Jean-Baptiste Louvet de Couvray
Leben und Abenteuer des Chevalier Faublas – Erster Band
Jean-Baptiste Louvet de Couvray

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IV. Kapitel

Um diese Zeit hatten die Türken Russland den Krieg erklärt, und die Tartaren von Budziac und der Krim machten häufige Einfälle in Wolhynien, wo ich mich ebenfalls befand. Vier Tartaren griffen uns am Ausgange eines Waldes, in der Nahe von Ostropol an.

Ich hatte sehr unvorsichtigerweise vergessen meine Pistolen zu laden, aber ich bediente mich meines Säbels mit so viel Geschick und Glück, dass bald zwei von ihnen schwer verwundet niederfielen. Boleslaw beschäftigte den dritten, der vierte setzte mir gewaltig zu; er brachte mir eine leichte Wunde am Schenkel bei, erhielt aber in demselben Augenblick einen fürchterlichen Schlag, der ihn vom Pferde stürzte. Dadurch wurde auch Boleslaw seines Gegners los, der, als er seinen Kameraden sinken sah, die Flucht ergriff. Der, den ich zuletzt überwältigt hatte, sagte zu mir in schlechtem Polnisch:

»Ein so tapferer Mann, wie Du, muss großmüthig sein; ich bitte Dich um mein Leben! Statt mich vollends zu töten, Freund, leiste mir Beistand; komm, hilf mir aufzustehen; verbinde meine Wunde.«

Er bat in einem so edeln und so neuem Tone um Gnade, dass ich nicht schwankte.

Ich stieg vom Pferde ab, Boleslaw und ich hoben ihn auf und verbanden seine Wunden.

»Du thust wohl, tapferer Mann, Du thust wohl,« sagte der Tartar. Während er sprach, sahen wir eine Staubwolke um uns erheben; mehr als dreihundert Tartaren stürzten in gestrecktem Gallop auf uns an.

»Fürchte nichts!« sagte der Tartar, den ich verschont hatte, zu mir; »ich bin der Anführer dieser Schar.« Und wirklich blieben die Soldaten, die sich bereits angeschickt hatten, mich niederzuhauen, auf einen Wink von ihm ruhig stehen.

Er sagte ihnen in ihrer Sprache einige Worte, die ich nicht verstand; sie öffneten ihre Reihen, um Boleslaw und mich durchzulassen.

»Tapferer Mann,« sagte ihr Anführer aufs neue zu mir, »hatte ich nicht Recht zu sagen, Du thust wohl? Du hast mir das Leben gelassen, ich rette das Deinige; es ist zuweilen gut, einen Feind zu verschonen, selbst wenn er ein Räuber ist.

»Höre, mein Freund! indem ich Dich angriff, habe ich mein Handwerk ausgeübt. Du hast deine Schuldigkeit gethan, indem Du mir tüchtig zugesetzt hast. Ich verzeihe Dir, Du verzeihst mir, umarmen wir uns; umarmen wir uns.«

Er fügte hinzu:

»Der Tag fängt an zur Neige zu gehen; ich rathe Dir, nicht dieser Nacht in dieser Gegend zu reisen; die Leute hier gehen jeder auf seinen Posten, ich könnte für dieselben nicht gutstehen. Du siehst auf der Anhöhe rechts dieses Schloss? es gehört einem gewissen Grafen Durlinski, auf den wir es schon längst abgesehen haben, weil er sehr reich ist; geh, ersuche ihn um eine Zufluchtstätte, sage ihm, Du habest Titsikan verwundet, und Titsikan verfolge Dich. Er kennt meinen Namen, ich habe ihn schon mehrere schlechte Tage verleben lassen; rechne übrigens darauf, dass, so lange Du bei ihm sein wirst, sein Haus verschont bleiben wird; hüte Dich aber, es vor drei Tagen zu verlassen, und länger als acht Tage darin zu bleiben. Lebe wohl!«

Mit wahrem Vergnügen nahmen wir von Titsikan und seiner Horde Abschied. Der Rath des Tartaren war ein Befehl; ich sagte zu Boleslaw: »Suchen wir schnell das Schloss zu erreichen, welches er uns gezeigt hat; ich kenne übrigens diesen Durlinski dem Namen nach. Pulawski hat manchmal mit mir von ihm gesprochen, er kennt vielleicht den Aufenthaltsort von Pulawski, es ist auch nicht unmöglich, dass wir es mit einiger Schlauheit von ihm erfahren. Ich werde auf gut Glück sagen, dass Pulawski uns zu ihm geschickt; diese Empfehlung wird gewiss mehr wert sein, als die von Titsikan! Du, Boleslaw, vergiss nicht, dass ich Dein Bruder bin, verrathe mich nicht.«

Wir kamen an den Schlossgraben an. Durlinski's Leute fragten uns, wer wir wären. Ich antwortete ihnen, dass wir kämen, um mit ihrem Herrn zu sprechen, dass Pulawski uns schicke.

Die Räuber hätten uns angegriffen, und wären uns auf den Fersen. Die Zugbrücke wurde niedergelassen, wir traten ein. Man sagte uns, wir könnten für den Augenblick Durlinski nicht sprechen, aber morgen um zehn Uhr werde er uns Audienz ertheilen. Man forderte uns die Waffen ab, die wir ohne Schwierigkeit überlieferten.

Boleslaw untersuchte meine Wunde; das Fleisch war kaum geritzt. Man trug uns sogleich in der Küche ein frugales Mahl auf; dann wurden wir in eine niedrige Kammer geführt, wo zwei schlichte Betten in Bereitschaft standen; hier ließ man uns ohne Licht und schloss uns ein.

Ich konnte die ganze Nacht kein Auge schließen.

Titsikan hatte mich nur leicht verwundet; aber die Wunde in meinem Herzen war um so tiefer.

Gegen Tagesanbruch langweilte ich mich in meinem Gefängnisse; ich wollte die Läden öffnen, allein sie waren verriegelt.

Ich rüttelte sie stark; die Schlösser springen; ich sehe einen sehr schönen Park. Das Fenster war nicht hoch, ich springe hinaus und befinde mich in Durlinski's Garten.

Ich gehe einige Minuten auf und ab, und setze mich dann auf eine steinerne Bank am Fuße eines Thurmes, dessen alte Bauart ich einige Minuten lang betrachtete.

Hier saß ich in meinen Betrachtungen versunken, als ein Ziegel vor meine Füße herabfiel; ich glaubte, er habe sich von dem Dache des alten Gebäudes losgemacht, und setze mich auf das andere Ende der Bank.

Einige Augenblicke später fiel ein zweiter Ziegel neben mir nieder.

Das schien mir nicht mit rechten Dingen zuzugehen, ich stand unruhig auf und besah den Thurm aufmerksam.

Ich bemerkte fünfundzwanzig bis dreißig Fuß hoch eine enge Öffnung, hob die Ziegel, die man mir zugeworfen hatte, auf und entzifferte auf dem ersten die mit Gyps geschriebenen Worte:

»Lowzinski, Sie sind's! Sie leben!«

Und auf dem zweiten die Worte:

»Befreien Sie Lodoiska!«

Sie können sich nicht vorstellen, lieber Faublas, wie viele verschiedene Gefühle mich in diesem Augenblicke bestürmten.

Mein Erstaunen, meine Freude, mein Schmerz lassen sich unmöglich beschreiben. Ich untersuchte Lodoiska's Gefängnis und sann hin und her, wie ich sie befreien könnte. Sie schickte mir noch einen Ziegel und ich las:

»Um Mitternacht bringen Sie Papier, Tinte und Federn; morgen, eine Stunde nach Sonnenaufgang, holen Sie einen Brief. Entfernen Sie sich!«

Ich kehrte nach meinem Zimmer zurück. Boleslaw half mir zum Fenster einzusteigen; wir machten den Laden, so gut wir konnten, wieder zurecht. Ich erzählte meinem treuen Diener das unerwartete Ereignis, das meinen Wanderungen ein Ziel setzte und meine Unruhe verdoppelte.

Wie in diesen Thurm dringen? wie uns Waffen verschaffen? Wie Lodoiska aus ihrem Gefängnisse befreien? Wie unter Durlinski's Augen, mitten unter seinen Leuten aus einem befestigten Schlosse sie entführen?

Im Falle diese Hindernisse auch nicht unüberwindlich waren, konnte ich in der kurzen Frist, die Titsikan mir gewährte, ein so schwieriges Unternehmen wagen?

Er hat mir gerathen, drei Tage bei Durlinski zu bleiben und nicht länger als acht in der Gegend zu verweilen.

Vor dem dritten Tage das Schloss zu verlassen, hieße das nicht, uns den Angriffen der Tartaren aussetzen?

Meine theuere Lodoiska aus dem Gefängnisse zu befreien, um sie den Räubern preiszugeben; durch Sklaverei oder Tod auf ewig von ihr getrennt zu werden.

Dieser Gedanke war entsetzlich.

Aber warum war sie in einem so schrecklichen Gefängnisse? Der Brief, den sie mir versprochen hatte, sollte mich ohne Zweifel davon in Kenntnis setzen.

Wir mussten uns Papier verschaffen; diese Sorge überließ ich Boleslaw und bereitete mich vor, bei Durlinski die schwierige Rolle eines Abgesandten Pulawski's durchzuführen.

Der Tag war schon vorgerückt, als man uns in Freiheit setzte; man sagte uns, Durlinski könne und wolle uns sehen.

Wir traten mit Zuversicht vor ihn. Es war ein Mann von ungefähr sechzig Jahren, einem rauhen Äußern und abstoßenden Manieren. Er fragte uns, wer wir wären.

»Mein Bruder und ich,« antwortete ich, »gehören dem Herrn Pulawski, mein Gebieter hat mir einen geheimen Auftrag an Sie gegeben; mein Bruder hat mich in einer andern Absicht begleitet; ich muss, um mich erklären zu können, allein sein; ich darf nur mit Ihnen sprechen.«

»Nun gut!« antwortete Durlinski, »Dein Bruder kann gehen; und Ihr auch entfernt Euch,« sagte er zu seinen Leuten. »Was diesen betrifft (auf seinen Vertrauten deutend), so wirst Du erlauben, dass er da bleibt; Du kannst vor ihm alles sagen.«

»Pulawski schickt mich.«

»Das sehe ich, dass er Dich schickt!«

»Um Sie zu fragen, wie –« (Ich nahm meinen Muth zusammen.)

»Um Sie nach dem Befinden seiner Tochter zu fragen.«

»Nach dem Befinden seiner Tochter? Pulawski hätte Dir gesagt –«

»Ja, mein Gebieter hat mir gesagt, dass Lodoiska hier ist.«

Ich bemerkte, dass Durlinski erblasste; er sah seinen Vertrauten an und fixierte mich lange stillschweigend.

»Du setzt mich in Erstaunen,« versetzte er endlich.

»Dein Herr muss sehr unvorsichtig sein, um Dir ein Geheimnis von solcher Wichtigkeit anzuvertrauen!«

»Eben so wenig als Sie, gnädiger Herr; haben Sie nicht auch einen Vertrauten? Die Großen wären sehr zu beklagen, wenn sie niemand ihr Vertrauen schenken könnten.

»Pulawski hat mich beauftragt, Ihnen zu sagen, dass Lowzinski bereits einen großen Theil Polens durchstreift hat und ohne Zweifel auch Ihre Gegenden durchsuchen wird.«

»Wenn er es wagt, hierher zu kommen,« antwortete der Graf sogleich mit der größten Lebhaftigkeit, »so habe ich ein Zimmer für ihn, in dem er lange bleiben kann. Kennst Du diesen Lowzinski?«

»Ich habe ihn oft bei meinem Herrn in Warschau gesehen.«

»Er soll ein schöner Mann sein?«

»Er ist hübsch gewachsen und ungefähr in meiner Größe.«

»Sein Gesicht?«

»Ist einnehmend; er ist ein –«

»Er ist ein unverschämter Bube!« fiel er zornig ein; »wenn er je in meine Hände fällt!«

»Gnädiger Herr, man versichert, er sei tapfer.«

»Der! ich wette, er kann nichts, als Mädchen verführen. Wenn er jemals in meine Hände fällt!« (Ich hielt mich zurück.)

Er setzte in ruhigerem Tone hinzu:

»Es ist schon lange, dass Pulawski mir nicht geschrieben hat; wo lebt er gegenwärtig?«

»Gnädiger Herr, ich habe gemessenen Befehl, diese Frage nicht zu beantworten. Alles, was ich Ihnen sagen kann, ist, dass er, um seinen Aufenthaltsort geheim zu halten und niemandem zu schreiben, wichtige Gründe hat, die er Ihnen in Bälde persönlich mittheilen wird.«

Durlinski schien sehr erstaunt; ich glaubte sogar einige Zeichen von Schrecken zu bemerken; er sah seinen Vertrauten an, dessen Verlegenheit eben so groß schien.

»Du sagst, Pulawski werde bald kommen?«

»Ja, gnädiger Herr, spätestens in vierzehn Tagen.«

Er sah seinen Vertrauten abermals an, dann auf einmal eben so viel Kaltblütigkeit affektierend, als er vorher Verlegenheit gezeigt hatte, sagte er:

»Geh zu Deinem Herrn zurück! es thut mir leid, dass ich ihm nur schlimme Nachrichten geben kann. Du wirst ihm sagen, dass Lodoiska nicht mehr hier ist.«

Ich war äußerst überrascht.

»Wie, gnädiger Herr, Lodoiska –«

»Ist nicht mehr hier, sage ich Dir. Um Pulawski, den ich schätzte, einen Gefallen zu erweisen, habe ich ungern genug das Geschäft übernommen, seine Tochter in meinem Schlosse zu bewachen, niemand als ich und dieser da (er zeigte auf seinen Vertrauten) wusste von ihrer Anwesenheit. Vor ungefähr einem Monate, als wir ihr, wie gewöhnlich, ihre Lebensmittel auf einen Tag bringen wollten, fand ich ihr Zimmer leer.

»Ich weiß nicht, wie sie es gemacht hat; aber das weiß ich wohl, dass sie entflohen ist; ich habe seither nie von ihr reden hören!

»Sie ist ohne Zweifel nach Warschau zu Lowzinski gegangen, wenn nicht unterwegs die Tartaren sie aufgefangen haben.«

Meine Verwunderung erreichte den höchsten Grad. Wie sollte ich das, was ich im Garten gesehen hatte, mit Durlinski's Worten vergleichen? es lag hier ein Geheimnis vor, das ich sehr begierig war zu ergründen; dennoch hütete ich mich wohl, den geringsten Zweifel laut werden zu lassen.

»Gnädiger Herr, das sind sehr traurige Nachrichten für meinen Gebieter.«

»Gewiss! aber es ist nicht meine Schuld.«

»Gnädiger Herr, ich habe Sie um eine Gnade zu bitten.«

»Lass hören!«

»Die Tartaren verwüsten das Land in der Nähe Ihres Schlosses, sie haben uns angegriffen, wir sind ihnen durch ein Wunder entkommen; würden Sie nicht meinem Bruder und mir die Erlaubnis gewähren, nur zwei Tage hier auszuruhen?«

»Nur zwei Tage, das mag sein! wo hat man Sie einquartiert?« fragte er seinen Vertrauten.

»Im Erdgeschoss,« antwortete dieser, »in einem niedrigen Zimmer.«

»Das auf meine Gärten geht!« fiel Durlinski unruhig ein.

»Die Läden sind geschlossen,« antwortete der Vertraute.

»Gleichviel, man muss sie anderwo unterbringen.«

Diese Worte machten mich zittern. Der Vertraute entgegnete:

»Das ist nicht möglich; aber...« Er sagte ihm das Übrige ins Ohr.

»Nun gut,« versetzte der Herr des Hauses, »aber man mache es sogleich!« und sich zu mir wendend:

»Dein Bruder und Du, Ihr werdet übermorgen abreisen; bevor Du gehst, wirst Du mich noch einmal sprechen; ich werde Dir einen Brief an Pulawski mitgeben.«

Ich gieng zu Boleslaw in die Küche, wo er frühstückte; er stellte mir eine kleine Flasche mit Tinte, mehrere Federn und einige Blätter Papier zu, die er sich ohne Mühe verschafft hatte. Ich brannte vor Begierde an Lodoiska zu schreiben aber wie einen geeigneten Ort ausfindig machen, wo mich keine Neugierigen beunruhigten? Man hatte Boleslaw bereits angekündigt, dass wir unser Zimmer von der vergangenen Nacht vor Schlafengehen nicht wieder betreten dürfen.

Ich ersann eine Kriegslist, die mir auch vollkommen gelang. Durlinski's Leute tranken mit Boleslaw und luden mich höflich ein, ihnen einige Flaschen leeren zu helfen. Ich nahm den Antrag freudig an und stürzte schnell mehrere Gläser sehr schlechten Weines hinunter; bald wankten meine Beine, meine Zunge lallte; ich erzählte der fröhlichen Gesellschaft hundert ebenso lustige als abgeschmackte Geschichtchen; kurz, ich spielte den Betrunkenen so gut, dass Boleslaw selbst sich verführen ließ. Er zitterte, ich möchte in diesem Zustande, wo ich alles zu sagen bereit schien, mein Geheimnis verrathen.

»Meine Herren,« sagte er zu den erstaunten Trinkern, »mein Bruder ist heute nicht recht bei Sinnen; es kommt vielleicht von seiner Wunde her, lassen wir ihn von nun an weder sprechen noch trinken, ich fürchte, es ist ihm nicht gut, und wenn Sie mir einen Gefallen thun wollen, so würden Sie mir helfen, ihn in sein Bett zu schaffen.«

»In das seinige, nein, das kann nicht sein,« antwortete einer von ihnen; »aber ich würde gerne mein Zimmer dazu hergeben.«

Man nahm mich und schleppte mich auf eine Dachstube, deren ganzes Ameublement aus einem Bett, einem Tisch und einem Stuhl bestand. Hier schloss man mich ein; das war alles, was ich wünschte; sobald ich allein war, schrieb ich einen mehrere Seiten langen Brief an Lodoiska. Ich begann ihn mit einer vollständigen Rechtfertigung in Beziehung auf Pulawski's Beschuldigungen; dann erzählte ich alles, was mir von dem Augenblicke unserer Trennung an bis zu meiner Ankunft in Durlinski's Hause begegnet war, ich berichtigte umständlich meine Unterredung mit ihm, und schloss mit der Versicherung der zärtlichsten und ehrfurchtsvollsten Liebe und dem Schwur, dass ich, sobald sie mir die nöthigen Aufschlüsse über ihr Schicksal gegeben haben würde, mich allem aussetzen werde, um ihrer schrecklichen Sklaverei ein Ende zu machen.

Als ich meinen Brief geschlossen hatte, überließ ich mich Betrachtungen, die mich in die peinlichste Verlegenheit setzten.

War es wohl Lodoiska, welche mir die Ziegel in den Garten zugeworfen hatte. Hätte Pulawski so viel Ungerechtigkeit gehabt, seine Tochter wegen einer Liebe, die er selbst gebilligt, so hart zu bestrafen, hätte er die Unmenschlichkeit gehabt, sie in ein schreckliches Gefängnis zu werfen, wenn ihn auch der Hass, den er mir zugeschworen, so sehr verblendet hätte, wie hätte Durlinski sich entschließen können, seiner Rache auf diese Art zu dienen? aber anderseits trug ich, um mich unkenntlich zu machen, seit drei Monaten nur grobe Kleider; die Strapazen einer langen Reise und mein Kummer hatten mich verändert.

Wer anderer als eine Liebende hätte Lowzinski in den Gärten Durlinski's erkannt? Hatte ich den Namen Lodoiska nicht auf dem Ziegelstein gelesen? Durlinski selbst hat zugestanden, dass Lodoiska seine Gefangene war, wohl hat er hinzugesetzt, sie sei ihm entflohen. Ich wusste ja nicht, ob ich dies als Wahrheit annehmen durfte. Woher der Hass, den Durlinski mir geschworen hat, ohne mich zu kennen? Warum diese Unruhe, als man ihm sagte, Pulawski's Abgesandte bewohnen ein Zimmer, das auf den Garten gehe, und dieser Schrecken, als ich ihm die bevorstehende Ankunft meines angeblichen Gebieters meldete? Alles dies war sehr geeignet, mir schreckliche Unruhe einzuflößen. Ich vermuthete fürchterliche Sachen, die ich mir nicht erklären konnte.

Seit zwei Stunden stellte ich mir unaufhörlich neue Fragen, deren Beantwortung mich in die peinlichste Verlegenheit setzte.

Endlich kam Boleslaw, um zu sehen, ob sein Bruder wieder zur Besinnung gekommen sei.

Ich überzeugte ihn leicht, dass mein Rausch bloß angenommen war; wir giengen wieder in die Küche, wo wir den Rest des Tages zubrachten.

Welch' ein Abend, lieber Faublas! in meinem ganzen Leben schien mir keiner so lang.

Endlich führte man uns in unser Zimmer, wo man uns wie in der vorhergehenden Nacht einschloss, ohne uns Licht zu lassen; ich musste noch beinahe zwei Stunden warten, bis es zwölf schlug. Mit dem ersten Glockenschlag öffneten wir leise die Läden und das Fenster; ich machte Anstalten in den Garten zu springen, sah mich aber auf einmal durch Gitter aufgehalten.

Dies brachte mich zur Verzweiflung.

»Siehst Du,« sagte ich zu Boleslaw, »das ist's, was der verfluchte Durlinski beschloss, als er sagte: »Gut, aber man mache es sogleich!« Das haben sie den Tag über gearbeitet; deswegen hat man uns den Eintritt in dieses Zimmer versagt.«

»Gnädiger Herr, sie haben von Außen gearbeitet, sie haben nicht bemerkt, dass der Laden erbrochen ist.«

»Sie mögen es gesehen haben oder nicht,« rief ich heftig, »was liegt mir daran! dieses unselige Gitter schlägt alle meine Hoffnungen zu Boden; es vergewissert Lodoiska's Sklaverei, es vergewissert meinen Tod.«

»Ja, gewiss, es vergewissert Deinen Tod!« schrie eine Stimme und die Thüre öffnete sich. Durlinski mit einigen Bewaffneten vor ihm und einigen, die Fackeln trugen, hinter ihm, trat, den Säbel in der Hand, herein.

»Verräther!« sagte er, mir wüthende Blicke zuwerfend, »ich habe Alles gehört, ich will wissen, wer Du bist. Du wirst mir Deinen Namen sagen. Dein angeblicher Bruder wird ihn sagen; zittere!«

»Ich bin von allen Feinden Lowzinski's der unversöhnlichste! man suche sie aus!« sagte er zu seinen Leuten.

Sie fielen über mich her, ich war unbewaffnet und leistete nutzlosen Widerstand. Sie nahmen meine Papiere und den Brief, den ich an Lodoiska geschrieben hatte. Durlinski durchlas ihn unter tausend Zeichen der Ungeduld, er war nicht sehr glimpflich darin behandelt.

»Lowzinski,« sagte er mit erstickter Wuth zu mir, »ich verdiene bereits Deinen ganzen Hass; bald werde ich ihn noch mehr verdienen; inzwischen wirst Du mit Deinem würdigen Vertrauten in diesem Zimmer, das Du liebst, bleiben.«

Mit diesen Worten gieng er hinaus, die Thüre wurde doppelt verschlossen; er stellte eine Schildwache vor dieselbe und eine andere dem Fenster nach dem Garten gegenüber.

Sie können sich vorstellen, in welche Niedergeschlagenheit Boleslaw und ich versanken. Mein Unglück hatte den höchsten Gipfel erreicht, die Leiden Lodoiska's giengen mir so tief zu Herzen; die Unglückliche! wie groß musste ihre Unruhe sein! Sie erwartet Lowzinski und er lässt sie ohne Hilfe! Doch nein, sie kennt mich zu gut, sie würde mich einer feigen Treulosigkeit nicht anklagen, sie würde ihren Geliebten nach sich selbst beurtheilen, gewiss, sie ahnt es, dass Lowzinski ihr Los theilt, wenn er ihr nicht zu Hilfe kommt. Ach! und die Gewissheit meines Unglücks würde das ihrige vermehren!

Am andern Morgen bot man uns durch das Fenster die Lebensmittel für den Tag. Aus der Beschaffenheit der Speisen, die wir erhielten, schloss Boleslaw, dass man unser Gefängnis nicht sehr angenehm machen wollte. Boleslaw, der sich weniger unglücklich fühlte als ich, bot mir meinen Antheil an der armseligen Mahlzeit. Ich wollte nicht essen; er drang vergebens in mich, das Leben war mir eine unerträgliche Last geworden.

»Ach, leben Sie doch,« sagte er endlich unter einem Strom von Thränen zu mir, »leben Sie! wenn auch nicht für Boleslaw, so doch für Lodoiska.«

Diese Worte machten den lebhaftesten Eindruck auf mich und belebten meinen Muth auf's neue. Die Hoffnung zog wieder in mein Herz, ich umarmte meinen treuen Diener.

»O, mein Freund!« rief ich entzückt, »o, mein wahrer Freund! ich habe Dich zu Grunde gerichtet, und bekümmere mich mehr um mein Unglück; wolle der gerechte Himmel mir bald meine Reichthümer und meinen Rang zurückgeben, um Dir zu beweisen, dass Dein Herr kein Undankbarer ist.«

Wir umarmten uns auf's neue.

Ach, lieber Faublas, wenn Sie wüssten, wie das Unglück die Menschen einander nahe bringt! wie süß ist es, im Augenblicke der Noth von einem Anderen, der gleich uns im Unglück ist, ein Wort des Trostes zu vernehmen.

Wir hatten ungefähr zwölf Tage in diesem Gefängnisse geschmachtet, als man die Thüre öffnete, um mich vor Durlinski zu führen.

Boleslaw wollte mich begleiten, wurde aber zurückgestoßen, dennoch erlaubte man mir einen Augenblick mit ihm zu sprechen.

Ich zog einen Ring, den ich seit mehr als zehn Jahren trug, vom Finger und sagte zu Boleslaw:

»Diesen Ring habe ich von Herrn von P... zur Zeit unserer gemeinschaftlichen Studien in Warschau erhalten; nimm ihn, mein Freund, und behalte ihn um meinetwillen.

»Wenn Durlinski heute durch meine Ermordung seinen Verrath vollendet und Dir dann erlaubt, das Schloss zu verlassen, so suche Deinen König auf und zeige ihm diesen Edelstein.

»Erinnere ihn an unsere alte Freundschaft, erzähle ihm mein Unglück; er wird Dich belohnen; er wird Lodoiska Hilfe schicken. Lebe wohl, mein Freund!«

Man führte mich in Durlinski's Zimmer; sobald sich die Thüre öffnete, erblickte ich auf einem Lehnstuhl eine ohnmächtige Frau; ich trat näher, es war Lodoiska.

Mein Gott, wie sehr hatte sie sich verändert! aber wie schön war sie bei alldem noch!

»Unmensch!« sagte ich zu Durlinski.

Die Stimme ihres Geliebten brachte Lodoiska wieder zur Besinnung.

»Ach, mein theuerer Lowzinski! Weißt Du, was der Ehrlose mir vorschlägt? weißt Du, um welchen Preis er mir Deine Freiheit bietet?«

»Ja,« rief Durlinski, »ja, das verlange ich! Du hast Dich jetzt wohl überzeugt, dass er in meiner Gewalt ist? wenn Du noch in drei Tagen auf Deiner Weigerung bestehst, so ist er in drei Tagen todt.«

Ich wollte mich zu Lodoiska's Füßen werfen, meine Wärter verhinderten es.

»Endlich sehe ich Dich wieder, meine angebetete Lodoiska, alle meine Leiden sind vergessen. Der Tod hat nichts Schreckliches mehr für mich.«

Mich zu Durlinski wendend sage ich:

»Du Elender, bedenke, dass Pulawski seine Tochter, bedenke, dass der König seinen Freund rächen wird!«

»Man führe ihn hinaus!« schrie Durlinski.

»Ach,« sagte Lodoiska, »meine Liebe hat Dich zu Grunde gerichtet.«

Ich wollte antworten; man führte mich in mein Gefängnis zurück.

Boleslaw empfieng mich mit unbeschreiblicher Freude; er gestand mir, er habe mich bereits verloren geglaubt; ich erzählte ihm, wie mein Tod nur aufgeschoben sei. Die Scene, die ich soeben erlebte, hatte meinen ganzen Verdacht bestätigt; es war klar, dass Pulawski von der unwürdigen Behandlung, die seiner Tochter widerfuhr, nichts wusste. Durlinski, der in sie verliebt und eifersüchtig war, wollte seine Leidenschaft um jeden Preis befriedigen.

Indes waren von den drei Tagen, die Durlinski meiner Lodoiska Bedenkzeit gelassen hatte, zwei verstrichen, und die Nacht auf den dritten bereits zur Hälfte vorüber; ich konnte nicht schlafen und gieng mit großen Schritten in meinem Zimmer auf und ab. Plötzlich hörte ich den Ruf: »Zu den Waffen!«

Ein schreckliches Geheul erhob sich von allen Seiten um das Schloss.

Die vor unser Fenster aufgestellte Schildwache verlässt ihren Posten, Boleslaw und ich unterscheiden die Stimme Durlinski's; er ruft seine Leute und feuert sie an; wir hören deutlich das Getöse der Waffen, das Stöhnen der Verwundeten und der Sterbenden.

Der anfangs gewaltige Lärm lässt eine Zeit nach, dann fängt er auf's neue an und dauert länger; man ruft: Sieg! eine Menge Leute stürmen herein und schließen die Thore mit Gewalt hinter sich zu. Auf einmal folgt auf den entsetzlichen Lärm eine bange Stille; bald kommt ein dumpfes Gebrause an unsere Ohren, die Nacht wird weniger finster, die Bäume im Garten färben sich gelb und röthlich; wir stiegen ans Fenster.

Die Flammen verzehren Durlinski's Schloss; sie schlugen von allen Seiten an das Zimmer, in dem wir uns befanden, und um unsere Verzweiflung vollständig zu machen, hörten wir ein durchdringendes Geschrei aus dem Thurme, in dem sich, wie ich wusste, Lodoiska befand.«


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