen Frauen, unter der Bedingung, daß sie beide weiblich bleiben, ihre langen Haare behalten und ihre Brüste entblößen wollen und sich nicht mit nachgeahmten Werkzeugen ausrüsten, wie wenn sie, in ihrer Inkonsequenz das plumpe Geschlecht, das sie so hübsch verachten, beneiden würden. Ja, ihr Verhältniß ist merkwürdig, weil ihre Liebkosungen rein oberflächlich sind, und ihre Sinnenlust um so raffinirter. Sie umschlingen sich nicht, sie berühren sich nur leicht, um die höchste Freude zu genießen. Ihre Brautnacht ist nicht blutig. Es sind Jungfrauen, Chrysis. Sie kennen die brutale That nicht; darin sind sie der Knabenliebe überlegen. Die menschliche Liebe unterscheidet sich von der blöden Brunst der Thiere nur durch zwei göttliche Funktionen: durch die Liebkosung und den Kuß. Und es sind die einzigen, welche die Weiber, von denen wir hier sprechen, kennen. Sie haben sie sogar vervollkommnet.«
– Auf das Höchste, sagte Chrysis. Aber was wirfst Du mir dann vor?
– Ich werfe Dir vor, daß ihr schon hunderttausend seid in eurer Art. Es gibt schon eine große Zahl von Frauen, welche ein vollkommenes Vergnügen nur mit ihrem eigenen Geschlechte haben. Bald werdet ihr uns nicht empfangen wollen, selbst nicht als Nothbehelf. Aus Eifersucht schelte ich Dich.
Hier fand Naukrates, daß das Gespräch lange genug gedauert hatte und stand einfach auf.
»Ich kann Bacchis sagen, daß sie auf Dich zählen darf?« sagte er.
– Ich werde kommen, antwortete Chrysis.
Der Philosoph küßte ihre Kniee und ging langsam hinaus.
— — — — —
Chrysis faltete die Hände und begann laut zu sprechen, obwohl sie allein war.
»Bacchis ... Bacchis ... er kommt aus ihrem Hause und weiß nichts! ... Ist der Spiegel denn immer noch dort? ... Demetrios hat mich vergessen ... Wenn er am ersten Tage geschwankt hat, bin ich verloren, dann wird er Nichts thun... Aber es ist möglich, daß doch Alles geschehen ist! Bacchis hat andere Spiegel, deren sie sich öfter bedient. Wahrscheinlich weiß sie noch nicht ... Götter! Ihr Götter! Gibt es kein Mittel Nachrichten zu erhalten? und vielleicht ... Ah! Djala! Djala!«
Die Sklavin trat ein.
»Gieb mir mein Knöchelspiel«, sagte Chrysis. »Ich will würfeln.«
Und sie warf die vier Knöchel in die Höhe ...
»Oh! ... Oh! Djala, schau her! Der Wurf der Aphrodite!«
Man nannte so einen ziemlich seltenen Wurf, durch welchen jedes Knöchel eine andere Seite zeigte. Es gab genau fünfunddreißig Fälle gegen einen, daß diese Zusammenstellung sich nicht bilde. Es war der beste Wurf des Spieles.
Djala bemerkte kalt:
»Was hattest Du gewünscht?«
– Es ist wahr, sagte Chrysis enttäuscht. Ich hatte vergessen einen Wunsch zu fassen. Ich habe wohl an Etwas gedacht, aber ich habe Nichts gesagt. Zählt es dennoch?
– Ich glaube nicht; Du mußt von Neuem beginnen.
Ein zweites Mal warf Chrysis die Knöchel.
»Jetzt ist es der Wurf des Midas. Was denkst Du davon?
– Man weiß nicht, es kann gut sein und kann schlecht sein. Es ist ein Wurf, der sich durch den folgenden erklärt. Beginne mit einem einzigen Würfel von Neuem.
Zum dritten Mal befragte Chrysis das Spiel; aber als das Knöchel zurückgefallen war, sagte sie bestürzt:
»Da ... der Wurf von Chios!«
Und sie begann zu schluchzen.
Djala sagte nichts, sie selbst war unruhig. Chrysis weinte auf dem Bette, die Haare um den Kopf verstreut. Endlich drehte sie sich in einem Zornanfalle zurück.
»Warum hast Du mich von Neuem beginnen heißen? Ich bin sicher, daß der erste Wurf gegolten hat.
– Wenn Du einen Wunsch hattest, ja. Wenn nicht, nicht. Du allein weißt es, sagte Djala.
– Übrigens beweisen die Knöchel nichts. Es ist ein griechisches Spiel. Ich glaube nicht daran. Ich will etwas Anderes versuchen.
Sie trocknete ihre Thränen und ging durch das Gemach. Sie nahm von einem Tischchen eine Schachtel mit weißen Spielmarken, zählte deren zweiundzwanzig ab und grub mit einer Perlenspange nach einander die zweiundzwanzig Buchstaben des hebräischen Alphabets hinein. Es waren die Arkana (Geheimmittel) der Kabbala, welche sie in Galilaea gelernt hatte.
»Dazu habe ich Vertrauen. Das täuscht nicht, sagte sie. Hebe den Zipfel Deines Kleides auf, er wird mir als Sack dienen.«
Sie warf die zweiundzwanzig Spielmarken in die Tunika der Sklavin und wiederholte in Gedanken:
»Werde ich das Halsband der Aphrodite tragen? Werde ich das Halsband der Aphrodite tragen? Werde ich das Halsband der Aphrodite tragen?«
Sie zog das zehnte Arkanum, welches genau besagen wollte: