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Einen Tag nur hatte der Südwestwind das Wort. Dann fiel ihm der Nordwind in die Rede. Er kam über das große Moor, schimpfend, polternd, zankend. Da drückte sich die Bekassine in das Torfmoos, da vergaß der Kiebitz Koboldflug und Schalksruf; die Dullerche verlernte ihr Lied, und der Birkhahn verlor alle Lust zu Spiel und Tanz.
Auch zu mir kam der Grobsack. Er donnerte mit seiner harten Faust an die grünen Blendladen des Jagdhauses, er schrie grobe Worte gegen die Fensterscheiben, er pfiff auf dem Schornsteinrohr einen wilden Gassenhauer und trat mit den Schmierstiefeln gegen die Tür.
Gestern und vorgestern hatte ich ihm getrotzt. Ich habe im kalten Moor im Schirm gesessen, den Windgürtel fester gezogen und ihn ausgelacht. Aber schließlich hat er mich doch mürbe gekriegt. Heute bin ich im Bett geblieben, bis die Sonne über die Fuhren kam, und dann habe ich meine Sachen gepackt und bin nach dem Dorf gefahren.
Eigentlich wollte ich gleich wieder nach Hause. Aber die Sonne scheint so schön, auf jeder Miste krähen die Hähne, auf allen Eichen pfeifen die Stare, die Schwalben fliegen zwitschernd um die Giebel; da will ich doch lieber zum Bruche.
Alles wäre schön, wenn der Nordwind nicht wäre. Die Sonne liegt auf der grünen Saat, die Birken schwenken goldene Kätzchen und helle Blättchen, blau und schwarz bollwerken die fernen Wälder. Aber keine Lerche singt, keine Hummel fliegt hier draußen im scharfen Wind.
Im Bruch aber bin ich im Überwind. Oben in den Kronen der Fichten und Fuhren pfeift und rauscht es, flötet's und raschelt's, aber darunter ist es still und warm. Da summsen und brummsen die Hummeln um die goldenen Weidenblüten, silbernes Fliegenvolk schwirrt über den Gestellen, Fitis und Meise läuten und klingeln in der Dickung.
Auf der großen Rodung vor den hohen Fichten ist es am stillsten und wärmsten. Alles Leben ist dahin gezogen, wo ihm der kalte Wind nicht beikommen kann. Da wärmt sich das Pfauenauge am silbergrauen Fuhrenstumpf, da sonnt sich die Ringelnatter auf weichem Moospolster.
Ich liege im fahlen Grase, den Rücken gegen die unterste Sprosse der Kanzel gelehnt, und sehe der rotleibigen Sandwespe zu, die eine durch den Giftstachel gelähmte Spinne zu ihrer Höhle schleppt, beobachte den grünen Raubkäfer, der hastig über die grauen Flechten rennt, und necke mit einem langen Halme eine Eidechse, die wütend danach schnappt, bis ihr die Sache zu albern wird und sie sich grollend in ihre Brombeerburg zurückzieht.
Dann ist der Baumpieper meine Unterhaltung. Mit schmetternden Kanarienschlägen steigt er über die grünenden Birken auf und senkt sich mit ersterbendem Sange auf einen dürren Ast nieder. Und dann fällt ein Schatten vor mich, und als ich nach oben sehe, klatscht und knallt es in der Luft. Im Schwebefluge tanzt dort der Ringeltäuber.
Ich drusele ein bißchen. Der Wind in den hohen Fichten singt mir ein Schlaflied. Durch die tiefen, runden, gleichmäßig anschwellenden und hinsterbenden Töne klingt ein Lied, dem Sturmliede ähnlich an Klang und Farbe, und doch anders. Der Täuber ruft im tiefen Tann. Laut und herrisch klingt sein Ruf, und doch sehnsüchtig und verlangend. Ein zweiter antwortet ihm von halblinks her aus den hohen Fuhren, ein dritter knurrt gerade hinter mir dumpf und hohl.
Ob ich's noch kann, was mich der alte Grünrock einst lehrte? Durch dick und dünn, mit Katzensohlen und Habichtsaugen den rucksenden Ringeltäuber anpirschen. Ich will einmal sehen, ob es noch geht; eine gute Schule ist es für die Maipirsch.
Vorsichtig schiebe ich mich durch die Tannenäste. Aber ich muß wieder zurück. Ein dichter Verhau von totem Fallbaum und dürrem Adlerfarn sperrt mir die Bahn. Und hier liegen hohe Haufen von dürren Ästen, und da halten die Weiden ihre Zweige vor.
Ich umschlage den Hochsitz und suche mir einen Zugang. Brombeerranken zerreißen mir die Hände, Farnstengel binden meine Füße, dürre Fichtenzweige kratzen mich über die Backen, faule Pfützen zwingen mich zu Umwegen. Doch schließlich bin ich im älteren Bestande angekommen.
Ich stehe still und horche. Aber nur den Sturm höre ich pfeifen und heulen, nur die Kronen rauschen und raunen, nur die Äste klappen und krachen. Und ich sehe nichts als oben die grünen Zweige, durch die ein ganz kleines Stückchen Blauhimmel schimmert, eingerahmt von goldrot leuchtenden Tannenzapfen.
Der Sturm heult und heult und heult über mir, und sein lautes Lied verschlingt alle anderen Lieder. Meine angespannten Nerven hören bald hier, bald da den Ruf des Täubers heraus, und immer wieder ist es nur der Wind.
Doch da, nicht weit von mir, das war der Täuber. Wenn auch alles andere der Wind verschlingt, den Schlußruf bringt er nicht um. Ich warte, bis das dumpfe Lied noch einmal ertönt, erfasse die Richtung und arbeite mich durch das Maschenwerk der Äste halb kriechend, die alten Zapfen und dürren Äste ängstlich mit den Sohlen vermeidend. Aber als der Schlußruf ertönt, mache ich Halt, denn ganz nahe muß ich schon bei dem Täuber sein.
Eine Weile warte ich wieder. Lange dauert es, ehe er wieder ruft, zu lange. Endlich beginnt er wieder, und ich arbeite mich weiter. Und so noch einmal, und ein anderes Mal, und noch zehnmal. Denn er hat mich schön zum Narren gehabt, der bunte Bauchredner. Ich dachte, er wäre dicht bei mir, und jetzt stehe ich an der Blöße, und drüben, wo die hohen Fichten und Fuhren ihre Kronen im Wind schütteln, da ruckst er.
Auf die kleine geschützte Blöße prallt die Sonne. Der fahle Adlerfarn leuchtet wie Gold, die Fichten an ihrem Rande glitzern und schimmern, die Brombeerranken glänzen wie Silber. Ein gelber Zitronenfalter taumelt, selig vor Sonnenfreude, von Ast zu Ast.
Einen Augenblick will ich verschnaufen hier hinter der Jungfichte. Wie komme ich am besten nach dem alten Bestande da drüben? Über die Blöße kann ich nicht. In dem trockenen Farn mache ich zu viel Lärm. Auch habe ich da kein bißchen Deckung. Ich muß mich also wieder in der Dickung weiterwürgen.
Klingende Fittiche sausen über mich hin. Ein Täuber fußt zwanzig Gänge vor mir auf der Fichte. Vorsichtig äugt er umher, daß der rosenrote Schnabel in der Sonne leuchtet. Ich sehe die hellgelben Augen, die weiße, goldgrün und kupfrig gesäumte Halsbinde, die graurote Brust, die roten Füße. Er schüttelt sein Gefieder, plustert sich auf, zupft hier und da an seinem blaugrauen Kleide herum, spreizt die Flügel und fächert den buntgebänderten Stoß und sitzt dann still, an der Sonne sich labend.
Dann ruft er. Erst ein tiefes, kurzes Heulen, dann der volle Ruf, zuletzt ein dumpfes Schnurren kommt aus der geblähten Brust. Wild äugt er um sich, wie ich sein Knurren nachmache, und flattert näher, bis auf die nächste Fichte vor mir. Dann klingt es noch einmal über mir. Die Taube ist da. Da bläht er sich noch dicker auf, schnurrt noch tiefer und zärtlicher, bis sie nicht anders kann, ganz nah zu ihm heranrückt und sich schnäbeln läßt. Dann stieben sie plötzlich weiter.
Ich tauche wieder in der Dickung unter und krebse mich im Bogen bis zu der Ecke des Altholzes, wo mein Täuber noch immer ruft. Aber wieder muß ich einen Umweg machen, denn um den mächtigen Wurfboden einer gewaltigen Fichte ist ein tiefer Sumpf. Und links ist die Dickung undurchdringlich. So muß ich noch einmal rund um die kleine Lichtung herum.
Endlich bin ich an der hohen, breitkronigen Fuhre. Aber mein Täuber verschweigt jetzt. Ich stecke mir die Pfeife an und warte. Ein Häher schlüpft vor mir von Zweig zu Zweig, lauter dummes, kindisches Zeug vor sich hinschwatzend und kokett die Haube sträubend. In dem sparrigen Pulverholzbusch lockt ein Dompfaffenhahn; seltsam leuchtet seine schöne rote Brust. Dann schallt ein langgezogener, ganz unirdisch klingender Laut durch die Stille, und rasselnd hakt der Schwarzspecht an einem Fichtenstamm, klopft einige Male und schnurrt mit schrillem Teufelsgelächter ab, und nur der Wind in den Kronen ist noch laut in dem kirchenstillen Wald.
Kirchenstimmung faßt mich. Wie Strebepfeiler stehen die rotgrauen Stämme da. Gebrochen, wie durch bleigefaßte, kleine Scheiben, fällt das Licht durch das dichte Nadelwerk, schwere Wellen von Kienduft ziehen wie Weihrauch vorüber, das Gesumme der Hummeln klingt wie Gebetgemurmel und das Brausen des Windes wie Orgelton.
Des Täubers dumpfer Ruf aber reißt mich aus der Stimmung heraus. Zehn lange Sätze bringen mich ihm näher, und der nächste Vers noch zehn. Und jetzt sehe ich ihn auch. Auf dem höchsten Fichtenwimpel, der über und über voller glänzend brauner Zapfen hängt, fußt er und wiegt sich im Winde hin und her. Ich muß wieder einen Umweg machen, denn der Weg geradeaus ist zu licht. Durch knospende Bickbeersträuche und aufbrechende Himbeerschossen, über dichte Haufen von Tannenzapfen, über weiche Schichten modernder Nadeln und spröde Bollwerke dürrer Braken schleiche ich im Bogen nach der hohen Fichte hin.
Lange muß ich warten, bis er wieder ruft. Vielleicht, daß er mich eräugt hat. Ich sehe in das verworrene Gedämmer der rotbraunen, toten Fichtenzweige um mich herum, in denen unzählige Spinnweben, vom Wind bewegt, wie silberne und goldene Fäden blitzen. Die Stirn tropft mir, der Nacken dampft, Ungeduld kribbelt unter dem Hut.
Endlich, nach langer Pause, ruft er wieder. Und bei jedem Ruf bin ich ihm zehn Gänge näher, bis ich, immer leiser schleichend, unter ihm bin. Aber nun kann ich ihn nicht sehen. Ich verrenke mir fast den Hals, aber die Spitze der Fichte deckt die Krone der Fuhre, unter der ich stehe. Endlich, nach vorsichtigem, lautlosem Herumschleichen um die Fichte, habe ich den Wipfel frei. Aber den Täuber sehe ich nicht. Einen Schritt mache ich nach links, einen zurück, aber er bleibt unsichtbar.
Der Sturm endlich zeigt ihn mir. Er biegt einen Zweig zurück, und ich sehe ihn hoch oben, den lauten Rufer. Schon will ich das Gewehr an den Kopf ziehen, da flattert er auf die Fuhre und ruft dort weiter, wieder unsichtbar für mich. So muß ich denn wieder einen neuen Ausblick gewinnen.
Lange, lange dauert es, ehe ich die zwanzig Schritt hinter mir habe. Erst ist der große dürre Ast im Wege, dann der sumpfige Graben, dann das Fallholz am Boden, dann die vielen Zapfen, dann die sperrigen Fichtenzweige, bis ich unter der Fuhre bin. Und als ich dort stehe, naß von Schweiß, da höre ich ihn wohl rufen, aber zu Gesicht bekomme ich ihn nicht, und schließlich verschweigt er, und ich stehe da und warte und warte, steif wie ein Stock und stumm wie ein Stein.
Ein anderer Täuber schwingt sich auf einen freien Ast und ruckst und knurrt. Leicht hole ich den herab, aber daran liegt mir nichts. Was mir in den Schoß fällt, kann mich nicht freuen. So bin ich froh, wie dieser Täuber abstiebt und ich meinen wieder höre.
Zehn Schritt muß ich wieder zurück, bis ich endlich, endlich sehe, wo er sitzt. Aber drei dicke, goldene Fuhrenäste decken ihn. Nur Kopf und Stoß ist frei. So warte ich, bis er sich überstellt und, die breite Brust zeigend, ruft. Da hebe ich das Gewehr, aber ehe ich es noch an der Backe habe, bricht er jäh den Ruf ab und klappert fort, über die Blöße nach den dichten Fichten. Da ruft er weiter. Rechts ist ein Täuber, links knurrt einer. Vor mir heult ein dritter, ein vierter weiterhin. Aber ich will den einen haben, nur den einen und weiter keinen. So geht es wieder heraus aus dem Altholz über die Lichtung in die dicken Fichten in langsamer, viertelstündiger Arbeit, bis ich endlich wieder bei ihm bin.
Aber noch manche lange Minute muß ich warten, noch manchen Schritt voran, noch manchen zurück machen, viele Zweige vorsichtig vermeiden, vielem Fallholz aus dem Wege gehen, ehe ich unter der Fichte bin. Und dann vernehme ich ihn wieder immer nur und kann ihn nicht vor die Augen bekommen.
Zuletzt glückt auch das. Aber schwer ist es, durch das starre Astgewirr Laufmündung und Ziel zusammenzubringen, aber es geht am Ende doch. Und dann knallt es, wie ein Stein schlägt er vor mich hin, und eine weiße Federwolke schneit durch den blauen Pulverdampf auf mich nieder.
Hinten im Tann ruft noch ein Täuber, in den Fuhren drüben zwei. Aber es reizt mich keiner mehr. Auf der Blöße liege ich, den toten Vogel neben mir. Auf zwanzig Schritt vor mir läßt ein Taubenpaar sich auf der Fichte nieder. Ich sehe ihnen zu, ohne die Hand nach dem Kolben zu zucken.
Dieser eine sollte es sein, dieser eine allein.