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Nieder durch das Abendzwielicht,
In den Tagen jetzt vergessen,
In den Zeiten längst verschollen,
Aus dem Vollmond fiel Nokomis,
Fiel die reizende Nokomis,
Sie ein Weib, doch keine Mutter.
Scherzte sie mit ihren Frauen,
Schwang sich in der Rebenschaukel,
Als ihr Mitweib, die Verschmähte,
Voll von Eifersucht und Hasse,
Durchschnitt die geflochtne Schaukel,
Auseinanderschnitt die Ranken,
Und Nokomis, sehr erschrocken,
Niederfiel durchs Abendzwielicht,
Auf die Muskoday, die Wiese,
Auf die Wiese voll von Blüten.
»Seht! ein Stern fällt!« riefen alle;
»Niederfällt ein Stern vom Himmel!«
Dorten, unter Farr'n und Moosen,
Dorten, bei der Steppe Lilien,
Auf der Muskoday, der Wiese,
In dem Mondlicht und dem Sternlicht
Hat 'ne Tochter sie geboren,
Und sie hieß das Kind Wenonah,
Als die erste ihrer Töchter,
Und die Tochter der Nokomis
Wuchs gleichwie der Steppe Lilien,
Wuchs empor ein schlankes Mädchen,
Voll der Schönheit sie des Mondlichts.
Voll der Schönheit sie des Sternlichts.
Und oft warnte sie Nokomis,
Sagt' ihr oft, und wiederholt' oft:
»Hüte dich vor Mudjekeewis,
Vor dem Westwind, Mudjekeewis;
Lausche nicht auf seine Worte,
Nimmer auf die Wiese leg' dich,
Sitze hin nicht bei den Lilien,
Daß der Westwind dich nicht schäd'ge!«
Doch sie gab nichts auf die Warnung,
Gab nichts auf das Wort der Weisheit,
Und der Westwind kam am Abend,
Leichthin wandelnd durch die Steppe,
Flüsternd leis mit Laub und Blüten,
Beugend Blumen sowie Gräser,
Fand die reizende Wenonah,
Fand sie liegen bei den Lilien,
Warb um sie mit süßen Worten,
Warb mit seinem weichen Schmeicheln,
Bis sie einen Sohn in Kummer
Ihm gebar, – in Lieb' und Kummer.
So entstand mein Hiawatha,
So entstand das Kind des Wunders;
Doch die Tochter der Nokomis,
Hiawathas sanfte Mutter,
Starb in ihrem Gram, verlassen
Von dem Westwind falsch und treulos,
Von dem harten Mudjekeewis.
Lang und laut um ihre Tochter
Weint' und jammerte Nokomis:
»Wär' ich tot!« pflog sie zu murmeln,
»O, wär'
ich tot, wie es
du bist!
Was soll Arbeit noch, was Weinen:
Wahonomin, Wahonomin!«
An den Ufern Gitche Gumees,
An dem blanken Groß-See-Wasser,
Stand der Wigwam der Nokomis,
Tochter sie des Monds, Nokomis.
Schwarz dahinter hob der Forst sich.
Hoben sich die finstern Tannen,
Und, mit Zapfen drauf, die Föhren;
Glänzend vor ihm schlug das Wasser,
Schlug das helle, sonnige Wasser,
Schlug das blanke Groß-See-Wasser.
Dorten runzlige Nokomis
Pflegte kleinen Hiawatha,
Wiegt' ihn in der Lindenwiege,
Sanft in Moos und Schilf gebettet,
Fest umstrickt mit Renntiersehnen;
Stillte seine Unruh', sprechend:
»Husch; der Bär, der nackte, holt dich!«
Lullt in Schlaf und Traum ihn, singend:
»Ewa-yea! mein kleines Eulchen!
Wer ist dies, der hell den Wigwam,
Großen Augs hell macht den Wigwam?
Ewa-Yea! mein kleines Eulchen!«
Mancherlei lehrt' ihn Nokomis,
Von den Sternen hoch am Himmel;
Wies ihm Ishkoodah, den Bartstern,
Ishkoodah, mit glühn'den Locken;
Wies den Totentanz der Geister –
Krieger sie mit Keul' und Federn,
Nordwärts flackernd weit von dannen
In des Winters frost'gen Nächten;
Wies den weißen Weg am Himmel,
Ihn den breiten Pfad der Schatten,
Mitten durch den Himmel laufend,
Voll von Geistern, voll von Schatten.
An der Tür am Sommerabend
Saß der kleine Hiawatha;
Hörte leis die Tanne flüstern,
Hörte leis das Wasser branden,
Wunderbare Tön' und Worte;
»Minne-wawa!« sprach die Tanne,
»Mudway-aushka!« sprach das Wasser.
Sah er auch die Feuerfliege,
Wah-wah-taysee, sah sie schwirren.
Durch des Abends graue Dämmrung,
Mit dem Blinken ihres Lichtchens
Busch und Dorngestrüpp erhellend.
Uno er sang das Kinderliedchen,
Sang, was ihn Nokomis lehrte;
»Wah-wah-taysee, kleine Fliege,
Feuerfliege, Weißlichtfliege,
Tänzerchen mein kleines, weißes,
Leuchte mir mit deinem Lichtchen,
Eh' ich auf mein Bett mich lege,
Eh' im Schlaf mein Aug' ich schließe!«
Sah er auch den Mond sich heben
Aus dem Wasser, rund und zitternd,
Sah die Flecken drauf und Schatten,
Hauchte: »Was ist das, Nokomis?«
Und Nokomis sprach, die Gute:
»Nahm ein Krieger einst, sehr zornig,
Nahm er seine Ältermutter,
Warf sie auf bei Nacht zum Himmel,
Warf sie grade in das Mondrund,
'S ist ihr Leib, was du erblickst dort!«
Sah er auch den Regenbogen,
Ostenwärts, den Regenbogen,
Hauchte: »Was ist das Nokomis?«
Und Nokomis sprach, die Gute:
»Dieses ist der Blumenhimmel;
Alle Blumen rings im Forste,
Alle Lilien auf der Steppe,
Wenn sie welkten auf der Erde,
Blühn in jenem Himmel ob uns!«
Hört' er Mitternachts die Eulen,
Kreischend, lachend tief im Forste;
»Was ist das?« voll Schreckens rief er;
»Was ist das?« sagt' er, »Nokomis?«
Und Nokomis sprach, die Gute:
»Das ist Eule nur und Eulchen,
Sprechend in der Eulensprache,
Sprechend, scheltend miteinander!«
Lernte drauf von jedem Vogel
Hiawatha seine Sprache,
Seinen Namen, sein Geheimnis:
Wo sie Sommers Nester bauten,
Wo sie Winters sich versteckten;
Sprach, wo er sie traf, mit ihnen.
Hieß sie »Hiawathas Küchlein.«
Lernt' er auch der Tiere Sprachen,
Ihre Namen, ihr Geheimnis:
Wie sein Haus der Biber zimmert,
Wo das Eichhorn birgt die Eicheln,
Wie so hurtig rennt das Renntier,
Warum das Kaninchen furchtsam;
Sprach, wo er sie traf, mit ihnen.
Hieß sie »Hiawathas Brüder.«
Macht Jagoo
Dreisilbig: I-a-goo. drauf, der Prahler,
Er der Fabler, der Erzähler,
Er der Wandrer und der Schwätzer,
Er der Freund auch der Nokomis,
Einen Bogen Hiawatha'n;
Macht' ihn aus dem Ast der Esche,
Macht' aus Eichenholz die Pfeile,
(Kieselstein der Pfeile Spitzen,
Federn bunt der Pfeile Schwingen),
Und die Schnur aus Hirschhaut macht' er.
Sprach er drauf zu Hiawatha:
»Geh, mein Sohn, hinaus zum Forst nun,
Wo das Rotwild zieht in Herden,
Töt' uns einen tücht'gen Rehbock,
Töt' uns einen Hirsch mit Enden!«
Alsobald hinaus zum Forste
Ganz allein ging Hiawatha,
Stolz mit Bogen und mit Pfeilen;
Und die Vögel rundum sangen:
»Schieß uns nicht, o Hiawatha!«
Sang Opechee, sie die Rotbrust,
Blauer Vogel auch, Owaissa:
»Schieß uns nicht, o Hiawatha!«
Auf der Eiche, dicht zur Seit' ihm,
Sprang, das Eichhorn, Adjidaumo,
Auf und ab die Zweige sprang es,
Schwatzt' und hustete vom Eichbaum,
Lachte laut, und sprach dazwischen:
»Schieß mich nicht, o Hiawatha!«
Und vom Pfad zur Seite hüpfte
Das Kaninchen; in der Ferne
Aufrecht saß es auf den Schenkeln,
Halb in Furcht und halb auch scherzend;
Sprechend zu dem kleinen Jäger:
»Schieß mich nicht, o Hiawatha!«
Doch er gab nicht acht, noch hört' er,
Denn er dachte nur des Rotwilds;
Fest das Aug' auf dessen Spuren,
Wie hinab zum Fluß sie führten.
Zu der Furt hinab des Flusses,
Ging er, wie wer geht im Schlummer.
In den Erlen tief verborgen,
Harrt' er, bis die Hirsche kamen.
Bis er sah zwei Hörner ragen,
Sah zwei Augen spähn durchs Dickicht,
Sah zwei Nüstern weisen windwärts,
Und ein Hirsch den Pfad herabkam.
Schön gesprenkelt, hell und dunkel
Von des Laubes runden Schatten.
Und sein Herz begann zu pochen,
Flog wie über ihm die Blätter,
Bebte wie das Blatt der Birke,
Als der Hirsch den Pfad herabkam.
Dann, auf einem Knie sich hebend.
Zielend stand mein Hiawatha:
Kaum ein Reislein bog und knickt' er.
Kaum ein Blättchen macht' er rauschen:
Doch der kluge Rehbock stutzte,
Stampfte auf mit gleichen Hufen,
Stand, den einen Fuß gehoben,
Sprang, gleichwie dem Pfeil entgegen;
O, der Pfeil, der singende, böse!
Wie 'ne Wespe summt' er, stach ihn!
Tot nun lag er da im Forste,
Bei der Furt, die übern Fluß führt;
Schlug sein banges Herz nicht länger,
Doch das Herz des Hiawatha
Pochte, jubelte und jauchzte,
Wie den roten Hirsch er heimtrug,
Und Jagoo und Nokomis
Grüßten ihn mit Beifallsworten.
Schnitt Nokomis aus des Hirschen
Haut ein Kleid für Hiawatha,
Trug sie auf das Fleisch des Hirschen,
Als ein Mahl zu seiner Ehre.
Kam das ganze Dorf und schmauste,
Priesen alle Hiawatha,
Hießen ihn Starkherz, Soange-taha!
Hießen ihn Bravherz, Mahngo-taysee!