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Die Brennhexe lag im Moore und schlief. Da kam der Südostwind angegangen und kitzelte sie mit einem Grashalm in der Nase, so daß sie niesen mußte, und davon wachte sie auf.
Sie gähnte herzhaft, reckte sich, sprang auf, schüttelte ihre Röcke zurecht, klopfte sich die Schürze glatt, bückte sich über eine Torfkuhle, um zu sehen, ob ihr Haar noch in Ordnung sei und ob die Haube nicht schief sitze, stemmte die Hände auf die strammen Lenden, wiegte den Kopf hin und her, lächelte, summte eine frische Weise vor sich hin und tanzte los.
Schön war das anzusehen, wie sie sich herumdrehte, daß der feuerrote Rock, die knallgelbe Schürze und die schwarzen Bindebänder an der goldenen Haube nur so flogen; so schön war das anzusehen, daß dem dürren Moose, dem mürben Wollgrase und dem trockenen Haidkraute ganz sonderbar zu Mute wurde, denn sie bekamen allerlei Hübsches zu sehen: die Schleifenschuhe mit den roten Absätzen, die weißen Strümpfe mit den grünen Zwickeln, die blauen Strumpfbänder und was es sonst noch gab. Darum verliebte sich alles, über dem der rote Rock und das weiße Hemd sich drehte, so sehr in sie, daß es auf einmal lichterloh brannte, sogar der stumpfsinnige Torf; aber als er mit heißen Händen nach den strammen Waden packte, juchte die Brennhexe auf und sprang ein Ende weiter.
So ging es eine ganze Weile. Sie tanzte hier, sie tanzte da; aber sobald die Flammen sie in die Beine kneifen wollten, wipps war sie schon anderswo und drehte sich dort umher, und ging es da ebenso, wupps war sie wieder fort, und die Flammen machten lange Hälse hinter ihr her.
Doch auf die Dauer wurde ihr das ledige Tanzen zu langweilig; sie blieb stehen, daß das weiße Hemd über der runden Brust auf- und abging, hielt die Hand über die Augen und sah über das Moor, das ganz weiß vom Wollgrase war.
Mit einem Male erblickte sie dort, wo hinter den Birkenbüschen Wasser blitzte, etwas Rotes, das hin- und hersprang, und das war ein menschliches Angesicht, und es gehörte zu einem Manne im grünen Rocke, der ein Schießgewehr auf dem Rücken trug, an dem Rucksacke drei Birkhähne hängen hatte, und mit dem Springstocke über die Gräben und Abstiche hinwegsetzte.
»Deubel auch!« sprach die Brennhexe und lachte; »das ist aber ein glatter Danzeschatz für mich; der kommt mir gerade paßlich.« Sie ging schneller, aber sie konnte den Mann nicht einholen. Sie hielt die Hände um den Mund und rief: »He, du!«, aber der Jäger hörte sie nicht. Sie versuchte zu flöten; doch damit hatte sie erst recht kein Glück.
So lief sie denn, was sie laufen konnte, blieb ab und zu stehen und schrie: »He!« und »Holla!« oder »Teuf!«, bis der Mann, als sie schon ganz außer Atem war, sich endlich umdrehte und nach ihr hinsah. Sie winkte ihm zu, aber da merkte der Jäger, mit wem er es zu tun hatte, setzte den Springstock ein und machte, daß er weiter kam.
»Du Flegel!« schimpfte die Brennhexe und lief wieder hinter ihm her, so daß er hin- und herspringen mußte, denn sie kam ihm immer dichter auf die Hacken. Als es gar nicht mehr anders ging, sprang er in einen alten Abstich, warf Gewehr und Rucksack von sich, duckte sich so tief, daß ihm das Wasser bis an die Brust ging und wartete, bis das verliebte Frauenzimmer an ihm vorbeigerannt war.
Dann stieg er heraus, schüttelte sich, lachte, hängte den Drilling und den Rucksack um, nahm den Stock wieder zur Hand und sprang nach der anderen Seite hin über das schwelende Haidkraut, den glimmenden Torf, an den knisternden Wachholderbüschen und den lichterloh brennenden Krüppelkiefern vorüber, ab und zu hinter sich sehend, wo alles ein Rauch und eine Glut war; einmal blieb er stehen, verpustete sich und zog ein Büschel Torfmoos aus, das er aus einem Graben riß; aber da sah er auch schon das rote Gesicht der Hexe hinter sich und hörte die gemeinen Schimpfworte, die sie ihm nachschrie, und so sprang er dahin, wo der Bach an den Wiesen vorbeilief.
Erst als er den hinter sich hatte und an dem großen Weidenbaume angekommen war, machte er Halt, ließ den Stock fallen, hängte die Büchse an den Baum, legte den Rucksack ab, warf sich in das Gras, lehnte den Rücken gegen den Stamm und atmete tief, dahin sehend, wo die Brennhexe stand und ihm mit der Faust drohte, während um sie her allerhand schwarze und graue Gesichter nach ihm hinglotzten, ihm Fratzen schnitten, Ruß nach ihm spuckten, Rauch nach ihm pusteten und ihm ihre roten Zungen ausstreckten. Er lachte sie aus, machte ihnen eine lange Nase, steckte sich eine Pfeife an und blies dem Gelichter den Dampf entgegen, mit kleinen Augen nach ihm hinsehend.
Die grauen Fratzen verzogen sich langsam, und auch die Brennhexe war verschwunden; aber nun kam ein Mädchen über das ausgebrannte Moor gegangen. Schlank war es und hatte einen stolzen Schritt; ihr aschblondes Haar sah sanft aus, ihre Augen hatten einen zärtlichen Glanz, und ihre Hände waren weiß und sehr klein. Sie nahm damit an beiden Seiten ihr Kleid auf; das war von weißem Wollstoffe und so lose geschnitten, daß es schöne Falten warf; der Halsausschnitt und die halblangen, weiten Ärmel waren mit einer goldenen Borde besetzt.
Immer näher kam das Mädchen, ging gerade auf ihn zu und blickte ihn mit freundlichen Augen an; die kamen ihm erst schwarz vor, dann meinte er, sie wären braun, und schließlich sah er, daß sie blau waren, blau mit goldenen Blumen darin. Da erkannte er das Mädchen, nickte ihm zu und rief: »Swaantje, wie kommst du denn hierher?«
Davon wachte er auf und merkte, daß er eingeschlafen war und geträumt hatte; aber er war über den Traum so erschrocken, daß ihm das Herz bis in den Hals hinein schlug. Er stand auf, warf die Büchse über den Rücken, stellte den Springstock in den Busch und sah sich nach seinem Hute um, bis ihm einfiel, daß der ihm vom Kopfe geflogen war, als er vor der Brennhexe fortlaufen mußte. Er lachte und ging langsam dem Walde zu, in dem der wilde Täuber ihn bedauerte; »O du, du, du!« rief er; aber der Häher lachte den Jäger aus, weil er so schwarz und schmierig im Gesichte aussah und nichts davon wußte; er flog vor ihm her und schrie in einem fort: »Ätsch, ätsch, ätsch!« Doch als der Jäger ihm drohte und zum Spaß nach der Flinte griff, kreischte der bunte Vogel laut auf: »Nein, nein!« schrie er und flog schnell in den tiefen Wald hinein.
»Du lieber Himmel, Herr Hagenrieder«, rief die Wirtin vom Blauen Himmel und schlug die Hände zusammen; »wie sehen Sie denn aus!« Als der Jäger ein dummes Gesicht machte, drehte sie ihn an der Schulter um, daß er in den Spiegel sehen mußte, und da lachte er, denn er war schwarz und grau gestreift von Ruß und Schweiß. Die Wirtin hatte die Hände auf die Hüften gestemmt und lachte, daß ihre Zähne blitzten.
»Auch noch auslachen!« rief der Jäger, faßte sie um und küßte sie so lange, bis sie ebenso aussah, wie er, und ihn halb böse, halb verliebt ansah; er aber lachte und sagte: »So, nun haben Sie nichts mehr vor mir voraus, und jetzt muß ich für drei Taler Waschwasser und drei Handtücher auf mein Zimmer haben, und wenn ich wieder herunterkomme, ordentlich etwas zu essen und zu trinken, denn die Brennhexe hat mich über das ganze Moor gejagt.« Da wurde die Frau ganz blaß und sagte: »Und ich dachte, Sie hätten bloß ein bißchen beim Löschen geholfen.«
Er stieg die Treppe hinauf und ging in sein Zimmer, legte sein Zeug ab und wusch sich von oben bis unten; dann zog er einen städtischen Anzug an. Als er vor dem Spiegel stand, die Halsbinde zur Schleife band und die gleichfarbige Schärpe um den Leib knüpfte, mußte er wieder an Swaantje denken. Er hatte sie einmal zu einem Ausfluge abgeholt, und weil es sehr heiß war, kam er in weißer Bluse und mit gegürteten Lenden, die Jacke auf dem Arme. »Reizend siehst du aus, Vetter Helmold, ganz reizend«, hatte das Mädchen ausgerufen und vor Vergnügen in die Hände geklatscht; »ich finde, Westen sind scheußlich, und warum die Männer selbst bei dieser Hitze dreifaches Zeug anhaben, das verstehe ich nicht. Und sieh bloß, wir sind ja ganz auf eine Melodie gestimmt: beide in Weiß und Weinrot! Hast du dich vielleicht vorher bei Fride erkundigt, was ich anziehen wollte?«
In der Eisenbahn saß ihm ein junges Mädchen gegenüber. Es war sehr hübsch; aber da es eine bräunliche Hautfarbe, dunkle Augen und schwarzes Haar hatte, so machte er sich aus den anerkennenden Blicken nichts, mit denen es ihn musterte. Ab und zu, wenn er aus dem Fenster sah, mußte er mit den Augen über es hingehen, und dann fiel es ihm auf, welchen Gegensatz zu Swaantje es darstellte, mit den zackigen Bewegungen, dem grellen Augenaufschlag, den rastlosen Händen, der wirbelnden Stimme und dem klirrenden Lachen, denn es unterhielt sich eifrig mit einem alten Herrn, in dessen Begleitung es fuhr.
Da hörte er Swaantjes milde Stimme und vernahm ihr weiches Lachen, sah ihre abgemessenen Bewegungen, und dachte an ihre kleinen, fast zu kleinen Hände, die niemals hin- und hersprangen, sondern still auf ihrem Schoße lagen oder bedächtig die Nadel führten, und ab und zu schlug sie langsam die Augen auf und sah ihn mit schwesterlicher Zärtlichkeit an. »Ich habe sie lange nicht mehr gesehen« dachte er.
Als er sein Haus aufschloß, fuhren ihm seine Hunde winselnd und kläffend um die Beine, und eine lustige Frauenstimme rief: »Schon da? Das ist ja prächtig!« Seine Frau kam ihm entgegen, frisch und fröhlich wie immer; sie hielt ihm den lachenden Mund hin, und er küßte ihn dreimal.
Sodann fragte sie ihn: »Wir haben Besuch; rate einmal, wer es ist?« Er lachte: »Du weißt doch, Grete, der Verstand ist zum Glück meine schwache Seite!« Aber da tat sich die Tür zum Eßzimmer auf und Swaantje Swantenius stand vor ihm, genau so, wie er sie im Traume gesehen hatte, in dem weißen losen Wollkleide mit der goldenen Borde am Halse und unter den Ellenbeugen, goldene Blumen in den blauen Augen. Sie gab ihm die Hand und sagte: »Willkommen, lieber Helmold! Wie schön, daß du so früh kommst; da wird uns das Essen gleich dreimal so gut munden.«
Seine Augen freuten sich, als er sie so dastehen sah, und sein Herz lachte, als er ihre Stimme hörte. Er nahm seine Frau in den rechten Arm und ihre Base in den linken und sagte: »Das ist hübsch von dir, Swaantje, daß du einmal wieder hergefunden hast; dafür bekommst du auch ein Glas Sekt. Nicht wahr, Weibchen?«
Seine Frau nickte eifrig: »Natürlich, wenn eine so liebe Kusine da ist!«
»Kußine«, scherzte ihr Mann und gab erst seiner Frau und dann Swaantje einen Kuß auf die Backe.