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Zwölftes Kapitel.
Liebe und Pflicht.

Die Abendschatten legten sich dunkel um das blasse Mädchen, das still und thränenlos auf der Moosbank unter den Tannen saß. Erst als durch die Büsche ein schwarzes Priestergewand sichtbar wurde, kam wieder Bewegung in die starren Züge. Sie erhob sich mühsam und trat Gilbert entgegen.

»Ich komme Abschied zu nehmen,« redete sie ihn an, »bringt dem Geliebten meinen letzten Gruß, ich gehe fort.«

»Um Gott, Giovanna,« rief dieser erschreckt, »sprecht deutlich, was ist Euch geschehen?«

»Vor einer Stunde sagtet Ihr selbst, daß unsere Verbindung schwer, fast unmöglich sei, wenn ich nicht meinen Glauben aufgäbe,« meinte sie traurig. »Jetzt sage ich Euch, ich gebe den Geliebten frei, denn ich weiß, daß ich ihm nie angehören darf.«

»Bei Gott, Ihr sollt es dennoch,« fuhr Gilbert schnell dazwischen. »Ich selbst denke anders als vorhin. Meint Ihr, wir hätten nur den reichen Schatz Eures Herzens kennen gelernt, um Euch wieder aufzugeben? Nein, wir werden die Hindernisse überwinden, erwartet nur die Zeit.«

»Ich danke Euch für Eure Liebe,« lächelte sie matt, »sie thut mir doppelt wohl in meinem Schmerz. Aber fort muß ich dennoch, Ihr selbst könnt mir nicht anders raten, wenn Ihr alles wißt.« Sie beugte sich dicht zu dem jungen Priester. »In jener furchtbaren Oktobernacht im Versailler Schloß,« sprach sie flüsternd, »da stand der Geliebte und der Bruder sich gegenüber. Die Wunde an der Schulter verdankt Horace dem Sohne St. Pierres.«

Entsetzt fuhr Gilbert zurück und entfärbte sich, er dachte an die drohenden dunklen Augen, von denen der Bruder im Fieber gesprochen hatte.

»Sagte ich es Euch nicht, ich müßte fort,« klagte Giovanna. »Glaubt Ihr, daß Euer Vater je das Mädchen Tochter nennen würde, deren Bruder die Waffe gegen seinen Sohn erhob? Ihr schweigt – Ihr glaubt es selbst nicht. Nein, nein, die Schwester des Rebellen darf nicht die Braut des königstreuen Royalisten sein.«

Gilbert hatte sich aufgerafft, voll Innigkeit nahm er ihre Hand. »Ihr seid unberührt von Eures Bruders Schuld, Horaces Liebe wird alles überwinden.«

Das Mädchen antwortete nicht. Es war still um die beiden, nur auf dem Dornbusch zwitscherte ein Vögelchen sein Abendlied. Langsam faltete Giovanna die Hände. »Führe uns nicht in Versuchung,« beteten die zitternden Lippen.

Dann wandte sie sich wieder an Gilbert. »Habt Mitleid mit der schwachen Schwester. Mein Herz sagt tausendmal »ja« zu Euren Worten. Gott allein weiß, wie schwer ich mit mir gerungen habe! Doch mein treuer Königskämpe soll nicht vor seinem Herrscher und seinem edlen Vater erröten, wenn er bekennen müßte, den Erstürmer der Bastille, den Rebellen von Versailles will ich zu meinem Bruder machen. Nimmermehr kann das geschehen!«

»Wo wollt Ihr hin, meine Schwester?«

»Nach Heidelberg, zur treuen Pflegerin meiner Kindheit, wo ich einst so friedevolle Stunden verlebte, dort will ich hin mit meinem wunden Herzen.«

Der Priester hielt die Augen mit der Hand beschattet, Thränen rannen über seine Wangen, und er schämte sich ihrer nicht. Die Dämmerung sank immer tiefer und ließ ihm Giovannas Gestalt nur in dunklen Umrissen erscheinen.

»So wollt Ihr wirklich fort?« fragte er endlich.

»Es muß sein,« lautete die traurige Erwiderung. »Sagt Horace, so lange ich lebe, werde ich es ihm danken, daß er mir sein Herz geschenkt hat, die Seligkeit, die mir seine Liebe brachte, ist nicht zu teuer erkauft mit dem Schmerz, der meiner harrte. Auch Euer Bruder wird mich nicht vergessen; thaufrisch und grün wird die Erinnerung den lieben Jugendtraum in seiner Seele bewahren. Ach, er war zu schön für diese Erde! Gott hat es anders gewollt, sein Wille geschehe!«

»Giovanna, wie kommt es, daß Ihr so unbeirrt Euren Weg zu finden wißt, und daß Ihr Kraft habt auch zum schwersten Opfer?« forschte der Mann an ihrer Seite mit gepreßter Stimme.

»Der Herr giebt den Schwachen Kraft und Stärke den Unvermögenden,« antwortete sie einfach.

»Du gläubige Kinderseele, von dir lerne ich heute mehr, als du ahnen kannst,« rief Gilbert heftig bewegt. »Mitten im Dunkel fandest du Licht, Kraft und Trost in Gottes Wort! Dein Heldenmut im Dulden leuchtet mir voran, der Herr gab dem zarten Mädchen Kraft, er wird auch mir, seinem schwachen Diener, sein Licht leuchten lassen und wird meine erschlafften Arme stärken zum Kampfe gegen den Verfall der Kirche, der mich zu erdrücken droht.«

Giovanna verstand nicht, was er damit meinte, sie war auch zu matt, um ihre Gedanken jetzt auf einen anderen Punkt richten zu können, als auf den einen großen Schmerz, der ihr junges Herz erfüllte. »Wir wollen unsere Pflicht thun,. ein jeder auf seinem Platze,« antwortete sie leise, »dann wird der Herr uns beistehen.«

»So sei es,« gab Gilbert feierlich zurück, »Ihr seid als Siegerin aus den bitteren Kämpfen des Tages hervorgegangen, und mahnt mich zur selben Pflichttreue. Wohlan, ich will nicht verzagen! Wie die Royalisten sich um den König scharen, so will ich mich mit den wenigen Getreuen um das Kreuz einen, um es aus dem Wogenschwall empor zu halten und für dies heilige Zeichen zu kämpfen, zu leiden und zu sterben!«

Das Mädchen neigte sinnend das Haupt. »Der Geliebte kämpft mit dem Lilienbanner, Ihr mit der Kreuzesfahne, und ich will für Euch beten.«

Gilbert küßte ihre Hand. »Euer Gebet hat Horace gestählt,« entgegnete er, »es wird auch für mich von wunderbarer Kraft sein.« Dann zog er sanft ihren Arm in den seinen und führte sie dem Schlosse zu.

Aus dem Arbeitskabinett ihres Vaters schimmerte ein Lichtstreifen durch die Spalte der Thür. Leise trat das Mädchen ein. St. Pierre hatte das Geräusch nicht gehört; er saß an seinem Tische und wandte der Thür den Rücken, geöffnete Briefe lagen vor ihm.

»Vater,« flehte Giovannas Stimme. Er hörte den Ruf und sprang auf. Wie er aber sein fröhliches Kind so bleich sah mit tiefen Schatten unter den Augen, eilte er ihr besorgt entgegen.

»Vater,« klang es noch einmal wie ein zitternder Aufschrei der Angst, und dann hielt er sein weinendes Kind in den Armen, fest an das treue Vaterherz gedrückt, das erbebte, als es den heißen Schmerz des geliebten Kindes sah.

»Sage mir, was geschehen ist,« flüsterte er ihr zärtlich zu und strich die wirren Locken zurück.

Giovanna richtete sich auf und schaute mit unsagbarer Bangigkeit in des Vaters Antlitz. »Weißt du um Guiseppe, um sein Thun und Treiben?« fragte sie.

St. Pierre schrak zusammen. »Kind,« rief er heftig, »rühre nicht daran, es taugt nicht für dich, darum zu wissen.«

»Ich weiß alles,« unterbrach ihn Giovanna, »ich weiß, daß mein Bruder die Bastille erstürmte, daß er im Versailler Schloß dem Geliebten gegenüber stand!« ...

Stöhnend sank St. Pierre auf einen Stuhl. »Mein armes, armes Kind,« klagte er, »wie hast du das erfahren? Hier, dieser Brief aus Paris von meinem Freunde bringt mir eben die furchtbare Kunde. Wer aber konnte es dir verraten?«

Das Mädchen schmiegte sich an ihn. »Nicht heute, frage nicht heute! Mein armer Kopf ist mir so wirr, ich kann nichts mehr denken, nichts mehr fühlen. O bringe mich fort, weit fort von hier!«

Zärtlich umschlangen sie die starken Vaterarme. »Ich muß den Geliebten aufgeben,« flüsterte sie ängstlich an seinem Herzen. »Die Schwester des Aufrührers kann nicht seine Braut bleiben.«

St. Pierres Brust arbeitete heftig. »Unglücklicher Sohn,« murmelte er, »welches Weh bringst du über uns alle! Giovanna, mein Sonnenkind, ach, meine Ahnung betrog mich nicht, diese unselige Liebe bringt dir nur Schmerz!«

»Schilt meine Liebe nicht,« bat das Mädchen mit umflorten Augen, »mitten im Schmerz bleibt sie mein Glück und meine Wonne. Ich gebe die süßen Erinnerungen nicht hin für eine Welt voll Freuden! Aber Vater, jetzt sprich nicht mehr, bring mich hinauf, dein Kind ist müde, ach so todesmüde!«

Sorglich leitete St. Pierre sie hinauf, öffnete ihr Zimmer und zündete die Kerzen an.

Giovanna preßte die Hand auf die Stirn, es wurde ihr schwer einen Gedanken fest zu halten. »O sorge dafür, daß ich bald von hier fortkomme; überall sehe ich das Bild des Geliebten und daneben den drohenden Schatten des Bruders,« flehte sie.

Sie schauderte zusammen, liebevoll küßte der alte Mann das zitternde Mädchen. »Es soll geschehen, wie du willst.«

»Jetzt schlummre sanft, mein Liebling, mögen Gottes Engel dich behüten.«

Lange wachte noch St. Pierre im Nebenzimmer, bis der fieberhafte Schlaf seines Kindes ruhiger wurde, und während er zu dem lichten Sternenhimmel aufblickte, flüsterten seine Lippen sehnsuchtsvoll: »Raziella, Weib meiner Liebe, warum bist du nicht bei mir, um meine Sorge zu teilen! Blick herab aus deinen seligen Gefilden und sei der Schutzgeist deiner Kinder!« –

Wenige Tage später hielt ein Reisewagen vor dem Portal des Schlosses. Giovanna saß an des Vaters Seite im Wagen. Gilbert stand am Schlage und hielt ihre Hand in der seinen. »Lebt wohl,« sprach er unter Thränen. »Das Kleinod meines Bruders ist auch meinem verzagten Herzen eine Stütze und ein Vorbild geworden.«

Giovanna schaute ihn liebevoll an, sprechen konnte sie nicht, wie eine Träumende blickte sie um sich.

Sorgsam wie eine Mutter geleitete St. Pierre sein müdes Kind nach Heidelberg zu Mutter Ilse, und als Giovanna dort aufschluchzend ihr Antlitz in den Schoß der Matrone barg, da legte diese beruhigend ihre schmale Hand auf das gebeugte Haupt. »Still mein Liebling, still,« flüsterte sie ihr zärtlich zu, »schütte dein Herz vor mir aus und dann laß dir von mir das köstliche Heilkräutlein reichen, das da heißt: »Gebet und Arbeit.« –

Nachdem St. Pierre und seine Tochter Schloß Boncourt verlassen, hatte auch Gilbert sich sofort nach Paris begeben, da er alle geschäftlichen Sachen schon früher mit St. Pierre und seinem Nachfolger geordnet hatte.

Als er gleich nach seiner Ankunft den alten Marquis aufsuchte und ihm, ohne den Grund seiner Reise mitzuteilen, von seinem Aufenthalt im Waldschlosse berichtete, da ruhten die grauen Augen des Vaters forschend auf dem Sohne. Er begriff, daß eine geheime Ursache bei der Reise vorgelegen haben müsse, aber er schwieg.

»Ich bin eigenmächtig gewesen, dennoch hoffe ich völlig in deinem Sinne gehandelt zu haben,« entschuldigte sich Gilbert. »St. Pierre hat mich gebeten, sich zurückziehen zu dürfen, und ich habe es in deinem Namen bewilligt. An seine Stelle ist sein Freund, der alte Baont aus Nancy, getreten.«

»So eilig wäret ihr, daß ihr mich nicht einmal vorher fragen konntet?« fuhr der Marquis auf. »Ich hätte mehr Anhänglichkeit von St. Pierre erwartet, als daß er sein Amt und seinen Herrn in so bedrängter Zeit verlassen könnte; aber freilich, die Treuen im Lande sind in diesen Tagen zu zählen.«

»Du thust St. Pierre mehr als Unrecht, glaube mir, er hat mit feinem Takt den rechten Weg eingeschlagen. Diese Tage haben mir gezeigt, wie aus einer gewissenhaften Pflichterfüllung Klarheit und Seelenstärke erwächst, das hat auch mich gestärkt.«

Sinnend betrachtete der Marquis den Sohn, dessen Haltung ihm kraftvoller erschien als sonst. »Sonderbar,« meinte er nachdenklich, »die frische Bergluft, die um unser altes Schloß weht, scheint wunderbare Kräfte auszuströmen. Horace kehrte als ein anderer zurück, und auch bei dir will es mir scheinen, als sei ein frischeres Leben in deinen Adern geweckt. Vielleicht würde es auch mir gut thun, einmal die reine Gottesluft dort einzuatmen, fern von all diesem unruhigen Treiben.«

Gilbert blickte ihn bewegt an. »Ich glaube, auch meinem teuren Vater würde es eine Herzenserquickung sein, wenn er sich an dem köstlichen Schatze erfreuen dürfte, den Schloß Boncourt barg.«

»Barg?« wiederholte der Marquis, »hat das alte Schloß seine Heilkraft verloren?«

»St. Pierre und seine Tochter sind fort,« antwortete der Sohn mit Betonung.«

Flammende Röte überzog einen Moment das Antlitz des Marquis. »Seine Tochter – ich glaubte sie nicht dort, und Horace, mein Sohn, dem ich vertraute ...«

»Sprich kein Wort gegen Horace, ehe du mich gehört hast,« unterbrach ihn Gilbert, »ich gebe dir mein priesterliches Wort, sonnenklar und rein ist die Liebe, von der die alten Mauern zu erzählen wissen. Ich habe darum gewußt, als Horace zurückkehrte, und riet ihm selbst, dir noch nichts zu sagen, um dir nicht neue Sorge aufzubürden.

Keiner von uns täuschte sich über die Schwierigkeiten, die sich dieser Liebe entgegen stellten, doch war jetzt nicht die Zeit, an eigenes Glück zu denken, wo alle Kräfte dem Könige gewidmet werden mußten. Wenn der dunkle Himmel sich geklärt hat, dann erst wollte Horace sich dir entdecken, und deinem gütigen Herzen vertrauend, hoffte er dennoch einst das Mädchen als sein Eigentum zu erringen, das in sturmbewegter Zeit sein guter Geist geworden ist.

Es scheint, als sei jetzt der letzte Hoffnungsschimmer für ihn erloschen, Giovanna St. Pierre je sein eigen nennen zu können. Die Wunde seines Herzens ist tief und wird immer bluten, berühre sie nur mit weicher Hand. Der Weg, den diese beiden gehen, wird nur der strenger Pflichterfüllung sein, weil der fromme Kinderglaube und die starke Seele des Mädchens unbewußt es auch Horace gelehrt haben, zuerst nach der Pflicht zu fragen, ehe er der verführerischen Stimme seines Herzens Gehör giebt. Von Giovanna wird es dir genügen, wenn ich, der katholische Priester, von diesem protestantischen Mädchen sage, es ist ein Juwel von unvergleichlichem Werte.«

»Horace hätte für seine Sache keinen besseren Anwalt finden können als dich, mein Sohn,« meinte der Marquis sinnend, »dein Wort und deine strenge Gewissenhaftigkeit genügen mir, um mit völligem Vertrauen die Sache in deinen Händen zu lassen. Meine eigenen Augen bürgen mir dafür, daß der Einfluß, der von dort herüber wehte, nur ein gesegneter gewesen ist. Wie ich mich verhalten hätte, wenn die Frage einer Verbindung Giovanna St. Pierres mit Horace an mich herangetreten wäre, kann ich jetzt nicht sagen. So wie die Sachen stehen, werde ich diesen schönen Jugendtraum meines Sohnes ehren und ihm nie zu. einer anderen Verbindung zureden, bis die alte Wunde vernarbt ist.

Es wird eine Zeit kommen, da lebt die Erinnerung daran in seiner Seele wie eine Frühlingsblume, die nur in einsamen Stunden ihren Kelch noch einmal öffnet. Wohl ist der Duft dann so berauschend, daß das Herz meint, wieder jugendfrisch zu schlagen, und es sich noch einmal von dem seligen Traum umfangen läßt, in dem das Leben sonnig schien, und die Menschen groß und edel. Doch die Morgenstunde zerstört den Wahn, das Herz erwacht nur zu früh, um zu finden, daß es ein hartes Leben sei, voller Kampf und Entsagung, in dem nicht viele reine Blumen sprießen, und nur wenige Treue sich finden auf der Scholle, die wir Heimat nennen.«

Er seufzte tief, und mit sehnsüchtigem Blick schauten die grauen Augen in die Ferne. Bewahrte dies stolze und doch so warme Herz in seinen tiefsten Falten auch eine so stille, geheimnisvolle Frühlingsblume?

Nach einer langen Pause wandte der alte Herr sich wieder zu Gilbert. »Horace wird dich voll Ungeduld erwarten, eile zu ihm und sage ihm alles, was dir dein Herz eingiebt, es wird das Rechte sein. Morgen werde ich selbst zu ihm fahren.«

Gilbert nahm Abschied von dem Vater, er verstand, daß dieser allein sein wollte.

Als die Thür sich schon lange hinter dem Sohne geschlossen hatte, verharrte der Marquis noch in seiner alten Stellung. Sinnend schaute er in den Abendhimmel, dessen mattes Rot seine blassen Züge belebte. Aus den Augen strahlte ein warmes Licht, in dem Herzen aber hatte die Erinnerung einen längst begrabenen Traum neu belebt. Da klang es wie in alter Zeit leise und doch vernehmlich herauf von dem süßen Lieben, von dem seligen Geliebtsein. Um die alternden Lippen des Marquis legte sich ein glückliches Lächeln, das die winterliche Sonne fortküßte mit ihren letzten Strahlen.

Am späten Abend desselben Tages saßen im Versailler Schloß in der Krankenstube des jungen Marquis die beiden Brüder bei einander.

Milde und voll Schonung hatte Gilbert dem leidenden Bruder die traurige Wahrheit beigebracht.

»Ich lasse meine Giovanna mir nicht entreißen,« hatte er dazwischen gerufen, »niemand darf uns trennen! Was kümmert mich dein Bruder, dich, nur dich will ich besitzen!«

Gilbert hatte mit keiner Silbe den leidenschaftlichen Ausruf des Bruders unterbrochen, als er endlich erschöpft schwieg, wandte er unbemerkt das Gespräch auf den unwiderstehlichen Einfluß, den Giovanna auf sein zaghaftes Gemüt ausübte.

Es war das rechte Wort gewesen, das er getroffen hatte, denn mit warmem Blick hing Horace an des Bruders Lippen. »Ich wußte ja, es konnte nicht anders sein,« flüsterte er vor sich hin, »sie wird aller Herzen gewinnen, und sie, die ich mir unter Tausenden erwählt habe,« fuhr er lebhafter fort, »sie sollte ich aufgeben!«

»Dennoch hat Giovanna recht,« bestätigte Gilbert milde aber fest, »die Schwester des offenkundigen Rebellen darf jetzt nicht die Braut des Royalisten sein, euer schriftlicher Verkehr muß aufhören um deinetwillen, um eurer Sache selbst willen. In dämmernder Ferne kann euch ein Tag leuchten, wo die stürmischen Gemüter sich die Friedenshand reichen, dann schlägt eure Stunde.

Erst im Kampfe erringt man Seelenstärke, und aus blutenden Wunden sproßt eine edle Saat. Gedenke der Sage des Pelikan, der mit seinem eigenen Blute die Jungen nährt. Die Tugenden, die du jetzt groß ziehen sollst, ist deine männliche Entsagung, wie deine alles opfernde Königstreue. Aus bitterer Schmerzensstunde geboren, werden sie mit deinem Herzblut errungen und genährt, so teuer erkauftes Gut trägt einen wunderbaren Segen in sich. Harre, wie der Herr es weiter führt.«

»Du hast mich überwunden, Bruder,« gab Horace wehmütig nach, »Giovanna ging mir voran in Mut und Entsagung, ich bin bereit, ihr zu folgen. Reich mir Feder und Papier, ich werde versuchen ihr zu schreiben, es soll mein letzter Gruß sein für lange Zeit.«

Zögernd reichte ihm Gilbert das Verlangte und blickte nicht ohne Sorge auf die erhitzten Wangen und die zitternde Hand des Bruders.

Nach kurzem Schreiben hielt Horace inne und lehnte sich völlig kraftlos zurück, denn nur mit großer Mühe vermochte er mit der linken Hand einige fast unleserliche Buchstaben auf das Papier zu werfen. »Du wirst den Brief vollenden, und Giovanna über mich beruhigen,« bat er, »ich kann nicht mehr!«

Gilbert überflog die unsicheren Schriftzüge. Es waren nur wenige Worte, aber sie ließen einen tiefen Blick in das blutende Herz thun, das bebend seinem Teuersten Lebewohl sagte.

»So soll denn dies mein letztes Schreiben sein, carissima mia,« lauteten die Worte, »Du willst es, und ich beuge mich, wie Du es gethan, aber aus meiner Seele reißt sich ein bitterer Schrei des Schmerzes, so laut und gewaltig, daß ich meine, er müsse bis zu Dir hindringen. Die Braut kann man mir nehmen, die Geliebte meines Herzens aber niemals, ihr wird meine Treue gehören bis in den Tod. Bei Mutter Ilse werde ich später anfragen, was aus dem Kleinod geworden ist, das ein armer Sterblicher gefunden hat und bewahren wollte als seine Krone, das ihm aber entrissen wurde, noch ehe er es an sich ziehen durfte.« ...

Hier war das Schreiben abgebrochen. Thränen waren darauf gefallen, und auch Gilberts Augen wurden feucht, als er es sinnend einsteckte.

Der alte Marquis verfehlte nicht am nächsten Tage nach Versailles zu fahren. Er hatte mit keiner Silbe des gestrigen Gespräches erwähnt, nur der zärtliche Blick, die Fürsorge, mit welcher er Horaces Decken ordnete, zeigte dem Sohne, wie seines Vaters Herz voll Liebe für ihn überwallte.

Als der Marquis beim Abschiede Horace die Hand reichte, schaute er ihm bewegt in die müden Augen. »Ich ehre deinen stillen Schmerz,« sprach er. »Glaube mir, mein Sohn, die Geschichte eines Menschenherzens wird nicht ohne Thränen geschrieben. Thränen des Schmerzes, der Entsagung und der Täuschung. Wohl dem Gemüt, wo diese bitteren Zähren nicht zu einer Eisrinde erstarren, die sich erkaltend um das heiße Herz legt, sondern wo diese Thränen wie der segnende Tau des Himmels auf den Garten des Herzens fallen, damit die Blüten darin reiner und kräftiger dem Himmelslichte entgegenstreben.«

Gedankenvoll blieb Horace zurück. Sein Weg war ihm klar vorgezeichnet, da war kein Schwanken mehr in den blassen, aber festen Zügen, als er am Abend zu Gilbert herunter kam.

»Vorwärts denn mit Gott,« flüsterten die Lippen, und die Augen schauten wohl noch müde, aber dennoch klar und unbeirrt in das Leben.


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