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Sie saßen beim Kaffee im Listerturm,
Es ging die Zeitung von Hand zu Hand,
Es interessierte die hübschen Köpfchen
Sehr ein Artikel, der darin stand.
»So hört bloß zu: eine Eheschule
Errichtet im Neuyork eine Frau;
Na, Kinder, wie findet ihr den Gedanken?
Ich finde ihn geradezu brüllend schlau.«
Das gab ein Gekicher, das gab ein Getuschel,
Sie redeten alle auf einmal los;
Nur eine von ihnen sagte erst gar nichts,
Und die war dick und blond und groß.
Und als sich die lauten Wogen legten,
Da sprach sie: »Was viel mehr uns frommt,
Das ist eine Schule, in der wir lernen,
Wie man überhaupt einen Mann bekommt.«
Daß es eine Frauenfrage gibt, ist klar, aber noch klarer ist es, daß es schon viel länger eine Männerfrage gegeben hat. Man braucht nur an einem schönen Frühling-, Sommer- oder Herbstnachmittag in den Zoologischen Garten, oder nach Bella-Vista, oder überhaupt irgendwohin zu gehen, wo es Kaffee mit oder ohne Schlagsahne gibt. Da sitzen sie, die Mütter und Tanten, die holdseligen Töchterchen und Nichten neben sich, und warten, ob das Geschick sich nicht erfülle. Und man sucht dem Schicksal behilflich zu sein dadurch, daß man an seinem Tische einen oder zwei Plätze frei läßt. Kommen dann andere Damen und wollen die Plätze einnehmen, oder ältere Herren oder solche mit glatten Ringen an den Fingern, dann sind die Plätze besetzt, und hartherzig läßt man die Wandermüden abziehen. Aber nahen sich junge Leute in dem Alter, daß es sich schon lohnt, und sehen sich verzweifelt in dem Wirrewarr von Blusen und Hüten und Gesichtern und Frisuren und strickenden, nähenden und stichelnden Händen um, dann gleitet wohl ein scheinbar unabsichtlicher Blick einladend aus mütterlichen oder tantlichen Augen nach den Augen der Platzsucher und von da nach den leeren Stühlen, und wenn dann die Jünglinge, die Hüte in der Hand oder die Finger an der Mütze, bescheiden näher treten, dann ruft ihnen kein scharfes Organ entgegen: »Besetzt!« sondern in nachlässig freundlicher Weise heißt es: »Och jäö, wir brauchen die Plätze nicht.«
Die beiden Freunde sitzen nun glücklich. Es ist doch ein bißchen genant, so bei drei wildfremden Damen zu sitzen; etwas eng sitzt man auch, und fast bereuten die Herrchen schon, sich zu dem fleißigen Kleeblatt mit den zwei grünen und dem einen welken Blatte gesetzt zu haben. Anderseits, die beide Kleinen sind so niedlich, und durstig ist der Mensch auch bei der Hitze. Also: »Kellner! Zwei Helle!« Das kommt so belegt heraus, wie immer, wenn der Mensch verlegen ist. Der Kellner enteilt und kommt wieder, die Gläser auf die Tischkante setzend. Aber schon räumt die Tante die Tassen und Teller beiseite, rückt auch mit ihrem Stuhl etwas, und das Eis schmilzt langsam aber sicher. Lindchen läßt ihr Häkelknäul fallen. Vier Hände greifen danach, aber die größeren sind flinker, und ein verschämtes »Danke!« und eine zarte Röte auf dem Wängelein lohnt den Ritter und lieblich lächelt die Tante. Sie stöhnt: »Es ist furchtbar heiß!« und die beiden Fremdlinge sind sofort bereit, ihr zu bestätigen, daß »ganz kolossiv heiß« und »wirklich schauderös heiß« sei. »Aber immer noch besser, wie der ewige Regen vor'je Woche!« Das ist selbstverständlich. Das hätte der eine bei der Felddienstübung auch gesagt. Gegen die Hitze gibt es Mittel, aber durch so hohen Schmutz zu marschieren, da wäre nichts gegen zu machen. Es wäre nur ein Glück, daß die Damen nicht auch dienen müßten. Das wäre doch zu schlimm.
Das Eis ist fort. Alles lacht. Aber die Braune meint: »Gott, das würden wir auch können. Letzten Sommer im Harz sind wir doch den ganzen Tag marschiert, und es regnete in einer Tour!« Die beiden rauhen Krieger sind ganz erschüttert von solcher Leistung. Das sähe man den Damen nicht an, nein wirklich nicht, daß sie solche Touristinnen seien. Bei schönem Wetter könne ja jeder marschieren, aber bei Regenwetter, alle Achtung. »Darauf gestatte ich mir einen Hochachtungsschluck, gnä'ges Fräuein!« Und dann nach einer Pause: »Mein Name ist übrigens Meyr, Meyr ohne e am Ende.« Und der andere stellt sich auch vor. Er hieße Kind. Die Damen lachen. Kind klingt so ulkig für einen Herrn mit einen solchen langen Schnurrbart. Aber Meyr bemerkt: »In der Kompanie heißt er das Baby!« Na, nun kennt man sich. Es dauert gar nicht lange und man weiß, daß Herr Meyr Beamter ist – sein Vater hat ein Gut bei Dingsda, und Herr Kind ist Kaufmann. Und anderseits weiß man, daß die Damen auf Besuch bei der Tante sind. In dem kleinen Nest sei es ein bißchen sehr langweilig, die Kinder liefen Gefahr, dort zu verbauern. Jedes Jahr kämen sie ein paar Wochen nach Hannover. Die Mutter ließe sie zwar ungern weg, sie könnte sie im Hause schlecht entbehren, aber sie, die Tante, setzte doch immer ihren Willen durch. Junge Leute müßten doch etwas vom Leben haben.
»Na natürlich,« sagte das Baby und bestellt noch ein Glas Bier. Für die Damen wird es aber jetzt Zeit, zu gehen. Sie verabschieden sich hastig, als die Herrn noch halbvolle Gläser haben. Die Tante ist eine kluge Frau. Nicht überstürzen! Sonst werden sie kopfscheu. »Nein, nein,« dankt sie, »wir fahren,« und lehnt die Begleitung ab. »Nette Mädels,« sagt das Baby. »Ja« meinte der andere. »Du,« fährt das Baby sentimental fort »es tut einem doch ordentlich mal gut, wenn man mal den Gebildeten markieren kann. Diese ewige Kommißsimpelei am Stammtisch und das andauernde Kneipen macht einen schließlich zum Kaffern. Man verliert allen Schliff.« Der andere findet das auch und denkt an etwas Unbestimmtes, das aber hübsch sein muß, denn seine runden Augen sehen ordentlich träumerisch aus.
Am anderen Tage sind sie wieder im Zoologischen. Aber die Tante mit ihren Küken ist nicht da. Die beiden sind ganz starr. Sie warten zwei Stunden, aber sie kommen nicht. Sie gehen hin und sehen die Raubtierfütterung an, steigen ins Affenhaus, aber sie mopsen sich überall. Endlich schleichen sie bekümmert zum Stammtisch und zeichnen sich hervorragend durch Stumpfsinn aus.
Am dritten Tage hat nur Herr Kind frei. Meyr hat Dienst. Das Baby fühlt sich zum Zoologischen gezogen. Zwei Kameraden suchen ihn zu einem Dauerskat im Steuerndieb zu erschlagen. Aber er bleibt standhaft und springt beim Neuen Haus in die Elektrische.
Diesmal sind sie da. Er kennt sie erst gar nicht in den frischen weißen Kleidern. Vorgestern hatten sie rosa und hellblau an. Sie sehen entzückend aus. Er schlängelt sich durch die Reihen und steuert gerade auf sie los. Die Tante hatte ihn schon längst gesehen und die Mädchen benachrichtigt, aber keiner von den dreien sieht auf und sie tun alle furchtbar erstaunt, als sein langer Schatten über den Tisch fällt und er, die Hand an der Mütze, »guten Tag« wünscht und fragt, ob er Platz nehmen dürfte. Er sollte auch von seinem Freunde grüßen, der leider dienstlich verhindert sei.
Am Nebentische sitzt wieder die Familie, die neulich auch in der Nähe saß. Neidisch sieht die Mutter herüber. »Sieh', Guste, der Einjährige ist doch wiedergekommen. Mich soll nur wundern, ob daraus was wird. Vier Wochen hat die Alte mit den beiden Mädchen dagesessen und gelauert, und nun häöb'n se endlich einen. Er ist gestern wie verrückt hier rumgelaufen und hat sie gesucht. Aber gestern waren die nicht da. Sie hatten wohl noch nicht ihre Klatern gebügelt. Möchte bloß wissen, was das für Mädchen sind! Aus Hannover sind se doch nicht.«
»Nein,« erwiderte die Tochter, »und was Feines ist das auch nicht. Vorgestern häöb'n se sich kenne gelernt und heute strahlen se'n an, als ob se'n aufessen wollten. Und dabei hat er das ganze Gesicht voll Pickel. Ich glaube, es ist derselbe Einjährige, der immer im Rheinischen Hof Ganze trinkt. Weißt du, der damals zu dem Kellner sagte: »Häöben Se kein größeres Gemäß als diese Vogelnäpfe?«
»Tjäö,« meint die Mama, »das wird wohl so 'ne Sommerliebschaft werden. Er wird jeden Tag bei ihnen für'ne Mark fünfzig Aufläöge essen und für'ne Mark Flaschenbier trinken, und wenn er sein Jahr hinter sich hat, dann is'r wege.«
»Na,« meint das Töchterchen, »danach sieht die Alte nicht aus. Das ist auch bloß Trick gewesen, daß sie gestern nicht da war. Sei mal still. Hörste's was sie sagt?« Aufmerksam spitzen sie, auf die Handarbeit gebückt, die Ohren. »Nein, Herr Kind, morgen, das geht nicht. Jeden Tag können wir nicht hierher. Morgen haben wir Plättetag. Ich meine, junge Mädchen müssen alles können. Man kann nie wissen, wozu sie es nötig haben. Meine Tochter hat alles gelernt, von Kartoffelschälen und grobe Wäsche waschen bis zur Buchführung und Sprachen. Mein seliger Mann wollte es so. Na, und sie hat es gebrauchen müssen anfangs. Die ersten Jahre hat sie arbeiten müssen, daß sie nicht zur Besinnung kam, im Hause und im Geschäft. Das Geschäft ging schlecht, und ihr Mann konnte sie als gute Korrespondentin und Buchhalterin gebrauchen. Bis es dann auf einmal besser ging. Jetzt hat sie 3 Mädchen und braucht sich um nichts zu kümmern. Aber geschad't hat's nichts.«
Herr Kind ist ganz erschüttert. Donnerja! Wenn er fertig ist mit seinen Jahr, will er sich selbständig machen. Das wäre ja famos, solche Perle als Frau. Aber am Nebentisch sehen sich Mutter und Tochter an, und die Tochter flüstert: »Ach, jetzt weiß ich auch, wer das ist. Das ist ja die Meckler, die immer in Bellavista saß. Vier Bräutigams hat die Tochter gehabt. Erst'n Studenten, dann'n Kaufmann, dann'n Ingenieur, und zuletzt wieder'n Kaufmann. Den behielt se glücklich. Die und Buchführung! Über ihre Liebhaber hat sie wohl doppelt Buch geführt! Und Sprachen! Die Augensprache, die konnte sie aus dem ff! So wie ein junger Mann sich seh'n ließ, klapperte sie gefährlich mit den Augen.«
»Änne, du wolltest doch deinen Hermann besuchen,« meint drüben die Tante. Herr Kind erblaßt und seine Bickbeerenaugen gehen ängstlich von einem Gesicht zum anderen. »Woll'n Sie mit?« fragt Änne. Er weiß eigentlich nicht, was kommen soll, aber er will auch nicht fragen, wer Hermann ist. So zottelte er mit. Linchen und die Tante sehen sich mit verständnisvollen Blicken an.
Ännchen steuert auf den Bärenkäfig zu. »Hermann, Hermann,« ruft sie mit ihrer hellen Stimmen. Ein dicker, langhaariger Kopf taucht auf und eine lange Schnauze schiebt die Unterlippe löffelförmig durch das Gitter. Es ist Hermann, der Lippenbär. Das Baby seufzt erleichtert. »Also das ist Ihr Hermann?« Die Kleine lacht: »Ja, was dachten Sie denn?« Der große Mensch wird rot. »Ich dachte schon, es sei jemand, der Ihrem Herzen teuer wäre!« Die Kleine wird rot. »Das ist er auch; er ist so drollig, der Dickkopf,« und damit wirft sie, sich vorbeugend, daß unter dem weißen Kleidchen eine zierliche Wade sichtbar wird, dem Bären ein Stück Zucker zu. Und dann, über die Schulter sehend, meint sie: »Oder glaubten Sie, daß ich sonst wen suchte?« Der arme Kerl ist völlig fertig. Wie sie da über der Balustrade liegt und ihn über die Schulter ansieht, das hält sein Kriegerherz nicht aus. Seine Stimme wird etwas heiser, als er flüstert: »Ja, ich fürchtete es beinahe!« Da lachte sie und wird dann ganz rot, sagt aber nichts, als seine Hand fest die ihre umspannt, wie er ihr behilflich sein will, mit dem Sonnenschirm das hineingefallene Stück Kuchen aufzuspießen.
Als sie wieder am Tisch ankommen, ist Meyr auch da, und zwar mit zwei dicken Veilchensträußen. Er neckt das Baby, weil dieses daran nicht gedacht hätte. Sie müßten den Damen doch danken dafür, daß sie ihnen Unterkunft gewährt hätten. Eigentlich müßte er ja etwas verlangen, daß er gestern vergeblich mit dem Baby hier heraus gefahren sei. Das Baby hätte geweint, als die Damen nicht dagewesen wären.
Heute geht man schon gemeinsam heim.
Am nächsten Sonntag schmeißen sich die beiden Krieger in Wichs und steigen nach der Hildesheimer Straße. Auf ihr Klingeln öffnet ihnen Ännchen. Sie hat ein blaues billiges Waschkleid an und eine weiße Küchenschürze um. Um den Krauskopf hat sie ein Küchenhäubchen, die Arme sind bloß. »Acherje!« ruft sie, als sie aufmacht, »ich dachte, es wäre der Milchmann!« Dann ruft sie die Tante. Zehn Minuten führt die die Unterhaltung, dann ruft sie den Mädchen rein. Linchen hat ein graues Waschkleid an. An einem ihrer runden Ellenbogen sitzt ein bißchen Mehl. Herr Meyr ist ganz alle. Er vergißt ganz den Reserveleutnantston beizubehalten. Er ist gar kein Grüner, aber es ist die alte Gesichte: ein Häubchen und ein Küchenkleid und ein weißes Schürzchen, das ist doch die gefährlichste Tracht. Na, und das Baby, das macht ein Gesicht, als hätte es eben sein Leibgericht gegessen. Er läßt kein Auge von Änne und gibt ihr beim Abschied so zärtlich die Hand, daß er selbst darüber erschrickt. Beim Mittagstisch uzen sie sich gegenseitig mit ihrer Verliebtheit.
Abends essen sie aber bei der Tante. Das Baby schwärmt beim Heimwege von dem Segen der Häuslichkeit, und als er in der Kulmbacher das zehnte Glas binnen hat, kriegt er das heulende Elend und will durchaus nicht in seine ungemütliche Bude, wo, wie er sagt, der Geist der Verlassenheit auf allen Stühlen sitzt.
Das übrige tut ein Ausflug nach Niedersachsen. Man regnet im Walde ein. Das Baby bringt wirklich die verheißungsvolle Frage heraus. Nicht lange darauf geht auch Meyr mit Line Arm über die Schorsestraße.
Im Zoologischen sieht man die Tante nicht mehr.
»Sie häöb'ns jetzt nicht mehr nötig,« seufzt die Tochter vom Nebentisch.
»Ich wollte, ich könnte das auch erst säög'n,« meint die Mama.
Und knurrig ruft sie einem alten, pustenden Herrn, der nach dem freien Stuhl fragt, ihr »Bisetzt« zu.