Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dritter Aufzug

Erste Szene

Halle auf der Wartburg

Wintertag.

Raspe, ein Pergament in der Hand, mit einigen Herren und Bürgern von Eisenach (unter dem Gefolge der Minnesänger Rudolf von Ems). – Elisabeth, schwarz gekleidet, tritt soeben in die Tür, auf das etwas verlegene Gefolge und den finster blickenden Raspe schauend.

Elisabeth

(ruhig, etwas verwundert)

Nun, liebe Herrn? Versagt man mir den Gruß? –

(Die Bürger verbeugen sich. Peinliche Pause. Sie tritt etwas näher)

Mein Bruder, worin hemm' ich Euch? – Ich gehe
Still an mein Tagwerk, aus der Kemenate
Zur Kirche oder in mein Spittelhaus.
Und Trauer trag' ich, weil mein Gatte fern ist.
Was schaut Ihr finster? Worin tat ich Unrecht?

Raspe

(er pflegt etwas abgebrochen zu sprechen; verlegen unter ihrem Blick)

Niemand versagt den Gruß ... Ihr kamt so leise – –
Wir glaubten, eine Dienerin – – wir lasen ...
Wir lasen hier – Rudolf von Ems und diese –
Herrn Walther von der Vogelweide. Sammeln
Will ich die Lieder, obzwar tot Papier.
Das müßte singen, tanzen durch die Wartburg!
Wir lasen – sag' ich – lasen diesen Spruch:

(Liest)

»Die Düsterlinge sagen« – er meint mich –
»Die Düsterlinge sagen, es sei alles tot,
Und lebe niemand, der nun singe.
Doch mögen sie bedenken die gemeine Not,
Wie alle Welt mit Sorgen ringe.
Kommt Sangestag, wir wollen singen und sagen!«

(Setzt ab, gibt das Pergament einem Begleiter, spricht weiter)

»Warum«, so fragt' ich, »kommt nicht Sangestag?
War' ich hier Herr, es wäre Sangestag!«
Und wie ich also rief, die Diele stampfend,
Da schwebt Ihr, schwarze Frau, gespensterbleich
Den Gang herunter, wie ein Flämmchen schwebt
Auf einem Kirchhof – –

(heftig, aufstampfend, wie ein ungebärd'ger Junge)

Kirchhof ist die Wartburg!
Bettler vorm Tor! Und hinterm Tor Gebete!

Elisabeth

(ruhig-freundlich)

Bruder, wir scheiden uns hierin. Ich schätze
Herrn Walthers Kunst und hab' sein Singen lieb:
Doch schöner dünkt mich das gesprochne Wort,
Wenn es voll heimlicher Musik der Güte.
Zwar schelt' ich jene nicht – sie sangen gut,
Wir aber sprechen nun. Bin ich verschwärmt?
Bist Du's nicht, der in Sanges Lüften schwebt,
Indes ich nüchtern zu dem Elend spreche?

Raspe

Ich bitt' Euch: hat man nicht für sie gesorgt?
Steht nicht ein neues Spittelhaus am Brunnen?

Elisabeth

Mit dreißig Kranken! Bruder, dreißigtausend
Warten in Deutschland!

Raspe

Warten um die Wartburg –
Daher der Name! Geh' ich aus, so fall' ich
Schon da im Gang –

Elisabeth

Ja, über die vielen Knochen,
Den Hunden hingeworfen, nicht den Bettlern –

Raspe

Die Hunde dienen mir!

Elisabeth

(fest und freundlich)

Die Krüppel dienten
Im Kreuzzug Gott! Viel Tapfre zogen aus
Zu Roß und gut genährt, zum Dienen willig –
Und kehrten heim, verkrüppelt und mit Aussatz!
Vordem umjubelt, sind sie jetzt vergessen.

(Hoheitsvoll)

Die sind es, die Vergeßnen, die ich suche!
Seht, Bruder, so ist unser Reich geteilt:
Befehlt Ihr den Gesunden – ich den Kranken.

Der » Erste Bettler« taucht im Hintergrund auf. Elisabeth schaut sich fragend nach ihm um.

Bettler

Sie schicken mich vom Spittelhaus –

Elisabeth

Nun, wer ist krank?

Bettler

Weinhardus – und der Junge,
Den so die Schmerzen quälen – beide rufen
Mit lauter Stimme nach Euch, Frau Landgräfin –

Elisabeth

(sich sofort zum Gehen wendend)

Ich laufe –

Jutta kommt.

Elisabeth

Jutta – nun?

Jutta

Der Pater wartet.

Elisabeth

(nach kurzem Zögern)

Sag' Pater Konrad, daß er warten soll!
Sie brauchen mich da unten!

(Zum Bettler, frisch)

Flink, wir tanzen
Den Winterwald hinunter! – Liebe Herren,
Denkt gut von eurer Landgräfin, ich bitt' euch!

(Geht mit leichtem Kopfneigen ab, vom Bettler gefolgt; die Herren verneigen sich; Jutta kopfschüttelnd nach der andern Seite ab.)

Erster Bürger

Es ist ihr schwer beizukommen. Sie hat Hoheit ... Man merkt, daß sie eines Königs Tochter ist.

Zweiter Bürger

Sie spricht gut.

Dritter Bürger

Es ist der Blick. Sie zwingt's mit dem Blick.

Zweiter Bürger

Mit der Hand! Mir haben Kranke gesagt: Wenn sie die Hand auflegt, so geht ein Strahl aus der Hand heraus und macht sogleich gesund.

Raspe

(ist inzwischen düster hin und her gegangen, bleibt jetzt stehen)

Also, ihr Herrn von Eisenach, so steht unsre Rechnung! Sängerburg – oder Bettlerburg? Festgewand – oder Trauer? Wofür seid ihr? Bettler?

Erster Bürger

Die Rattenplage!

Zweiter Bürger

Es ist seit Menschengedenken nicht so viel gestohlen worden!

Erster Bürger

Und die Raufereien! In der Schenke am Jörgentor schlagen sie sich alle Samstage die Schädel wund.

Dritter Bürger

Nun, wer zu der Frau Landgräfin hält, der lungert wohl nicht in den Schenken herum!

Erster Bürger

Aber das Gesindel zieht sich hieher! Denn es geht weit und breit die Losung um: Hier wird die Faulheit gefüttert!

Raspe

Wohl gesprochen! Dies Wort setz' ich in Goldschrift über das Spittelhaus: Hier wird die Faulheit gefüttert! Drum, Eisenacher, gedenk' ich jetzt, zur Stunde, augenblicks, ein Ende zu machen! – Frau Sophie, meine Mutter, ist auswärts: doch weiß ich, wie sie denkt. – Hermann (zu einem aus dem Gefolge), sowie die Landgräfin wieder herauf ist, nimmst du eine Handvoll Reiter: und du säuberst mir das ganze Weichbild von Eisenach! Nehmt den üblen Schwarm zwischen die Rosse – und fort mit der Herde! Setzt sie im Hessischen ab oder wo ihr wollt! (Zu den Bürgern.) Und ihr, die ihr einverstanden, ruft eure Büttel, tut in Eisenach das gleiche!

(Die zwei ersten Bürger verneigen sich, es ist zufriedene Erregung unter die Gruppe gekommen; sie gehen nach beiden Seiten ab, unter lebhaften Gesprächen.)

Raspe

(zum Minnesänger, der sich inzwischen abseits hielt)

Der Stein fliegt, Konrad von Ems! Wollt' Gott, die ganze Ungarei wär' samt den Bettlern draußen! – Kommt, wir lesen weiter in Walthers fröhlichen Worten! Farben her! Töne!

(Zwischenvorhang,)

Zweite Szene

Schloßkapelle

Düstre Beleuchtung. Über dem Altar rötlich glühend das ewige Lämpchen. Schwere Stimmung über allem. Auf den Stufen kniet Elisabeth, das Gesicht in den Händen. – Konrad hängt eine Geißel an die Steinsäule. Dann wendet er sich langsam wie zum Gehen, bleibt stehen und spricht tiefernst.

Konrad

Euch blutet zwar der Leib – doch mir die Seele ...

(Wieder als ob er gehen wollte, dreht sich nochmals um, heftiger)

Ihr macht mein Amt mir zum Verzweifeln schwer.
Denn Ungehorsam ist die schlimmste Pest!
Und schlimmer als Beulenpest ist Ketzerei!
Ihr – züchtet beides! Ihr gebt unschön Beispiel.
Wenn Euch die Kirche ruft, so tanzt Ihr lächelnd
Den Berg hinunter: »Sag' dem Pater Konrad,
Ich komm' ein andermal!« O kindisch Tändeln!
Das höre nur das Volk und schwatz' es weiter!
Und statt zur Messe läuft das in die Schenke
Und tut wie Frau Elisabeth. Denn ihnen
Ist Schenke das, was Euch das Spittelhaus:
Ein Lustreiz! ... Schwer schon trägt die Christenheit
An Kaiser Friedrich, dem Häretiker –
Wollt Ihr nun Kaiserin der Ketzer sein?!

Elisabeth

(hat das Gesicht erhoben, schaut starr die Ampel an, wie abwesend)

Mich friert ... Doch rosenrot glühst du mich an,
Des Heilands Herzblut! Wie ein heil'ger Gral
Erquickst du, schwebend Lichtlein! ... Fehlte ich?
O so vergib die Sünde! ...

(Zu Konrad, sich langsam umdrehend, und sich mit leisem Aufstöhnen auf die Steinstufe setzend)

Euch muß ich
Den Traum erzählen, Pater Konrad.

Konrad

Geh nun
Und pflege dein! Es ist genug.

Elisabeth

(den Kopf aufstützend, vor sich hin)

Den Traum ...
Wofern im Traum die Seele sich enthüllt,
So lest aus diesem Nachtbild meine Seele.
Es wär' ja nutzlos, Euch zu täuschen. Gott
Weiß dennoch, wie ich bin ... Drum hört den Traum.

(Die Hände über den Knien haltend, vor sich hinschauend, sehr deutlich, doch etwas eintönig)

Mir ist erschienen eine Lichtgestalt,
Die stand vor mir und sagte diese Worte:
»Willst du an Heiligkeit so steil entfliegen,
Dem Blick der Feind' und Freunde so entrückt,
Daß nichts dich halten kann, daß aber wir,
Die nahen Himmelsengel, dich begrüßen?«
Tief prüft' ich mich. Dann fragt' ich: »Auch die Armen?«
»Du überfliegst sie alle – auch die Armen.«
»Und sie sind einsam?« – »Sie sind fürder einsam.«
Die Nacht war still. Ich saß und dachte tief.
Dann legt' ich mich zurück und sagte: » Nein«.

Konrad

Du sagtest Nein?! Du hast das Angebot
Der Heiligkeit verschmäht?!

Elisabeth

(leise, doch fest)

Ich sagte Nein.
Gnade für mich allein war' keine Gnade.

(Ausbrechend)

O Pater, schau' mich: Meine Kleider kleben
Am blut'gen Leib – ich aber sage dir:
So schwer, so glühend, wie die Messinglampe
Dort überm Altar, hängt mein Herz zur Erde,
Zum Gatten, zu den Kindern, zu den Armen –
Erfasse doch den Traum! Laß ab von mir!
Die Rosen, die du einst gescholten, hab' ich
Nur immer lieber, ja, ich mag seitdem
Kein Kreuz mehr sehen ohne wilde Rosen!
Du siehst mich ganz voll Sünde! Darum laß mich!

Konrad

(düster)

Ja, ich ersterbe noch im wilden Wald
Der Rosen, die mir meinen Bau umwuchern.
Das ahn' ich. Regellos das alles – üppig!

(Zu Elisabeth)

Der Weg zur Heiligkeit –

Elisabeth

(kopfschüttelnd, vor sich hin)

Ich bin nicht heilig – –

Konrad

(ruhig-eindringlich)

Versteh mich, fiebernd Kind: Gehorsam heißt
Die erste Christentugend. Hast du nicht
Den Geist in Zucht und kannst du nicht gehorchen –
So bist du Irrlicht! Lockst die Armen an
Und läufst mit ihnen ziellos durch die Zeit,
Flämmchen im Wind! – Sei du nur schwere Lampe,
Wie jene dort, und wuchte glühend-rot –
Doch bleibe überm Altar! Werde stetig!

Elisabeth

Lieb hab' ich sehr den Altar! Lieb hab' ich
Die heil'ge Kirche! Doch wo Kranke sind
Und gute Hilfe – ist da nicht ein Altar?

Konrad

(belehrend, fast warm)

Frau, wir sind Menschen. Eine Mutter hat
Ein jeder – unsre Mutter ist die Kirche.
Weh, wer die Eltern nimmer ehrt! Sein Werk
Ist ohne Segen. Drum, mein Kind, beginne
Jedwedes Tagewerk mit unsrem Segen –
Mit meinem Segen: denn ich bin für dich
Die Kirche – und durch mich nur geht der Weg.
Ich bin dein Vater – und der Kirche bin ich,
Als deiner Mutter, anvermählt; und du
Und ich und alle Christen sind als Kinder
Zu eigen einem, der in Roma thront,
Als »heil'ger Vater«: jener aber ist
Der Stellvertreter Gottes. Sieh, so sind wir
Ein großgefügter Bau, ein Gottesbau.
Tue dein Werk, doch ohne Schwärmerei:
Tue dein Werk – als Glied der heil'gen Kirche!
Elisabeth

(matt)

Betet für mich ... Ich bin noch unfromm ... Bin
Sehr kraftlos ... Jutta!

(Wird ohnmächtig,)

Konrad

(ruft durch die Tür)

Jutta! Sieh nach ihr! ( Jutta kommt.)

(Zwischenvorhang.)

Dritte Szene

Halle auf der Wartburg

Ruprecht tritt aus als Krieger, Narbe über der Stirn, sehr mitgenommen; ihm begegnet Margret.

Margret

(entsetzt die Hände zusammenschlagend, nach einer Pause des Erstaunens)

Ruprecht?! –

Ruprecht

(kalt)

Ja, Ruprecht!

Margret

Oder dein Gespenst?!

(Rasch gen Himmel)

Heilig! Nur heilig! – Ruprecht, zogst du nicht
Mit in den Kreuzzug?! Bist du dort gestorben
Und zeigst mir deinen Tod an? – Marter Gottes,
Ich hab' dir ja vergeben!

Ruprecht

(kalt und kurz)

Laß das, Weib!
Ich bin von Fleisch und Blut. Die rote Narbe
Und zwei in eurem Schnee erfrorne Zehen
Sind wohl Beweis genug. Führ' mich zur Frau
Elisabeth!

Margret

Bist's wahrhaft?! Heiliges Wunder!
Mann, siehst ja stattlich aus, ob auch ein bißchen
Verfroren und verlumpt! Wer dich nicht kennt,
Hält dich für 'n ordentlichen Kriegsmann. Komm,
So gib mir doch die Hand! Wir sind ja doch
Eh'gatten!

Ruprecht

(grimmig-verächtlich)

Regt sich wiederum das Weibchen?

Margret

Gibst mir die Hand nicht?! Bin ich etwa unwert,
Weil mich die Sorge um die Seligkeit
Zermartert?! Weil ich täglich hier mich rackre,
Indessen du's mit Sarazenenweibern treibst?!
Was?! Liefst am Ende fort, als Blut floß?

Ruprecht

(höhnisch)

Ja!
Ja, Weib, ich lief davon! Ich bin ja feig!
Ich hielt's mit welschen Weibern, kaufte ihnen
Schmuckkästchen, venetian'sche Spitzen – seine,
Blitzblank geschliffne Gläser, golddurchfädelt –

(In wachsendem Grimm)

Du Betmaschine, mehr denn jemals mir
Verhaßt! Da draußen in der hellen Luft,
Am Kaiserhof, am Meer, am Alpen-Abgrund
Hat sich's verstärkt, was du verruchtes Weib –
Verrückt mehr, als verrucht! – mir angetan.
Bist mir zum Ekel, Weib! Pack' dich! Wenn ich

(Pater Konrad tritt unbemerkt auf)

Ein Kreuz gesehn, hab' ich den Kopf gedreht,
So hast du mir mit Rosenkranzgeschnatter
Das Kreuz verekelt! Hätt' ich den Tod gefunden,
Ich wäre ohne Beicht' und Sakrament
Zum Teufel gefahren, weil mein giftig Weib
Die Frommheit mir verleidet hat! Pack' dich!

Margret

(nach Worten suchend vor Wut)

O heilige fünf Wunden! – Pater! Pater!
O Pater Konrad, habt Ihr den gehört?! –
Heilig! Nur heilig! – 's ist der Satan, dem ich
Entlief! Es ist mein Mann! Er ist entlaufen –
Wie eh'dem mir – so jetzt dem heil'gen Kreuzzug!
Denn er ist feig!

Konrad

(kalt-ruhig)

Was sprachst du da vom Kreuz?

Ruprecht

(in Zorn)

Feig?! Himmel und Hölle!

Konrad

(näher tretend)

Mich schau' an, mein Freund:
Wie war das, was du da vom Kreuz gesprochen?

Ruprecht

(seinen Zorn nun gegen ihn kehrend)

Daß Euer Betgeplapper mir verhaßt ist!
Daß ich vor jedem Kutten-Weiber-Rock,
Wie Ihr ihn tragt, vor jedem glattgeschabten
Priestergesicht das Auge seitwärts wende,
Weil etwas in mir weh tut oder höhnt!
Da wißt's nun! Jetzo nennt mich feig! Und wollt Ihr
Ein weitres hören, nun, so fragt den Kaiser
Friedrich den Zweiten, »Sarazenenkaiser«
Vom Pfaffenvolk genannt! Der glaubt

(Schnickt mit den Fingern) so viel!

Und einen traf ich, einen Albigenser
Oder Waldenser, war ein frommer Mann,
Doch hielt vom Pfaffentum soviel wie ich!
So, Pater, jetzo nennt mich feig! – Platz!

(Will an Margret vorüber.)

Konrad

(kalt und laut)

Halt!
Sebald!

(Ein Laienbruder erscheint)

Zwei Knechte! Den da in den Turm!

(Jener ab.)

Ruprecht

Mich in den Turm? Seid Ihr von Sinnen?! Wer
Gebietet auf der Wartburg?

Konrad

Du kommst wahrlich
Von weit her, dreister Bursch. In äußren Dingen
Gebietet hier Herr Raspe, doch in Dingen
Der Kirche Pater Konrad, der dich jetzt
Als ketzereiverdächtig in den Turm setzt!

(Laienbruder und zwei Knechte erscheinen.)

Ruprecht

Das ist ja Narretei! Ich habe Auftrag –

Konrad

Bindet den Mund ihm zu, wenn er nicht schweigt!
Pestodem aus dem Süden, hauchst du mir
Vom Sarazenenkaiserhof bis hieher?!
Willst du uns Albigenser züchten?!

Ruprecht

(in seiner Überraschung gefesselt, wird fortgeführt)

Hunde!

(Ab.)

Margret

(noch ganz erregt)

Der trägt Unsegen in die Burg – Nur heilig! –
Ich war zu lau im Beten, drum mir Gott
Den Greuel sandte – heil'ger Mann, vergebt mir!

(Kniet und küßt sein Kleid.)

Konrad

(kalt und kurz)

Geh nur!

Margret

(auf den Knien bleibend)

Seid Ihr so kalt? Hab' ich's verfehlt?
So nehmt mich mit in Eu'r Gemach, nehmt mich
Und züchtigt mich! Jedweder Geißelschlag
Von Eurer Hand auf meinen nackten Rücken
Ist Süßigkeit!

Konrad

(schärfer)

Geh an die Arbeit, sag' ich!

Margret

(auf den Knien bettelnd, in durchbrechender, tieferer Qual)

Ein wenig Liebe, Herr! Ich bin ein Weib!
Ich hab' vom Leben nichts – nur solchen Mann –

( Konrad stampft auf: sie schleicht, sich bekreuzigend und in den Augen wischend, mit gesenktem Kopf davon.)

Heinrich Raspe kommt.

Raspe

(blickt verdrossen; er spricht ruckweise, zaudert oft, überstürzt sich dann wieder)

Wen schleppt man übern Hof? – Gabt Ihr, Herr Pater,
Befehl?

Konrad

(ruhig)

Ich tat's. Denn Eures Beifalls war ich
Dabei gewiß. Der Troßknecht ist entlaufen
Aus halbem Kreuzzug. Statt der Frommheit bracht' er
So ketzrisch Lästern aus der Ferne mit,
Daß ich ihn festnahm. Bei Gelegenheit
Könnt Ihr, Herr Raspe, ihn verhören ...

(Raspe spielt finster mit der Hand im Bart; Konrad geht ebenso düster hin und her, Hände auf dem Rücken.)

's ist
Eisige Winterszeit. Die Luft ist starr
Vom Frost. Eiszapfen drohn wie Krallen,
Und zähnefletschend steht das Schneegebirg'.
Dies alles dünkt mich Sinnbild der Erstarrung
Auf Eurer Burg – und überall im Volke.
Wie mit verhalten-dumpfem Ingrimm schleichen
Die Menschen sich vorüber. Meine Predigt
Wirft sie auf einen Atemzug in Staub –
Doch wenn sie sich aus ihrem Sündenkot
Erheben, sind sie schmutz'ger! Leben zu zeugen
Ist mir versagt! Bußprediger und Büttel
Schlagen nur tot: und ich bin hier der Büttel! –
Nun? – Hat Euch mein Befehl gekränkt?

Raspe

Ihr habt
Verfügt – und somit muß es bleiben. Mag ich
Nun wollen oder nicht. Gleichwohl – –

Konrad

Gleichwohl –?

Raspe

Ja, Pater Konrad, eine Totenhand
Lastet auf meiner Burg! ...

(herausfahrend)

Wer ist hier Herr?

Konrad

(ruhig die Arme kreuzend)

Sprecht nur! Ich hab' auf dies Gespräch gewartet.

Raspe

(in wachsender Erregung)

Auf Wartburg fehlt das Lachen, Pater Konrad!
Laßt sie ja nicht dahinter kommen, Pater,
Wer hier das Lachen und die Liebe austreibt!

Konrad

Ruft's her! Ihr habt ja Macht!

Raspe

Wer hat hier Macht?
Ihr seid die Seele dieser Burg – nicht ich!
Wenn Ludwig heimkehrt, bin ich wieder Vasall!
Wohl heb' ich die Hand zur Tat – doch mitten drein
Zuckt mir der lähmende Gedanke: »Laß doch!
Was du verfügt, wirft Ludwig wieder um!
Und frage erst die liebe Schwägerin!
Und frage erst den klugen Pater Konrad!« ...
Ich bin vergleichbar jenem Flügelgaul
Der griechischen Poeten: Flügel spür' ich,
Doch eins, zwei, drei Lastsäcke hemmen den Hochflug.
Der eine: Ludwig – zweite: meine Schwägerin –
Den dritten nenn' ich nicht –

(verneigt sich vor Konrad)

– ich bin zu höflich.

Konrad

(kalt-ruhig)

Ihr wißt: hier steht die Kirche –

Raspe

(mit Verbeugung)

– die ich achte!

Konrad

Die Kirche ist Euch Last? – Ich könnte sagen –
Doch will ich Eure Höflichkeit entgelten –:
Der schlechte Schmied, der unentschloßne Mann,
Klagt Amboß, Hammer oder Eisen an –
Haltloser Schwächling, der nicht schmieden kann!
Doch rat' ich: Haltet Freundschaft mit der Kirche,
Es könnte sein, daß Ihr die Kirche braucht!

Raspe

(schaut auf. Dann)

Ich bin der Kirche Freund – nicht wie der Kaiser –

Konrad

Und Ihr tut gut dran. Ihr seid jung. Der Kaiser
Ist nicht unsterblich –

Raspe

(schaut wieder auf)

Habt Ihr Nachricht? – Pater,
Verbergt Ihr etwas?!

Konrad

Nein. Der Kaiser lebt.

Raspe

(Arme kreuzend, zwischen den Zähnen)

Wollte der eine Traum nur von mir weichen,
Den einst mein Vater unbedacht gelockt –

(deutlich)

Der Kaisertraum!

Konrad

(kühl beobachtend)

Wartet, bis Eure Zeit kommt!

(Sie sehen sich an. Pause.)

Raspe

Seht Ihr, so bin ich! Träume narren mich ...
Da träum' ich höchste Kronen – und ich bin
Nicht einmal Landgraf – denn mein Bruder lebt.

Konrad

Herr Ludwig könnte – –

(bricht ab.)

Raspe

(fühlt herum)

Nun?! – Ihr wißt etwas!
Heraus damit! Ihr Kleriker habt immer
Auf ganz verstohlnem Wege Kundschaft!

Konrad

Nein.
Ich sprach Euch das zum Troste. Nunmehr will ich
Von Euch Trost – ich bin mehr in Not als Ihr.

Raspe

(in innerer Erregung)

Ach was, ich höre nichts – ich reite aus!
Ich trag' den Traum, wie man den Falken trägt
Zur Reiherbeize auf dem Lederhandschuh,
Ich lach' ihn an und reit' ins Angemeßne!

(Sieht sich rasch um, von einem Gedanken erfaßt)

Wo ist – schon gut! – Also? Was steht zu Diensten?

Konrad

Ihr habt die Bettler ausgejagt?

Raspe

(immer in gehobener Stimmung)

Das tat ich!
Faul Volk! Läßt tags sich füttern, stiehlt des Nachts!
Die Schwägrin mag sich Fürstenarbeit suchen!

Konrad

Ihr tut nach Fürstenpflicht. Nur helft mir sinnen,
Wie sich die Frau in der besondren Kraft,
Die Gott ihr gab, gleichwohl entfalten könnte ...

(Geht sinnend hin und her, bleibt oft stehen)

Es müssen große Heilige erstehn!
Es muß ein ungewöhnliches Geschehnis
Die Christenheit bis in das Mark erschüttern! ...
Die Frau, um die ich sorge, wäre fähig,
Wie Sankt Franziskus und Sankt Dominik,
Krone und Fürstenkleid in Staub zu werfen
Und Gott zur Ehre Bettlerin zu werden ...
Sie wäre – sag' ich! ... Und ich wär' alsdann
Der Mächtigste in Deutschland – und in Rom! –

(Raspe horcht auf)

Beachtet das – falls ich die Landgräfin
Zur Heiligen erzöge und die Heilige
Der Kirche überreichte ... Der Gedanke
Ist klar und groß: jedoch – die Frau versagt.
Wenn nicht ein unerhörtes Schicksal zuspringt
Und den gefangenen Genius dieser Frau
Vom Kleinen reißt und sie zum Aufschwung zwingt
Ins Große, Heil'ge, unerbittlich Harte –
So kehr' ich schamvoll knirschend in mein Bistum
Marburg zurück.

Raspe

Von einer Frau besiegt?

Konrad

Ja! Eher Albigenserheere bänd'gen,
Als eine deutsche Hausfrau heilig machen!

(Geht breit und wuchtig, mit geballten Fäusten, hin und her. Dann führt er fort)

Jetzt eben schwärmt sie noch: »Ja, Sieg der Kirche!«
Da hört sie einen Kinderlaut – sofort
Vergißt sie, was ich sprach – und sie ist Mutter,
Nur Mutter! Oder sie kniet vorm Kreuzbild
Und leise merk' ich, wie ein ander Leuchten
In ihr Gesicht tritt. »Nun, Elisabeth?«
Da fährt sie auf. »An wen hast du gedacht?«
»An meinen Gatten« – – seht, so betet sie!
So ist sie Gattin, Mutter, Weib und Kind –
Nur keine Heil'ge!

Jutta kommt.

Raspe

(erblickt sie, laut, um Konrad aufmerksam zu machen)

Jutta –?

Konrad

Nun, was soll's?

Jutta

(zu Raspe, in verhaltenem Zorn)

Herr, wäre meine Frau nicht krank, sie käm'
Und fragte selbst: Ist's wahr, daß Ihr die Armen
Verjagt habt?

Raspe

Sie ist krank?

Jutta

(zu Konrad, heftig)

Von Euch gegeißelt!
Ist denn das Gottes Wille, daß für jedes
Winz'ge Vergehn die Geißel niederknalle?!
Tut, was Ihr wollt mit mir! Ich hab' soeben
Die Geißel, die Ihr über sie geschwungen,
In Stücke zerbrochen und verbrannt!

Konrad

(aufbrausend)

Jutta!
Also heraus dein wahr Gesicht! Bieg's oder breche,
Dich pack' ich nun! Du gehst samt Eisentrud
Noch heute von der Wartburg!

Jutta

Wer erlaubt Euch –?!

Konrad

(zu Raspe)

Merkt Ihr nun das Gelüst nach Aufruhr?

(Zu Jutta)

Jutta,
Daß ich geheim und selten deine Herrin
Der Züchtigung unterwerfen muß –du bist
Und deinesgleichen schuld daran! Ihr schwatzt
Weltlichen Aufruhr in ihr fein Gemüt!
» Coge intratre!« sagt wohl Gottes Wort –
Doch mich zerreibt der aussichtslose Kampf!
Drum fort mit euch! – Folg' jetzt zu deiner Frau!

(Ab mit der bestürzten Jutta.)

Raspe

(ruft erregt durchs Fenster)

Du dort, hinab! Schaff mir den Mann herauf,
Den sie in Turm geworfen!

(Geht hin und her)

Nur etwas Nahrung –
Ein Wassertröpflein nur – denn meine Hoffnung
Will Rinde sprengen! – Nur Geduld – Geduld!

Zwei Knechte bringen den gefesselten Ruprecht.

Raspe

(sich zu anscheinender Kühle zwingend)

Sag' an: Du kommst vom Kreuzzug?

Ruprecht

Von Otranto.

Raspe

Allein?

Ruprecht

Der Marschall war noch bei mir. Doch
Der fiel von Räuberhand im Tal der Eisack
Und gab mir sterbend, was er bringen sollte.
Ich schlug mich durch.

Raspe

Ach was, du bist entwichen!

Ruprecht

Ich bin entsandt.

Raspe

Entsandt! Ein Stallknecht!

Ruprecht

Sagt' ich
Nicht deutlich, daß mein Herr, der Marschall, tot sei?

Raspe

Wie willst du Ausweis geben, daß du wirklich
Entsandt seist?

Ruprecht

(finster, langsam, deutlich)

Ausweis hab' ich solcher Art,
Daß manches Auge drüber weinen soll.

Raspe

(starrt ihn an, tritt einen Schritt zurück)

Du hast besondren Auftrag?

Ruprecht

Sehr besondren.

Raspe

An mich?

Ruprecht

An die Frau Landgräfin ...

Raspe

Die Frau ist krank.

Ruprecht

So muß ich schweigen. Doch befreit mich
Von diesem Schmuck!

Raspe

(winkt erregt, sie befreien ihn)

Ruft Frau Elisabeth!
Sagt ihr: heut' gilt kein weichlich Kranksein. Der da
Sieht aus, als ob er Ungeheures brächte!

(Diener eilen, er selbst ruft, ganz aufgeregt)

Ihr Herrn, heraus aus allen Kammern – her da!

(Zu den Dienern)

Ruft alles Volk – flink alles Burgvolk hieher!

(Ritter, Knechte, Frauenvolk kommen nach und nach von allen Seiten in neugierigem und erregtem Flüstern. In unregelmäßigem Gedränge füllt sich der durchsummte Saal.)

Raspe

(zu den Herren)

Hier ist ein Mann – der da – entsandt vom Kreuzheer –
Hat wichtige Botschaft – von Otranto kommt er –
Wo bleibt die Landgräfin? – Da kommt sie! –
Sprich nun!

( Elisabeth kommt zwischen Jutta und Eisentrud, sehr blaß und angegriffen; dahinter Pater Konrad.)

Ruprecht

(starrt sie an)

Ist das die Landgräfin – die blasse Frau dort?
Sagt, ist das nicht ein Bild der heil'gen Jungfrau?
Hat sich vom Stein gelöst, geht aus der Kirche,
Kommt stracks zu mir –

(Fällt auf die Knie und streckt bewegt die Hände aus)

Madonna, bitt' für mich!
Ich bin ein Knecht – Ihr seht den Stand nicht an –
Drum nehmt aus Knechtes Mund den Gruß des Kreuzheers!
Frau – Frau, ich kann nicht reden – denn ich muß
Euch ansehn – betet, Frau, für meine Seele!

Elisabeth

(freundlich-mild)

An mich dein Auftrag? O, wie freu' ich mich
Und schüttle alle meine Schwäche ab,
Von ihm zu hören, des ich Tag und Nacht
In Sehnsucht und Gebet gedenke!

(Ruprecht senkt tief den Kopf)

Nicht wahr:
Der Zug hat sich verzögert? Sie sind noch
In Brindisi, sind noch nicht abgefahren?
Man hat ihn hochgeehrt am Kaiserhof,
So hört' ich. Jede Stunde leb' ich mit:
Jetzt ist er da – jetzt dort! Den Kindern zeig' ich
Die Karte: Kinder, seht, hier zieht der Vater!
Hier liegt Palermo – dieses ist Otranto!

Ruprecht

Nicht weiter, o du arme Frau! Otranto!

Elisabeth

(betreten)

Nun? Seh' ich recht: Du weinst –?

(Sie schaut sich ängstlich im ahnungsvoll flüsternden Kreise um. Flüstern: »Ein Unglück – der Landgraf krank – gar tot – wer weiß!«)

Ihr lieben Herrn,
Verbirgt man mir etwas? – Sagt, lieber Schwager,
Es muß hier etwas sein, das –

(Zu Ruprecht)

Sag's heraus:
Mein Herr ist krank? Er hatte Unglück, nicht wahr?

Ruprecht

(mit Tränen kämpfend)

Herr Ludwig – ja – war krank – ganz kurz – ein Fieber
Von einem kalten Trunk –

Elisabeth

(in wachsender Angst)

Und kehrt jetzt heim
Und folgt dir auf dem Fuße, nicht wahr, sehr
Entstellt und Pflege heischend, nicht wahr, nicht wahr?

(In ausbrechender Angst)

So bringt ihn doch! Ihr seht ja, ich bin ruhig!

Ruprecht

(hat dem Ledertäschchen am Gurt einen Ring entnommen, liegt schluchzend auf dem linken Arm und hält mit der rechten Hand den Ring hoch).

Elisabeth

(beugt sich vor, nimmt den Ring, aufschreiend)

Sein Ring! O Gott im Himmel, er ist tot!

(Sie sinkt zurück und wird weggeführt. Große Bestürzung, Durcheinanderlaufen, Rufen, Fragen, Türenschlagen durch die ganze Burg hin. Raspe, Konrad und andere Herren stehen um Ruprecht, den sie erregt befragen. Der Abend sinkt; es beginnt zu schneien.)

Raspe

(unter einigen beglückwünschenden Herren, in Erregung)

Dank – Dank – habt Nachsicht – ich bin ja im Taumel!
Das kam ja wie ein Donnerschlag! Ich bin ja –

(Sich reckend, lacht laut hinaus)

Herr dieser Wartburg bin ich! Ich bin Landgraf!

(Fernes Geläute)

Hört ihr die Glocken Eisenachs?! Sie läuten
Dem neuen Herrn! Was, oder sind das noch
Die Totenglocken? Wohl, dem Toten erst
Den Ehrengruß! Wer etwa unter euch
Unziemlich spricht von meinem toten Bruder –
Den werf' ich aus der Burg! Ein Edelmann
War Ludwig! Den verruchten Frömmlerton
Hat eine andre auf die Burg geschleppt!
Die Ungarin, die Fremde!... Ich bin Herr!...
Nun gut, sie setzt sich in den Pallas – und
Das Spittelhaus geht ein! Ich will den Berg
Vom Ungeziefer fegen! – Über Nacht,
Ihr Herren, baute der Teufel eine Burg –
Ich will die Wartburg über Nacht umbauen!
Ihr meldet Frau Elisabeth, Graf – nein
Bleibt, Graf! Ich gehe selbst! Ich bin hier Herr!

(Rasch, erregt und entschlossen ab.)

Jutta

(kommt gelaufen, Kleider auf dem Arm)

Wir gehn, ja wohl! Doch unsre Frau geht mit!

Konrad

(kommt hinter ihr her)

Ihr geht allein! Du und die Frau – ihr seid
Fortan getrennt! Samt Eisentrud!

(Wieder ab.)

Eisentrud

(kommt, voll Angst)

Weh, Jutta!
Die Burg ist voll von Aufruhr – alles sträubt sich
Dem neuen Herrn – dem Raspe, den der Tag
Berauscht macht!

Jutta

Und ich will zu ihr! Ich breche
Die Riegel, wenn sie mir den Zugang sperren!

(Wirft die Kleider hin und eilt wieder ab.

Margret

(läuft herbei)

Der Pater – wo? Wo ist der Pater Konrad?

(Ruft hinter die Szene)

Sie haben dem Unhold Ruprecht Wein gegeben!
Er steht auf einem Stein – er flucht auf Euch –

Konrad

(kommt mit Raspe)

Periculum in mora, Landgraf! Jetzt
Heißt's zugepackt! Sie weigern Euch den Treu-Eid!

(Beide ab.)

Elisabeth kommt, ganz verstört, gefolgt von Jutta.

Elisabeth

Der Tod geht durch die Wartburg! Jutta, fort!

(Als ob sie die Kinder bei sich hätte)

Hier sind die Kinder – rasch – die Mäntel, Jutta!

Jutta

(weinend, sie streichelnd)

O Frau, nur ruhig, seid doch ruhig!

Elisabeth

Ja –
Ich bin ja ruhig – ja – Sie sollen nur
Mich nicht so ansehn! Horch, es laufen alle
So durch die Gänge! Und das Türenschmettern!
Sie rufen alle, einer sei gestorben,
Einer! – o weh, ich weiß wohl, wer! – Herr Raspe
Kam zu mir, wollte mir ein Trostwort sagen –
Da ward er weiß wie Schnee, als er mich sah,
Und rückwärts wich er aus der Tür! Doch ist
Etwas in seinem Blick – ich habe Angst!
Ich habe vor euch allen Angst!!

(Sie weicht mit gespreizten Händen angstvoll zurück bis an die Wand.)

Jutta

(kniet vor ihr)

Habt doch nicht Angst – Herrin, ich bin ja Jutta –
Und hier ist Eisentrud!

(Auch Eisentrud kniet; Jutta, von einem Gedanken erfaßt, läuft rasch fort.)

Elisabeth

Ja Eisentrud –
Doch will die Kirche, daß ich euch entlasse!
Fort! Fort mit euch!

Eisentrud

(weint)

O meine liebe Herrin!

Jutta

(kommt mit den drei Kindern)

Hier bringt ich Euch die Kinder!

Elisabeth

(auf sie zu, aufjubelnd und aufweinend)

Meine Kinder!
O Kinder, euer Vater ist ja tot –

(Die Verstörung löst sich in heftiges Schluchzen auf; auch die Kinder kauern sich ängstlich weinend an die Mutter, die auf den Stufen sitzt,)

Jutta

Sie weint –

Konrad

(kommt, mit dem Laienbruder)

Laßt mich allein mit ihr!

(Ruhig-streng)

Ich bitte.
Ich will jetzt nicht befehlen: diese Stunde
Ist mir zu heilig.

(Jutta und Eisentrud gehen zaudernd ab.)

Konrad

(zum Laienbruder)

Sebald! Wenn dir's möglich,
So sperr' die Weiber in die Kemenate!
Das schnattert nur und häuft nur die Verwirrung!
Indes der Landgraf jenen Ketzerknecht
Vernimmt, sprech' ich zu Frau Elisabeth.

(Der Laienbruder geht ab. Es wird still.)

Konrad

(zu Elisabeth, die noch leise weinend bei den Kindern sitzt; ernst und ruhig)

Kind, dies ist deines Lebens schwerste Stunde.
Zugleich die heiligste. Die Todesbotschaft
Kann dich zur Königin erheben – oder
Zur Witwe, wie es tausend Witwen gibt.

(Sehr ruhig und deutlich)

Merk' auf: Du kannst nunmehr im Pallas hausen
Und deine Kinder pflegen. Doch du kannst
Ein Größres tun, ein so erhaben Werk,
Daß nicht Jahrhunderte dein Werk verwischen.
Du kannst abwerfen, was dir Gott noch ließ,
Kannst Ludwigs Tod als Schicksals Mahnung fassen
Und wie Franziskus zu den Armen ziehn –
Arm wie die Ärmsten, Königin der Kranken!

Elisabeth

(vor sich hin)

Ja – ja – ich will zu meinen lieben Kranken –
Will ihnen sagen, daß ich selbst erfahren,
Wie weh der Schmerz tut –

(Erhebt sich)

und will ihnen sagen,
Daß Gottes Liebe dennoch größer ist!
Sie sollen nicht verzagen, nicht verzagen –
Gott hat uns dennoch lieb – Gott hat mich lieb –
Kommt, Kinder! Ach, mir blieb so köstlich Werk!
Mein großes Leid darf ich zu Wohltat schmieden
Und darf's in kleinem Schmuck verteilen! Kommt!

Konrad

(befremdet)

Mit deinen Kindern? – Besser wird man sie
Mit andrem Jungvolk auf der Wartburg aufziehn –

Elisabeth

(rasch und instinktiv die Kinder an sich ziehend)

Ich soll die Kinder von mir geben?! Niemals!

Konrad

(ruhig)

Nun, Frau, so bleibt. Es steht in Eurer Wahl:
Seid Mutter – oder geht zu Euren Armen!

Elisabeth

Ich bin doch dieser Kinder Mutter?! Dien' ich
Dem Herrn nicht, wenn ich sie zu Menschen bilde?
Mein Gatte lebt ja in den Kindern – sein Geist,
Der gute, zarte, männlich edle Geist –
O Trauter, wo ist deinesgleichen! – sein Geist
Lebt dreifach weiter, wenn die lieben drei,
Von mir gehegt, zu guten Menschen wachsen!
O süßes Amt! Ich darf in drei Kapellchen
Den Altar schmücken und das ew'ge Lämpchen!
Ich darf drei wunderliebe Glöckchen läuten –
O, nehmt mir nicht so süßen Gottesdienst!

Konrad

(kalt-ruhig)

So sprechen viele Mütter. Doch von dir,
Elisabeth, will ich erhabnes Wort!
Im Himmel und auf Erden sind noch tausend
So niedliche Kapellchen wie die drei da!
Dennoch ließ Christus seinen Himmel! Dennoch
Kam er auf rauhe Erde – und die Sünder
Und Armen nannt' er seine lieben Kinder!

( Raspe kommt, hinter ihm wird Ruprecht geführt, die Haare wüst, die Hände nach vorn gefesselt; dabei noch andre Herren und Knechte.)

Raspe

(laut)

So, diesen Trunkenbold hab' ich erforscht
Bis in das Knochenmark! Und hier? Wie steht's?

Elisabeth

(in Angst)

Fort! Kinder, kommt!

Konrad

(unwillig zu Raspe)

Was fahrt Ihr in mein Werk!

(Zu Elisabeth)

Bleibt ruhig, Frau! – Verstand mich meine Tochter?
Gehst du, so gehe ohne deine Kinder!

Elisabeth

Nicht eine Nacht – wir gehn nach Eisenach –
Kommt!

Konrad

(ihr breit in den Weg tretend)

Frau, noch einmal –

Raspe

Fort die Heilige!
Seht Ihr nicht, daß sie fort will?!

Elisabeth

(in unschlüssiger Angst, bittend vor Konrad stehend)

Ich bin Mutter!
Und sie sind mein! Ich bitt' Euch, schützt die Kleinen
Vor jenem Manne dort, der herrschen will!
Ich hab' um meine Kinder Angst, um mich nicht,
Nur um die Kinder! Kommt!

Konrad

Gehorcht die Mutter?

Elisabeth

(mit verzweifeltem Blick gen Himmel)

Nein!!

(Rasch und heftig, an Konrad vorbei, ab mit den Kindern.)

Konrad

(ballt die Fäuste, dann geht er an die Tür und ruft ihr nach)

Frau, ich erwarte Euch in meinem Bistum
Marburg – doch ohne Eure Kinder!

Ruprecht

(hebt dumpf stöhnend die gefesselten Hände)

Pfaffe!

(Vorhang.)


 << zurück weiter >>