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Am schwarzen Luch

Einen gehörigen Ruck mußte ich mir geben, als der Nachtwächter in mein Fenster hineinrief: »Aufsteh'n! Drei Uhr!«

Denn lang war der Tag gewesen, heiß und voller Verdruß. In aller Frühe hatte ich geweidwerkt, hatte über Mittag gepirscht und abends angestanden; aber alles war umsonst. Und als ich todmüde auf das Bett fiel, ließ mich das Gewitter nicht vor Mitternacht einschlafen.

Aber nun bin ich froh, daß ich mich nicht auf die andere Seite gedreht habe, denn dieser Morgen ist frisch und kühl. Die Wiesenblumen biegen sich im Tau, der Wachtelkönig schnarrt im langen Grase, die Unken läuten und das Geplärre der Frösche schallt mit dem Quarren der Taucher vom See herüber. Dazu schlagen die Nachtigallen und schwatzen die Rohrsänger.

Ich überlege einen Augenblick, unterdes ich auf das dumpfe Brummen der Dommel und das helle Quieken der Wasserhühner hinhorche und einen Blick auf den Fuchs werfe, der wie ein Schatten im Nebel auftaucht und darin wieder untergeht, ob ich an dem See entlang pirschen oder zwischen den Kleeschlägen umherspähen soll; hier wie dort ist mir ein Bock sicher. Aber dann denke ich an den alten Schlauberger vom schwarzen Luch und mache, daß ich in die Heide komme.

Da ist es feierlich still. Gespensterhaft stehen die Wacholderbüsche da und die verkümmernden Kiefern schneiden mir sonderbare Gesichter. Kaninchen huschen lautlos vor mir fort; dann und wann warnt eins mit lautem, unheimlich klingendem Klopfen. Auf dem Windbruche singt der Steinschmätzer sein Nachtlied, und in der Ferne spinnt und pfeift die Nachtschwalbe.

Vorsichtig schleiche ich über den moosigen Boden, der noch weich von dem Gewitterregen ist, bleibe alle zehn Gänge einen Augenblick stehen und lausche hin und her. Ein Rotkehlchen ist erwacht, geistert vor mir her und warnt leise, eine Kreuzkröte rennt eilig über den Fußpfad, eine Ohreule streicht lautlos vor mir ab; weit weg ruft der Kuckuck.

Nun bin ich auf der Höhe des Sandberges und spähe nach dem Luch hinab, in dem die Unken feierlich läuten, und von dem der betäubende Duft des Sumpfrosmarin heraufkommt. Der Spring rieselt verstohlen in dem buntgeblümten Wiesengrunde, unter den grauen Morgenwolken dudelt die Heidlerche ihr liebes Lied, und von irgendwoher schallt der eintönige Ruf des Wiedehopfs.

Der Nebel liegt ganz fest auf dem vermoorten Heidsee. Einmal will es mir scheinen, als tauche das Haupt eines Rehes darin auf; im nächsten Augenblick ist die Erscheinung verschwunden. Eine Krickente ruft, eine Bekassine meckert, eine Ralle pfeift; alle diese Laute sind auf lange Zwischenräume verteilt und machen die Stille noch stummer.

Kühl weht es aus dem Luch heraus, so daß mich ein Frösteln ankommt. Und mir fällt ein, daß dieser Ort verrufen ist, denn vor Jahren wurde hier der junge Förster tot aufgefunden; ein Schrotschuß hatte ihm das ganze Gesicht fortgerissen. Die Nebel tanzen hin und her, geben einen Schatten frei, der zwischen ihnen ist, hüllen ihn wieder ein, und ich höre es keuchen und von dannen prasseln. Dann vernehme ich einen gellenden, plärrenden, schrecklichen Schrei, und ein Poltern hier und da und nehme die Büchse herunter, mache scharf und spähe hin und her und her und hin. Aber der Schrei ist verweht und ringsum ist es wieder still.

Das erste Rotkehlchen singt und eine Drossel flötet sich aus dem Schlafe, ein kühler Wind macht sich auf und stößt die Zöpfe der Kiefern gegeneinander, daß mir kalte Tropfen auf Nacken und Hände schlagen. Da merke ich, daß es ganz hell um mich geworden ist und daß der Nebel nicht mehr auf dem Luche liegt. Aber kein Reh steht an seinem Rande, auf dem stolzer Hahnenfuß seine goldenen Blumen emporreckt und rosige Knöterichrispen den Tau von sich schütteln. Doch hinter dem weißblühenden Sumpfrosmarin zwischen den kranken Kiefernstangen, die von dem Torfmoose um ihr Leben gebracht werden, war eben ein Etwas, das sich bewegte. Der alte Bock mit dem weißen Gesicht wird es gewesen sein.

Ich lasse die Stelle nicht aus den Blicken. Mücken umsingen mich und setzen sich auf meine Handgelenke. Ich blase ihnen den Pfeifenrauch zu. Ein Holzbock kriecht langsam über meine rechte Hand und sucht eine Stelle, wo er sich einbohren kann. Ich setze ihn so lange unter Dampf, bis er still liegt. Ich starre aber immer dahin, wo hinter den weißen Blumen der graue Schatten hochkam, und lauere und lauere, bis er endlich wieder da ist und ich erkennen kann, daß es der alte greishäuptige Raufbold von Bock ist, der keinen anderen in seiner Nähe duldet und die ganze Ecke hier von Böcken blank gemacht hat.

Stolz und steif steht er da, gut gedeckt von den mit greisen Flechten bedeckten Kiefernstangen. Nur eine Handvoll von seinem Blatte gibt er frei und den halben Hals. Ab und zu schlägt er mit den Lauschern die Mücken ab; gleich darauf aber steht er wieder da wie hingemauert. Ich überlege, ob ich nicht zu ihm hin kann; doch das geht nicht. Er hat sich einen sicheren Stand ausgesucht. Das Luch schützt ihn hier und da, und an der dritten Seite der Luftzug. Eine Stunde würde es dauern, umginge ich ihn, und dann ist er vielleicht wer weiß wo schon.

Ein bißchen weit ist es ja bis drüben hin; doch wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Ich nehme ihm das Maß und mache den Finger krumm. Mit Angstgequake stehen drei Erpel auf, die in dem Luche lagen, eine Misteldrossel zetert, und ein Specht schimpft. Ich warte und horche und spähe; aber drüben ist es still bis auf das Getriller der Haubenmeisen. So steige ich denn den Abhang hinab, wate durch die moorige Wiese, schleiche, so leise es geht, nach dem blühenden Sumpfrosmarin hin, und stehe dann bei dem alten, sehr alten, zu alten Bock vom schwarzen Luch, der keinen anderen neben sich dulden wollte.

Denn sein Gehörn ist häßlich; schwarz ist es und schlecht vereckt, ohne Perlung und brandig. In seinen Lichtern ist ein grünes Glimmen, das von Angst und Haß bis über den Tod hinaus spricht und laut zu mir redet: »Ich wollte ja weiter nichts mehr vom Leben als Einsamkeit und Ruhe; konntest du das mir wenigstens nicht lassen?«

Fast ist mir so, wie ich den Sandberg hinaufsteige und er mir den Rücken wärmt, er habe recht. Aber dann denke ich: wer weiter nichts vom Leben will, hat auch darauf keinen Anspruch mehr.


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