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Westwärts

 

Was auch geschieht, halt westwärts! Halt westwärts – Segelanweisung für Kap Horn.

 

Sieben Wochen lang hatte die Mary Rogers zwischen dem 50. Grad südlicher Breite im Atlantischen Ozean und dem 50. Grad südlicher Breite im Stillen Ozean gelegen, was heißt, daß sie in diesen sieben Wochen gekämpft hatte, um Kap Horn zu runden. Sieben Wochen lang hatte sie, bis auf ein einziges Mal, ununterbrochen schlechtes Wetter gehabt, und dann, nach sechs Tagen besonders schlechten Wetters, das sie in Lee der furchtbaren Terra del Fuego-Küste abgeritten hatte, wäre sie beinahe in schwerer Dünung gestrandet, als plötzlich Totenstille eingetreten war. Sieben Wochen lang hatte sie mit den mächtigen Seen bei Kap Horn gekämpft und war von ihnen zerschlagen und umhergeworfen worden. Sie war ein Holzschiff, und durch den unaufhörlichen Druck waren die Planken leck gesprungen, so daß die Wache täglich zweimal an die Pumpen mußte.

Die Mary Rogers war überanstrengt, die Besatzung war überanstrengt, und der Kapitän, der große Dan Cullen, war ebenfalls überanstrengt. Vielleicht war er am meisten überanstrengt, denn auf ihm ruhte die Verantwortung für diese Riesenarbeit. In der Regel schlief er angekleidet, aber er schlief nur selten. Die ganze Nacht spukte er auf dem Deck herum, ein großes, kräftiges, robustes Gespenst, dunkel und sonnenverbrannt in den dreißig Jahren, die er auf dem Meere verbracht hatte, und behaart wie ein Orang-Utang. Ihm wiederum spukte andauernd ein Gedanke im Kopf herum und diktierte ihm seine Handlungen, und das war eine Segelanweisung für Kap Horn: »Was auch geschieht, halt westwärts! Halt westwärts!« Das war bei ihm völlig zur fixen Idee geworden. Er dachte an nichts anderes, außer daß er zeitweise Gott lästerte, weil er ihm so schlechtes Wetter geschickt hatte.

Westwärts halten! Er klammerte sich an das Horn, und ein dutzendmal lag er beigedreht, das eiserne Kap Ost zu Nord oder Nord-Nord-Ost, an zwanzig Meilen entfernt. Er kämpfte sich durch Orkan auf Orkan im Südseetreibeis auf dem 64. Grad südlicher Breite, und er gelobte den Mächten der Finsternis seine unsterbliche Seele, wenn sie ihm nur ein klein wenig Ostwind, einen kleinen Hauch senden wollten, so daß er das Horn runden könnte. Aber er kam immer wieder ostwärts. In seiner Verzweiflung hatte er versucht, durch die Le-Maire-Straße zu fahren. Als er halb hindurchgelangt war, schlug der Wind nach Nordwest um, das Barometer fiel auf 28,88, und er machte kehrt und segelte vor dem wütenden Orkan davon, daß er um ein Haar die Mary Rogers auf die schwarzzähnigen Klippen gefahren hätte. Zweimal war er zu den Diego Ramirez-Klippen gekommen, und das eine Mal hatte ihn zwischen zwei Schneeböen nur der Anblick vom Grabmal der Schiffe eine viertel Seemeile rechts voraus gerettet.

Wind! Kapitän Dan Cullen dachte an all die dreißig Jahre, die er die See befahren hatte, und konnte sich nicht entsinnen, daß es je so heftig geweht hatte. Die Mary Rogers lag zu dem Zeitpunkt, als er dem Wetter dieses Zeugnis ausstellte, beigedreht, und um allem die Krone aufzusetzen, lag sie, ehe eine halbe Stunde vergangen war, mit dem Lukenrahmen im Wasser. Ihr neues Großtoppsegel und ihr nagelneues Gaffelsegel waren wie Packpapier zerfetzt, und fünf Segel, die mit doppelten Reffs beschlagen und festgemacht waren, wurden vom Sturm losgerissen und von den Rahen geweht. Und ehe es Morgen wurde, hatte die Mary Rogers noch zweimal auf der Breitseite gelegen, und es waren Löcher in ihre Schanzverkleidung gehauen worden, um das Deck von der schweren Last zu befreien, die das Weltmeer über sie wälzte.

Durchschnittlich einmal die Woche sah Kapitän Dan Cullen einen Schimmer von der Sonne. Einmal schien die Sonne zehn Minuten lang gegen Mittag, zehn Minuten darauf wehte wieder ein neuer Sturm; beide Wachen mußten Segel bergen, und alles verschwand in einer heftigen Bö mit stiebendem Schnee. Einmal hatte Kapitän Dan Cullen ganze vierzehn Tage lang nicht eine einzige Meridian- oder Chronometerbeobachtung nehmen können. Er kannte selten genauer als um einen halben Grad seine Position, außer, wenn er Land in Sicht hatte, denn Sonne und Sterne hielten sich andauernd verborgen, und bestenfalls taugte der Horizont nicht viel zu genauen Beobachtungen. Eine graue Finsternis ruhte über dem Universum. Die Wolken waren grau; die großen, anstürmenden Seen waren bleigrau; die rauchenden Wellengipfel waren eine kochende, graue Masse; selbst die Albatrosse, die hin und wieder auftauchten, waren grau, und die Schneeflocken waren nicht weiß, sondern grau unter dem grauen Leichentuch des Himmels.

Das Leben an Bord der Mary Rogers war grau – grau und trübselig. Die Gesichter der Seeleute waren graublau; sie waren voller Schrammen und Beulen, und die Leute litten furchtbar. Es waren die reinen Schatten von Männern. Seit sieben Wochen wußten sie nicht, was es heißt, trocken zu sein, ob sie sich in der Back befanden oder an Deck. Sie hatten vergessen, was es heißt, eine ganze Wache durchzuschlafen, denn in jeder Wache hieß es: »Alle Mann an Deck«. Hin und wieder verschafften sie sich einige Augenblicke qualvollen Schlafes, und dann schliefen sie in ihrem Ölzeug, bereit, dem ewigen Ruf zu gehorchen. So schwach und mitgenommen waren sie, daß beide Wachen zu Hilfe genommen werden mußten, um die Arbeit einer Wache zu verrichten. Deshalb waren beide Wachen fast immer an Deck und keiner, und wenn er der Schatten eines Mannes gewesen wäre, hätte sich von der Arbeit drücken können. Es hätte mindestens ein gebrochenes Bein dazu gehört, um die Arbeit niederlegen zu dürfen, und doch gab es zwei Mann, die von den über das Schiff hereinbrechenden Seen derart mißhandelt und zerschlagen waren, daß sie die ersehnte Freiheit erlangt hatten.

Noch ein Mann war ein Schatten seiner selbst, und dieser Mann war George Dorety. Er war der einzige Passagier an Bord, ein Freund des Reeders, und er hatte sich um seiner Gesundheit willen zu der Reise entschlossen. Aber die sieben Wochen bei Kap Horn hatten seiner Gesundheit nicht geholfen. In den langen Nächten, wenn das Schiff in den Seen stampfte und stampfte, japste und stöhnte er; und wenn er sich an Deck zeigte, war er, um sich warm zu halten, so eingepackt, daß er einem wandernden Trödlerladen glich. Mittags, wenn er am Tisch in der Kajüte aß, wo es so finster war, daß die schwingenden Kajütenlampen beständig brannten, sah er grau und traurig aus wie der kränkste, melancholischste Mann in der Back. Es hatte auch keine ermunternde Wirkung auf ihn, daß er gegenüber am Tisch Kapitän Dan Cullen sah. Kapitän Dan Cullen kaute, blickte finster drein und verhielt sich im übrigen schweigend. Sein Finsterdreinblicken galt dem lieben Gott, und bei jedem Bissen, den er nahm, wiederholte er den einzigen Gedanken, für den sein Dasein Raum bot, nämlich: westwärts – immer westwärts. Er war ein großer, behaarter, brutaler Bursche, und sein Anblick wirkte nicht appetitanregend auf den anderen. In seinen Augen war George Dorety ein Jonas, und das erzählte er ihm einmal im Laufe jeder Mahlzeit, während er seine Wut vom lieben Gott auf den Passagier übertrug und umgekehrt.

Auch der Steuermann war nicht gerade appetitanregend. Joshua Higgins hieß er und war Seemann von Beruf und Ausbildung, aber Topfgucker von Natur, ein schlottriger, schnaufender Bursche ohne Seele und Herz, selbstsüchtig und feige, sterbensängstlich vor Dan Cullen und ein furchtbarer Tyrann den Leuten gegenüber, die wußten, daß hinter dem Steuermann Kapitän Cullen stand, Gesetzgeber und Bezwinger, Sklavenpeitscher und Vernichter, die Inkarnation von einem Dutzend Leuteschinder. In dem unheimlichen Wetter an der Südspitze der Erde hörte Joshua Higgins ganz auf, sich zu waschen, und sein schmutziges Gesicht raubte George Dorety in der Regel das bißchen Appetit, daß er glücklich zu den Mahlzeiten zusammengekratzt hatte. Unter gewöhnlichen Verhältnissen würde diese Versäumnis gegen die Reinlichkeit Kapitän Cullens Aufmerksamkeit erregt und ihm Gelegenheit zur Anwendung seines trefflichen Wortschatzes gegeben haben, augenblicklich aber drehten sich alle seine Gedanken nur darum, westwärts zu halten, so daß alles, was nichts hiermit zu tun hatte, ihm völlig gleichgültig war. Ob das Gesicht des Steuermanns sauber oder schmutzig war, hatte keinen Einfluß auf den Kurs. Später, wenn sie den 50. Grad südlicher Breite im Stillen Meer erreicht hätten, würde Joshua Higgins ganz plötzlich beginnen, sein Gesicht zu waschen. Bis dahin aber saß George Dorety am Tisch in der Kajüte, wo die graue Dämmerung das Lampenlicht ablöste, so oft die Lampen gefüllt werden sollten, saß dort zwischen den zwei Männern – einem Tiger und einer Hyäne – und grübelte, warum Gott sie erschaffen haben mochte. Der zweite Steuermann, Matthew Turner, war ein echter Seebär und ein Mann, aber George Dorety genoß nicht den Trost, mit ihm zusammen zu sein, denn er aß ganz allein für sich, wenn die anderen fertig waren.

Als George Dorety am Sonnabendmorgen, den 24. Juli, aufwachte, hatte er ein Gefühl von Leben und sich überstürzender Bewegung. Er kam an Deck und sah, daß die Mary Rogers vor einem heulenden Südost dahinschoß. Außer Untermarssegel und Fock war kein Segel gesetzt. Das war alles, was das Schiff tragen konnte, und doch machte es vierzehn Knoten, wie der zweite Steuermann Dorety, als er an Deck erschien, ins Ohr brüllte. Und es ging westwärts. Sie sollten endlich Kap Horn runden ... wenn der Wind sich nur hielt. Der zweite Steuermann sah sehr froh aus, denn das Ende des Kampfes war in Sicht. Aber Kapitän Cullen sah nicht froh aus. Er warf einen gereizten Blick auf Dorety, als er vorbeiging. Kapitän Cullen wollte nicht, daß der liebe Gott ihm seine Freude über den Wind anmerkte. Er hatte die Vorstellung von einem übelgesinnten Gott und glaubte im Innersten, wenn Gott wüßte, daß es ein ersehnter Wind war, so würde er ihn sofort unterdrücken und einen Orkan aus Westen schicken. Und deshalb war er sehr vorsichtig mit dem lieben Gott, er verbarg sein Entzücken hinter der finsteren Miene und stieß leise Flüche aus, um auf diese Weise Gott anzuführen – Gott war nämlich das einzige zwischen Himmel und Erde, wovor Dan Cullen sich fürchtete.

Den ganzen Sonnabend und die darauffolgende Nacht schoß die Mary Rogers weiter nach Westen. Sie machte anhaltend ihre vierzehn Knoten, am Sonntagmorgen hatte sie eine Strecke von dreihundertfünfzig Meilen zurückgelegt. Wenn der Wind sich hielt, kamen sie herum. Flaute er ab und kam der Sturm aus einer anderen Richtung zwischen Südwest und Nord, so wurde die Mary Rogers zurückgetrieben und war nicht besser dran, als sie seit sieben Wochen gewesen. Und am Sonntagmorgen wollte der Wind wirklich abflauen. Die großen Seen legten und glätteten sich. Beide Wachen waren auf Deck und setzten Segel auf Segel, so viel das Schiff tragen konnte. Und jetzt ging Kapitän Cullen umher, war ein großer Mann vor dem lieben Gott, rauchte eine lange Zigarre und lächelte triumphierend, als ob der abnehmende Wind ihn freute, während er innerlich gegen den lieben Gott wütete, weil er dem gesegneten Wind das Lebenslicht ausblasen wollte. Westwärts halten! Ja, das wollte er, wenn der liebe Gott ihn nur in Frieden ließ. Im geheimen schloß er wieder einen Pakt mit den Mächten der Finsternis, wenn sie ihn nur weiter westwärts kommen lassen wollten. Diesen Pakt schloß er leichten Herzens, weil er an die Mächte der Finsternis nicht glaubte. In Wirklichkeit glaubte er nur an Gott, obgleich er es selber nicht wußte. Und in seiner umgekehrten Theologie war Gott in Wirklichkeit der Fürst der Finsternis. Kapitän Cullen war Teufelsanbeter, aber er nannte den Teufel bei einem anderen amen – das war alles.

Gegen Mittag, als es eben acht Glasen geschlagen hatte, gab Kapitän Cullen Befehl, die Oberbramsegel zu setzen. Die Männer gingen schneller nach oben, als sie seit Wochen getan. Das kam nicht nur daher, daß es jetzt westwärts ging, eine gnädige Sonne sandte auch ihre Strahlen auf sie herab und half ihnen, die steifen Glieder geschmeidiger zu machen. George Dorety stand achtern in der Nähe Kapitän Cullens, weniger eingepackt als gewöhnlich, und sein ganzer Körper sog die milde Wärme ein, während er das Schauspiel betrachtete, das sich an Deck entfaltete. Da plötzlich geschah es. Von der Voroberbramstenge scholl der Ruf: »Mann über Bord!« Ein Rettungsring wurde ins Wasser geworfen, und im selben Augenblick hörten die Leute achtern den klaren, gebieterischen Ruf des zweiten Steuermanns:

»Hart nieder das Ruder!«

Der Mann am Ruder rührte sich nicht von der Stelle. Er war klüger, denn Kapitän Dan Cullen stand neben ihm. Er hatte die größte Lust, das Ruder niederzulegen, hart nieder sogar um des Kameraden willen, der jetzt im Wasser lag und ertrinken wollte. Er warf einen Blick auf Kapitän Dan Cullen, und Kapitän Dan Cullen rührte sich nicht.

»Nieder! Hart nieder!« brüllte der zweite Steuermann und sprang nach achtern.

Aber er sprang nicht weiter, kommandierte nicht mehr und stand ganz still, als er Dan Cullen am Ruder sah. Und der große Dan Cullen paffte seine Zigarre und sagte nichts. Achteraus in einer Entfernung, die sich schnell vergrößerte, konnten sie den Matrosen sehen. Er hatte den Rettungsring ergriffen und hielt sich daran fest. Niemand rührte sich. Die Männer in der Takelung klammerten sich an die Marsstengen und sahen mit entsetzten Gesichtern zu. Und die Mary Rogers schoß weiter, immer westwärts. Eine lange, schweigende Minute verging.

»Wer war es?« fragte Kapitän Cullen.

»Mops, Käptn!« antwortete der Matrose am Ruder eifrig.

Mops kam auf dem Gipfel einer Welle achteraus zum Vorschein und verschwand für eine Weile im Wellental. Es war eine große Woge, aber kein Brecher. Ein kleines Boot konnte sich gut in dieser See halten, und in dieser See konnte die Mary Rogers gut beidrehen. Aber sie konnte nicht gleichzeitig beidrehen und westwärts halten.

Zum erstenmal in seinem Leben sah George Dorety ein wirkliches Drama auf Leben und Tod, ein elendes Drama, bei dem ein unbekannter Seemann namens Mops gegen ein paar Meilen Länge in die Wagschale gelegt wurde. Anfangs hatte er den Mann achteraus beobachtet, jetzt aber beobachtete er den großen Dan Cullen, der eine Zigarre rauchte – behaart und finster – Herr über Leben und Tod.

Kapitän Dan Cullen rauchte noch eine lange Minute in vollkommenem Schweigen. Dann nahm er die Zigarre aus dem Munde. Er warf einen Blick auf die Rundhölzer der Mary Rogers und über das Schiff hinaus aufs Meer.

»Holt die Maststengen ein!« rief er.

Eine Viertelstunde später saßen sie in der Kajüte, das Essen vor sich auf dem Tische. An der einen Seite von George Dorety saß Dan Cullen, der Tiger, auf der anderen Seite Joshua Higgins, die Hyäne. Keiner von ihnen sagte etwas. An Deck setzte die Mannschaft Skysegel. George Dorety konnte ihre Rufe hören, während er in Gedanken immer noch einen Mann namens Mops vor sich sah, einen lebendigen, gesunden und tüchtigen Mann, der sich mehrere Meilen achteraus in dem einsamen Meer an einen Rettungsring klammerte. Er sah Kapitän Cullen an, und ein würgendes Gefühl überkam ihn. denn der Mann aß sein Essen mit Wohlbehagen, ja, direkt mit Heißhunger.

»Kapitän Cullen«, sagte Dorety, »Sie sind der Schiffer hier, und es kommt mir nicht zu, Bemerkungen über ihr Benehmen zu machen. Aber ich will Ihnen nur eins sagen. Es gibt ein Leben nach diesem, und im anderen Leben wird Ihnen tüchtig eingeheizt werden.«

Kapitän Cullen blickte nicht einmal finster drein. Seine Stimme klang ganz bedauernd, als er sagte: »Es war Orkan. Es war unmöglich, den Mann zu retten.«

»Er fiel von der Oberbramstenge«, rief Dorety heftig.

»Sie setzten gerade die Oberbramsegel. Eine Viertelstunde später setzten sie die Skysegel.«

»Es war Orkan, nicht wahr, Steuermann?« wandte Kapitän Cullen sich an den Steuermann.

»Wenn Sie beigedreht hätten, wären die Masten über Bord gegangen«, lautete die Antwort des Steuermanns. »Sie haben sich ganz korrekt benommen, Käptn. Der Mann hatte nicht die geringste Möglichkeit.«

George Dorety antwortete nicht, und bis zum Ende der Mahlzeit wurde kein Wort gesprochen. Von jetzt an nahm Dorety seine Mahlzeit in seiner eigenen Kajüte ein. Kapitän Cullen warf ihm keine finsteren Blicke mehr zu, obgleich sie kein Wort miteinander wechselten, während die Mary Rogers westwärts nach wärmeren Breitengraden eilte. Gegen Schluß der Woche drängte Dan Cullen Dorety in eine Ecke an Deck, so daß er nicht entkommen konnte. »Was werden Sie tun, wenn wir nach Frisco kommen?« fragte er brutal.

»Ich werde Sie wegen Mordes anzeigen und dafür sorgen, daß Sie an den Galgen kommen«, antwortete Dorety ruhig.

»Sie haben einen schönen Glauben an sich«, spottete Kapitän Cullen, ihm den Rücken kehrend.

Noch eine Woche verging, und eines Morgens stand Dorety in der Kajütstür an der Vorderkante des langen Hüttendecks und sah sich zum erstenmal an Deck um. Die Mary Rogers lag mit vollen Segeln in einer steifen Brise am Winde. Jedes Segel war gesetzt und prall. Kapitän Cullen schlenderte das Hüttendeck entlang, scheinbar völlig unbekümmert, aber hin und wieder warf er einen heimlichen Blick auf seinen Passagier. Dorety, dessen Kopf und Schultern zum Kajütsaufgang herausguckten, sah nach der anderen Seite, und nur sein Nacken war sichtbar. Kapitän Cullen ließ einen schnellen Blick von der großen Stagsegelschoot nach seinem Kopfe schweifen und maß die Entfernung. Er sah sich um. Niemand bemerkte ihn. Joshua Higgins, der achtern auf- und abging, hatte ihm gerade den Rücken gekehrt und sah nach der anderen Seite. Kapitän Cullen beugte sich plötzlich vor und löste die Stagsegelschoot von ihrem Nagel. Der schwere Block sauste durch die Luft, zerschmetterte Doretys Kopf wie eine Eierschale und schlug hin und her, während das Stagsegel im Winde klapperte. Joshua Higgins wandte sich um, um zu sehen, was losgegangen war, und wurde mit einem Strom von Kapitän Cullens schlimmsten Flüchen begrüßt.

»Ich habe selbst die Schoot festgemacht«, jammerte der Steuermann, sobald er zu Worte kam, »und das sogar mit einem Extraturn, um ganz sicher zu sein. Das weiß ich genau.«

»Festgemacht?« knurrte der Kapitän zurück, damit die Wache ihn hörte, die sich abmühte, das klatschende Segel wieder festzumachen, ehe es ganz zerriß. »Sie könnten nicht mal Ihre Großmutter festmachen, Sie verfluchter Topfgucker! Wenn Sie die Schoot mit einem Extraturn festgemacht hatten, warum zum Teufel hielt sie dann nicht? Das möchte ich wohl wissen. Warum, zum Teufel, hielt sie nicht?«

Der Steuermann gab ein unartikuliertes Wimmern von sich.

»Ach, halt's Maul!« Hiermit schnitt Kapitän Cullen jede weitere Diskussion ab.

Eine halbe Stunde später war er am meisten von allen überrascht, als George Doretys Leiche am Fuß der Kajütstreppe gefunden wurde, und am Nachmittag, als er allein in seiner Kabine war, verarztete er das Journal:

»Matrose Karl Brun wurde von der Voroberbramsegelstenge in einem Orkan über Bord geschleudert. Wir machten zu dem Zeitpunkt starke Fahrt und wagten aus Rücksicht auf die Sicherheit des Schiffes nicht, zu ihm hinzulaufen. Die See war so schwer, daß kein Boot durchgekommen wäre.«

Auf eine andere Seite schrieb er:

»Ich hatte Herrn Dorety oft vor der Gefahr gewarnt, der er sich in seiner Unvorsichtigkeit an Deck aussetzte. Ich hatte ihm eines Tages gesagt, daß ihm noch der Kopf von einem Block zerschlagen würde. Eine Großstagsegelschoot, die nicht genügend festgemacht war, trug die Schuld an diesem Unglücksfall, der um so bedauerlicher war, als Herr Dorety bei uns allen sehr beliebt war.«

Kapitän Dan Cullen las mit Bewunderung sein literarisches Machwerk durch, trocknete es mit Löschpapier und schloß das Journal. Er fühlte, wie die Mary Rogers sich hob, überkrängte, und sich auf den Wogen wiegte, und er wußte, daß sie neun Knoten die Stunde machte. Sein finsteres, behaartes Gesicht verklärte sich langsam zu einem zufriedenen Lächeln. Nun ja, er war doch jedenfalls westwärts gekommen und hatte den lieben Gott angeführt.


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