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Siebzehntes Kapitel.
Zustände in der Armee und in Paris zur Zeit der Girondisten.

An einem trüben Oktobertage des Jahres 1791 langte der Marquis St. Herbert mit seinem Sohne wieder in seinem Hotel im Faubourg St. Germain an.

Das Herz des alten Herrn war trübe, denn in Nancy hatte er den ritterlichen Cazalès gesprochen, der aus Coblenz kam. Alles was dieser da erfahren und dem Marquis berichtete, war schlimme Botschaft. Er hatte gesehen, wie die Emigranten an den rheinischen Höfen genau so lebten wie früher in Paris, und wie selbst ihre fürstlichen Gönner ihres Treibens herzlich satt waren. Die lockeren Sitten, die liebenswürdige und doch hochmütige Leichtlebigkeit der Kavaliere, drängte den Deutschen die Frage auf, ob das die Männer des alten Frankreichs wären? Und er hörte, wie man sich achselzuckend zuflüsterte: »Jetzt begreifen wir die Revolution.«

Ein Kreuzheer gegen die Aufständischen sollte ausgerüstet werden, man hatte Corps gebildet von 100 Mann nach dem Muster der Schweizer-Regimenter; keiner der Offiziere, der sie führte, durfte unter 16 Ahnen haben. Das war wieder ein trauriger Nachklang des lächerlichen Adelstolzes, der in Paris soviel böses Blut gemacht hatte.

Da erging man sich in Coblenz in den pomphaftesten Erklärungen, hoffärtigen Protesten, die keinen anderen Zweck hatten, als in Paris die Aufregung wach zu erhalten, der Presse Marats und Desmoulins Nahrung zu geben und den Haß gegen den König zu steigern, den man dadurch unabsichtlich in den Verdacht der Mitschuld hineinzog.

Diese Nachrichten waren wohl geeignet, trübe Ahnungen wach zu rufen, und der Stand der Dinge in Paris, als der Marquis dort eintraf, bot nichts dar, aus dem er eine Hoffnung für die Zukunft hätte schöpfen können.

Ende September hatten sich die Abgeordneten der neuen gesetzgebenden Nationalversammlung zusammen gefunden. Von den 749 Mitgliedern, die dazu gehörten, bestand die große Mehrzahl aus unberechenbaren Elementen, meist ganz jungen Leuten mit engem Gesichtskreis, denen fast jede politische Vorbildung fehlte. Nicht der gemäßigte Mittelstand von 1789, der die Revolution abschließen wollte, hatte seine Vertreter geschickt, sondern die neue Mittelklasse, welche sich an der Revolution nicht genügen ließ und vor Ungeduld brannte, auch den letzten Rest der alten Formen mit Stumpf und Stiel auszurotten.

Nach den namhaften Führern, die fast alle aus der Gironde stammten, nannte man schon jetzt die Partei »die Girondisten.« Ihre Mitglieder hatten durchweg die südfranzösische Lebendigkeit, die sprudelnde Fülle phantasiereicher Beredsamkeit und die sichere Schlagfertigkeit treffenden Witzes, doch staatsmännische Anlagen fehlten fast allen.

Die Vorstellungen dieser Männer waren beherrscht durch antike amerikanische und Rousseausche Ideen, doch sie konnten keinen Boden finden in dem jetzigen Zustande Frankreichs. Sie machten Politik mit dem Gemüt und mit der Phantasie und waren feine Demokraten, welche jedoch vor den Elementen schauderten, die bei der Schöpfung einer wirklichen Demokratie als Hebel dienen müssen.

Mit Teilnahme wird man sich immer der glänzenden Reden des Vergniaud, Brissot und Barbaroux erinnern, welche in der Revolutionszeit die letzten Repräsentanten des Geistes sind, und bald durch ein Regiment der Faust und des Schreckens abgelöst wurden. Zu Staatsmännern taugten diese Leute nicht, sie konnten mit glühenden Reden die Gemüter fortreißen, waren meisterhaft als Agitatoren, aber sie besaßen keine Einsicht in die Tragweite ihres Thuns, oder irgend welche Macht, die erregten Köpfe zu beherrschen.

Dieser Partei der Gironde gehörten die meisten Mitglieder der Versammlung an. Die royalistische Partei war an Talent und an der Zahl bedeutend schwächer vertreten, und keiner war im stande, auf der Rednerbühne den Zweikampf mit Vergniaud aufzunehmen.

Drängende Fragen lagen jetzt vor, die leicht zur Brandfackel zwischen der Versammlung und dem Königtum werden konnten. Die Gironde war mit dem Vorsatze gekommen, daß, wenn das Ausland die Revolution bedrohe, die eigenen Scharen über die Grenze dringen sollten. Diesem Plane stellte sich der König entgegen, der fortwährend durch Briefe die Monarchen anging, ihn irgendwie aus seiner traurigen Lage zu reißen.

Gleich anfangs drohte ein Konflikt auszubrechen. Die Versammlung faßte einen Beschluß gegen die Emigranten, welcher dahin lautete, daß sie alle Franzosen, die sich jenseits der Grenze aufhielten, für verdächtig und, falls sie sich bis zum 1. Januar noch im Zustande der Zusammenrottung befänden, für schuldig erklärten. Dasselbe galt für die französischen Prinzen.

Der König weigerte dazu seine Genehmigung zu erteilen. Vergebens stellte ihm St. Herbert, der jetzt täglich in der Umgebung des Monarchen war, vor, wie die Prinzen, mit oder ohne sein Veto, je nach Wunsch im Auslande bleiben könnten, und daß er mithin seinen Brüdern in keiner Weise durch seine Zustimmung schade, sich selbst aber durch ein Veto dem Verdacht aussetze, mit ihnen unter einer Decke zu stecken.

Umsonst, der König blieb bei seinem Entschluß und gab nur insoweit nach, daß er einen Brief an seine Brüder schrieb, in welchem er aussprach, die Revolution sei vollendet, die Verfassung fertig, er bäte sie daher, nicht durch eine fortgesetzte feindselige Haltung ihn zu nötigen, die strengen Maßregeln gut zu heißen, welche er bis jetzt noch nicht bestätigen wolle.

Die Stimmung in der Versammlung war durch dieses Veto des Königs auf das höchste gereizt. Noch schwieg man, aber man flüsterte bereits unter den Girondisten, daß es nur zwei Alternativen gäbe, entweder den König durch ein Ministerium aus ihrer Mitte zu beherrschen, oder über den Monarchen hinweg zu schreiten.

Die zweite Frage war die Stellung zu den unbeeidigten Priestern, eines der traurigsten Vermächtnisse der Konstituante. Man hatte den großen Fehler begangen, ein Gesetz zu schaffen, das von den Geistlichen in dieser Gestalt nicht angenommen werden konnte, wenn sie ihrem Amtseid treu bleiben wollten. Als man die Schwierigkeiten gewahrte, wollte man durch Amtsentsetzung die Priester zu dem neuen Eide zwingen. Dadurch aber streute man den Samen des Bürgerkrieges aus, denn der Priester hing innig mit dem Volke zusammen und der Bauer war bereit, sich für seinen Glauben zu schlagen, der ihm in dem Priester bedroht ward.

Dazu kam die Persönlichkeit des Königs. Nichts hatte ihn so sehr von der Revolution und von der neuen Ordnung der Dinge abgewendet, als das Bewußtsein, daß man seinem Gewissen Zwang anthun wolle. Ludwig XVI., der das Abendmahl stets nur von einem unbeeidigten Priester nahm, kannte in dieser Frage keine Nachgiebigkeit.

In der Versammlung wurde beschlossen, daß binnen 8 Tagen allen Geistlichen sich vor der Munizipalität zu stellen hätten, um den vorgeschriebenen Eid zu leisten, wer sich noch ferner weigere, würde seines Gehaltes verlustig erklärt.

Der Polizei war gestattet, im Fall von Unruhen die unbeeidigten Priester von ihren Wohnorten zu entfernen und festzunehmen.

Der König schob, wie zu erwarten stand, sein Veto ein.

Unterdessen erhitzten sich die Gemüter auf beiden Seiten mehr und mehr. Im Schlosse sagte man sich – mit »dieser Versammlung ist kein Friede zu halten«, und in der Versammlung behauptete man, »in den Tuilerien nährt man den Aufruhr.«

Diese beiden gewichtigen Fragen waren es, an denen sich der Sturz der französischen Monarchie entschied und der große europäische Krieg entzündete.

Als Kaiser Leopold im Dezember eine Note erließ, in welcher er eine Erledigung der französischen Angelegenheiten durch einen Kongreß andeutete, brach der Sturm los. Auf einen Antrag Guadets beschloß die Versammlung, jeden für ehrlos zu erklären, der irgend welchen Anteil nähme an einem Kongreß, dessen Zweck sei, die französische Verfassung zu ändern. Man beschloß, der König solle den Kaiser unter Formen, welche einer Kriegserklärung nicht unähnlich waren, zu einer entschiedenen, unzweideutigen Antwort veranlassen. Die Frage war, ob das Haupt Österreichs ein Freund des französischen Volkes bleiben wolle oder nicht.

Nachdem der Kaiser ein Schutzbündnis mit Preußen geschlossen hatte, ging seine Erklärung ab, daß er den ganzen Kriegslärm nur als ein Machwerk der Jakobiner betrachte, an dem die Mehrheit der Nation – die er achte und ehre – keinen Teil habe, und daß er auch jetzt nicht aus seiner gemäßigten Haltung heraustreten würde. Wider Erwarten sprach das Ministerium beim Vorlesen der Note seine Freude aus über die freundschaftlichen Eröffnungen des Kaisers und die Versammlung stimmte bei, trotz des Murrens der Jakobiner.

Der Tag, an dem die Note vorgelesen wurde, war der 1. März. An demselben Tage starb Leopold I., und Franz II. folgte ihm, der, ganz in den Händen der Emigranten, fanatisch für den Kreuzzug eingenommen war.

Das Schweigen der Versammlung über die Note Österreichs dauerte nicht lange; die Girondisten bereiteten einen Sturm gegen die Minister vor, von denen man die meisten beschuldigte, der Politik des Auslandes zugethan zu sein, und der König sah sich genötigt, ein neues Ministerium aus der Mitte der Girondisten zu wählen.

Es waren nicht die besten Kräfte der Versammlung, welche man wählte, nur Größen zweiten Ranges, und daher das Witzwort »das neue Ministerium sei das der Frau Roland.«

Der neue Minister des Innern, Roland, war der unbedeutende Mann einer jungen Frau von hervorragenden Eigenschaften und gebietendem Einfluß. Man nannte sie oft den einzigen Manu, welchen die Gironde hervorgebracht habe. Ihre Memoiren gehören zu den wenigen Büchern jener Zeit, in welchen keine Lügen zu finden sind, und zeugen von der reinen Seele der Verfasserin, zugleich aber auch von dem wunderbaren Fanatismus, der ihr eine hervorragende Rolle unter den Personen der Revolution verschafft hat.

Mit diesem Ministerium war der Krieg unvermeidlich. Am 20. April verlas der König gebeugten Hauptes in der Versammlung die Botschaft seines Ministeriums, in welcher die Gründe der Kriegserklärung entwickelt wurden, und verlangte die Zustimmung der Anwesenden. Die Nachricht wurde mit Jubel aufgenommen. Keiner dachte daran, daß Frankreichs Heer sich in einer traurigen Verfassung befand, man beschloß hier den Krieg, ohne zu wissen, womit man ihn führen wollte. Das alte Heer war in vollkommener Auflösung, die Regierung hatte Tausende von Offizieren beurlaubt, um sie nicht wieder einzuberufen, und die Gemeinen waren gänzlich der revolutionären Zuchtlosigkeit verfallen. Was war von einer solchen Armee zu erwarten?

Während in der Nationalversammlung Brissot und Vergniaud ihre glühenden Reden für den Krieg hielten, schaute ein bleiches Männerantlitz unverwandt von den Gallerien herab. Höher färbten sich die Wangen bei den flammenden Worten, und heller glänzten die Augen, und die schmalen Lippen murmelten: » mourir pour la gloire de la France.«

Nachdem am 20. April der Krieg erklärt war, blieb der Platz auf der Gallerie leer. Der Jüngling, dessen müder Blick nur bei den fanatischen Reden der Girondisten Feuer gewann, hatte Paris verlassen und eilte nach Metz, um sich den ersten anzuschließen, denen es vergönnt sein sollte, ihre Vaterlandsliebe mit dem Schwert in der Hand zu beweisen. Es war Guiseppe St. Pierre, dessen zerrissenes Gemüt unter den Fahnen Lafayettes Ruhe suchte, und der die anklagenden Stimmen seines Inneren durch den Lärm der Kriegstrompete beschwichtigen wollte.

Bittere Enttäuschung empfing ihn, als er Anfang Mai Givet erreichte. Von dort hatte Lafayette nach Namur vorbrechen und dann, nachdem er die übrigen Truppen seiner Armee herangezogen, auf Brüssel marschieren wollen. Ganz anders aber standen die Dinge jetzt und nötigten Guiseppe, seine Pläne aufzugeben.

Traurig genug lauteten die eingegangenen Nachrichten. Die Truppen des Generals Dillon waren bei dem ersten Anblick kleiner Abteilungen des Feindes in wilder Auflösung nach Lille geflohen.

Nicht viel besser zeigte sich die andere Heeresabteilung. General Biron hatte sich vor Mons verschanzt, doch als sich österreichische Reiterei in der Nähe zeigte, wurden die Truppen von einer solchen Panik ergriffen, daß er den Rückzug beschloß. Bis Quiverain waren sie gelangt, da wurden sie von feindlicher Reiterei angegriffen. Das ganze Corps floh in wilder Auflösung nach Valenciennes und wandte sich nun gegen die Verräter, das heißt gegen Rochambeau und die anderen Generale, welche sie niedermetzeln wollten.

Die Sache wurde unterdrückt, aber Rochambeau legte seinen Befehl nieder. »Ich will nichts zu thun haben mit Feiglingen, die den Feinden den Rücken kehren,« sprach er, »und mit Bösewichtern, welche die Waffen gegen ihre eigenen Offiziere kehren.«

Wie ein Donnerschlag trafen Guiseppe diese Nachrichten. Wo war die erträumte Tapferkeit der Truppen? Das konnten nur einige entartete Söhne Frankreichs sein, die den alten Ruhm ihres Vaterlandes mit Füßen traten.

Er hoffte auf Lafayette und seine Truppen, in deren Reihen er sich anstellen ließ. Sein Wunsch, dem Feinde entgegen geführt zu werden und als ein Zeuge des glorreichen Sieges zu fallen, steigerte sich fast bis zu einer wahnsinnigen Leidenschaft.

Er strengte sich auf das äußerste im Dienst an, um sich hervorzuthun und im Falle des Ausmarsches eine Stelle zu erlangen, die seinem eifrigen Vorwärtsdrängen besser genügte als dies Verschwinden in der Masse. Lafayettes Aufmerksamkeit wurde bald auf ihn gelenkt, er behielt den fanatischen Jüngling, der ihm blind ergeben schien, im Auge, um ihn im geeigneten Moment gebrauchen zu können.

In Paris ergingen sich Marats Blätter in Beschimpfungen der Generale. »Habe ich es nicht gesagt,« schrieb Marat, »daß unsere Generale nur Lakaien des Hofes sind, welche die Grenzen preisgeben und die Nation verraten.«

Trotz alles Wütens war nichts zu thun, als zu warten, bis das Heer neu umgebildet war und eine festere Grundlage erhalten hatte.

Zum Glück für Frankreich waren die auswärtigen Mächte noch nicht fertig mit ihren Rüstungen, und so ging dies Unwetter ohne weitere Folgen vorüber.

Marquis St. Herbert und sein Sohn empfanden mit tiefem Schmerz die Sachlage der Dinge und mußten sich blutenden Herzens eingestehen, daß dem Könige die Liebe des Volkes völlig entrissen wurde. Diese traurige Wahrheit zeigte sich immer deutlicher, denn gar oft empfingen den Herrscher, wenn er sich öffentlich sehen ließ, Volkshaufen mit Geschrei und schmutzigen Schimpfworten. In dieser Zeit, wo es doppelt geboten war, den Monarchen mit einer sicheren Leibwache zu umgeben, wurde die konstitutionelle Garde in den Händen der Girondisten eine Anklagewaffe gegen den König.

Nachdem die alte königliche Garde aufgelöst war, hatte man eine neue Leibgarde gebildet, teils aus früheren Linientruppen, teils aus Nationalgardisten. Zahl und Zusammensetzung war verfassungsmäßig bestimmt. In dieses Regiment, in welches Horace eingetreten war, hatten sich eine Menge Leute von altem Adel, Vendeer und frühere Garde du Corps gemischt, die aus der neuen Leibgarde ein dem Könige unbedingt ergebenes Regiment gemacht hatten.

Das war der Nationalversammlung ein Dorn im Auge, und Ende Mai wußte Brissot in einer donnernden Rede die Entlassung dieser Garde als eine dringende Notwendigkeit hinzustellen. Man stimmte ihm bei, und der Antrag ging durch. Der Hintergedanke der Girondisten dabei war klar; man wollte dem Könige das letzte Bollwerk nehmen, das ihn einigermaßen schützte, und ihn somit völlig wehrlos machen.

Der Entwaffnung des Königs folgte die Bewaffnung der girondistischen Jakobiner. Anfang Juni wurde die Errichtung eines stehenden Heeres von 20 000 Mann, das heißt von ebenso viel bewaffneten Jakobinern beschlossen, welche am Jahrestag der Erstürmung der Bastille unter Waffen treten sollten.

Der König, tief verletzt durch die Auflösung seiner Garde, legte gegen diesen letzten Beschluß sein Veto ein. Er fühlte dunkel, daß, wenn man die jakobinische Jugend aus den Provinzen nach Paris riefe, um das geplante Heer der Föderierten zu bilden, dies nichts anderes hieße, als der Monarchie den Todesstoß zu geben, darum weigerte er sich, seine Genehmigung zu erteilen. Ebenso belegte er ein zweites verschärftes Strafdekret gegen die eidverweigernden Priester mit seinem Veto. Infolgedessen reichten die neuen Minister ihren Abschied ein und empfingen ihre Entlassung. Ein unwürdiges, frevelhaftes Treiben begann; die entlassenen Minister, sowie die jakobinische Presse rasten gegen den König und alles verschwor sich, um den Thron über den Haufen zu werfen.

Im Tuileriengarten, vor einer Menge von Tausenden, wurde eine Flugschrift verlesen, in welcher man dem Ungeheuer Ludwig XVI. mit dem Tode drohte.

Immer unheimlicher wurde die Stimmung, und als man den aufgeregten Gemütern das Veto des Königs mitgeteilt hatte, begann in den Vorstädten jene unruhige Geschäftigkeit, welche einem Aufruhr vorherzugehen pflegt. Die Stadtbehörden hatten von einer Massen-Demonstration Kunde erhalten, welche am 20. Juni stattfinden sollte, aber die Polizei verharrte in absichtlicher Unthätigkeit, auch die Nationalversammlung erteilte erst am 20. früh Ratschläge darüber, wie man sich benehmen solle, wenn die Masse Eintritt in den Saal verlange.

Unterdessen wälzten sich Scharen von Rotmützen vom Faubourg St. Antoine nach dem Sitzungssaale und ertrotzten dort, geführt von dem Bierbrauer Santerre, den Eingang. Ihre Absicht war, der Versammlung wie dem Könige den Willen des Volkes vorzutragen und letzteren zu bewegen, sein Veto zurückzunehmen.

Heulend, mit wilden Ausrufen zog die Menge durch den Saal hin nach dem Tuilerienschloß. Das große Eingangsthor wurde belagert. Die 22 Bataillone Nationalgarde hätten die Zugänge zum Palast verteidigen können, aber ihre Befehlshaber waren verschwunden, und somit rührten sie sich nicht; auch nicht, als ein Verräter das Eingangsthor von innen öffnete und der Haufe in das Schloß drang.

In dem Saale l'Oeuil de Boeufbefanden sich der König mit drei seiner Minister und mehreren Freiwilligen von der Nationalgarde. Er hörte, wie die dumpfen Schläge der Beile und Flintenkolben gegen die verschlossene Außenthür donnerten, seine Lippen schlossen sich krampfhaft, aber er blieb unbeweglich.

Da öffnete sich eine kleine Seitenthür und der Marquis St. Herbert, gefolgt von einer Anzahl Nationalgarden, stürzte atemlos auf ihn zu. »Majestät, der Pöbel dringt ein, aber ich bürge für diese Männer, meinem Könige soll kein Haar gekrümmt werden, so lange einer von uns noch die Hand zu rühren vermag. Auch die Königin ist von Getreuen umgeben, wenige an der Zahl, aber jeder einzelne von ihnen läßt begeistert sein Leben für die hohe Dulderin.«

Ludwig wandte sich zu ihm, milde und voll Hoheit blickten die blauen Königsaugen ihn an. »Wir sind unbesorgt und unverzagt,« sprach er voller Würde, »die Königin und wir stehen unter dem Schutze des Herrn der Heerscharen. Wir wollen nicht, daß unsere treuen Edelleute in Not und Elend kommen durch uns. Der Weg durch die Seitenthür ist noch frei, wir zürnen niemandem, der uns jetzt verläßt, wir bitten darum, ja wir befehlen unseren Edelleuten, daß sie uns unter dem Schutze der Soldaten allein lassen.«

Keiner der Herren rührte sich. Lauter donnerten die Schläge, das Holz ächzte dabei und zeigte tiefe Risse. Wilder klangen von außen die Drohungen, betäubender wurde das Geheul: »Nieder mit dem Veto« – »Zum Teufel mit dem Könige.«

Der alte Marquis hatte die herabhängende Hand seines Monarchen ergriffen und führte sie an seine Lippen. »Meines Königs Wille kann mich in die Verbannung und in den Tod schicken, ich werde nicht murren,« sagte er, »aber keine Macht der Welt vermag mich in dieser Stunde hier fortzutreiben. Der Platz an der Seite der Majestät ist mein geheiligtes Recht; ich bleibe, Majestät!«

Der König drückte bewegt die Hand des alten Royalisten. »Die Könige der Erde sind zu arm, um solche Gesinnungen zu lohnen,« antwortete er, »aber die Nachwelt wird die Männer in dankbarer Erinnerung behalten, die in bedrängter Stunde die Königstreue zu halten wußten.

Kommen Sie, meine Herren, wir wollen dem Volke gefaßt entgegen treten, die heulende Menge soll uns keine Zustimmung entreißen, welche unser Gewissen nicht erlaubt.«

Dumpf krachte die Thür und erbebte in ihren Angeln, das Getäfel flog heraus und die zersplitterte Thür stürzte in das Zimmer.

Der König richtete sich stolz auf, mit einer Ruhe und Würde, die St. Herberts Herz höher schlagen ließ, trat er dem Pöbel entgegen, gefolgt von dem Häuflein seiner Getreuen.

Einen Augenblick stutzten die Massen, denn die Unerschrockenheit des Monarchen imponierte ihnen. Es herrschte momentane Stille, nur wie ferne Meeresbrandung ließ sich ein dumpfes Murmeln hören.

Da klang vernehmlich und klar des Königs feste Stimme durch das Gewoge: »Was will mein Volk von mir?«

Die Rufe der Schreier, welche, verdutzt durch das Entgegentreten des Monarchen, eben nur ein unwilliges Murren gewagt, ließen sich jetzt vernehmen. »Die patriotischen Minister wollen wir wieder haben! Die Bestätigung der Dekrete! Nieder mit dem Veto!« heulte es durcheinander.

Die zu hinterst Stehenden drängten nach vorwärts, dem Drucke folgend wurden die ersten wider ihren Willen in den Saal gestoßen, und gleich darauf war der König von einer wogenden Volksmenge umringt, die teils absichtslos, teils in frechem Hohne die Person des Königs drängte.

»Majestät,« flüsterte St. Herbert, der erhöhte Sessel am Fenster ist ein geeigneter Platz für eine so stürmische Audienz.«

Der König folgte der Bitte und nahm in der tiefen Fensternische Platz, umgeben von seinen Ministern und den Nationalgarden. St. Herbert blieb an seiner linken Seite.

Der tumultuarische Durchzug begann, Männer mit Piken und Flinten in furchtbarem Aufzuge, Weiber, halb angetrunken, mit rohen Scherzen auf den Lippen, der Auswurf von Paris, alles strömte hinein, dicht an den Platz des Königs heran und brüllte seine Forderungen dem ernsten Monarchen zu. Tiefer Schmerz lag in den milden Augen Ludwigs, aber auf der stolz erhobenen Stirn thronte gebietende Hoheit. Der Marquis hatte seinen Herrscher oft im höchsten Schmucke gesehen, umgeben von einem glänzenden Hofstaate, zu der Zeit, da er als absoluter König Gnaden austeilte oder Befehle erließ, aber nie hatte über dieser bleichen Stirn die Krone Frankreichs so hell gestrahlt, als jetzt die Dulderkrone eines männlich und königlich getragenen Märtyrertums.

Der Pöbel und die Jakobiner hatten ihren König in den Staub ziehen wollen, doch so wie die Sachen sich wandten, dienten sie nur als Schemel, um ihren gedemütigten Monarchen zu einer Größe und Seelenstärke zu erheben, die ihm bisher nur selten eigen gewesen war.

Jetzt nahte sich Legendre, der Fleischer des Faubourg St. Germain. »Wer ein Freund des Volkes sein will, muß seine Farben tragen,« rief er, indem er dem Könige eine rote Jakobinermütze hinhielt.

Einen Augenblick zögerte Ludwig, dann setzte er die Mütze auf sein Haupt.

St. Herbert wurde leichenblaß. »Nur keine Erniedrigung vor diesem Pöbel, mein Gott, das lasse nicht zu!« stöhnten seine zitternden Lippen.

Legendre, berauscht von seinem Erfolge, schlug trunken mit der geballten Faust auf den vergoldeten Marmortisch, der vor dem Könige stand. »Wir fordern die Bestätigung der Dekrete,« brüllte er.

»Wir nehmen unser Veto nicht zurück,« lautete die feste Erwiderung des Monarchen. »Wir haben diese Mütze aufgesetzt um dem Volke zu zeigen, daß wir ihm zu liebe unseren Königsstolz beugen können. Aber niemals werden wir uns eine Zustimmung entreißen lassen, welche gegen unser Gewissen und unsere Grundsätze streitet.«

»Hoch der König!« – »Nieder mit dem König!« schrieen wilde Stimmen durcheinander.

Legendre, betroffen durch die Festigkeit des Monarchen, schritt schweigend dem Ausgange zu.

Der Marquis atmete auf, die Farbe kehrte in seine Wangen zurück, und stolz, fast herausfordernd blickte er in das Gewühl.

Über eine Stunde verfloß so, bis endlich Vergniaud aus der Nationalversammlung erschien und Ruhe zu schaffen suchte. Auch Petion kam, er hatte die Entschuldigung bereit, daß er von dem Andringen der Bittsteller nichts gewußt habe.

»Ich weiß nicht, wem Sie dieses Märchen aufbinden wollen,« zürnte St. Herbert und wandte ihm den Rücken. »Jedenfalls wird Seine Majestät nach diesem Vorfalle wissen, was von ihren Diensten zu erwarten steht.«

In dem Beratungssaale hatte sich dasselbe Schauspiel abgespielt. Die trunkene Schar hielt ihren Durchzug auch bei der Königin und die hohe Frau mit dem kleinen Dauphin legte dieselbe Probe unerschütterlichen Mutes ab, wie ihr Gatte.

Höhnend, mit Schimpfworten auf der Zunge, waren die Pariser Fischweiber eingedrungen, aber stiller gingen sie hinaus, ergriffen von der Würde der schönen Königin. Als Marie Antoinette auf eine nichtswürdige Beschuldigung eines solchen Weibes mit ernstem Stolz und edler Einfachheit antwortete, brach die Schuldige in Thränen aus und erflehte die Vergebung der Königin.

Horace aber, der zur Seite der hohen Frau stand, küßte begeistert die zarte Hand, welche Marie Antoinette ihm willig überließ. »Majestät,« flüsterte er, »wo hohe Weiblichkeit und Fürstenschönheit sich einigt, da muß sie den Sieg erringen und alles Gemeine beugt sich unbewußt vor solcher Hoheit.«

Die Königin lächelte ihm trübe zu. »Ich habe gelernt, wie wenig Wert man auf eine flüchtige Rührung dieser beweglichen Herzen legen kann,« seufzte sie. »Dieselben Lippen, die eben stürmisch » vive le roi,« gejubelt haben, schreien vielleicht eine Stunde später » à bas la Majesté.«

Horace fühlte die Wahrheit dieser Worte, und sein Blick umflorte sich.

Eben war Santerre herangetreten und hatte dem Dauphin die rote Mütze aufgesetzt. Das Kind, das ihn erschreckt anblickte, schmiegte sich an die Mutter. Marie Antoinette schlang ihren Arm um den Knaben und flüsterte ihm zärtliche Worte zu. War es die mütterliche Sorge der Königin, oder war es der ängstliche, bittende Blick der Kinderaugen, Santerre fühlte eine eigene Rührung in seinem Herzen, er nahm die Mütze vom Haupte des Dauphin und strich sanft über das lockige Köpfchen. »Armer kleiner Bursche, dir wird zu heiß darunter,« murmelte er gutmütig.

Die Königin sandte ihm einen ihrer warmen, dankbaren Blicke nach, den Santerre mit einem unwillkürlichen, wenn auch etwas linkischen Gruße erwiderte.

Fast drei Stunden währte es, bis völlige Ruhe eingetreten war.

Als Marie Antoinette mit den Kindern an der Hand bei dem Könige eintrat, arbeitete es mächtig in den Zügen des Monarchen, er öffnete die Arme und bleich, mit überströmenden Augen, sank die Königin an seine Brust.

Die Umgebung der Majestäten zog sich schweigend zurück, die Herren begriffen, daß die königliche Familie bei so tiefem Schmerz keine Zeugen wünschte.

Als Horace aus dem Schlosse über den Hof schritt, fiel sein Blick auf einen jungen Artilleriehauptmann, der in großer Erregung mit zwei Freunden sprach. Beim Vorüberschreiten hörte er die heftigen Worte: »Warum diese nutzlose Langmut? Hätte man mir nur gestattet, drei Kanonen aufzufahren, die ganze Kanaille hätte ich auseinander gesprengt.«

Horace wandte sich noch einmal um; die nicht große, aber kräftige Gestalt mit den übereinander geschlagenen Armen hatte er heute wiederholt während des Tumultes auf dem Hofe gesehen, und als er die kühn gebogene Nase, den flammenden Blick der großen Augen näher betrachtete, murmelte er: »Ich hätte mir denken können, wer das ist, der dem Pöbel gegenüber so beherzt auftreten möchte! Ja, wäre dieser junge Bonaparte der Arm Ludwig XVI., er würde dieses rebellische Frankreich mit eiserner Faust bändigen.«

Der 20. Juni hatte geendet wie eine Büberei: zu einen: Verbrechen war es nicht gekommen, aber dennoch regte sich in ganz Frankreich die Entrüstung über diesen Streich. Die empörenden Scenen jenes Tages erfüllten jeden besser Gesinnten mit Schmerz und Scham, und selbst aus dem Jakobinerklub schieden mehrere Glieder aus, weil sie keinen Teil an so nichtswürdigem Treiben haben wollten.


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