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Sobald es Tag wurde, begab ich mich zu meinem Vater. Er sagte sehr gütig zu mir: »Faublas, Sie sind kein Kind mehr, ich lasse Ihnen eine anständige Freiheit; ich hoffe, dass Sie keinen Missbrauch davon machen; ich hoffe, dass Sie die Nächte nie außerhalb des Hotels zubringen; bedenken Sie, dass ich Ihr Vater bin, und dass, wenn mein Sohn mich liebt, er fürchten muss, mir Unruhe zu bereiten.«
Ich eilte zu Rosambert, der mich bereits erwartete. Er gieng mir lachend entgegen und umarmte mich, ehe ich ein Wort sagen konnte.
»Lieber Faublas! Ihr Abenteuer ist köstlich! je mehr ich daran denke, um so lustiger erscheint es mir.«
»Ich bin nicht gekommen, um Ihre Glückwünsche in Empfang zu nehmen.«
Der Graf wurde ernsthaft und bat mich Platz zu nehmen.
»Sie könnten mir,« sagte er, »noch jetzt böse sein! ich sollte Sie noch in der gestrigen Laune sehen! wohlan denn, mein junger Freund, Sie sind ein Narr! wie? eine undankbare Schöne begünstigt Sie und lässt mich im Stich; ich werde aufgeopfert; Ihnen werde ich aufgeopfert, und Sie suchen Feindschaft! ich bestrafe die galanten Betrügereien des schlauen Paares, das mich zum Besten hat, bloß durch eine augenblickliche Unruhe, und was muss ich erfahren, Herr von Faublas will die kurze Angst, die Fräulein Duportail ausgestanden, durch das Blut seines Freundes rächen. Ich schwöre Ihnen, daraus wird nichts.
»Lieber Faublas, ich habe eine sechsjährige Erfahrung vor Ihnen voraus; ich weiß recht gut, dass man im sechzehnten Jahre nichts kennt, als seine Geliebte und seinen Degen; aber im zweiundzwanzigsten schlägt sich ein Mann von Welt nicht mehr wegen einer Frau.«
Ich war einigermaßen verwundert; er bemerkte es.
»Glauben Sie an wahre Liebe?« setzte er rasch hinzu; »dies gehört auch zu den Täuschungen der Jugend, ich versichere Sie! ich habe nie etwas anderes, als Galanterie gesehen. Was ist übrigens Ihr Abenteuer? eine Eroberung, nichts weiter! und aus einer komischen Geschichte wollen wir eine Tragödie machen? wir wollten uns umbringen wegen einer schönen Frau, die heute mich verlässt und vielleicht morgen Sie aufgibt! ach! Chevalier, sparen Sie Ihren Muth auf eine wichtigere Gelegenheit; den meinigen wird man wohl nicht mehr in Zweifel ziehen. Es ist nur zu wahr, dass ein unglückliches Zusammentreffen von Umständen uns bisweilen nöthigt, das Blut eines Freundes zu vergießen; möge die Ehre, die unbeugsame Ehre, Sie nie in diese entsetzliche Nothwendigkeit versetzen! Lieber Faublas, ich war in Ihrem Alter, als die Marquise von Rosambert, deren einziger Sohn ich bin, dreiundreißig Jahre alt war, sie sah so jugendlich aus, dass man sie für fünfundzwanzig gehalten hätte; in der Gesellschaft nannte man sie meine ältere Schwester. Mit den Reizen der Jugend hatte sie auch ihre Genusssucht beibehalten, sie liebte zahlreiche Versammlungen und rauschende Vergnügungen.
»Eines Abends, als ich sie auf den Ball in die Oper geführt hatte, wurde sie öffentlich beleidigt. Ich eilte auf die Rufe der Marquise, die ihre Maske abgenommen hatte, herbei; der unbekannte Beleidiger hatte sie bereits um Entschuldigung gebeten, seines Irrthums wegen, und verlor sich in der Menge.
»Ich gieng ihm nach und nöthigte ihn, seine Maske abzunehmen. Es war der junge Saint-Clair, der Gefährte meiner Kindheit und der liebste von allen meinen Freunden.
»Ich wusste nicht, dass es die Marquise von Rosambert war!« dies war alles, was er zu mir sagte. Es war ohne Zweifel viel; aber das allgemeine Murren ließ uns begreifen, dass es nicht genug war. Die Ehre forderte Blut; wir schlugen uns. Saint-Clair fiel. Ich sank bewusstlos neben meinem sterbenden Freunde nieder. Mehr als sechs Wochen verzehrte mich ein schreckliches Fieber. In meinem Fieberwahn sah ich nichts als Saint-Clair, seine Wunde verblutete vor meinen Augen, die Todeszuckungen bewegten seine zitternden Glieder; und dennoch sah er mich mit zärtlicher Miene an; mit sterbender Stimme sagte er mir ein rührendes Lebewohl. In seinen letzten Augenblicken schien er keine andere Empfindung zu haben, als den Schmerz, den Unmenschen, der ihn ermordet, verlassen zu müssen. Lange zitterte man für mein Leben; endlich gelang es den vereinten Anstrengungen der Natur und Kunst meine Genesung zu vollbringen, ich genas wieder, aber ohne meine Gewissensbisse zu verlieren.
»Die Zeit, die alles Unglück heilt, hat meine Thränen getrocknet, aber nie, nie wird sich das Andenken an diesen schrecklichen Kampf aus meinem Gedächtnisse verlieren.
»Chevalier, nur ungern und genöthigt würde ich mich mit einem Unbekannten schlagen; urtheilen Sie, ob ich ohne Grund mein Leben aussetzen kann, um das Ihrige zu bedrohen! ... Ach, wenn jemals die unerbittliche Ehre uns dazu zwänge, lieber Faublas, so schwöre ich Ihnen: Ihr Sieg würde weder schwer noch ruhmvoll sein, denn ich weiß zu gut, dass in einem solchen Fall der Getödtete nicht der Unglücklichste ist.«
Rosambert streckte mir die Arme entgegen; ich umarmte ihn herzlich, und seine Betrübnis verlor sich wieder nach und nach.
»Frühstücken wir!« sagte er, seine gewöhnliche Heiterkeit wieder erlangend. »Sie wollten Händel mit mir anfangen, Undankbarer, während Sie mir großen Dank schuldig sind.«
»Großen Dank?«
»Bin nicht ich es, durch den Sie die Bekanntschaft der Marquise machten? es ist wahr, ich sah den boshaften Streich nicht voraus, den man mir spielen würde; ich hätte eine Untreue ahnen können, nicht aber, dass sie so schnell und mit so auffallenden Nebenumständen stattfinden würde! (er fieng an zu lachen) aber je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr muss ich Ihnen gratulieren. Ihr Abenteuer ist köstlich. Sie treten durch die schöne Pforte in die Welt.
»Die Marquise ist jung und schön, voll Geist. In der Stadt sehr angesehen, bei Hofe wohl gelitten, intriguant wie ein Teufel; sie besitzt einen unermesslichen Kredit, und verwendet ihn eifrig für ihre Freunde.«
Ich sagte aber dem Grafen, dass ich nie solche Mittel brauchen würde, um mein Glück zu machen.
»Sie thuen Unrecht,« antwortete er; »wie viele Leute von wirklichem Verdienst sind bloß auf diese Art weiter gekommen, aber lassen wir das! wollen Sie mir nicht Näheres von der lustigen Nacht erzählen, in der Sie sich ohne Zweifel sehr wohl befunden haben, und vermuthlich noch eine zweite voll der süßesten Wonne, ohne mein unliebsames Dazwischenkommen, verlebt hätten.«
Als ich von meiner Überraschung zu mir gekommen, ließ ich mich nicht lange bitten.
»Ach, die schlaue Marquise,« rief der Graf, nachdem er mein Geständnis hörte; »ah! die feine Dame, wie geschickt sie ihr Glück eingefädelt hat! und ihr ehrlicher Ehegemahl, der liebe Marquis, der sanfteste, leichtgläubigste und der gefälligste aller bequemen Eheherren, von denen Frankreich wimmelt! wahrlich, fast könnte ich glauben, gewisse Leute seien nur darum auf diese niedere Welt gesetzt worden, um ihren Nebenmenschen zur Belustigung zu dienen. Aber seine Frau! seine Frau! ...«
»Ist sehr liebenswürdig.«
»Ich weiß es wohl, ich wusste es vor Ihnen, und wir hätten uns beinahe um ihretwillen geschlagen. Ich gestehe, es wäre ein toller Streich gewesen.«
»Sie haben Recht, Rosambert, es wäre fast lächerlich gewesen.«
»Sehr lächerlich, und dann hätte dieser tolle Streich ein sehr gefährliches Beispiel gegeben.«
»Wie so?«
»Sehen Sie, Faublas, in den beschränkten Kreisen der vielen Privatgesellschaften, die das ausmachen, was die gute Gesellschaft die Welt nennt, gibt es zahllose Intriguen, die sich durchkreuzen, eine Menge Interessen, die sich widerstreiten. Der Gemahl von dieser ist der Geliebte von jener. Wer heute aufgeopfert wird, bereitet morgen dasselbe Schicksal einem Andern. Die Männer sind unternehmend, sie machen unaufhörlich Angriffe; die Frauen sind schwach, sie geben immer nach.
»Daher kommt es, dass das Cölibat ein sehr angenehmer Stand wird und das Joch der Ehe weniger unerträglich wird. Die Jugend unterhält sich, der Staat erhält Nachwuchs, und alle Welt ist zufrieden. Wenn nun aber die Eifersucht heute ihr Gift verbreitete, wenn die betrogenen Ehemänner zur Wiederherstellung der Ehre ihrer zarten Ehehälfte die Waffen ergreifen, und die verlassenen Liebhaber sich um eines flatterhaften Herzens willen erschlagen wollten, so würden Sie eine allgemeine Verwüstung sehen; die Stadt so wie der Hof würden einem großen Schlachtfelds ähnlich sehen.
»Wie viele Frauen, die man bisher für spröde gehalten, wären plötzlich Witwen! wie viele schöne Kinder, die man für legitim gehalten, würden ihre Väter beweinen, wie viele reizende Bastarde müssten verlassen umherirren! die gegenwärtige Generation vergienge, nachdem sie ihre Nachkommenschaft zwar gezeugt, nicht aber auch erzogen hätte.«
»Welch schauderhaftes Gemälde! Sie schildern die Galanterie, Rosambert, aber die zarte, ehrfurchtsvolle Liebe?«
»Existiert nicht mehr, dieselbe langweilte die Frauen! die Frauen selbst haben die zarte Liebe getödtet.«
»Sie achten also die Frauen nicht sehr?«
»Ich? ich liebe sie, wie sie geliebt sein wollen.«
»Ach!« versetzte ich mit der größten Lebhaftigkeit, »ich verzeihe Ihnen Ihre Lästerungen. Sie kennen meine Sophie nicht!«
Er verlangte von mir die Erklärung dieser letzten Worte, aber ich verweigerte sie mit der Diskretion, die besonders in der Jugend die wahre Liebe begleitet.
Indes frühstückten wir, wie man zu Mittag speist; denn Champagner wurde nicht gespart, und es ist bekannt, dass Bacchus der Vater der Fröhlichkeit ist.
Es schien mir, dass der Graf, wenn er auch die Frauen nicht schätzte, sie dennoch sehr liebte und gerne von ihnen sprach. Durchdrungen von dem System, das er aufstellte, stützte er es auf die skandalösen Erzählungen der galanten Abenteuer des Tages. Er erhob sich rasch, lachte aus vollem Halse und sagte:
»Beim Teufel! sehen Sie ... Sie haben über Ihren Tag noch nicht verfügt? Kommen Sie mit mir, kommen Sie, ich will Sie sogleich einer schönen Dame vorstellen; wir werden viele andere bei ihr finden. Sie sind hübsch; es wird Ihnen freistehen, sie alle zu achten, und zwar, so lange es Ihnen gefällt.«
Wir waren beide vom Weine begeistert und stiegen in einen anständigen Fiaker, der vor einem ziemlich hübschen Hause hielt. Wir giengen hinein, aber die leichtfertigen Manieren der Besitzerin des Hauses, der vertrauliche Ton, womit der Graf sie behandelte, und die nicht minder vertrauliche Aufnahme, deren ich mich zu erfreuen hatte, alles führte mich auf die Vermuthung, dass ich in ein Frauenhaus gerathen sei. Ich überzeugte mich bald, als die gute Dame, die der Graf sehr gut zu kennen schien und die mich, wie sie in ihrer höflichen Sprache sagte, gescheit machen wolle, mir alle Merkwürdigkeiten ihres Hauses zeigte. Sie führte uns endlich in einen Saal, wo viele Nymphen versammelt waren, die alle an uns vorübergiengen, und um die Ehre des Schnupftuchs buhlten. Rosambert wählte die schönste, ich hatte die wunderliche Laune, die hässlichste zu nehmen.
»Inzwischen,« sagte der Graf, »bis das Essen, welches ich bestellt, aufgetragen ist, können wir uns, jeder für sich, mit unseren Schönen unterhalten; bei Tische werden wir zu Vier sein.« Neugierig, wie ich bin, fühlte ich Lust, meine Auserwählte näher zu untersuchen; es schien mir interessant, den Unterschied zwischen einer schönen Marquise und einer hässlichen Courtisane kennen zu lernen. Doch es war kaum der Mühe wert.
Die Nymphe bemerkte meine Absicht, sie sah mich scharf an und sagte:
»Um so besser, es wäre auch Schade gewesen!«
Man kann sich den Eindruck nicht vorstellen, den diese höchst unzweideutigen Worte auf mich machten; ohne mich nach Rosambert umzusehen, floh ich aus diesem gefährlichen Hause und schwur, es nie in meinem Leben wieder zu betreten.
Den nächsten Tag um zehn Uhr morgens kam der Graf zu mir, fragte mich, welcher panische Schrecken mich ergriffen hatte, und versicherte mir, mein Abenteuer sei im ganzen Hause bekannt geworden und habe alle Anwesenden höchlich ergötzt.
»Hören Sie, Rosambert! Dieses Mädchen sagte zu mir: Es wäre Schade gewesen! und Sie nennen meinen Schrecken einen panischen?«
»Ja, dann ist es etwas anderes, das Mädchen hat das Abenteuer ein wenig verschleiert, sie hütete sich, uns zu sagen ... aber die Äußerung: »Es wäre Schade gewesen,« verändert die Geschichte ganz. Nun gut, Faublas, achten Sie dieses Weib, das Ihnen kaltblütig Glück wünscht, einer Gefahr entronnen zu sein, in welche es Sie verlockt hatte?«
»Sie fragen komisch, Rosambert, was könnten Sie aus meiner Antwort in Beziehung auf ihr Geschlecht im allgemeinen schließen?«
»Sie weichen mir aus, mein Freund, Sie sind unverbesserlich. Nun gut, achten Sie immerhin, da Sie es durchaus wollen, ich gehe mich zu Bette zu legen.«
»Wie! zu Bette? woher kommen Sie denn?«
»Man muss auf der Welt alle Vergnügungen mitmachen. Ich hatte den Kommandeur von R ..., den jungen Chevalier von M ... und den Abbé von D ... getroffen, und wir haben den ganzen Abend und die ganze Nacht eine Orgie gefeiert! es war prächtig!«
Kaum war ich angekleidet, als mein Vater zu mir kam; er sagte: »Herr Duportail erwarte mich zum Mittagessen.«
»Sie werden,« setzte er hinzu, »den ganzen Abend dort zubringen, ich speise hier zu Nacht und hole Sie dann in seinem Hause ab.«
Nun eilte ich voll Sehnsucht zu meinem hübschen Bäschen. Sie kam mit meiner Schwester in's Sprechzimmer.
»Wie glücklich Sie sind, mein Bruder,« sagte Adelheid lebhaft. »Sie gehen auf den Ball, bringen ganze Nächte daselbst zu, auch haben Sie die Bekanntschaft einer hübschen Dame gemacht?«
»Wer hat Ihnen das alles gesagt?«
»Herr Person, der kein Geheimnis vor uns hat.«
Sophie schlug die Augen nieder und sprach kein Wort; meine Schwester fuhr fort:
»Sagen Sie uns doch, wer diese Dame ist? und ein Maskenball! wie schön das sein muss.«
»Oh, sehr langweilig, ich versichere Sie; und was diese Dame betrifft, so ist sie zwar sehr hübsch, aber bei weitem weniger, als mein liebes Bäschen.«
Sophie blieb stumm mit niedergeschlagenen Augen sitzen und schien sich mit den Berloques an ihrem Uhrbande zu beschäftigen; allein die Röthe ihrer Wangen verrieth sie; ich sah, dass unsere Unterhaltung ihr umso mehr nahe gieng, je weniger sie das Ansehen haben wollte, sich dafür zu interessieren.
»Sie sind heute nicht heiter, schönes Bäschen?«
»Antworten Sie doch, Fräulein!« sagte die alte Gouvernante.
»Nein, mein Herr, aber ich habe heute Nacht schlecht geschlafen.«
»Ja,« sagte die Alte wieder, »es ist wahr; das Fräulein gewöhnt sich seit drei oder vier Tagen an, nicht zu schlafen, dies ist eine sehr schlimme Gewohnheit; ich habe einmal ein Fräulein gekannt, warten Sie! ja! Fräulein Storch – Sie wissen nichts davon, Fräulein; Sie sind zu jung, wahrhaftig, es sind schon fünfundzwanzig Jahre, als das geschehen ist.«
Die Alte hatte ihre Geschichte angefangen, und wenn ich mich nicht um das Glück bringen wollte, mein hübsches Bäschen zu sehen, so musste ich die lange Geschichte ruhig anhören. Sophie ersparte mir diesen Verdruss, indem sie mir einen weit größeren bereitete. Sie stand auf; ihre Gouvernante sagte empfindlich, was sie denn hätte? sie antwortete, sie fühle sich sehr unwohl. Ihre Stimme zitterte.
»So machen Sie es immer,« versetzte die Matrone, »man hat nie Zeit, mit jemand zu sprechen. Herr Chevalier, kommen Sie morgen! Sie werden sehen, wie interessant es ist, und dass man mit Recht behauptet, die jungen Leute müssen schlafen.«
»Mein Bruder, Sie erlauben doch, dass ich meiner lieben Freundin folge?«
»Ja, meine liebe Adele, ja, seien Sie recht besorgt um sie.« Erst als Sophie mich grüßte, schlug sie die Augen wieder auf; sie ließ einen schmerzlichen Blick auf mich fallen, der mir durchs Herz drang und die tiefste Reue in mir erweckte.
Es war Zeit, der Einladung des Herrn Duportail Folge zu leisten. Nachdem ich ihm meinen Dank wiederholte, erzählte ich ihm mein ganzes Abenteuer, ohne das Frühstück mit Rosambert zu vergessen; doch hütete ich mich, ihm zu erzählen, wohin uns unsere Fröhlichkeit nachher geführt hatte.
»Ich bin sehr erfreut,« sagte er, »dass Herr von Rosambert, den ich nach allen seinen Äußerungen für einen petit maître im vollsten Sinn des Wortes halte, wenigstens in Beziehung auf wahre Ehre die richtigen Grundsätze hat. Bedenken Sie wohl, mein junger Freund, dass von allen Gesetzen Ihres Vaterlandes dasjenige, das den Zweikampf verbietet, das beachtungswerteste ist. In diesem Jahrhundert der Aufklärung und Philosophie hat auch der trotzige, unbändige Muth einen milderen Charakter angenommen. Was die Frauen betrifft, so scheint der Graf wirklich sie nicht zu achten; er müsste denn nach der Manier und dem Beispiele so vieler jungen Leute seines Schlages diese Geringschätzung nur affektieren; ich beklage ihn; ich beklage ihn noch mehr, wenn er niemals andere als verächtliche Frauen kennen gelernt hat. Faublas, glauben Sie meiner Erfahrung, die älter ist als die des Grafen, der mit zweiundzwanzig Jahren viel gesehen zu haben glaubt, vertrauen Sie meinem geübteren Urtheil, meinen besonneneren Betrachtungen; wenn man sittenlose Frauen in der Welt trifft, so sieht man noch weit mehr junge Männer, die keine Grundsätze haben. Hüten Sie den altklugen Deklamationen dieser Herrchen Gehör zu schenken; es gibt noch Frauen, deren keusche Reize zärtliche und reine Liebe einflößen, deren feingebildetes Herz geschaffen ist sie zu fühlen, die durch die Liebenswürdigkeit ihres Charakters unsere Huldigungen, durch die Anmuth ihrer Tugend unsere Ehrfurcht verdienen.
»Nicht so selten, als man gewöhnlich glaubt, findet man edelherzige Geliebte, treffliche Familienmütter, es gibt welche; mein Freund, die für das Glück ihrer Gatten und Kinder freudig ihr Blut vergießen würden. Ich habe deren gekannt, die mit den friedfertigen Tugenden ihres Geschlechtes die männlichsten der unsrigen verbanden, und Männern, die ihrer würdig, das Beispiel der großmüthigsten Aufopferung, die schwersten Proben eines unbeugsamen Muthes und einer unerschütterlichen Ausdauer gaben.
»Ihre Marquise,« fügte er lächelnd hinzu, »ist keine Heldin, sie ist eine junge, aber sehr unvorsichtige Frau. Mein Freund, seien Sie vorsichtiger, endigen Sie das gefährliche Abenteuer! so groß auch die Leichtgläubigkeit des Gemahls ist, so bedarf es dennoch nur eines unvorhergesehenen Ereignisses, um dieselbe zu zerstören und ein Ende zu machen; versprechen Sie mir, Frau von B... nicht wieder zu besuchen!«
Ich zögerte.
Herr Duportail drang in mich; er hatte durch das Lob der Frauen mir meine Sophie ins Gedächtnis zurückgerufen, ich versprach ihm schließlich alles, was er wollte.
»Jetzt, mein junger Freund,« sagte Herr von Duportail, »habe ich Ihnen wichtige Geheimnisse mitzutheilen; Sie werden sich dadurch überzeugen, dass Sie meinem großen Vertrauen durch unverbrüchliche Verschwiegenheit entsprechen müssen. Meine Geschichte bietet ein schreckliches Beispiel von den Wechselfällen des Glücks dar. Es ist gewöhnlich sehr bequem, zuweilen aber auch sehr gefährlich, einen alten Namen behaupten und große Güter erhalten zu müssen.
Der einzige Sprössling einer erlauchten Familie, deren Ursprung sich in die Nacht der Zeiten verliert, sollte ich die ersten Staatsämter in meinem Vaterlande bekleiden, und sehe mich jetzt verurtheilt, unter einem fremden Himmel in thatenloser Dunkelheit zu leben. Ich weiß, dass die strenge Philosophie leere Titel und Reichthum verwirft oder verachtet; vielleicht könnte ich mich auch trösten, wenn ich nur diese verloren hätte; aber mein junger Freund, ich beweine eine angebetete Gattin, ich suche eine geliebte Tochter, und werde mein Vaterland nie wieder sehen! wo wäre ein Muth gestählt genug, mit welchem ich solchen Leiden begegnen könnte?
»Mein Vater Lowzinski zeichnete sich noch mehr durch seine Tugenden, als durch seinen Rang aus und erfreute sich bei Hofe jenes Ansehens, das sich immer der Gunst des Fürsten erfreut und zuweilen auch dem persönlichen Verdienste zu Theil wird. Er schenkte der Erziehung meiner beiden Schwestern alle Aufmerksamkeiten eines zärtlichen Vaters, besonders aber ließ er sich die meine angelegen sein, mit dem ganzen Eifer eines alten, die Ehre seines Hauses ängstlich bewachenden Edelmannes, dessen einzige Hoffnung ich war, und mit der Thätigkeit eines braven Bürgers, der keinen höheren Wunsch kennt, als dem Staate einen seiner würdigen Nachfolger zu hinterlassen.
»Ich machte meine Jugendausbildung in Warschau durch; hier that sich durch die liebenswürdigsten Eigenschaften vor uns allen der junge Herr von P ... hervor. Mit den Reizen einer ebenso angenehmen, als edlen Gestalt verband er den Vorzug einer glücklichen Geistesbildung; die ungewöhnliche Gewandtheit, die er bei unseren kriegerischen Spielen entwickelte, die noch seltenere Bescheidenheit, womit er seine Verdienste vor seinen eigenen Augen verbergen zu wollen schien, um die geringeren seiner fast jedesmal überwundenen Nebenbuhler hervorzuheben; die Feinheit seiner Sitten, die Sanftmuth seines Charakters fesselten die Aufmerksamkeit, geboten Achtung und gewannen ihm die Liebe der ganzen vornehmen Jugend, die unsere geistigen Arbeiten und unsere Vergnügungen theilte. Es wäre gewagtes Selbstlob, wenn ich behauptete, die Ähnlichkeit der Charaktere und die Sympathie der Neigungen habe eine Verbindung mit P... begründet; aber wir beide lebten bald in der innigsten Vertraulichkeit.
Wie glücklich, aber ach! wie kurz ist das Alter, wo man weder den Ehrgeiz kennt, der den einmal festgewurzelten Begriffen von Glück und Ruhm alles opfert; noch die Liebe, deren überschwängliche Macht alle unsere Fähigkeiten auf einen einzigen Gegenstand hinlenkt und für denselben in Beschlag nimmt; jene Zeit der unschuldigen Vergnügungen und des vertrauensvollen Glaubens, wo das noch unerfahrene Herz sich den Regungen seiner entstehenden Gefühle zwanglos überlässt und ungetheilt dem Gegenstande seiner uneigennützigen Neigungen hingibt.
Da, lieber Faublas, da ist die Freundschaft kein leerer Wortschall. Als Vertrauter aller Geheimnisse des Herrn von P..., unternahm ich nichts, ohne mich mit ihm vorher zu besprechen; seine Rathschläge bestimmten meine Handlungsweise, die meinigen entschieden seine Beschließungen, und bei diesem innigen Verhältnisse hatte unsere Jugend keine Annehmlichkeiten, die wir nicht theilten, keine Widerwärtigkeiten, die wir nicht einander erleichtert hätten. Mit welchem Kummer sah ich den unglücklichen Augenblick herannahen, wo Herr von P..., auf Befehl seines Vaters, Warschau verlassen musste und mir zärtliches Lebewohl sagte. Wir gelobten uns, zu allen Zeiten diese lebhafte Anhänglichkeit beizubehalten, die das Glück unserer Jugend gemacht hatte; ich that den vermessenen Schwur, dass die Leidenschaften keines Alters sie je schwächen sollten. Welche unendliche Leere ließ die Entfernung meines Freundes in meinem Herzen zurück!
Anfangs glaubte ich, nichts könne mich für diesen Verlust entschädigen; die Zärtlichkeit meines Vaters, die Liebkosungen meiner Schwestern machten wenig Eindruck auf mich. Um meine Mussestunde, welche ich stets in vertraulicher Gesellschaft meines Freundes verlebte, auszufüllen, lernte ich die französische Sprache, die sich schon damals über ganz Europa verbreitet hatte; ich las mit Entzücken die berühmten Werke, die ewigen Denkmale des Genies, und wunderte mich über die ausgezeichneten und unsterblich gewordenen Schriftsteller.
Ich beschäftigte mich mit dem Studium der Geometrie, und bildete mich zu dem großen Berufe, der die Kriegskunst genannt wird.
Mehrere Jahre wurden auf diese eben so schweren als gründlichen Studien verwendet. Herr von P..., der mir oft schrieb, erhielt selten und nur kurze Antworten; unsere Korrespondenz war schon sehr vernachlässigt, als zuletzt die Liebe das Andenken meines Freundes vollends ganz aus meinem Herzen verdrängte.
Mein Vater stand seit langer Zeit in der engsten Verbindung mit dem Grafen Pulawski. Bekannt durch den rauhen Ernst seiner Sitten, berühmt durch die Unbeugsamkeit seiner wahrhaft republikanischen Tugenden, hatte Pulawski, ein großer Feldherr und braver Soldat zugleich in mehr als einem Kampfe seinen feurigen Muth und seinen glühenden Patriotismus bewiesen. Er vertiefte sich in das Lesen der Alten, hatte aus ihrer Geschichte die großen Lehren einer edlen Uneigennützigkeit, einer unerschütterlichen Standhaftigkeit und unbedingten Ergebenheit geschöpft. Wie jene Helden, denen Rom in seiner götzendienerischen Dankbarkeit Altäre erbaute, hätte Pulawski alle seine Güter für das Glück seines Vaterlandes aufgeopfert; seinen letzten Blutstropfen für die Vertheidigung desselben vergossen, ja sogar seine einzige Tochter, seine theuere Lodoiska, nicht verschont.
Lodoiska! wie schön war sie! wie liebte ich sie! ihr geliebter Name schwebt unaufhörlich auf meinen Lippen, ihr angebetetes Bild lebt noch immer in meinem Herzen.
Mein Freund, sobald ich sie gesehen hatte, sah ich nichts mehr als sie; ich ließ meine Studien liegen, die Freundschaft wurde vollständig vergessen, alle meine Augenblicke widmete ich meiner Lodoiska. Unsern Vätern konnte meine Liebe nicht lange ein Geheimnis bleiben, sie sagten nichts darüber zu mir, und billigten sie demnach. Dieser Schluss schien mir so folgerecht, dass ich mich unbekümmert der süßen Neigung hingab, die sich meiner bemächtigt hatte; ich traf meine Anstalten so, dass ich fast alle Tage Lodoiska sah, entweder in ihrem Hause oder bei meiner Schwester, die sie sehr liebte; auf diese Weise vergangen zwei Jahre.
Endlich zog mich Pulawski eines Tages auf die Seite und sagte zu mir:
»Dein Vater und ich hatten große Hoffnungen auf Dich gegründet, die Dein Betragen anfangs rechtfertigte; ich habe Dich lange Zeit Deine Jugend auf ebenso ehrenvolle als nützliche Arbeiten verwenden sehen. Aber jetzt... (er sah, dass ich ihn unterbrechen wollte, und kam mir zuvor).
»Was willst Du mir sagen? glaubst Du mir etwas zu sagen, was ich noch nicht weiß? glaubst Du, ich müsse täglich Zeuge Deiner Entzückungen gewesen sein, um einzusehen, wie sehr meine Lodoiska geliebt zu werden verdient? Eben weil ich den Wert meiner Tochter so gut zu schätzen weiß, wie Du, wirst Du sie nicht erhalten, wenn Du sie nicht verdient hast. Wisse, junger Mann, dass die Rechtlichkeit einer Schwachheit sie noch nicht entschuldigt; die Neigungen eines rechtschaffenen Bürgers müssen sich alle um das Wohl seines Vaterlandes drehen; selbst die Liebe, ja auch die Liebe wäre wie alle schlechten Leidenschaften verächtlich und gefährlich, wenn sie nicht für große Herzen eine neue mächtige Aufforderung zur Ehre enthielt.
»Höre! unser Monarch ist kränklich und scheint am Ende seiner Laufbahn zu stehen, seine mit jedem Tage schwankendere Gesundheit hat den Ehrgeiz unserer Nachbaren erweckt; sie rüsten sich ohne Zweifel den Samen der Zwietracht unter uns zu streuen; sie hoffen, unsere Wahl zu erzwingen und uns einen König nach ihrem Herzen zu geben.
»Fremde Truppen haben sich an den Grenzen Polens zu zeigen gewagt, schon sammeln sich zweitausend Edelleute, ihre beleidigende Frechheit zu strafen; geh, vereinige Dich mit dieser braven Jugend! geh, und komme nach beendigtem Feldzuge mit dem Blute unserer Feinde bedeckt und siegreich zurück, um Pulawski einen seiner würdigen Schwiegersohn zu zeigen!«
Ich zögerte keinen Augenblick auch mein Vater billigte meinen Entschluss, doch schien er nur ungern in meine plötzliche Abreise zu willigen.
Er hielt mich lange in seinen Armen; eine zärtliche Besorgnis strahlte aus seinem Blicke, und traurig sagte er mir Lebewohl; die unruhigen Bewegungen seines Herzens theilten sich auch dem meinigen mit, unsere Thränen vermischten sich auf seinem ehrwürdigen Gesicht. Pulawski, der bei dieser rührenden Scene zugegen war, tadelte stoisch unsere Schwäche, wie er es nannte.
»Trockne Deine Thränen,« sagte er zu mir, »oder spare sie für Lodoiska! nur schwachen Liebenden, welche sich auf sechs Monate trennen, kommt es zu, welche zu vergießen.«
Er theilte seiner Tochter in meiner Gegenwart meine bevorstehende Abreise, so wie die Gründe, welche mich dazu nöthigten, mit. Lodoiska erblasste, seufzte, blickte ihren Vater erröthend an und versicherte mir mit zitternder Stimme, dass ihre Wünsche meine Rückkehr beschleunigen möchten und dass ihr Glück in meinen Händen liege. Auf diese Weise ermuthigt, welche Gefahren konnte ich noch fürchten? Ich reiste ab.
Allein während dieses ganzen Feldzuges ereignete sich nichts bedeutendes. Die Feinde vermieden ebenso sorgfältig wie wir eine Begegnung oder eine Thätlichkeit, die einen offenen Bruch zwischen beiden Völkern hätte herbeiführen können, und begnügten sich, uns durch häufige Märsche zu ermüden. Wir beschränkten uns sie zu verfolgen und zu beobachten; sie traten uns überall in den Weg, wo das offene Land einen leichten Zutritt gestattete. Mit Annäherung der schlechten Jahreszeit schienen sie sich nach Hause in ihre Winterquartiere zurückzuziehen, und unsere kleine Armee, die fast ganz aus Edelleuten bestand, löste sich auf.
Voll freudiger Ungeduld kehrte ich nach Warschau zurück; ich glaubte, dass Hymen und Liebe mich jetzt mit meiner Lodoiska vereinigen würde. Ach, welch grausamer Schmerz wartete meiner; ich hatte keinen Vater mehr! Als ich zu der Stadt kam, erfuhr ich, dass Lowzinski den Tag zuvor an einem Schlagfluss gestorben sei. Es blieb mir nicht einmal der Trost, die letzten Seufzer des zärtlichsten der Väter zu empfangen; ich konnte nur noch an sein Grab gehen, welches ich mit meinen Thränen benetzte.
Wenig gerührt durch meinen tiefen Schmerz, sagte Pulawski zu mir: »Nicht durch unfruchtbare Thränen ehrt man das Andenken eines Vaters, wie der Deinige war. Polen beklagt in ihm einen Heldenbürger, der ihm in dem kritischen Zeitpunkte, welcher herannaht, nützliche Dienste geleistet hätte. Erschöpft durch eine lange Krankheit, wird unser König kaum noch vierzehn Tage leben und von der Wahl seines Nachfolgers hängt das Glück oder Unglück unserer Mitbürger ab. Von allen Rechten, die der Tod Deines Vaters Dir überträgt, ist unstreitig das schönste das, den Reichsständen beizuwohnen, wo Du ihn vertreten wirst. Hier muss er in Dir wieder aufleben; hier musst Du einen schwereren Muth erproben, als dazu gehört, dem Tod auf dem Schlachtfelde zu trotzen. Die Tapferkeit eines Soldaten ist nur eine gemeine Tugend, aber diejenigen erheben sich über die gewöhnlichen Menschen, die in dem Drange verworrener Umstände einen ruhigen Muth beibehalten und mittels einer durchgreifenden wachsamen Thätigkeit die Pläne des mächtigen Kabalenstifters aufdecken, die heimlichen Intriguen vereiteln, und den frechen Parteien kühn die Stirne bieten, die immer fest, unbestechlich und gerecht ihre Stimme nur demjenigen geben, den sie für den würdigsten halten, und das Wohl ihres Landes nie aus dem Auge verlierend, sich weder durch Gold und Versprechungen verführen, noch durch Bitten erweichen, noch durch Drohungen einschüchtern lassen. Das sind die Tugenden, die Deinen Vater auszeichneten, das ist das wirkliche kostbare Erbgut, das Du Dich beeilen musst in Empfang zu nehmen. Der Tag, an dem unsere Reichsstände sich versammeln, um zur Königswahl zu schreiten, ist die Epoche, wo einige unserer Mitbürger, denen ihr persönliches Interesse mehr als das Wohl des Vaterlandes am Herzen liegt, mit ihren ehrgeizigen Plänen hervortreten, und die nachbarlichen Mächte, deren grausame Politik unsere Kräfte durch Uneinigkeit zu zerstören sucht, ihre verderblichen Absichten an den Tag legen werden.
»Ich täusche mich nicht, mein Freund, der verhängnisvolle Tag naht heran, der das Schicksal meines bedrohten Landes auf immer entscheiden wird. Seine Feinde verschwören sich zu seinem Untergang, sie haben in der Stille eine Revolution vorbereitet, die sie nicht durchführen sollen, so lange dieser Arm noch einen Degen führen kann.
»Möge der Schutzgeist meines Landes ihm die Schrecken eines Bürgerkrieges ersparen; aber dieses Unglück, so schrecklich es ist, wird vielleicht nothwendig werden; ich schmeichle mir, dass es bloß eine gewaltsame Krisis sein wird, nach deren Überstehung der neugeborene Staat seinen alten Glanz wieder erlangen kann. Du wirst meine Bemühungen unterstützen, Lowzinski; die schwachen Interessen der Liebe müssen vor den heiligeren Interessen des Vaterlandes verschwinden. Ich vermag Dir meine Tochter nicht zu geben in diesem Augenblicke der Trauer und der Gefahr, worin unser theueres Vaterland schwebt; aber ich verspreche Dir, dass die ersten Tage des Friedens durch Deine Hochzeit mit Lodoiska bezeichnet sein sollen.«
Pulawski sprach nicht umsonst, ich fühlte die Wichtigkeit der Pflichten, die mir von nun an oblagen, und dennoch waren die dringenden Geschäfte, die mich in Anspruch nahmen, nur ungenügende Zerstreuungen für meinen Schmerz. Ich gestehe es ohne Erröthen; die Traurigkeit meiner Schwestern, ihre teilnehmende Freundschaft, die sicheren Liebkosungen meiner Geliebten machten auf mich mehr Eindruck als die patriotischen Ermahnungen Pulavski's. Ich sah Lodoiska tief gerührt über meinen unersetzlichen Verlust, sah, dass sie die grausamen Ereignisse, die sich unserer Verbindung in den Weg stellten, ebenso aufrichtig beklage als ich, und so getheilt fand mein Kummer allmählich Erleichterung.
Indes starb der König und der Reichstag wurde einberufen. Am Tage seiner Eröffnung, als ich mich eben in den Sitzungssaal begeben wollte, erschien ein Unbekannter in meinem Palast und verlangt mich ohne Zeugen zu sprechen. Sobald meine Leute abgiengen, wirft er sich an meinen Busen und umarmt mich zärtlich.
Es war Herr von P...; die zehn Jahre, die seit unserer Trennung verflossen waren, hatten ihn nicht so verändert, dass ich ihn nicht hätte erkennen sollen; ich drückte ihm meine Überraschung und Freude über seine unerwartete Rückkehr aus.
»Sie werden sich noch mehr verwundern,« sagte er, »wenn Sie den Zweck meiner Reise erfahren. Ich komme soeben an und bin im Begriff, mich in die Versammlung der Stände zu begeben.
»Verspreche ich mir zu viel von Ihrer Freundschaft, wenn ich auf Ihre Stimme rechne?«
»Auf meine Stimme! und für wen?«
»Für mich, mein Freund!«
Er bemerkte mein Erstaunen und fuhr lebhaft fort:
»Ja, für mich! Es ist jetzt nicht Zeit, Ihnen den glücklichen Umschwung meiner äußeren Verhältnisse zu erzählen, der mich in den Stand setzt, so stolze Hoffnungen zu nähren; es genüge Ihnen für jetzt, zu wissen, dass mein Ehrgeiz wenigstens durch die größte Stimmenzahl gerechtfertigt ist und dass zwei unbedeutende Nebenbuhler sich vergeblich rüsten mir die Krone streitig zumachen, um die ich mich bewerbe. Lowzinski,« setzte er hinzu, mich abermals umarmend, »wenn Sie nicht mein Freund wären, wenn ich Sie weniger schätzte, so würde ich Sie vielleicht durch große Versprechungen zu blenden suchen, vielleicht würde ich Ihnen zeigen, welch' große und glänzende Laufbahn sich Ihnen eröffnen werde, allein ich brauche Sie nicht zu verführen, ich werde Sie überzeugen. Ich sehe es mit Schmerz, und Sie wissen es so gut als ich: seit mehreren Jahren verdankt unser geschwächtes Polen seine Rettung nur dem schlechten Einverständnisse der drei Mächte, die es umgeben, und der Wunsch, sich mit unserem Raube zu bereichern, kann unsere uneinigen Feinde in jedem Augenblicke zusammenführen. Verhindern wir wo möglich dieses unselige Triumvirat, dessen unausbleiblichen Folgen die Zerstücklung unserer Provinzen wäre!
»In glücklicheren Zeiten freilich haben unsere Vorfahren die Freiheit ihrer Wahlen behaupten müssen; heutzutage muss man der dringenden Notwendigkeit ein Opfer bringen.
»Russland muss einen König, der sein Werk ist, nothwendig beschützen; nehmen die Polen diesen an, so verhindern sie die Tripelallianz, die unsern Untergang unvermeidlich machen würde, und versichern sich eines mächtigen Verbündeten, den wir zwei übrigen Feinden mit Erfolg entgegenstellen können.
»Dies sind die Gründe, die mich bestimmt haben; ich gebe nur deswegen einen Theil unserer Rechte auf, um die kostbarsten zu erhalten; ich besteige einen wankenden Thron nur in der Absicht, um ihn durch eine gesunde Politik zu befestigen, ich ändere nur deswegen die Konstitution des Staates, um den ganzen Staat zu retten.«
Wir begaben uns auf den Reichstag; ich stimmte für Herrn von P.., er erhielt wirklich die meisten Stimmen; Pulawski, Zaremba und mehrere andere aber erklärten sich für den Fürsten C ... und die erste Versammlung wurde so stürmisch, dass kein Entschluss gefasst werden konnte.
Als wir den Saal verließen, kam Herr von P... abermals zu mir und bat mich, ihn in den Palast zu begleiten, den geheime Emissäre für ihn schon jetzt in der Hauptstadt in Bereitschaft gesetzt hatten. Wir schlossen uns mehrere Stunden ein und erneuerten unsere Versicherungen ewiger Freundschaft; dann erzählte ich Herrn von P... von meiner innigen Verbindung mit Pulawski und meiner Liebe zu Lodoiska.
Er erwiderte mein Vertrauen mit einem noch größeren; erklärte mir alle seine geheimen Absichten, und ich verließ ihn mit der Überzeugung, dass es ihm weniger um seine eigene Erhebung, als um die Wiederherstellung des alten Wohlstandes von Polen zu thun sei.
Von diesem Glauben durchdrungen flog ich zu meinem künftigen Schwiegervater, um ihn für die Partei meines Freundes zu gewinnen.
Pulawski gieng mit großen Schritten im Zimmer seiner Tochter, die ebenfalls sehr aufgeregt schien, auf und ab.
»Da ist er ja!« sagte er zu Lodoiska, als ich hereintrat, »da steht er, der Mann, den ich achtete und den Du liebtest! er opfert uns beide seiner blinden Freundschaft.«
Ich wollte antworten, er fuhr fort:
»Sie standen von Kindheit schon in vertrautem Verhältnis mit Herrn von P...; eine mächtige Partei erhebt ihn auf den Thron, Sie wussten es; Sie kannten seine Pläne; diesen Morgen auf dem Reichstag haben Sie ihm Ihre Stimme gegeben. Sie haben mich hintergangen; aber glauben Sie, dass man mich ungestraft hintergeht?«
Ich bat ihn mich anzuhören, er zwang sich zu einem düsterem Schweigen, und ich erklärte ihm, wie Herr von P..., mit dem ich seit langer Zeit in keiner Verbindung mehr gestanden, mich durch seine unerwartete Rückkehr überrascht habe.
Lodoiska schien entzückt meine Vertheidigung zu hören.
»Man belügt mich nicht wie ein leichtgläubiges Weib!« sagte Pulawski, »aber gleichviel! fahren Sie fort.«
Ich erzählte ihm die kurze Unterredung, die ich mit Herrn von P... gehabt, ehe ich mich in die Versammlung begeben hatte.
»Und was sind denn Euere Pläne?« rief er. »Herr von P... weiß für seine Mitbürger keine andere Hilfe als die Sklaverei! er schlägt sie vor, ein Lowzinski findet sie gut! und mich achtet man so sehr, dass man einen Versuch wagt, mich in dieses ehrlose Komplot zu verwickeln. Ich! ich sollte unter dem Namen eines Polen die Russen in diesen Provinzen gebieten sehen! Die Russen,« wiederholte er wüthend, »sollten in meinem Lande den Herrn spielen! (Er kam mit der größten Heftigkeit auf mich zu.) Treuloser! Du Vaterlandsverräther! entferne Dich augenblicklich aus diesem Palaste, oder ich lasse Dich hinauswerfen!«
Ich gestehe Ihnen, Faublas, eine so grausame und unverdiente Beschimpfung machte mich wüthend.
Im ersten Aufwallen meines Zorns legte ich die Hand an den Degen; schneller als der Blitz zog Pulawski den seinigen.
Seine trostlose Tochter stürzte auf mich zu: »Lowzinski, was wollen Sie thun?«
Der Klang dieser geliebten Stimme brachte mich wieder zur Besinnung, aber ich sah ein, dass ein einziger Augenblick mir Lodoiska auf immer geraubt hatte.
Sie hatte mich verlassen, um sich in die Arme ihres Vaters zu werfen; der Grausame sah meinen bitteren Schmerz und rief mir verächtlich zu: »Geh! Verräther! Du siehst sie zum letzten Mal!«
Verzweiflungsvoll kehrte ich nach Hause zurück; die abscheulichen Namen, die Pulawski mir gegeben hatte, traten unaufhörlich vor meine Seele. Die Interessen Polens und des Herrn von P... schienen mir so eng mit einander verbunden, dass ich nicht begriff, wie ich meine Mitbürger verrathen könnte, indem ich meinem Freunde einen Dienst erwies; und dennoch musste ich ihn verlassen, oder meiner Lodoiska entsagen.
Was thun? welchen Entschluss fassen?
In dieser Ungewissheit brachte ich die ganze Nacht zu und als der Morgen graute, gieng ich zu Pulawski, ohne noch zu wissen, wofür ich mich entscheiden würde.
Ein Diener, der allein im Paläste zurückgeblieben war, sagte mir, sein Herr sei mit Anfang der Nacht in Gesellschaft Lodoiska's abgereist und habe vorher noch alle seine Leute verabschiedet. Sie können sich meine Verzweiflung bei dieser Nachricht denken. Ich fragte den Diener, wohin Pulawski gegangen sei.
»Ich weiß es nicht,« antwortete er; »alles, was ich Ihnen sagen kann, ist, dass wir gestern Abend, als Sie uns kaum verlassen hatten, im Zimmer seiner Tochter einen großen Lärm hörten.
»Noch erschreckt über den fürchterlichen Auftritt mit Ihnen, wagte ich es, mich zu nähern und zu lauschen.
»Lodoiska weinte; ihr Vater war wüthend und überhäufte sie mit Schmähungen, er verfluchte sie, und ich hörte ihn diese Worte sagen:
»Wer einen Verräther lieben kann, denke ich, kann es auch sein; Undankbare! ich werde Dich in ein sicheres Haus bringen, wo Du fortan vor Verführung geschützt sein sollst.«
Konnte ich noch an meinem Unglücke zweifeln? – Ich rief Boleslaw, einen meiner treuesten Diener, und befahl ihm Pulawski, falls er früher als ich in die Hauptstadt zurückkäme, auf allen Schritten verfolgen zu lassen; ich selbst gab die Hoffnung nicht auf, ihn auf einem seiner Landgüter in der Nähe zu treffen, und machte mich auf den Weg, ihn aufzusuchen. Ich durchstreifte alle Besitzungen Pulawski's, fragte alle Reisende, denen ich begegnete, nach Lodoiska, aber umsonst.
Nachdem ich acht Tage mit dieser mühevollen Nachforschung verloren hatte, beschloss ich nach Warschau zurückzukehren. Zu meinem nicht geringen Erstaunen sah ich fast unter den Mauern der Hauptstadt an den Ufern der Weichsel eine russische Armee gelagert.
Es war Nacht, als ich in die Stadt kam; die Paläste der Großen waren beleuchtet, eine unermeßliche Volksmenge erfüllte die Straßen; ich hörte fröhliche Gesänge, auf den öffentlichen Plätzen den Wein in Strömen fließen; alles verkündigte mir, dass Polen einen neuen König habe.
Ich war mit Ungeduld von Boleslaw erwartet.
Er sagte mir, Pulawski sei am zweiten Tage allein zurückgekommen und während dieser Zeit nie ausgegangen, außer wenn er sich in die Reichsversammlung begab, wo aller seiner Bemühungen ungeachtet, der russische Einfluss mit jedem Tage mehr überhand genommen hat. In der letzten Versammlung, die diesen Morgen stattfand, vereinigte Herr von P... beinahe alle Stimmen, es war nahe daran, dass er gewählt wurde. Pulawski hat das verhängnisvolle Veto ausgesprochen, und in dem Augenblicke sind zwanzig Säbel gegen ihn gezückt! Der stolze Palatin von ..., den Pulawski in der vorhergehenden Versammlung wenig geschont hatte, ist zuerst auf ihn hergestürzt und hat ihm einen fürchterlichen Hieb auf den Kopf versetzt; Zaremba und einige andere sind zur Vertheidigung ihres Freundes herbeigeeilt; allein alle ihre Bemühungen hätten ihn nicht retten können, wenn sich nicht Herr von P... selbst zu ihnen gestellt und gerufen hätte, dass er mit eigener Hand jeden niederstoßen würde, der es wagen sollte, ihm nahe zu treten. Die Angreifenden haben sich zurückgezogen; indes verlor Pulawski sein Blut und seine Kräfte; er ist in Ohnmacht gefallen, man hat ihn hinweggetragen. Zaremba hat den Saal verlassen mit dem Schwur, ihn zu rächen.
Auf diese Weise alleinige Herren der Berathungen haben die zahlreichen Anhänger des Herrn von P... ihn auf der Stelle zum König ausgerufen.
Pulawski, den man in seinen Palast gebracht, ist bald wieder zur Besinnung gekommen. Die Wundärzte haben seine Verletzungen nicht für tödtlich erklärt, und nun hat er sich, obschon er heftige Schmerzen litt, und mehrere seiner Freunde sich diesem Vorhaben widersetzten, in seinen Wagen bringen lassen. Es war kaum Mittag, als er in Begleitung Mazeppas und einiger Unzufriedener Warschau verließ.
»Man folgt ihm, und ohne Zweifel wird man in wenigen Tagen Ihnen sagen können, welchen Aufenthalt er gewählt hat.«
Man konnte mir keine schlimmere Nachrichten bringen. Mein Freund war auf dem Throne, aber meine Versöhnung mit Pulawski schien nun unmöglich, und wahrscheinlich hatte ich Lodoiska für immer verloren. Ich kannte ihren Vater zu gut, um zu fürchten, dass er selbst die äußersten Entschließungen fassen würde. Die Gegenwart war mir entsetzlich, ich wagte es nicht, meine Blicke auf die Zukunft zu richten, und der Kummer überwältigte mich derart, dass ich nicht einmal den neuen König beglückwünschte.
Derjenige von meinen Leuten, dem Boleslaw die Verfolgung Pulawski's aufgetragen hatte, kam am vierten Tage zurück; er hatte ihn fünfzehn Meilen weit begleitet, bis Zaremba, der immer einen Unbekannten in einiger Entfernung von seiner Postchaise sah, Verdacht schöpfte.
Nicht weit davon überfielen vier seiner Leute, die hinter einem alten Mauerwerk versteckt waren, meinen Courier und führten ihn vor Pulawski; dieser zwang ihn zu gestehen, wem er angehöre. Er richtete seine Pistole gegen ihn und sagte:
»Ich will Dich zu Lowzinski zurückschicken, melde ihm in meinem Namen, dass er meiner gerechten Rache nicht entgehen wird.«
Bei diesen Worten verband man meinem Courier die Augen; er konnte nicht sagen, wohin man ihn geführt, noch wohin man ihn einsperrte. Nach drei Tagen holte man ihn ab und brauchte abermals die Vorsicht, ihm die Augen zu verbinden, führte ihn einige Stunden spazieren; endlich hielt der Wagen still und man befahl ihm auszusteigen. Er riss seine Binde ab und befand sich wieder genau auf demselben Platze, wo man ihn festgenommen hatte.
Ich war sehr beunruhigt durch diese Nachricht; Pulawski's Drohungen erschreckten mich weit weniger um meinetwillen, als wegen Lodoiska, die in seiner Gewalt blieb. Er konnte sich in seiner Wuth das äußerste gegen sie erlauben; ich beschloss mich allem auszusetzen, um den Aufenthalt des Vaters und das Gefängnis der Tochter aufzufinden. Ich theilte meinen Schwestern am andern Tage mein Vorhaben mit und verließ die Hauptstadt; Boleslaw allein begleitete mich; ich gab mich überall für seinen Bruder aus. Wir durchschritten ganz Polen. Jetzt sah ich wohl ein, dass Herrn von P...s Erfolg die Befürchtungen Pulawski's nur zu sehr rechtfertigte.
Unter dem Vorwand, dem neuen Könige Huldigungen auszuwirken, ergossen sich die Russen über unsere Provinzen, erlaubten sich in den Städten tausend Erpressungen und verwüsteten die Felder.
Nachdem ich drei Monate in nutzlosen Nachforschungen verloren hatte, wollte ich nach Warschau zurückkehren.
Ich verzweifelte bei dem Gedanken, Lodoiska nicht mehr zu finden.
Ich beweinte das Unglück meines Vaterlandes, und dennoch wollte ich dem neuen Könige selbst berichten, welche Ausschweifungen sich Fremde in seinen Staaten erlaubten, als ein Treffen, dass wie es schien, die gefährlichsten Folgen für mich haben musste, mich zwang, einen ganz andern Entschluss zu fassen.