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Trotzdem der Marquis St. Herbert und viele Royalisten kein Mittel unversucht ließen, den König umzustimmen, so blieb Ludwig dennoch bei seinem Entschluß und weigerte sich beharrlich auf Lafayettes Pläne einzugehen.
Immer dreister erhoben die Jakobiner ihr Haupt, immer finsterer ballten sich die Unheilswolken zusammen, und die treuen Edelleute, die den Thron umgaben, blickten voll düsterer Ahnung in die Zukunft. Nur aus Horaces Herzen ließ sich der Sonnenschein nicht vertreiben, um ihn brausten die Wogen der Anarchie höher und höher und drohten auch ihn und sein Glück zu verschlingen, aber in seiner Seele sproßte der Liebesfrühling mit seinen unzähligen Knospen und Blüten. Er meinte, mit Giovonna an seiner Seite wäre es selbst noch Wonne den Stürmen zu trotzen oder mit ihr darin unterzugehen.
Indessen vereinigte sich in Paris und im Auslande alles, um die furchtbare Krisis zu beschleunigen. Das wahnsinnige Manifest des Herzogs von Braunschweig reizte die Gemüter auf das äußerste. Es hieß darin: »Ihre kaiserlichen und königlichen Majestäten erklären, wenn dem Schlosse der Tuilerien Gewalt geschähe, oder man der königlichen Familie die geringste Unbill zufüge, daß sie eine exemplarische und ewig denkwürdige Rache nehmen würden. Falls aber Paris jetzt reuig seine Schuld einsähe, solle alles verziehen sein.«
Dieses Manifest trieb auch die Schwankenden an, entschieden auf die Absetzung des Königs zu drängen. Seit dem 8. August war alles im Gange, die Rollen verteilt, die Führer gewählt und die Streitkräfte gesammelt. Zugleich riefen Robespierre, Danton und Marat, welche die Fäden in Händen hielten, die Massen aus ihren Schlupfwinkeln hervor.
Im Schlosse sah man die Dinge kommen, und traf, so gut es ging, seine Anstalten dagegen. Man wußte, daß man auf 2000 Nationalgarden zählen konnte, die zuverlässig waren, auf eine Batterie und auf etwa 900 Mann berittener Gensdarmen. Ebenso ergeben waren die 950 Mann Schweizer, welche man in den Tuilerien gesammelt hatte. Den Oberbefehl über diesen etwas bunten militärischen Körper gab man Mandat, einem alten, mutigen Soldaten und treuen Patrioten. So meinte man, mit ziemlicher Ruhe allen Eventualitäten entgegensehen zu können.
Am 9. August war der Verräter Petion beim Könige und versicherte ihm, er habe alles gethan zum Schutze der Majestäten. Als aber der biedere Mandat ihn fragte, warum die Polizeiverwaltung den Marseillern Patronen ausgeteilt habe, während dieselbe Behörde sie den Nationalgarden verweigere, entschlüpfte er ihm mit dem Bemerken, daß es erstickend heiß im Schlosse sei und entschwand im Park.
Die Nacht darauf, als die Schläge der Mitternachtsglocke über das schlummernde Paris hallten, begann auf den drei Kirchtürmen im Zentrum der Stadt das Geläute der Sturmglocken, und wenige Minuten darauf rasselte der Generalmarsch durch die Straßen. Die Legionen sammelten sich, die einen zum Aufruhr, die anderen zum Widerstande. Hier von ihren Führern ermahnt, dort von den Demagogen aufgereizt, für Gehorsam und Ungehorsam gleichzeitig geworben.
Die Häupter der aufrührerischen Sektionen trafen zusammen, es waren nur namenlose Leute, denn die vornehmen Demagogen hielten sich noch scheu zurück. Ihr erstes Werk war durch einen Befehl des Professors Cousin, welcher den Maire vertrat, Mandat nach dem Stadthause zu locken, weil man in ihm eine wichtige Person bei der Verteidigung der Tuilerien erkannt hatte. Dort wollte man ihn zwingen, eine Ordre zu unterzeichnen, wonach die Hälfte seiner Truppen von dem Schlosse zurückgezogen werden sollte. Da er sich indes standhaft weigerte, wurde er verhaftet, und während man ihn gefangen nach der Abtei führen wollte, streckte ihn ein Pistolenschuß von hinten zu Boden.
So war Mandat, des Königs Schutzwehr, beseitigt, und Petion, welcher nach seinen Worten so eifrig für die Ruhe der Majestäten gesorgt hatte, ließ sich eilig unter dem Schein der Verhaftung in Sicherheit bringen.
Mandats Ermordung war von unberechenbaren Folgen für den König. Die Schwankenden unter den Truppen konnten unter einem energischen Oberbefehl bei ihren Pflichten erhalten werden, jetzt aber erklärten die Gensdarmen, sie würden um keinen Preis auf das Volk schießen.
Der König, Marie Antoinette und die übrige königliche Familie mit einer kleinen Schar ihrer Getreuen hatten sich in einem der großen Gemächer des Schlosses zusammen gefunden. Die Edelleute waren sämtlich bewaffnet, die älteren blieben in der Umgebung des Königs, während die jüngeren sich den Schweizern anschlossen und mit ihnen das Schloß besetzt hielten.
Ludwigs Stirn war voll schwerer Sorgenfalten; er hatte sich eben auf dem Balkon, der den Blick auf den Karusselplatz hatte, den Truppen gezeigt. Ein stürmisches » vive le roi!« brauste zuerst auf, aber auch der Gegenruf » vive la nation!« ertönte. Da war am Garten ein Bataillon Vorstädter vorübergezogen und hatte in wilden Rufen gebrüllt: »Hoch die Sansculottes! Nieder mit dem König!«
Dies war es, was den Monarchen so tief erschüttert hatte. Er sah jetzt aus dem Fenster, wie Garten und Karusselplatz sich mit Aufrührern füllte und mit einer verzweifelnden Bewegung wandte er sich zu St. Herbert. »Es ist alles verloren, das Schloß kann nicht gehalten werden,« seufzte er.
»Sire, wer sich selbst nicht aufgiebt, geht nicht unter,« ermutigte der Marquis. »Die Schweizer und die Edelleute, welche das Schloß besetzt halten, werden es mit ihrem letzten Blutstropfen verteidigen Sollte es dennoch den Rebellen gelingen einzudringen, so wollen wir uns mutig unter den Trümmern des Schlosses begraben lassen.«
Der König schauderte, aber Marie Antoinette ergriff seine Hand. »Majestät, befolgen Sie St. Herberts Rat, lassen Sie uns mit Ehren untergehen. Mögen die Sturmglocken von Paris unsere Totenglocken sein, es wird eine großartige Leichenfeier, wenn wir an dem Platze fallen, den Gott uns angewiesen hat.«
Stolz aufgerichtet, voll königlicher Fassung stand die hohe Frau und blickte leuchtenden Auges auf den Gemahl.
»Denken Sie an Ihre Kinder,« mahnte der König.
»Meinen Kindern werden die Täuschungen der Erde erspart und die Leiden, welche das französische Volk seinen Fürsten bereitet,« antwortete die Königin ohne Zaudern, »der Dauphin wie seine Schwester haben königliches Blut, sie werden zu sterben wissen.«
Von draußen dröhnten laute Schläge gegen das Eingangsthor, schreiende Stimmen verlangten Einlaß zu den Verrätern drinnen. Röderer suchte sie zu beschwichtigen und zu entfernen, aber vergebens. Da eilte er in die Gemächer des Königs und beschwor ihn in die Nationalversammlung zu fliehen. Ludwig schwankte. Während St. Herbert den König zu überzeugen suchte, daß man das Schloß halten könne, sprach Röderer heftig dagegen.
»Lassen Sie uns den Feind festen Fußes hier erwarten,« drängte die Königin, und sieh an Röderer wendend, fügte sie mit Entschiedenheit hinzu: »Ich werde Ihnen nicht folgen. Sie führen uns ins Verderben.«
Dieser zeigte an Stelle der Antwort aus dem Fenster.
Die Kanoniere drehten ihre Geschütze um: statt auf das anstürmende Volk, wurden die Läufe auf das Schloß gerichtet.
Mit einem Schmerzensschrei bedeckte der König sein Gesicht. »Wir müssen fort,« murmelte er tonlos.
Noch einmal versuchte die stolze Kaisertochter, den Gemahl zurückzuhalten und Röderer zu widerstehen, aber dieser trat entschlossen vor sie hin. »Madame,« rief er heftig, »retten Sie sich jetzt, so bürge ich für das Leben des Königs, zaudern Sie aber noch länger, so ist das Leben des Monarchen unrettbar verloren.«
Die Lippen der hohen Frau zuckten, denn sie sah, daß der König ihr nicht beistimmte.
»Wohlan,« sprach sie voll edler Haltung, »so müssen wir auch dies letzte Opfer bringen!«
Der verhängnisvolle Weg wurde angetreten, die Edelleute und 20 Schweizer bildeten dabei die Bedeckung der königlichen Familie.
Unter Flüchen und Verwünschungen rasender Pöbelhaufen schritt das kleine Häuflein dahin. Ein mächtiger Beilhieb spaltete den Kopf eines wackeren Royalisten, der seinen König schirmte, ein anderer wurde von Piken durchbohrt und sank leblos nieder.
Die Edelleute, welche den Majestäten zunächst schritten, suchten der gebeugten Familie den gräßlichen Anblick zu ersparen und scharten sich wie eine dichte Mauer um das Herrscherpaar, aber sie konnten es nicht verhindern, daß das Todesröcheln des sterbenden Royalisten und das Wutgeschrei des rasenden Pöbels in ihre Ohren drang.
Bleich, doch äußerlich ruhig, trat der Monarch in die Versammlung. »Meine Herren,« hob er an und setzte sich an die Seite des Präsidenten, »ich bin gekommen, um Frankreich ein Verbrechen zu ersparen, ich denke nirgends sicherer zu sein, als in Ihrer Mitte.«
Noch ehe der König fortfahren konnte, wurde ihm bedeutet, daß die gesetzgebende Körperschaft nicht in Gegenwart der vollziehenden Gewalt beraten dürfe. Somit sah Ludwig sich genötigt, mit seiner Familie die Loge eines Zeitungsschreibers aufzusuchen.
Draußen knatterte das Gewehrfeuer der braven Schweizer, Schreien und Rufen, Stöhnen und Fluchen scholl durcheinander und übertönte oft in der Versammlung die Stimme der Redner.
Der König winkte St. Herbert: »Das Feuer soll eingestellt, das Schloß geräumt werden, die Truppen haben sich in ihre Kasernen zurückzuziehen,« befahl er düster. »Meine Getreuen sollen nicht nutzlos hingeopfert werden.«
Nur mit Lebensgefahr und nach unsäglicher Mühe gelang es dem Marquis, in das Schloß zu dringen, denn kaum hatte die königliche Familie die Tuilerien verlassen, so war die erste Kolonne von Aufständischen, geführt von Westermann und Lefranc vor dem Schlosse erschienen, und die Kanoniere hatten die Thorwächter genötigt, zu öffnen. Zuerst hatte man unterhandeln wollen, nachdem der Schwarm eingedrungen war, doch als ein Schuß knallte, und die Schweizer zugleich Feuer gaben auf die Menge, welche die Vorhalle überschwemmte, da prallte das Volk zurück und stob unter fürchterlichem Geheul auseinander, denn auch die an den Fenstern verteilten Edelleute und Schweizer schossen in die Kolonnen. Binnen kurzer Zeit war der Platz gesäubert, und nur aus sicherer Entfernung setzte das Volk jetzt das Schießen auf die Tuilerien fort.
Der Marquis stieß auf einen starken Trupp Schweizer, die eben einen Ausfall gemacht hatten und sich in das Schloß zurückziehen wollten. Er überbrachte den braven Leuten den Befehl des Königs und begab sich dann zu den Edelleuten, um auch ihnen den Stand der Dinge zu berichten.
Dreiviertel Stunden hatte der Kampf gedauert; jetzt sammelten sich die Schweizer, gehorsam der Ordre, zum Abmarsch. Kaum waren die Tuilerien geräumt, so erschien ein neuer Trupp Aufrührerischer, welche, als sie das Schloß leer fanden, – nicht erobert, sondern von seinen Verteidigern auf Befehl ihres Königs verlassen – eine furchtbare Verwüstung anrichteten.
Zurückgebliebene Verwundete, wehrlose Weiber und Dienstboten wurden niedergemetzelt und die kostbaren Schätze, welche die Tuilerien bargen, zerstört.
Die abziehenden Schweizer, welche von versteckten Schützen stark beschossen wurden, teilten sich in zwei Kolonnen. Die eine geriet auf dem Platz Ludwig XVI. in ein Kreuzfeuer von Nationalgarden und Pöbelhaufen und wurde fast bis auf den letzten Mann mit beispielloser Grausamkeit niedergemetzelt. Die andere Kolonne, welcher sich Horace und die übrigen Edelleute angeschlossen hatten, ging in den Saal der Nationalversammlung und legte dort auf Befehl des Königs ihre Waffen nieder.
Furchtbar waren die Stunden, welche die königliche Familie in der kleinen Loge zubrachte. Der Dauphin schlief auf dem Schoße seiner Mutter, deren ruhige Fassung sie keinen Augenblick verließ. Der König saß starr, fast teilnahmlos und hörte auf Vergniauds Antrag, infolgedessen die Suspension der königlichen Familie beschlossen wurde und die Berufung eines Nationalkonvents, nach einem demokratischen Wahlgesetz. Diese Versammlung sollte dann über die künftige Verfassung entscheiden im Namen des souveränen Volkes.
So mußte König Ludwig XVI. während 10 qualvoller Stunden Zeuge sein, wie man die Krone Frankreichs vor seinen Augen zerbrach.
Für den Rest der Nacht wurde die königliche Familie notdürftig im Sitzungsgebäude untergebracht. Der alte Marquis mit seinem Sohne und die Edelleute, welche ihrem Gebieter bis hierher gefolgt waren, wollten sich nicht von den Majestäten trennen. Sie hielten Wache vor der Thür, die zu dem kleinen Saale führte, in welchen der König sich mit den Seinen zurückgezogen hatte.
In banger Erwartung verstrich der nächste Tag; erst am folgenden Morgen überbrachte Vergniaud dem Könige das Verlangen des Gemeinderats, nach welchem Ludwig mit den Seinen nach dem Temple, der alten Residenz der Tempelherren, gebracht werden sollte.
Der strenge Befehl, daß keiner der Edelleute ihm dorthin folgen dürfe, war hinzugefügt. »So laßt mich erst Abschied nehmen von meinen Getreuen,« hatte der König gebeten, und auf einen Wink Vergniauds waren die Nationalgardisten zurückgetreten, und Ludwig hatte sich in das Nebenzimmer begeben, in welchem er die Edelleute versammelt fand.
»Meine Herren, ich komme, um Ihnen Lebewohl zu sagen,« begann er, und seine Stimme klang unsicher vor Bewegung. »Der Dank eines entthronten Monarchen birgt keine irdischen Schätze und Ehren in sich, aber ich weiß, daß die Männer, welche im Unglück treu blieben, ihrem Könige nie um des Lohnes willen dienten. Nehmen Sie das Bewußtsein mit, meine Herren, daß Sie Ihrem gebeugten Könige ein unendlicher Trost, eine unberechenbare Stütze gewesen sind. Mitten im tiefsten Schmerz, gebrochen durch die härtesten Kränkungen, konnte ich Gott danken, der mir in ihnen zeigte, was feste Treue, was aufopfernde Hingebung vermag.«
Ein Schluchzen ging durch die Reihen der Royalisten, selbst Vergniauds Augen wurden feucht und er wandte sich ab.
Ludwig ging zu jedem einzelnen, drückte ihm die Hand und sprach herzliche, bewegliche Worte. Die Edelleute drängten sich heran, sie bedeckten die Hand ihres königlichen Herrn mit Küssen, und ihre Thränen fielen darauf.
Jetzt stand der König vor Horace, er legte seine Hand auf das Haupt des erschütterten Jünglings. »Vater und Sohn harrten bei mir aus,« sprach er leise, »solche Treue zieht von oben einen Segen herab, der sich bis auf späte Geschlechter vererbt.«
Der alte Marquis hatte die Worte gehört, seine Kraft war völlig erschöpft, und taumelnd griff er nach der Lehne eines Stuhles. »Mein König abgesetzt – gefangen,« stöhnte er und es war, als ob das gewaltige Weh seinen ganzen Körper erschütterte, denn seine Gestalt erbebte unter kalten Schauern.
Ludwig nahm die Hand des gebeugten Mannes, traurig, voll unsagbarer Liebe blickten ihn die blauen Königsaugen an. »Mein treuer Kavalier, treu bis zuletzt, wir müssen scheiden,« seufzte er. »Ich habe nicht gejammert, als man mir eine Macht nach der anderen nahm, ich habe nicht geweint, als man mir Krone und Königsmantel entriß, aber der Schmerz, die heldenmütige und doch nutzlose Aufopferung meiner Getreuen zu sehen, das zerreißt mein Herz.«
Der Marquis kämpfte mit fast übermenschlicher Anstrengung seine Gefühle nieder. »Majestät,« erwiderte er, »man wird mir gestatten, als geringer Diener meinen königlichen Herrn in den Temple zu begleiten.«
»Man wird das nicht zugeben,« antwortete Ludwig bestimmt. »Kehrt in Eure Familie zurück, Ihr bedürft der Pflege. Ich hoffe zu Gott, daß wir uns einst dort wiederfinden, wo der barmherzige Herr statt der vergänglichen Königskronen unverwelkliche Kronen austeilt. In dem Lande des Lichts und des Friedens, wo der himmlische König zu denen spricht, welche auf Erden die Treue hielten: ›Du frommer und getreuer Knecht, gehe ein zu deines Herren Freude‹, dort oben, mein Freund, sehen wir uns wieder.«
Noch einmal drückte Ludwig die zitternde Hand St. Herberts, dann verließ er mit einem wehmütigen Gruß das Zimmer.
Der Marquis hatte sich an Vergniaud gedrängt. »Ihr werdet mir gestatten, dem Könige zu folgen,« bat er.
Vergniaud zuckte die Achseln. »Ich habe darüber nichts zu bestimmen, wendet Euch an Danton, Ihr findet ihn unten,« riet er.
St. Herbert eilte an den Nationalgarden vorüber, die Treppe hinunter, vor die Thür, wo er Danton auf- und abschreitend fand.
Flammende Röte bedeckte das Antlitz des alten Royalisten, aber stolz aufgerichtet, mit ruhiger Würde trat er auf den Republikaner zu.
»Meine Lippen haben es nie gelernt um Gnaden und Gunst zu betteln,« redete er ihn mit zuckendem Munde an, »dennoch erbitte ich mir heute von Euch eine Gnade. Laßt mich als Diener Seiner Majestät den König in den Temple begleiten.«
»Ludwig Capet findet genügende Bedienung im Temple, einen Hofstaat braucht er nicht mehr,« höhnte Danton und drehte ihm den Rücken.
Erstarrt, geisterbleich stand der Marquis. Die Nationalgarden drängten ihn zur Seite – er sah den König vorüberschreiten – er wollte die Arme ausstrecken, aber sie waren wie gelähmt – er wollte rufen, doch kein Ton drang über seine Lippen.
Ludwig stieg in den Wagen, seine Familie folgte. Dröhnend fiel der Schlag zu, dann rasselten die Räder über das Straßenpflaster.
St. Herbert erwachte aus seiner Betäubung. »Mein König, o mein König,« schluchzte er und sank bewußtlos in die Arme des Sohnes, der ihm gefolgt war.
In den folgenden Tagen herrschte im Hotel St. Herbert tiefe Trauer. Die Diener schlichen mit bekümmerten Gesichtern umher und an dem großen Himmelbett, in dem der alte, fieberkranke Marquis lag, wachten in ängstlicher Sorge die beiden Söhne, Horace und Gilbert. Die Lebenskraft des alten Herren war gebrochen, und schon schien der Tod sein Siegel auf die bleiche Stirn gedrückt zu haben, da trat gegen Ende der Woche eine leichte Besserung ein, und die beiden Söhne konnten freudiger auf den teuren Kranken sehen, als er Ende des Monats sich im Lehnstuhl an das geöffnete Fenster tragen ließ. Die Jugend hofft, so lange ein Schimmer von Hoffnung möglich ist. Auch hier bei diesen abgezehrten Wangen, diesen todesmüden Augen, auch hier hoffte das liebende Herz der Söhne, wenn auch Bertier, der bewährte Hausarzt, bedenklich den Kopf schüttelte.
In der Stadt hatte die Schreckensherrschaft ihren Anfang genommen, zahlreiche Verhaftungen fanden statt, und keiner wagte sich zu rühren, denn eine dumpfe Angst lähmte die Gemüter.
Ein einziger mutvoller Versuch gesetzlichen Widerstandes gegen die Pariser Demagogen wurde gemacht. Es war Lafayette, der dies wagte; er hatte die Gemeinde- und Bezirksbehörden von Sedan veranlaßt, entschieden Protest zu erheben gegen den Umsturz vom 10. August, und hatte es dahin gebracht, daß die drei Departementskommissäre, welche am 14. morgens ankamen, festgenommen und gefangen gehalten wurden.
Empört über diese Kühnheit faßte die Nationalversammlung sofort ihre Beschlüsse gegen die rebellischen Behörden von Sedan und gegen den meuterischen General. Somit war Lafayette nicht mehr seines Lebens sicher, denn die Nationalgarden erhielten den Befehl, den General zu greifen, wo sie ihn nur fänden.
Daraufhin entschloß sich Lafayette zur Flucht mit 20 seiner Gesinnungsgenossen. In Rochefort fiel er den österreichischen Vorposten in die Hände und wurde mit drei seiner nächsten Freunde als politischer Verbrecher durch preußische und österreichische Vorposten geschleppt und zuletzt nach Olmütz gebracht.
Ehe Lafayette Rochefort verließ, hatte er noch an Guiseppe St. Pierre geschrieben. In kurzen, aber anerkennenden Worten hatte er ihm sein mutiges Ausharren in Paris gedankt, wie für seine zuverlässigen Nachrichten von dorther und für die Ergebenheit, die er ihm immer zeigte. Er hatte dann noch die Gewissenhaftigkeit betont, mit der Guiseppe an seinem Eide festhielt, und ihn ermahnt, darin zu beharren. Schließlich hatte er den Zeilen das Schreiben beigefügt, welches der junge Mann in Lafayettes Hände niedergelegt, damit er es an seinen Vater sende.
Mit freudiger Genugthuung, aber dennoch mit tiefster Bekümmernis hatte Guiseppe die Briefe erhalten. Durch die Gefangennahme des Königs und durch die Entfernung seines Generals waren alle Pläne, an denen er gearbeitet hatte, vernichtet, und seine Anwesenheit in Paris überflüssig geworden; so sah sich der Jüngling noch einmal ohne Zweck und Ziel allein dem verwirrenden Treiben gegenüber, doch nach schweren Kämpfen hatten seine Grundsätze nun endlich eine feste Gestalt gewonnen. Die einmal der Verfassung, der Nation und dem Könige geschworene Treue wollte er halten und sollte er darüber zu Grunde gehen.