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Es sang ein Vogel über der Heide: didudl, didudl, dudl, dudl, aber sie rührte sich nicht. Jeden Abend und jeden Morgen sang die Dullerche auf die braune Heide hinab, aber sie hörte es nicht. Lange schon war der Frühling mit weißen und blauen, gelben und roten Blumen im Süden der Stadt Hannover eingezogen, hatte den Waldboden im Kalk- und Lehmlande bunt gestickt, goldene Schäfchen an die Weiden gehängt und viele Vögel mitgebracht, die bei Tagesanbruch und Sonnensinke trillerten und schmetterten, pfiffen und flöteten, aber noch immer lag die Heide im Norden von Hannover still und stumm da, zeigte keine Blüte, kein grünes Spitzchen, so sehr die Sonne auch lockte.
Vergebens klagte die Dullerche; düdliü, düdliü, vergebens pfiff der schmucklose Pieper sein ängstliches piet, piet, die Heide schlief und schlief. Da flogen beide ins Moor. In der langen Heide saß da ein stolzer Vogel; blau schimmerte sein Hals, feuerrot leuchtete es über jedem Auge. Schwarz waren die Schwingen und der leierförmige Stoß. Diesen riefen Pieper und Lerche zu Hilfe, die Heide zu wecken, und er versprach es ihnen.
Am anderen Morgen, als die Sonne noch da hinten hinter den schwarzen Fuhrenwäldern schlief, in denen die Ohreule klagend heulte, strich der stolze Vogel über Moor und Heide mit schnellem Fittichschlage, daß es sauste und sang. Dsst dsst dsst dsst dsst klang es durch den schwarzen Frühmorgen, daß die kleine Lerche in der kurzen Heide jäh aus dem Schlafe fuhr. Sie reckte die Holle und lauschte, aber sie vernahm nichts als das Rispeln des Frühwindes in den Krüppelfuhren, als das Rieseln des Sandes unter den Tritten der Rehe, die über die Düne stiegen, als das Gejammer der Ohreule da hinten im Forste.
Der stolze Vogel war weitergeflogen, über Heide und Moor, Moor und Heide, bis auf die blanke Heide an der Feldmark. Buff, sagte es, als er dort einfiel. Zuerst saß er ganz still, doch nach einer langen Pause machte er den Hals lang, legte den Kopf nach hinten hinüber, klappte mit den Schwingen und öffnete den krummen Schnabel. Tschju-huit, so klang es zischend, fauchend in die schwarze Stille hinaus, einmal, zweimal, dreimal: Dann verschwieg der nächtliche Rufer wieder und lauschte. Aber keine Antwort klang zu ihm heran. Stumm saß er wieder eine Weile da, und dann begann er wieder zu blasen; tschju-huit, tschiu-huit, kutsch-huit, tschju-huhuhuhu; aber wieder antwortete ihm nur schwarzes Schweigen.
Im Osten wurde es ein ganz wenig licht über den schwarzen Fuhren. Die Helligkeit zog langsam höher, vermischte sich mit der Nacht zu grauer Dämmerung, in der die Wacholder herumstanden wie unheimliche Gespenster. Da bekam der einsame Vogel Mut. Er sträubte die blauschillernden Halsfedern, reckte seinen Hals lang über die kurze Heide, breitete die schwarzweißen Schwingen aus, fächerte das krumme Spiel und sang sein zweites Lied: u-u-u, u-u-u, u-u-uuu uuu uuu, und noch einmal, und noch einmal, fügte als Refrain sein tschju-huit dazu, lauter wurde der Gesang, lebhafter sein Trippeln, jede Feder zitterte vor Erregung, immer bunter ging das Blasen und Rodeln durcheinander, und als die Sonne mit rot wehendem, goldgekantetem Seidentuche winkend ihr Kommen anzeigte, da machte der Sänger einen hohen Sprung und zischte vor taumelnder Lust.
Alle Heidlerchen hatte er geweckt, die in der Heide schliefen, und lustig dudelten sie aus grauen Wolken ihre Lieder, fröhlich pfiff der Pieper im Moore, über die nassen Wiesen taumelte der Kiebitz mit dumpfem Schwingenton und gellendem Juchzer, und fröhlich meckerten im Risch die Bekassinen. Und dann erscholl ein Flöten und Pfeifen, so wohllautend, so rund, so voll; hoch oben aus der Luft kam es her, wo die großen Brachvögel ihre herrlichen Kreise zogen, und in den Fuhren läuteten die Meisen, flöteten Singdrossel und Schacker, daß endlich die Heide erwachte.
Aus den fahlen Wollgrasbülten schob sie silbergraue gelbgepuderte Kätzchen, aus dem braunen Moorrasen zarte Grasspitzchen, an den Wiesengräben kamen gelbe Kuhblumen zum Vorschein, an den Weidenbüschen verwandelte sich der Schäfchen kaltes Silber in warmes Gold, hier und da zeigte sich an den Birken ein winziges, gelbgrünes Blättchen, und die Blütenknospen der duftenden Postbüsche färbten sich braunrot.
Und jeden Morgen vor Sonnenaufgang sprang der schwarz-weiß-rote Vogel auf der blanken Heide umher und blies und jodelte, und von weit und breit aus Moor und Heide antwortete es ihm ebenso, und wenn die Sonne wie ein Feuerball über den Fuhrenwald kletterte, dann kam ein Singen und Klingen aus der Heide, daß man es weit, weit hörte...
Es klang so bis zu uns in die Stadt hinein, in die Stadt, in deren Vorgärten die Krokusblüten schon todmüde umgefallen waren und die Hyazinthen ihre steife Pracht entfalteten, in die Stadt, von deren Lauben die Amseln flöteten und in deren Bäumen die Stare pfiffen; und wenn zwei Jäger sich trafen, dann lachten sie sich fröhlich an und sagten: »Sie balzen schon! Gut natürlich noch nicht, noch nicht fest und platzbeständig, aber doch schon genug, hinauszufahren, wenn die Nächte auch noch so eisig und die Moore auch noch so naß sind.«
Eigentlich sollte man warten, bis es warm ist, bis man im Schirm nicht mehr zusammenfriert, eigentlich... Aber wer kann da warten! Und so geht es denn hinaus, trotzdem man weiß, daß man viel zu früh kommt. Zwei prächtige Füchse vor dem Wagen, Mundvorrat und Munition, Mäntel und Gewehre im Wagenkasten, dem schneidenden Nordostwind entgegen. Heiß ist die Sonne, kalt ist der Wind, aber grün ist die Saat, die Krähen necken sich im Fluge, in allen Pappeln pfeifen die Stare, in allen Chausseebäumen singen Ammer und Fink. Mit mißvergnügtem Gesichte empfängt uns der Heidjer: »Sei holt seck den Dod! Dat is noch veel to kolt up de Nacht. Sei ward ungesund bi dat Sitten in 'n Schirm; dat is so'n ohlen Barkhahn nich wert. Sei möt noch toiben, bet dat gaueres Wetter west.« – »Ach was, Unsinn, Schorse, nun sind wir einmal hier. Steck dir 'mal eine Zigarre ins Gesicht, und dann los, ins Moor! Süh, da ist ja ok oll Vadder! Na, Vadder Gödecke, wo geiht jück dat noch? Immer gau« – Der Alte ist blind, aber immer frohen Mutes, immer noch der alte Cambridgedragoner, ein biderber Mann von einfachen Sitten und voll gesunder Bauernweisheit. Ich höre ihm lieber zu als allen Professoren der Welt, diesem rassigen, reinblütigen Langobarden mit dem guten Charakterkopfe. Heute hat er eine Überraschung für mich. Er holt aus dem Schranke einen Wachtmeister, ein altes Schnapsglas mit fingerdicken Wänden und einer Luftperle im Fuß. »So, datt sollt Sei hebben, dat is noch von min Großvadder, de hat da all ute drunken!« Das ist sein Dank für die Bücher, die ich ihm im Herbste mitbrachte und aus denen seine Jungens, Karl und Schorse, an den langen Winterabenden vorlasen. Einen guten Tropfen habe ich in der großen Aluminium-Militärflasche mitgebracht; der soll in dem Glase probiert werden. »Prost, Vadder, wer achtzig is, kann ok hunnert olt wer'n!«
Nun ist's aber Zeit, Balzplätze zu suchen. Quatschnaß ist es im Moore, selbst auf der Höhe. Bis an die Knie geht es hinein in den braunen Schlick. Aber doch wunderschön! Die Sonne brennt, der Wind ist weg, die Dullerchen singen, junges Gras sprießt in den Gräben. Und hier, bei den Torfstichen hat ein Hahn gebalzt, überall liegt seine Losung. Am Ende ist es der Tanzmeister vom vorigen Jahre, auf den ich fünf Nächte ansaß. Was hat er mich gefoppt! Saß ich hier unten im Schirm, dann balzte er auf der blanken Heide am Roggenstück; machte ich mir dort den Schirm, dann balzte er am Torfstich. Es war zum Verrücktwerden. Den letzten Tag werde ich nicht vergessen. Es wehte ein ganz niederträchtiger Nordost, der mir durch Mantel, Joppe, Jagdweste und Wollhemd pustete. Die Beine starben mir unter den Knien ab, das Herz fror mir im Leibe. Solange es dunkel war, balzte mir der Hahn vor der Nase herum, aber als es heller wurde, ritt er ab und balzte außer Schußweite. Als ich aus dem Schirm kroch, konnte ich kaum gehen, so steif war ich. Zum Glück trug ich nur einen fürchterlichen Schnupfen mit fort, doch nach acht Tagen war ich wieder draußen. Aber der Hahn war platzflüchtig geworden. Dieses Jahr muß er aber mein werden.
Dort, wo die runde Krüppelfuhre steht, dort will ich meinen Schirm bauen. Schorse gräbt ein bequemes Loch, füttert es mit Zweigspitzen aus, mit der kurzen Wehr haue ich Fuhrenbüsche ab, pflanze sie in den Boden – so, nun muß es morgen doch glücken. Schnell noch oben am Roggen einen Schirm gemacht, einen andern an der kalten Wiese, und nun ist's wohl Abendbrotzeit.
Der Abend bringt klaren Mond. Um drei Uhr, als wir aufstehen, ist es taghell, aber bitterkalt. Es hat tüchtig gereift. Heide und Moor sind silberweiß, die Wegpfützen knistern unter den Sohlen, und das gefrorene Moor trägt. Feenhaft sieht es im Moore aus. Die Birken und Fuhren blinken im Mondlicht, als wären sie aus Silber gemacht. Kein Lüftchen rührt sich. Im Schirme mache ich es mir gemütlich, ziehe den Lodenmantel an und packe den Rucksack aus. Essen ist das beste Mittel gegen Kälte. Das dunkle Landbrot schmeckt prächtig, der Kaffee in der filzumhüllten Flasche ist noch warm, die kalte Schweinerippe so recht nach meinem Geschmack – dabei kann man es wohl aushalten. Und nun das Pfeifchen, der beste Zeitvertreiber. Mit jedem blauen Kringel verfliegt eine langweilige Minute. Aber nein, doch nicht langweilig. Meckern nicht die Bekassinen, dudeln die Heidlerchen nicht? Und da ist ja auch schon der Kiebitz, der Possenreißer des Moors. Wutt, wutt, wuttwuttwutt, klingt sein Flügelschlag über mich hin, und jetzt gellt er sein ouiwit, ouiwit durch die Stille. Und da ist ja auch der Hahn. Dsst, dsst, dsst, dsst, dsst saust er an mir vorbei – buff, da ist er eingefallen. Aber wo? Der Mond hat sich hinter Wolken verkrochen. Wahrhaftig, er ist es, mein Tanzmeister vom vorigen Frühjahr. Kaum ist er eingefallen, da geht das Getanze schon los. Tschschscht, ein langgezogenes Zischen, wie von einer Rakete, heftiges Flügelschlagen beim Hochspringen, ein paar Kollerlaute, dann wieder das Gezische und Getanze. Er ist es, aber weit unten scheint er zu sein.
Es wird schon heller. Ich sehe mir fast die Augen aus. Ist er das da unten, oder ist's ein Binsenbusch? Ja, ein Binsenbusch, das zeigt mir deutlich das Glas. Überall sind Hähne laut. Hinter mir in der Saat, unten in der Wiese, weiter im Moore. Wie herrlich ist dieses Konzert! Wie oft habe ich es schon gehört, nie langweilt es mich. Mein Hahn hat lange verschwiegen. Jetzt tanzt und singt er wieder. Es war doch kein Binsenbusch, es ist mein Hahn. Er dreht sich, trippelt hin und her, schon kann ich das Spiel fast erkennen, jetzt springt er mannshoch in die Höhe, domm! brüllt ein Schuß hohl durch das Moor, mein Weidgesell ist es, der auf dem Küsterdamm seinen Schirm hat.
Nun ist es schon halb fünf Uhr. Beinahe werde ich ungeduldig. Mein Hahn ist fort. Wahrscheinlich macht er den Hennen den Hof, die da links von mir in den Postbüschen gackern. Aber was ist das da? Da ist ja der starke Bock, auf den wir so viel gepirscht haben! Auf dreißig Schritte zieht er breit an mir vorbei. Und er hat sogar schon etwas gefegt. Im Mai, wenn die Schonzeit alle ist, dann ist der Racker natürlich wieder so heimlich, daß man sich die Beine nach ihm ablaufen kann. Vertraut zieht er ins Moor. Ihm nach hoppelt ein Hase, dann noch einer. Ich drehe mich im Schirm um, ob ich nicht im Rücken meinen Hahn habe. Was ist das Rote da? Wohl ein trockener Wacholderbusch. Aber wupps, ist es weg in die lange Heide, die weiße Blume höhnisch schwenkend. Reineke war es. Schade, daß ich über dem Winde saß, dem Rotrock hätte ich zu gern eins aufgefunkt! Gestern fand ich erst eine gerissene Ente und den Rest eines Hasen.
Nun ist es aber Zeit, daß mein Hahn wieder kommt! Noch ein Geduldspfeifchen, oder soll ich ein bißchen herumpirschen, ob ich einen streichenden Hahn erwische? Bis sechs Uhr will ich lieber sitzen bleiben, denn in den Postbüschen locken die Hennen, und wo die sind, da ist der Hahn nicht weit. Dsst dsst dsst – buff. Da ist er auch schon. Na, das ist wirklich reizend! Der eine Fuhrenzweig ist umgefallen, als ich mich umdrehte, ich habe vorn keine Deckung, und nun steht mir der Hahn zehn Schritt vor der Nase. Und dabei habe ich mein Gewehr dort unten am Boden liegen. Ich könnte mich ohrfeigen! Zehn Schritt – du bist mir nah und doch so fern. Er balzt mir gerade ins Gesicht. Ich sehe ihn so deutlich, als säße er ausgestopft auf meinem Schreibtische. Und was für ein kapitaler alter Bengel! Kein braunes Federchen im Rücken, alles blau und schwarz, und Rosen hat er über den Augen, die leuchten wie Kohlen! Und ein Spiel, ein Spiel, nein, solch ein Spiel habe ich noch nie gesehen! Wie wär's, wenn ich jetzt, wo er mir das Spiel zukehrt, schnell das Gewehr griffe und drückte? Leise, langsam lasse ich den Arm herniedergleiten, mein Herz klopft hörbar dabei. Natürlich, da bricht er im Balzen ab und äugt mich an. Ich rühre keinen Muskel, zucke mit keiner Wimper, obgleich mir der Kopf vor Aufregung juckt und die Hände mir zittern. Ach, und jetzt möchte ich tief aufseufzen, wenn ich dürfte, denn er balzt weiter. Jetzt macht er seinen berühmten Sprung, fünf Fuß hoch, noch einen und noch einen, und nun ist er links von mir, an der Seite, wo ich Deckung habe. Jetzt muß ich ihn kriegen. Ich lasse mich ganz leise auf die Knie nieder, nehme das Gewehr hoch, spanne lautlos und spähe nach dem Hahne. Da dreht er sich vier Schritt vor dem Schirme. Aber lieber will ich ihn gar nicht haben, als ihn zu Mus schießen. Er tanzt und rodelt, daß es eine Lust ist, bei jedem Sprung sich entfernend. Nun kann ich ihn nicht sehen, die Heidbüsche verdecken ihn. Aber jetzt ist er wieder da. Die Minne lockt ihn nach den Postbüschen. Hochaufgerichtet, kampfes- und minnelüstern, Flügel und Spiel halb ausgebreitet, trippelt er über die kurze Heide. Und jetzt habe ich angebackt, ein Druck, und er läge im Dampfe. Aber da kommt es mir plötzlich so feige vor, ihn von hinten totzuschießen, ihm sein herrliches Spiel zu zerraufen mit den großen Schroten. An der rechten Backe das Gewehr, im Munde die Pfeife, sollte es mir so wohl gelingen, ihn regelrecht zu reizen? Zwischen den Zähnen lasse ich die Pfeifenspitze in die linke Mundecke wandern, feuchte die Lippen mit der Zunge an und blase: kut-tschuit. Sofort hält der Hahn inne, macht einen langen Hals und wendet mir die linke Seite zu. Da donnert der Schuß, ich stehe im Dampfe, sehe den Hahn nicht, aber Flügelschlagen verrät mir, daß er liegt. Gackernd streichen die Hennen aus den Postbüschen ab, als ich heraustrete. Da liegt er regungslos in seiner ganzen Pracht, das stolze Spiel weit ausgebreitet, ein Spiel, wie ich es noch nie sah, mein Hahn, mein Tanzmeister, dem ich sechs Nächte geopfert habe. Und jetzt tut es mir leid, daß er daliegt, denn nun kann ich ihn ja nicht mehr erlegen...