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Abseits der Welt

Der Uhu sang mich gestern abend in den Schlaf, und der Waldkater. Der Föhn spielte die Begleitung zu dem seltsamen Zwiegesang.

Das Quarren des Kuders und das Juchen der Eule hob sich herrlich von dem dumpfen Geheule des Tauwindes ab, der die Edeltannen auf grausame Weise mißhandelte, so daß sie ächzten und stöhnten, und ab und zu schrill aufschrien.

Ganz allein lag ich in dem Blockhause auf der Pritsche, rauchte, las in Meister Eckehardts Predigtbuche und lauschte bald dem Untertone seiner Rede, bald dem was Uhu, Wildkater und Sturm mir sangen von Schneeschmelze, Frühling und neuem Leben, bis der Sandmann kam und ich die Laterne ausblies, in den Schlafsack kroch und bei dem wunderschönen Wiegenliede einschlief.

Der Föhn ist stumm geworden, der Kater läßt nichts von sich vernehmen und der Uhu schweigt. Wie ein leises stetiges Atemholen ist es rundumher, mehr zu ahnen, als zu hören. Die wenigen Sterne am dunklen Himmel sehen müde aus und ganz blaß und übernächtig steht der Mond hinter der zerfetzten Wettertanne, bis eine Wolke ihn langsam, aber unerbittlich dahin bringt, wo er schon längst sein sollte.

Ich stehe in dem Türloche der Jagdhütte und horche in die Stille hinein, die den Urwald erfüllt und durch einen schüchternen Mausepfiff und durch den dünnen, kläglichen Ruf einer wandernden Drossel noch mehr vertieft wird. Ich lausche, ob mein Hahn noch nicht erwacht ist. Fünf Morgen habe ich damit verbracht, ihn festzumachen. Jeden Morgen hörte ich ihn balzen; doch wo er stand, das fand ich erst gestern früh heraus. Aber das Schneetreiben war so stark und der Sturm so arg, daß ich nicht bis zu ihm hinfand.

Ein Brausen zerstört auf einen Augenblick die Stille; schon ist es vorbei. Ein Stück Urgeflügel war es, das vorüberstob. Ein Windstoß schüttelt den Schneebehang von den Zweigen, und noch einer. Dann tritt wieder Ruhe ein. Eine Wanderdrossel nach der anderen streicht über mich hinweg, so angstvoll pfeifend, daß mir das Herz wehe tut. Aber dann geht es mir warm über die Brust. Unter mir, an der Steilwand, heult der Uhu. Dunkelblutrot hört sich das an. Mir ist zumute, als könnte ich sein Rufen sehen.

Nun ist es an der Zeit. Ich setze die Kappe auf, hänge den Drilling unter die Schulter und taste mich an dem Stricke, den ich von Stamm zu Stamm spannte, an dem Abgrunde entlang. Ganz langsam muß ich gehen und sehr vorsichtig; trete ich fehl, so fressen mich unten an der Wand die Füchse und die Raben. Und leise muß ich sein, denn es ist nicht unmöglich, daß der Hahn da balzt, wo ich gehe; unter drei weit voneinander entfernten Tannen fand ich seine Balzlosung. Ein unbeständiger alter Geselle ist es.

Ich glaube, ich bin an Ort und Stelle. Zur rechten Hand muß die Zwillingstanne stehen, in der er gestern sang, zur linken die, der der Sturm den Wipfel nahm, und vor mir die krumme, die aus der Klippe heraushängt, und dann jäh aufsteigt. Und hier ist ja auch mein Felsensessel mit der bequemen Rückenlehne, auf dem ich gestern saß und horchte, während der Schnee mich umstob und aus dem Geschnaufe und Gefauche des Sturmes ab und zu das Balzen des Hahnes verloren zu mir herkam.

Ich mache es mir gemütlich und stecke mir hinter der vorgehaltenen Kappe die Pfeife an, das beste Mittel gegen Grillen und Grappen. Irgendein Etwas krispelt und kraspelt über mir herum; ein Gartenschläfer wird es sein. Ich höre, wie er die Knospen zerraspelt. Dann bekommt mein zerdämmertes Bewußtsein einen Ruck; ich höre meinen Hahn anbalzen. Aber er ist es nicht; es klingt anders, geringer, jünger, und ist unter mir an der Wand. Es wird ein schwächerer Hahn sein. Aber es ist nichts dergleichen. Der Wind stieß ein paar dürre Zweige gegeneinander.

Ich dämmere wieder in mir zusammen. Die Dunkelheit um mich beginnt zu flimmern und zu funkeln, und die Stille flüstert mir leise Lieder zu. Ich höre Stimmen, die ich längst vergaß, und sehe Gesichter, die es nicht mehr gibt, horche meinem Herzschlage, und lausche auf das Klingen des Blutes in meinen Schläfen. Dann tönt eine lustige Stimme zu mir her, ein rosiges Kinderantlitz verscheucht die bleichen Nachtgesichter und lächelt mich an, zwei Händchen greifen nach meinen Backen, und ein blondes Köpfchen huschelt sich an meine Schulter. Ich blicke auf; mein Traum ist vorbei, und mit leeren Augen starre ich ihm nach.

Ein herber Hauch schüttelt die Zweige und stößt sie zusammen, daß sie leise klappern. Mich schaudert es vor Einsamkeit. Fünf Tage war ich froh, allein sein zu können; nun sehne ich mich nach einem Menschenherzen. Und dann lächle ich, aber ein bißchen bitter; man bleibt ja doch immer allein mit seiner Seele. Das weiß ich schon so lange; aber die Sehnsucht bettelt darum doch Tag für Tag vor der Türe, und nachts erst recht, und tritt man sie auch noch so oft fort. Ich sehe mich nach der Vergangenheit um; die ist verworren und finster, wie ein abendlicher Wald, und die Zukunft ist ein Abgrund, voll von Nebel. Aus grünem Laub wird Moder und aus weißen Blüten Mulm, süße Gesichter sind fleischumhüllte Totenschädel und aus warmen Blicken blitzt kalte Selbstsucht.

Wieder läßt ein Windstoß vor mir die Zweige klappern. Doch nein, denn das ist, wirklich, der Hahn ist es! Ganz deutlich höre ich das. Ich wische die grauen Spinnweben von meiner Seele und erhebe mich. So, jetzt kommt der Hauptschlag; eilig, aber behutsam schleiche ich voran. Es ist noch sehr grau, aber doch schon licht genug für meine an Nacht und Nebel gewöhnten Augen. Aber nun muß ich innehalten. An einen Stamm gelehnt, harre ich bis zum nächsten Male. Eine blödsinnig geformte Klippe schneidet mir eine alberne Fratze. Ein zersplitterter Stumpf streckt gierige Hände nach mir aus. Lange Bartflechten winken mir höhnisch ab. Um mich herum schleicht das Grauen und versucht, mir bange zu machen. Ich puste ihm den Tabaksdampf in die Fratze, und es verschwindet.

Weiter! Bis zu der nächsten Klippe muß ich dieses Mal kommen. Ein übles Anspringen gibt das, denn scheußlich viel Geknick liegt am Boden, und alles ist voll von Schotter. Gut, daß ich Gummi unter den Sohlen habe; so erreiche ich die Stelle ohne Geräusch, wenn auch mein Herz Polka tanzt. Aber kühl ist es hier; der Wind hat sich wieder aufgemacht, und die Wipfel brummen und summen unwillig. Weiter, weiter, mit schnellen, leisen Sprüngen über Stock und Stein, Moos und Mulm, Gras und Grus! Halt! der Hahn verschweigt. Hat er mich vernommen? Reitet er ab? Nein, er hat sich nur überstellt. Wie schön er schleift und wetzt! Ein ganz alter Bursche muß es sein. Und ganz nahe bin ich ihm. Noch ein Ansprung und ich bin unter ihm.

Da! Ein dumpfes Gedonner; fort ist er. Aber es prasselt schon wieder; er hat sich nicht sehr weit eingeschwungen, in der Klippenfichte wahrscheinlich. Richtig, er balzt schon wieder, und ganz toll und wild. Also dahin in hastigen Sprüngen, und wenn das Herz auch noch so dröhnt, aber vorsichtig, unter Deckung, denn ganz sichtig ist es mittlerweile geworden. So, da wäre ich; die tiefen Äste decken mich gut. Ganz dicht bin ich bei dem Hahne. Aber wo ist er? Ich verrenke mir den Hals und überanstrenge meine Augen, und sehe nichts als grauweiße Luft und schwarzgrüne Gipfel. Himmel, ich bin ja fast unter ihm; ganz deutlich klingt der Hauptschlag auf mich herab! Und jetzt habe ich ihn im Blicke; auf dem langen, geraden Ast steht er, ein langes, gerades Ding, schwarz und groß. Aber ist er es auch wirklich, und nicht etwa ein Zweig? Das Frühlicht ist ein gröblicher Schwindler und hat seine Tücken. Ich stiere und starre und weiß es nicht: soll ich schießen, oder lasse ich es bleiben?

Aber jetzt erkenne ich ihn ganz genau, Kopf und Kragen, Schwingen und Stoß sehe ich, und Schnabel und Bart. Das ist einer, der den Schuß lohnt. Aber ob schon genug Licht da ist für Korn und Kimme? Denn mit Hagel möchte ich ihn nicht herabholen. Vorsichtig hebe ich den Lauf und hole mir Himmelslicht. Es wird gehen. Aber ich will lieber noch einige Augenblicke warten. Und doch nicht; wer kann einem alten Hahn trauen? So einer hat seine Launen und seine Mucken, und frisch gewagt ist schon gewonnen. Aber einstechen und abziehen muß eins sein in diesem Falle. Darum: ein, zwei, drei! Es hat geknallt, und ich stehe da und zittere, daß mir die Knie beben, und starre in den Dampf und lausche mit aufgerissenem Munde. Aber dann rauscht und bricht und poltert es, und wie ein Sack plumpst der Hahn vor mir nieder, und hinter ihm her stöbern die Federn.

Was ist das? Hat der Feuerstrahl die Dämmerung zerrissen und der Schuß die Stille zerbrochen? Es ist ja auf einmal taghell um mich geworden, und die Wipfel sind voll von Goldhähnchengepiepe und Meisengezwitscher! Und über mir steinelt es laut von flüchtendem Rotwild! Und unter der Wand rufen die Raben! Aber der Hahn vor mir liegt so schwarz da, wie die Nacht, und so stumm, wie sie; kein Leben ist mehr in ihm. Ich nehme ihn auf; da geht ein Zittern durch die mächtigen Schwingen, der Stoß hebt und fächert sich und fällt schlaff zusammen, und aus dem gewaltigen Schnabel tropft es rosenrot in den Schneefleck.

Ich knicke einen Bruch von der Fichte, vor der er sein allerletztes Liebestrutzlied sang, färbe das Zweiglein rot, und stecke es an die Kappe, stecke auch eins dem edlen Sänger in den stummen Schnabel, glätte sein ehernes Gefieder, trage ihn sorglich zur Hütte und hänge ihn an der Fichte auf, so daß die ersten Sonnenstrahlen auf den erzgrünen Kragenfedern spielen können.

Ab und zu fällt ein dicker, roter Tropfen aus seinem Schnabel auf die bunte Steinplatte unter ihm; seltsam sieht das aus, und sonderbar hört sich das an. Einmal will mir so sein, als habe ich grausam gehandelt.

Aber gibt es wohl einen schöneren Tod, als mitten im Singen zu sterben?


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