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Auf dem Brombeerbusch sitzt der Goldammer und singt in einem fort: »Wie, wie hab' ich dich lieb!« Aus der hohen Hängebirke flötet der Ortolan beständig: »Ich bin müde«, und hoch vom Himmel herab dudelt die Heidlerche unentwegt ihr Schlummerlied.
Ich recke und strecke mich und sehe nach der Uhr. Über eine Stunde habe ich hier im Sande gelegen und geschlafen. Das hat mir gut getan, denn kurz war meine Nacht und lang der Morgen heute. Kreuz und quer habe ich das Moor abgepirscht, bis es mir vor den Augen flimmerte von dem unermüdlichen Gezappel der weißen Wollgrasblüten. Den schwarzen Bock mit dem kurzen Gehörn traf ich aber ebensowenig an, wie die Tage vorher.
Es ist heiß geworden; die Luft schlägt sichtbare Wellen über dem Heidbrinke. Der Wind, der heute morgen ging, hat sich gelegt, denn die Unterstunde ist da. Die Menschen, die auf dem Moore und im Felde schaffen, ruhen sich aus, und die Tiere der Sonne leben auf. Um die jungen Schüsse der Fuhren flittern purpurne Libellen, blaue Falter flattern über die Heidkrautzweige, rote Mordwespen glühen auf und ab, und die Luft blitzt von schnellen Fliegen. Die Hänflinge schwatzen, die Baumpieper schlagen, hoch oben am hellen Himmel kreischen die Turmschwalben, und die Frösche im Graben plärren vor Behagen.
Ich überlege, was ich beginnen soll. Um diese Zeit hat der Bock seinen dummen Gang, und ich kann ihn überall antreffen, aber eben deswegen auch nirgendswo. Es ist möglich, daß er jetzt, wo alles so still ist, auf die Wiese austritt, oder im Stangenorte herumbummelt; doch es ist ebenso wahrscheinlich, daß er in der dicksten Dickung sitzt. So sehe ich denn der Eidechse zu, die breit und faul aus dem Baumstümpfe liegt und hin und wieder nach einer Fliege schnappt, blicke den bunten Sandkäfern nach, die eilig dahinrennen und ab und zu auffliegen und ihre goldgrünen Leiber enthüllen, und entdecke schließlich ein frisch ausgeschlüpftes Nachtpfauenauge, dessen Flügel zusehends länger und breiter werden. Dann ist noch der Steinschmätzer da, der hurtig über die Sandwelle rennt, der Neuntöter, der auf dem alten Rosenbusch sitzt, und der dreihörnige Dungkäfer, der sich bemüht, eine Schafmistkugel nach seiner Erdhöhle zu rollen. So habe ich genug zu betrachten und langweile mich kein bißchen.
Eben beobachte ich eine lange Wespe mit langgestieltem, rotem Bauche, die eine Raupe mit ihrem Giftstachel gelähmt hat und sie nun nach dem Loche zerrt, wo sie ihre Brut hat, und eine kleinere, die es mit einer unglücklichen Spinne ebenso macht, da höre ich den Würger warnen. »Täck täck«, sagt er und wippt mit dem schwarzweißen Schwanze. Er wird ein Kaninchen anmelden, denke ich, drehe mich aber doch zur Seite und blicke nach der Richtung, wohin er den Schnabel hält. Aber da sehe ich zwischen den Fuhrenkusseln zwei Lauscher und mache mich ganz klein, denn ein Reh steht dort. Ich kann nicht erkennen, ob es ein Bock oder eine Ricke ist, und so drücke ich mich noch tiefer in den Sand, bis es aus den Büschen heraustritt und sich als ein rotes Schmalreh mit schwarzem Sattel ausweist. Vertraut zieht es der alten Besamung unter mir zu. Dort macht es ein Weilchen halt, äugt zurück und taucht in den Fuhren unter.
Die Elster in der hohen Pappel schwatzt, Uferschwalben sausen fröhlich plaudernd vorüber, eine Heidlerche trippelt zwischen den Seggenhalmen umher, die Haubenmeisen trillern und die Hummeln brummen. Die Eidechse hat Gesellschaft bekommen. Ein Männchen flitzt um sie herum, stellt sich hoch auf die Beine, wackelt auf schnurrige Weise mit dem Kopfe, schnellt den Schwanz auf lächerliche Art, sucht sie zu packen, wird abgeschüttelt, fährt wieder zu und verschwindet hinter dem davonrauschenden Weibchen im Heidkraute. Das Pfauenauge hat seine prachtvollen Flügel fertig und schwingt sie so heftig, daß eine winzige junge Kreuzkröte mit goldgrünen Augen vor Angst ganz platt wird und dann schleunigst unter ihren Stein zurückkriecht, wobei sie einen Pillenkäfer erschreckt, daß er alle seine Beine anzieht und wie eine Kaffeebohne aussieht. Eine Ameise kommt dem kleinen, sauber ausgezirkelten Trichter vor dem kleinen Wacholder zu nahe, eine Ladung Sand fliegt gegen sie, sie rutscht in die Tiefe, der Ameisenlöwe packt sie und zieht sie hinab. Aus dem Ginsterbusche kommt das dünne Todesgewimmer einer Fliege, die von einer Spinne eingewickelt wird, und eine dickköpfige schwarze Grille sitzt vor ihrem Sandloche und fiedelt lustig.
»Täck täck«, macht der Würger wieder. Ich drehe mich zur Seite und sehe dort, wo das Schmalreh verschwand, den gelben Spiegel eines schwarzen Rehes in den Fuhren versinken. Sofort bin ich hoch, denn dem Bilde nach war es ein Bock. Ich pirsche, so schnell ich kann, unter der Besamung her, aber wie ich an der Schneise vor der Dickung bin, sehe ich hinter den hohen Heidbülten nur einen Streifen vom Widerrist dahingleiten. Ich laufe, was ich kann, bis ich am Kopfe der Dickung stehe, und da passe ich und passe, gewahre den Bock aber nicht. Ich lauere und vertreibe mir die Zeit damit, dem Brachpieper zuzusehen, der auf dem Sandberge umhertrippelt, dem Turmfalken, der über dem Stangenorte Libellen greift, und den Kaninchen, die an den Fuhrenwurzeln scharren, höre, wie die Bienen summen und die reifen Kienäpfel mit Geknister aufbrechen, vernehme plötzlich, wie es in der Dickung laut bricht und brummt und rasselt. Das ist der Bock; er schlägt und plätzt. Das dauert eine kleine weile, und dann hört es auf. Und ich stehe da und starre nach der rauhen Fuhre, die mir den Ausblick auf die Bahn versperrt, und in der unaufhörlich ein Laubvögelchen umherhüpft und auf jämmerliche Weise piept, bis mir das Harren zu langweilig wird und ich in den tauben Graben hineinschleiche, der sich durch den raumen Ort zieht.
Da ist es kühler. Die Bienen summen um die blühenden Himbeeren, die den ganzen Boden überziehen, in den Kronen giert die flügge Meisenbrut hinter den Alten her, die Finken schmettern und der Buntspecht hämmert. Behutsam schleiche ich in der Grabensohle entlang, die ganz mit einem feinen Grase und mit weichem Moose überzogen ist, ängstlich die Kienäpfel und jedes Stück Geknick vermeidend, wenn ein Rotkehlchen meldet oder die Amsel angibt, bleibe ich so lange stehen, bis sie sich beruhigt haben, und ich warte auch, bis der Hase, den ich aufstörte, weiter gehoppelt ist. So komme ich bis auf die Brandrute, die das Holz der Länge nach durchschneidet, spähe nach rechts und links herunter, nehme aber nichts wahr als ein Kaninchen und eine Holztaube, die im Sande Steinchen aufnimmt. Hier will ich bleiben, solange ich es aushalte. Zur Linken liegt das Moor und rechter Hand die Kleewiese. Es ist nicht unmöglich, daß der Bock um die Unterstunde hier herumbummelt. So lasse ich mich denn auf einem ganz vom Moose besponnenen Baumstumpfe nieder, bringe die pfeife in Brand und paffe. Eine große, grüne, blaugezierte Edeljungfer schwebt auf der Brandrute hin und her, ab und zu mit einer blitzschnellen Wendung eine schillernde Schwebfliege haschend. Ein Sperber kommt angeschwenkt, drückt sich an einen Stamm, äugt eine Zeitlang umher und streicht weiter. Das Laubvögelchen zwitschert zärtlich, ein Täuber gurrt, eine Krähe quarrt vorüber. Irgendwo singt der Goldammer, die Heidlerchen dudeln am Himmel, und die Hummeln brummen. Mir werden die Augen wieder klein.
Da kreischt die Amsel gellend auf, der Specht warnt und der Häher sagt an. Ich bin sogleich ganz wach und werfe die Blicke hin und her. Brach es nicht eben da zur Rechten? Ich habe den Mund auf, um besser lauschen zu können. Da bricht es wieder und da ragt ja auch das Haupt eines Rehes über die hellgrünen Himbeeren. Es wird das schwarzrückige rote Schmalreh sein. Nein, es ist eine schwarze Ricke. Und hinter ihr ist noch etwas, der Bock? Ich möchte aufstehen, um weiter sehen zu können, aber ich darf mich nicht rühren, denn die Ricke äugt nach mir hin. Jetzt tritt sie vor den lichthungrigen Wacholderbusch, und hinter ihr her zotteln zwei rote Kitze. Langsam ziehen die drei dem Ende des Stangenortes zu und verschwinden im Gestrüpp.
Ich stehe auf, denn von dem Lauern aus dem niedrigen Sitze ist mir das linke Bein eingeschlafen. Gerade will ich mich nach meiner Pfeife bücken, die ich aufzunehmen vergaß, da höre ich es wieder leise brechen, und wie ich hinsehe, steht ein schwarzes Reh dicht an der Brandrute, das heftig mit den Lauschern nach den blinden Fliegen schlägt. Ich kann es nicht ansprechen, denn die Stangen decken es. Es zieht gemächlich der Dickung zu. Einmal hebt es das Haupt, und da erkenne ich, daß ich den Bock vor mir habe. Sobald er sich wieder äst, falle ich in mir zusammen, lege Hut und Rucksack ab, ziehe die Schuhe aus und schleiche dann tief gebückt in den Graben zurück. Wenn ein Farn oder ein Wacholder mir Deckung gibt, mache ich mich lang und suche nach dem Blatte, doch immer deckt eine Stange es oder das Himbeergestrüpp. Und jetzt, wo er einigermaßen steht, rasselt eine Eichkatze vor mir den Stamm entlang und faucht und schnalzt wütend nach mir herunter. Sofort dreht sich der Bock spitz zu mir hin und sichert scharf. Einmal tut er so, als wenn er sich wieder äsen will, aber sofort hat er den Kopf wieder oben. Schließlich wendet er sich ein wenig, so daß er halb spitz zu stehen kommt.
Und nun denke ich an den alten Weidmannsspruch: »Wo Vorsicht ihm nichts nützen kann, hilft Kühnheit oft dem Jägersmann«, ziehe langsam den Kolben in das Gesicht, bringe das Silberkorn in den Bock, steche schnell ein, drücke, springe nach dem Knall auf den Grabenrand und sehe den Bock mit dem Windfang am Boden dahinrutschen. Den habe ich, das weiß ich. Ich hole mir meine Sachen und gehe schnell im Graben bis auf die Schneise und dann an ihr vor dem Stangenorte entlang. Ich brauche nicht weit zu gehen; vor der rauhen Fuhre, hinter der er vor einer halben Stunde herzog, liegt er im Sande, steintot und ohne noch mit einem Laufe zu schlagen.
Viel Mühe habe ich mir um ihn gegeben, bin so manches liebe Mal seinethalben um Mitternacht in das Bett gekommen und verließ es schon zwei Stunden hinterher, und wurde doch immer von ihm angeführt. Und nun brachte ich ihn ohne viel Mühe auf die Decke um die Unterstunde, als er seinen dummen Gang hatte.