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Ein Traumplatz ist es, ein Sinneort, den ich mir suchte in dieser Jagd. Hohe Fuhren schatten dort über langer Heide, dickstämmige, tiefbezweigte. Bauernwald ist es, wildgewachsener, ungemaßregelter, und darum ist er so schön. Nicht schnurgerade wie im Forst, nicht in Reihe und Glied stehen sie da, die rotleibigen, dusterlockigen Bäume, frei durften sie wachsen, wie der Wind sie anwehte. Keines Forstarbeiters Hacke hatte ihnen freie Bahn geschaffen, keine sorgliche Hand machte ihnen das Leben leicht; sie mußten kämpfen mit Gras und Heide, viele wurden totgedrückt, aber die übrigblieben, das sind auch Kerle geworden, mannsdick, mit Ästen, wildgebogen, mir krausen, breiten Kronen, strotzend von Zapfen, Fuhren, wie weit und breit keine sind. Rundherum ist Feld, Heide, Bruch und Wiese, keinen Schutz und keinen Schirm hatten sie, als sie klein waren, darum sind sie so stark geworden.
Da hinten, hinter der braunen Heide, da drüben, hinter dem Bruchwege, da stehen andere, in Reih und Glied gepflanzt, alle schnurgerade, die eine wie die andre. Tannenmäntel schützen sie vor dem Sturm, die Weichlichen, Verzärtelten. Findet der Sturm ein Loch, dann mäht er sie hundertweis, schmeißt sie durcheinander, duckt ihre Kronen in den Sand, daß ihre Wurzeln in der Luft zappeln, knickt und bricht sie wie Halme.
Meinen hohen Fuhren aber kann er nichts tun, und wenn er noch so wütend in ihr Geäst haut, sie noch so sehr an den Locken zieht; sie pfeifen ihm was und freuen sich, daß sie die reifen Zapfen und alten Braken und den Schinn von den Zweigen loswerden. Die da drüben wimmern und stöhnen schon bei jedem Winde.
Diese alten Fuhren haben es mir angetan. Schon beim ersten Blick hatten sie mich bezaubert. Und wenn ich einen Tag nicht bei ihnen war, wenn am Allerufer die Enten mich lockten oder der Bock im Moor, am anderen Tage mußte ich hin. Sie waren mir Freunde geworden, die Gewaltigen, die wie Könige dastehen, ein Hofstaat krummer Machangeln und gebückter Hülsen zu ihren Füßen, feststehend auf dem Teppich, aus Heide und Gras gewebt. Über ihren Köpfen schwebt der Turmfalk, in ihren Kronen gurrt der Tauber, an ihren Stämmen klopft der Schwarzspecht, an ihren Wurzeln plätzt der Bock, wenn er, satt vom süßen Bruchgrase, Pilze sucht im Moos als Nachkost. Fink und Ammer singen in ihren Zweigen, Heister und Markwart treiben sich hier herum, und Thors heiliges Tier, der rote Eichkater, springt von Ast zu Ast.
Abends, wenn singend und prahlend die Hütejungen vom Bruche kommen mit dem Vieh, dann schweben Kauz und Ohreule über die Blößen, rufend und heulend, dann tanzt die Nachtschwalbe zwischen den Kronen und spult ihr sonderbares Lied, im Heidkraut sticht der Dachs nach Larven, und im Gezweig sucht der Marder der Wildtauben Nester. Wenn längst aus den Dickungen die Rehe zur Wiese zogen unter den hohen Fuhren her, dann kommt auch, im Bogen gegen den Wind ziehend, der Bock hier durch, und noch später, wenn die Kronen wie eine schwarze Mauer gegen den tiefblauen Abendhimmel bollwerken, dann streichen von der Aller die Reiher heran, mit heiseren Stimmen, vollen Kröpfen, breitgeflügelt, weitklafternd, und fallen prasselnd ein auf die Äste, einer, zwei, drei, ein ganzes Dutzend, schwatzen vor dem Schlaf noch ein Weilchen, bis es knallt, bis einer krachend durch die Zweige poltert und die anderen fortrudern in die blaue Nacht.
In den hohen Fuhren ist es stumm und still. Sie schlafen noch, meine starken Bäume. Ein Nebelregen rieselt herab, feuchtet ihre Zweige und klatscht in dicken Tropfen von den Zweigspitzen zu Boden. Wie Gespenster stehen die Machangeln da, an die schwarzen Stämme gelehnt. Lautlos schwebt der Kauz über die Bahn, und wenn er um einen Wipfel streicht, dann klatscht er die Flügel laut unter dem Leib zusammen, um Fink und Meise aus dem Schlaf zu jagen, sie zu schlagen mit den nadelscharfen Fängen und sie zu erdolchen, denn Atzung braucht er für seine drei Jungen, die hinter ihm herstreichen, mit dünnen Stimmen bettelnd. Auf dem dürren Aste über mir spinnt die Nachtschwalbe ihren Singsang lang und breit. Dann bricht sie ab, wirft sich in die Luft, jauchzt gellend und tanzt wie ein Schatten durch die Stämme.
Jetzt rühren sich die schwarzen Wipfel im Frühwinde. Über der braunen Heide wird es hell. Die Sonne kommt. Gelblich färbt es sich dort unten, und das Grau verdünnt sich. Mit lautem Geheul nimmt der Kauz Abschied von der Nacht, einmal noch jauchzt die Nachtschwalbe und spinnt und spult ihr Lied, dann verschwinden die Nachtvögel, und hellere Stimmen erklingen. Rote Schatten ziehen durch das Gras, Rehe sind es. Sie haben alle drei die Köpfe am Boden, nur selten sichert eins. Es ist die Ricke mit den beiden großen Kitzen. Der Bock würde öfter den Kopf hoch haben. Jetzt aber werfen sie alle drei auf und äugen nach der Dickung. Da ist noch ein roter Fleck, eilig schiebt er sich vorwärts, hastig am Rande des Buchweizenstücks äsend, fortwährend aufwerfend. Da ist er. Noch ist es zu grau, daß ich das Gehörn sehen könnte, zu weit ist es auch, aber am Benehmen kenne ich ihn, den Schlauen, der mich schon acht Tage zum Narren hält.
Das fahle Gelb über der braunen Heide hat sich in rote Gluten umgefärbt, und grünblau wird der graue Horizont. Lauter wird es in den Fuhren. Quarrend rudern die Krähen dahin, klatschend stiebt der Tauber auf seinen Ast, äugt vorsichtig nach allen Seiten und ruckst dann seine Weise. Über den Kronen lehrt das Turmfalkenpaar seine jungen Flugkünste. Das schwebt und schießt, rüttelt und kreist in herrlichen Wendungen, taucht hinab auf die Blöße und fährt wieder hoch mit lustigem Schrei. Auch der Markwart ist da, der Lärmmacher, und seine Base, die schwatzhafte Heister. Wenn die Gesellschaft mich spitzkriegt, dann geht das Gezeter los. Schon dreimal vergrämten sie mir den Bock, endlich sind sie fort, die Lästigen. Endlich, denn länger konnte ich das Brennen der Mückenstiche nicht mehr haben.
Goldene Lichter wirft die Sonne durch die Kronen. Alles glitzert und flimmert in ihrem Licht. Überall rucksen die Täuber, locken Fink und Meise; längst sind die Rehe in der Dickung, und die Hasen folgen ihnen. Mit lautem Gerassel hakt der Schwarzspecht an der toten Fuhre an, rutscht den Stamm in die Höhe und meißelt in die Borke, daß die Fetzen fliegen. Wunderbar leuchtet in der Sonne des schwarzen Gesellen roter Scheitel. Mit gellendem Lachen streicht er ab. Aus der Höhe ertönt es wie ein Katzenschrei; der Bussard kreist da, hoch über den Kronen. Die Feldhühner, die auf die Blöße ihr Gesperre führen, hat er eräugt. Langsam schraubt er sich nieder, aber die Alten haben ihn eräugt, und fort huschen sie mir ihren Kleinen in die Lohhecke. Nun hakt er auf der dicksten Fuhre und wartet, daß sie wiederkommen.
Ich schieße ihn nicht gern, den schönen Flieger, der so stolze Bogen am Himmel zieht, aber ich darf ihm die Hühner nicht lassen. Schon will ich den Drilling an die Backe ziehen, da fällt ein breiter Schatten auf das Heidekraut, und schwer poltert etwas in die Krone der Fuhre. Dann ruft es heiser dreimal in Pausen. Ein Reiher ist es. Silbern leuchtet der weiße Hals in der Morgensonne, aschblau der Rücken. Nach allen Windecken dreht er den schmalen Kopf, äugt überall hin. Dann reckt er die mächtigen Schwingen, zieht sie wieder an und macht den Hals krumm. Noch einmal erhebt er sich und schleudert sein ätzendes Geschmeiß in die Heide.
Ich stehe da wie Butter an der Sonne. Wenn ich an der andern Seite der Fuhre stände, dann hätte ich ihn schon, aber so, wo er rechts von mir ist, halb gedeckt durch die Zweige? Ein wenig decken mich ja die tiefen Fuhrenäste, baldachinartig herabhängend, aber zu scharfe. Augen hat der Langhals, zu weit scheint es mir für den Schrotschuß, und ehe ich mich umgedreht habe und ihn genau aufs Korn nehme, ist er schon hinter den Kronen. Vielleicht geht es doch. Langsam, o so langsam drehe ich mich nach rechts und hebe die Büchse. Aber noch bin ich nicht auf halbem Wege, habe noch nicht angebackt, da fährt wie eine weiße Schlange der lange Hals hoch, die gewaltigen Schwingen spreizen sich, die Ständer wollen vom Aste abstoßen, und da, ohne Überlegung, instinktiv handelnd, reiße ich den Kolben an, gehe mit der Laufmündung in die breite, blaugraue Fläche zwischen den dunklen Ästen, reiße den Lauf einen Fuß nach links und drücke. Im Feuer sehe ich ihn rundum gehen in der Luft, dann hüllt weißer Pulverdampf alles vor mir ein, aber durch den Qualm fällt er mit breiten Schwingen schwer aufschlagend in die feuchte Heide.
Einmal noch öffnet sich der gelbliche, scharf gezähnte Schnabel, aber in den gelben Räuberaugen blitzt weder Angst noch Haß mehr, und schlaff hängen Flügel und Ständer, als ich ihn hochhebe an der Schnabelspitze. Ein einziges Hagelkorn durchschlug ihm den Hals; wie Rubine perlt es über die schwarzweiße Kehle. An den Strick des Rucksacks binde ich ihn an und hole mein Rad aus der Lohhecke. Die Bauern, die zum Heuholen über die Landstraße fahren, machen erstaunte Gesichter über den seltsamen Radler, von dessen Rücken Flügel wehen, und sehen mir dann lachend nach. Und ich fahre lachend an ihnen vorüber.
Es wird stiller unter den hohen Fuhren. Noch ruckst hier und da ein Ringeltauber, noch zerrt die Amsel in der Lohhecke, einmal schwatzt die Heister noch, aber schon meldet sich im Stangenholze der Kauz. Goldig erglühen die breiten Stämme in dem letzten Lichte, leiser wird der warme Wind, der mit der Sonne kommt und geht, Fledermaus und Nachtschwalbe huschen schon um die Kronen, und im Eichengestrüpp pfeifen die Mäuse. Die Ulenflucht ist da, meine liebste Stunde. Sie ist mir lieb wie alles Schnellvergängliche, wie die ersten Frühlingsblumen im knospenden Buchwald, wie des Waldes lodernde Farbe im Herbst, wie der glitzernde Rauhreif an Busch und Baum, wie der Heide späte Blüte. Abend für Abend möchte ich es erleben, könnte ich es erleben, das Einschlafen des Tages, das Aufwachen der Nacht.
Auch in der Frühe bin ich gern, wenn die Nacht in die Dickungen kriecht und der Tag über die Wälder steigt, ich sehe gern der Morgensonne in das lachende Gesicht. Und doch, lieber ist mir die Abenddämmerung mit ihrem Rauschen und Raunen, Wispern und Flüstern, mit ihrem Mottenflug und Mückensang, mit ihren schwarzen Bäumen und dunklen Büschen, mit all ihrem geheimnisvollen Zauber. Das singt um mich mit tausend kleinen Stimmchen, das fiedelt auf tausend winzigen Geigen, das trippelt mit unsichtbaren Füßchen im Moos, lebt sein leises Leben im Heidekraut, bis ein gellender, jammernder Eulenschrei die kleinen Laute auf ein Weilchen übertönt. Dann liebe ich es, die Zigarre im Mundwinkel, still und stumm am Stamm zu lehnen, den Stimmen des Abends lauschend und meine Augen wandern lassend von Schatten zu Schatten.
Heute kann ich ganz frei träumen auf meinem Wurzelstuken, heut stört mich das Jagdfieber nicht im Träumen. Denn gestern abend, als die Sonne über die Heide wegging, da klang hell mein Büchsenlauf, da warf meine Kugel den Bock in den blühenden Buchweizen. Die roten Flecke, die an mir vor einem Viertelstündchen vorbeizogen, sie konnten mein Blut nicht erregen; ich wußte ja, daß es nur die Ricke war mit ihren Kitzen. Ich will heute träumen, will dem leisen Weben in der Dämmerung lauschen, will mich freuen an den schweren Umrissen meiner lieben alten Fuhren, lauschen, was Kauz und Nachtschwalbe mir singen, und dem Runenflug der Fledermaus zusehen, ihrem Zickzackgeflatter um die Äste. Und heut ist der Tag dazu, zu träumen und zu sinnen auf meinem Traumplatz, auf meiner Sinnestelle. Lau ist die Luft und still, kein Zweig rührt sich. Fern, von der Legde, klingt das Rufen der Kiebitze, ängstlich wie das Wimmern armer Seelen.
Wie das Wimmern armer Seelen! Das Bild will mich nicht loslassen. Arme Seelen haben wir alle. Ob die Gesichter noch so blühend, die Augen noch so hell, die Mienen noch so heiter sind, arm bleibt die Seele doch in ihrer Sehnsucht, arm und allein. Sind die Arme noch so weiß, die deinen Hals umschlingen, die Lippen, die deine suchen, noch so weich und noch so treu die Augen, die deinen entgegenleuchten, schlägt noch so warm für dich ein Herz, arm und allein bleibst du doch, du arme Seele. Deine letzten Gedanken, deine tiefsten Wünsche, deine heimlichste Sehnsucht, keiner versteht sie ja, und auch du wirst des andern innerstes Leben nicht fühlen. Und darum schreit und ruft ihr in euren einsamen Stunden und klagt wehmütig und sehnsuchtsvoll, wie die Kiebitze rufen nachts auf dem Felde...
Ein rauher Schrei, wild und böse, reißt mich empor. Ich wollte nicht jagen, wollte nur träumen, einmal eine Stunde weich sein, aber wenn es dahinsegelt wie Geister, breit und mächtig, mich anschreit wild und böse, dann fliegt die weiche Stimmung fort, und anders wird mein Gesicht. Wie ein Raubtier, so hebe ich mich leise von meinem Wurzelstuken, fest umfaßt die Faust den Kolbenschaft, der Kopf fliegt ins Genick, die Augen bohren sich in die Dämmerung, und scharf horche ich auf das Poltern großer Flügel. Da, einer, hinten, kreisend, jetzt in der Krone. Angeschlichen, aber fort poltert er, zu früh! Und hier, ein heiserer Schrei, schnell zurück, da muß er eingefallen sein, nein da, oder da. Zum Kuckuck, auch den vertrat ich mir. Ich horche in die Stille und spähe in das Dunkel, immer wieder höre ich das Rufen, das Schlagen der Schwingen, immer wieder schleiche ich an, vergeblich! Hitze kribbelt mir im Gesicht, in den Ohren summt es, vor den Augen flirrt es. Da, ein Schatten, über mir, noch einer, beide kreisend, hoch den Lauf, Feuer und Knall und Rauch und stiebende Federn, weiter will er, noch einmal Feuer und Knall und Rauch, den Verschluß auf, die Patronen heraus, neue hinein, in wilden Sätzen dahin, wo der Kranke mit letzter Kraft rudert, den Drilling am Kopf. Niedriger kommt er, immer niedriger, jetzt ist er unten.
Schwer atmend stehe ich da mit klopfendem Herzen und zitternden Händen. Zu meinen Füßen schlägt der verendende Reiher mit den Flügeln. Und hoch über den Kronen kreisen die andern, schreiend, rufend, sich immer höher schraubend und verschwindend in der blauen Nacht. Mit hungrigen Augen sehe ich ihnen nach, mein Ungeschick verwünschend, daß ich nicht noch einen herablangte von den vielen. Und da höre ich die Kiebitze wieder rufen, wimmernd und verängstigt wie arme Seelen. Alles ist so schwarz um mich, so schwer und stumpf stehen die alten Fuhren da, Todesstille ist weit und breit. Ich nehme den stolzen Vogel auf, der so schlaff im Grase liegt, und scheu, wie ein Verbrecher, schleiche ich fort von den hohen Fuhren, die ernst und drohend dastehen, weil ich ihren Frieden störte, ihren heiligen Sommernachtsfrieden. Hinter mir her, mich auf die Landstraße begleitend, fliegt schwarz die Eule wie ein schwarzer Gedanke.