Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Eine Nase für den König

In der Morgenstille Koreas, zu der Zeit, als es noch so friedlich und ruhig war, daß es in Wahrheit seinen alten Namen Cho-sen verdiente, lebte ein Politiker namens Yi Chin Ho. Er war ein begabter Mann und – nun ja – vielleicht nicht schlimmer, als Politiker in der ganzen Welt es sind. Aber im Gegensatz zu seinen Brüdern in andern Ländern war Yi Chin Ho ins Gefängnis geworfen worden. Nicht, weil er sich unversehens öffentliche Mittel zugewandt hatte, sondern, weil er sich unversehens zu viel zugewandt hatte. Unmäßigkeit ist immer von Übel, selbst wenn es die Beschaffung von Nebeneinnahmen gilt, und die Unmäßigkeit Yi Chin Hos hatte ihn in eine höchst bedauernswerte und peinliche Lage gebracht.

Zehntausend Geldschnüre schuldete er der Regierung, und er war ins Gefängnis geworfen und wurde verurteilt. Das war das Gute dabei – er hatte massenhaft Zeit zum Denken. Und er verstand zu denken. Dann rief er den Gefängniswächter zu sich.

»Höchst würdiger Mann«, begann er, »es ist ein höchst elendes Wesen, das du vor dir siehst. Und doch würde alles gut für mich werden, wenn du mich diese Nacht nur eine einzige kurze Stunde freilassen wolltest. Und alles würde auch gut für dich werden, denn mit den Jahren würde ich für deine Beförderung sorgen, und du würdest als Vorsteher aller Gefängnisse in Cho-sen enden.«

»Was heißt das?« fragte der Gefängniswächter. »Was sind das für Torheiten? Eine kurze Stunde, und du wartest doch nur darauf, daß dir der Kopf abgehauen werden soll. Und ich habe eine alte, hochbetagte Mutter, gar nicht zu reden von einer Frau und ein paar Kindern im zartesten Alter. Du solltest dich schämen – du Schurke!«

»Von der heiligen Stadt bis dorthin, wo alle acht Küsten enden, gibt es keinen Ort, wo ich mich verstecken kann«, antwortete Yi Chin Ho. »Ich bin ein kluger Mann, aber welchen Wert hat meine Klugheit hier im Gefängnis? Wäre ich frei, so wüßte ich gut, wo ich Geld hernehmen könnte, um der Regierung meine Schulden zu bezahlen. Ich kenne eine Nase, die mich aus allen meinen Sorgen retten würde.«

»Eine Nase!« rief der Gefängniswächter.

»Eine Nase«, sagte Yi Chin Ho. »Eine merkwürdige Nase, wenn ich so sagen darf, eine höchst merkwürdige Nase.«

Der Gefängniswächter schlug in völliger Ratlosigkeit die Hände zusammen. »Ach, du bist ein großer Spaßvogel!« lachte er. »Ein großer Spaßvogel! Schade, daß ein so witziger Mann wie du sein Leben auf dem Schafott enden soll!«

Und mit diesen Worten wandte er sich um und ging. Da er aber sowohl von Kopf wie von Herz ein weicher Mann war, endete es damit, daß er spät am Abend Yi Chin Ho gehen ließ.

Geradeswegs zum Gouverneur ging der, traf ihn allein und weckte ihn aus dem Schlaf.

»Yi Chin Ho, so wahr ich Gouverneur bin!« rief der Gouverneur. »Was tust du hier, du, der im Gefängnis liegen und dem Schafott seine Aufwartung machen sollte?«

»Ich bitte Eure Exzellenz, mich anzuhören«, sagte Yi Chin Ho, indem er neben dem Bett niederhockte und sich seine Pfeife am Wärmbecken anzündete. »Ein toter Mann hat keinen Wert. Es ist wahr, daß ich wie ein toter Mann bin, der keinen Wert für die Regierung, für Eure Exzellenz und für sich selber hat. Falls aber, wenn ich so sagen darf, Eure Exzellenz mir meine Freiheit geben wollten –«

»Unmöglich!« rief der Gouverneur. »Und im übrigen bist du ja zum Tode verurteilt!«

»Eure Exzellenz wissen sehr gut, daß die Regierung mir meine Strafe erlassen wird, wenn ich die zehntausend Geldschnüre zurückzahle«, fuhr Yi Chin Ho fort. »Und falls, wie ich sage, Eure Exzellenz mir für ein paar Tage meine Freiheit wiedergeben wollten, so würde ich, als ein Mann von Verstand, der Regierung ihr Geld geben und mich dann in einer Lage befinden, daß ich Euer Exzellenz große Dienste erweisen könnte.«

»Hast du einen Plan, durch den du dir das Geld verschaffen zu können hoffst?« fragte der Gouverneur.

»Den habe ich«, sagte Yi Chin Ho.

»Dann bringe ihn mir morgen nacht, denn jetzt will ich schlafen«, sagte der Gouverneur und nahm seinen unterbrochenen Schlaf wieder auf.

In der folgenden Nacht, als Yi Chin Ho wieder Ausgangerlaubnis vom Gefängniswächter erhalten hatte, erschien er am Bett des Gouverneurs.

»Bist du es, Yi Chin Ho?« fragte der Gouverneur. »Und hast du den Plan?«

»Ich bin es, Euer Exzellenz«, antwortete Yi Chin Ho, »und der Plan ist hier.«

»Sprich!« gebot der Gouverneur.

»Der Plan ist hier«, wiederholte Yi Chin Ho, »hier in meiner Hand.«

Der Gouverneur erhob sich und sperrte die Augen auf. Yi Chin Ho reichte ihm einen Bogen Papier.

Der Gouverneur hielt ihn gegen das Licht. »Das ist nur eine Nase«, sagte er.

»Hie und da ein bißchen zusammengekniffen, Euer Exzellenz.«

»Ja, hie und da ein bißchen zusammengekniffen, wie du sagst«, sagte der Gouverneur.

»Alles in allem ist es eine ganz außerordentlich dicke Nase, hie und da jedenfalls und besonders an der Spitze«, fuhr Yi Chin Ho fort. »Euer Exzellenz werden weit und breit und manchen lieben Tag nach der Nase suchen können, ohne sie zu finden.«

»Eine ungewöhnliche Nase«, gab der Gouverneur zu.

»Es ist eine Warze darauf«, sagte Yi Chin Ho.

»Eine höchst ungewöhnliche Nase«, sagte der Gouverneur. »Nie habe ich etwas Ähnliches gesehen. Aber was willst du mit dieser Nase tun, Yi Chin Ho?«

»Ich suche nach einer Möglichkeit, um der Regierung das Geld zurückzuzahlen«, sagte Yi Chin Ho. »Ich suche sie, um Euer Exzellenz zu Diensten zu sein, und ich suche sie, um meinen eigenen wertlosen Kopf zu retten. Ferner suche ich das Siegel Euer Exzellenz auf diesem Bild von der Nase.«

Der Gouverneur lachte und setzte das Staatssiegel auf das Papier, worauf Yi Chin Ho ging. Einen Monat und einen Tag reiste er auf dem Wege des Königs, der nach den Küsten des östlichen Meeres führt, und eines Nachts kam er an den größten Palast in einer reichen Stadt, klopfte hart an das Tor und verlangte Einlaß.

»Mit keinem andern will ich reden, als mit dem Herrn des Hauses«, sagte er grimmig zu der erschrockenen Dienerschaft. »Ich reise im Auftrage des Königs.«

Er wurde sofort in die inneren Gemächer gewiesen, wo der Hausherr, aus dem Schlaf geweckt und, vor ihn geführt, ihn anblinzelte.

»Du bist Pak Chung Chang, der größte Mann in dieser Stadt«, sagte Yi Chin Ho in einem Ton, der schon eine Anklage war. »Ich komme im Auftrage des Königs.«

Pak Chung Chang zitterte. Er wußte gut, daß ein Auftrag des Königs immer ein furchtbarer Auftrag war. Seine Knie schlotterten, und er wollte zu Boden sinken.

»Es ist spät«, sagte er mit zitternder Stimme. »Wäre es nicht besser zu –«

»Der Auftrag des Königs wartet nie!« donnerte Yi Chin Ho. »Gehe abseits mit mir, und das sofort. Ich habe eine Sache von großer Wichtigkeit mit dir zu besprechen.«

»Es ist der Auftrag des Königs«, fügte er noch grimmiger hinzu, so daß Pak Chung Chang die silberne Pfeife aus den kraftlosen Fingern glitt und klirrend zu Boden fiel.

»Wisse denn«, sagte Yi Chin Ho, als sie abseits gegangen waren, »daß der König von einer Krankheit, einer sehr gefährlichen Krankheit geplagt ist. Weil der Hofarzt ihn nicht heilen konnte, hat er ihm den Kopf abhauen lassen. Aus allen acht Provinzen sind die Ärzte gekommen, um dem König ihre Aufwartung zu machen. Sie haben ihre klugen Köpfe zusammengesteckt und sind zu dem Ergebnis gelangt, daß das Mittel, das erforderlich ist, um die Krankheit des Königs zu heilen, eine Nase sei, eine eigentümliche Nase, eine sehr eigentümliche Nase.

So wurde ich denn gerufen und das von keinem Geringeren als Seiner Exzellenz dem Premierminister selbst. Er steckte mir ein Stück Papier in die Hand. Auf dieses Papier, das mit dem Siegel des Staates versehen war, hatten die Ärzte in den acht Provinzen eine sehr eigentümliche Nase gezeichnet.

›Geh‹, sagte Seine Exzellenz der Premierminister. ›Suche, bis du diese Nase findest, denn der König wird schrecklich gequält. Und wo du einen Mann mit einer solchen Nase findest, sollst du sie gleich abschneiden und in größter Eile zu Hofe bringen, denn der König muß geheilt werden. Geh und komme nicht wieder, ehe dein Suchen von Glück gekrönt ist.‹

›Und so zog ich denn aus‹, sagte Yi Chin Ho. ›Ich bin in den entlegensten Winkeln des Reiches gewesen; ich bin die acht Königswege gezogen und habe die acht Provinzen durchsucht, und ich habe die Meere zwischen den acht Küsten befahren. Und jetzt bin ich hier.‹«

Mit großer Umständlichkeit zog er ein Papier aus dem Gürtel, breitete es unter viel Rascheln und Knittern aus und hielt es Pak Chung Chang vor das Gesicht. Auf dem Papier befand sich das Bild der Nase.

Pak Chung Chang starrte es mit Augen an, die aus ihren Höhlen treten wollten.

»Nie habe ich eine solche Nase gesehen!« begann er.

»Es ist eine Warze darauf«, sagte Yi Chin Ho.

»Nie habe ich –« begann Pak Chung Chang wieder.

»Führe mir deinen Vater vor«, unterbrach ihn Yi Chin Ho frech.

»Mein betagter und hochachtbarer väterlicher Urheber schläft«, sagte Pak Chung Chang.

»Warum willst du mir etwas vormachen?« fragte Yi Chin Mo. »Du weißt, daß es die Nase deines Vaters ist. Führe ihn mir vor, daß ich sie ihm abschneiden kann. Und das gleich! Und beeile dich, damit ich nichts Schlimmes über dich zu berichten brauche.«

»Gnade!« rief Pak Chung Chang und fiel auf die Knie. »Es ist unmöglich! Es ist unmöglich! Du kannst meinem Vater nicht die Nase abschneiden. Er kann nicht ohne Nase in sein Grab gehen. Er wird zu Lachen und Spott in der Welt werden, und all meine Tage und Nächte werden voller Qual sein. Ach, bedenke dich doch! Geh heim mit dem Bescheid, daß du keine solche Nase auf deiner Fahrt gesehen hast. Du hast selbst einen Vater.« Pak Chung Chang umschlang mit den Armen die Knie Yi Chin Hos, und die Tränen fielen auf dessen Sandalen.

»Mir wird das Herz so seltsam weich beim Anblick deiner Tränen«, sagte Yi Chin Ho. »Auch ich kenne kindliche Liebe und Ergebenheit. Aber –« er zögerte und fügte dann, als dächte er laut, hinzu:

»Soviel, wie mein Kopf wert ist.«

»Wieviel ist dein Kopf denn wert?« fragte Pak Chung Chang mit schwacher Stimme.

»Ein nicht bemerkenswerter Kopf«, sagte Yi Chin Ho. »Ein lächerlich wenig bemerkenswerter Kopf; aber so groß ist meine Torheit, daß ich ihn nicht geringer einschätze als hunderttausend Geldschnüre.«

»Es soll werden, wie du wünschest«, sagte Pak Chung Chang und erhob sich.

»Ich muß auch Pferde haben, um den Schatz zu befördern«, sagte Yi Chin Ho, »und Männer, ihn zu bewachen, wenn ich über die Berge gehe. Es sind Räuber rings im Lande.«

»Es sind Räuber rings im Lande«, sagte Pak Chung Chang traurig. »Aber es soll werden, wie du wünschest, wenn die Nase meines alten, hochbetagten Vaters bleiben darf, wo sie hingehört.«

»Du darfst mit keinem Menschen über diese Sache sprechen«, sagte Yi Chin Ho, »denn dann werden andere und pflichttreuere Diener ausgesandt werden, um deinem Vater die Nase abzuschneiden.«

Und so zog Yi Chin Ho denn über die Berge, leichten Herzens und ein heiteres Lied auf den Lippen, während er auf die klingenden Glöckchen der Pferde lauschte, die mit seinen Schätzen beladen waren.

Es ist nicht viel mehr zu berichten. Mit den Jahren wuchsen Reichtum und Wohlstand Yi Chin Hos. Durch seine Bemühungen wurde der Gefängniswächter schließlich Vorsteher aller Gefängnisse in Cho-sen; der Gouverneur zog, als die Fülle der Zeit kam, nach der heiligen Stadt, wo er Premierminister des Königs wurde, während Yi Chin Ho selbst Gesellschaftsbruder des Königs wurde, rund und fett an seinem Tische mit ihm saß, bis ans Ende seiner Tage. Pak Chung Chang aber versank in tiefe Melancholie, und seit jenem Tage schüttelte er traurig den Kopf und bekam Tränen in die Augen, so oft er die Nase seines alten und hochbetagten Vaters ansah.


 << zurück weiter >>