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Strandgang

Seewind wehte gestern. Er brachte Regen mit und warf die Wellen weit über den Strand bis an das hohe Ufer.

Heute weht der Wind vom Lande und treibt das Wasser vor sich her, daß der Strand breit und trocken ist. Die Sonne steht blank über der hohen See und wärmt die Luft an.

Gestern war alles tot hier zwischen Meer und Land. Hungrig flogen die Schwalben vor meinen Füßen her und schnappten die Motten fort, die ich beim Gehen aufstörte, und all das lustige Vogelvolk, das sich sonst auf den Schlickbänken umhertreibt, hatte sich auf die Weidekoppeln im Binnenlande verzogen.

Heute fahren die Schwalben lustig zwitschernd über mich hin, Hummeln brummen um die Stranddistelblüten, weiße Falter tanzen über die gelben Katzenpfötchen und die roten Sandnelken, und bei jedem Schritt trete ich aus dem weißblauen Helm allerlei Kleinvögel fort, die auf der Südlandsreise begriffen sind.

Das meiste Leben aber ist an den Fluttümpeln und Seegrasbänken am Strande. Sandregenpfeifer rennen zwischen dem blitzenden Feuersteingeröll und den schimmernden Miesmuschelhaufen hin, Strandläufer schwirren fröhlich trillernd dicht über die Flut, bald hier, bald dort einfallend, Kiebitze haschen Fliegen, die die verwesenden Quallen umsummen, Brachvögel stelzen bedächtig durch das Seichtwasser und fischen Flohkrebse aus den Tangbüscheln, in allen Buchten liegen Enten, hier Stockenten, dort Brandenten, und da Tauchenten, die alle Augenblicke untersinken und nach einer Weile wieder emporkommen, und überall schweben Möwen.

Ich schleiche hinter den hohen Sanddornbüschen her, die von reisenden Vögelchen belebt sind, und zwischen denen allerlei hohe Stauden mit roten, weißen, blauen und gelben Blüten prahlen, und werfe, wo eine Lücke ist, einen Blick nach dem Strande, nach Beute spähend, aber nach rechtschaffener, denn es widersteht meinem Herzen, mit Schrot zwischen die fröhlichen Scharen der Strandläufer und Brachvögel zu knallen, auch habe ich keine Lust, mich hinter eine der hohen Seegrasbänke anzulegen und zu lauern, bis ein Flug Enten vor mir einfällt. Die Reiher aber dort unter dem hohen Ufer locken mich. Dreizehn Stück stehen da und heben sich leuchtend von der grauen, silbern aufblitzenden Flut ab.

So schlage ich denn einen Bogen, bis ich hinter den Dünen verschwinde, und wate durch den weichen, weißen, von der Sonne angewärmten Sand, in den die vom Winde herumgedrehten Helmblätter Kreis an Kreis gezeichnet haben, so genau, als wären sie mit einem Zirkel geschlagen. Lerchen und Pieper stehen vor mir auf, Steinschmätzer rennen über das Geröll, Kreuzkröten krabbeln dahin und ein Hase fährt dicht vor mir aus der Sasse und stürmt kopflos von dannen, daß der Sand fliegt. Allerlei finde ich unterwegs; tote Schwalben, die der Regensturm umbrachte, von den Krähen verschleppte Taschenkrebse, eine Lachmöwe, die irgendein roher Schießer im Lande anschoß und die hier ihr Ende fand. Sie ist noch ganz frisch.

Langsam steige ich den von Labkraut, Quendel, Glockenblumen und Schafgarben goldgelb, rosenrot, himmelblau und schneeweiß gemusterten Hang hinauf, sehe den Krähen nach, die quarrend abstreichen, und dem Turmfalken, der in der Luft steht und auf eine Maus lauert, und quäle mich dann durch das silbergraue Verhau der Sanddornbüsche hindurch, um zu sehen, wie ich an die Reiher herankomme. Aber ich bin noch viel zu weit von ihnen, ich muß wieder zurück und noch einen Bogen schlagen und mich abermals durch das stachlige Bollwerk quetschen, und wie ich endlich den Kopf herausstecke, sehe ich ein, daß es immer noch zu weit ist, und zum dritten Male krieche ich zurück, bis ich endlich so weit bin, daß ich in der Höhe der Reiher anlange. Vorsichtig schiebe ich mich durch das Buschwerk, da saust es laut über mir, ein breiter Schatten fährt vor mir über den Strand, ich höre die Reiher aufkrächzen und wie ich vorspringe und die Büchse spannen will, erblicke ich einen gewaltigen, braunen, breitklafternden Vogel, der mit mächtigen Stößen den Reihern nachjagt, den vorletzten greift und unter gellendem Siegesgelächter mit ihm um das Steilufer hinwegschwebt.

Einer der beiden Seeadler war es, die ich vorgestern hoch am Himmel kreisen sah, und die den Hasen griffen und die Enten schlugen, deren Reste ich gestern in den Dünen fand. Er hat mir die Reiher vertrieben, der Meerkönig, und die Enten vergrämt, denn soweit ich auch mit dem Glase den Strand abspähe, ist alles kahl und leer. Doch ich bin ihm nicht böse, dem wilden Wiking, schenkte er mir doch einen Anblick, lieber mir als ein glücklicher Schuß auf einen Reiher und ein Vierteldutzend Enten am Rucksackgalgen. Und ich gelobe es mir, sollte er mir dieser Tage schußgerecht kommen, der königliche Strandräuber, Weidmannsheil und froh Gejaid will ich ihm zurufen, aber nicht die Waffe auf ihn richten, denn allzu sparsam ist seine Art geworden.

Aber ganz ohne Beute will ich nicht heimkommen. So steige ich denn zum Strande herab, wate durch das Seichtwasser und baue mir aus Seegras und Zweigen einen Schirm, unter dem versteckt ich der Enten warte, die über kurz oder lang hier einfallen werden. Lang wird mir die Zeit nicht. Weiße und braune Segel tauchen da auf, wo See und Himmel sich einigen, ein gewaltiger Dreimaster zieht dahin, ein Dampfer qualmt vorüber, Silbermöwen streichen am Strande entlang, und hier und dort fällt allerlei kleines Geflügel am Strande ein und trippelt und rennt dort trillernd und flötend umher. Eine Stunde vergeht so im Fluge, und nun kommen auch die Enten.

Zwölf Stück Stockenten sind es, die über der Kante des hohen Ufers auftauchen, seewärts schwenken, sich senken, wieder emporsteigen, abermals niedergehen, noch einmal hochflattern und schließlich vor mir hinplatschen, so nahe, daß ich sie bequem langen kann. Zweimal knallt es. Zehn Enten flattern mit Angstgequarre davon, zwei bleiben zurück, und auch eine dritte sondert sich ab und kommt herunter. Mit einem dritten Schusse mache ich ihrem Geflatter ein Ende.

So gehe ich nicht mit ledigem Rucksack heim, wie gestern und ehegestern, und die Frau des Leuchtturmwarts bekommt frisches Fleisch zum Sonntag in die Pfanne. Aber lieber noch, viel lieber als die drei Grünkragen, die am Rucksack baumeln, ist mir die Erinnerung an den Augenblick, da ich den Meeraar jagen sah.


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