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Erster Aufzug

Erste Szene

Waldgrund in Thüringen in der Nähe von Ruhla. Unter Buchen eine zerfallende Köhlerhütte. Unweit davon ein kleines Grab. Wolkige Abendstimmung.

Vor der Hütte sitzt, den struppigen Kopf auf die Knie gebeugt, in vernachlässigter Kleidung, dumpf brütend, Ruprecht. In der Hütte hört man Margret schelten.

Margret

(in der Hütte)

So'n Feigling! Pfuhl ist deine Hütte! Hockt da
Wie'n Molch im feuchten Waldlaub! Pfui, du Feigling!

(Tritt heraus, Tuch um den Kopf, Bündel in der Hand)

Prahlst gar, du hängst am Wald? Schau' doch den Wald an:
Die Buchen strecken ihren Kopf ins Licht!
Die Stämme stehn gepanzert! Aber du?
Ei wohl, du liebst den Wald: du säufst ihn ein
In Blaubeerwein und in Wacholderschnaps!

(Mit raschem Ruck gen Himmel blickend, sich bekreuzigend, plötzlich in anderem Ton)

Heilig! Nur heilig! O mein Herrgott, heilig!

Ruprecht

(ein starker Mann, in Vollbart, hebt den Kopf)

So bitt' ich dich um Christi Blut, bleib bei mir!
Du bist mein Weib, auch wenn ich unwert bin,
Du darfst nicht von mir laufen, Gott erlaubt's nicht,
's ist Sünde, Margret –

Margret

(hart)

– wenn ich bleibe, ja!
Denn du bist schlecht, bist gottlos! Darum ist uns
Dies Kind gestorben! Darum geh' ich fort!

Ruprecht

Dem Reuigen vergibt der gute Gott!
Ich schwör's, ich besser' mich!

Margret

Dem Reuigen?
Dich beißt jetzt Angst und Scham! Das ist's! Doch Reue?
Die Nachbarn fürchtest du, nicht Gott! Sie sagen:
»Seht doch den Bösewicht, den Trunkenbold,
Dem lief die brave Frau fort – und warum?
Weil er sie schlug, wenn er im Rausch war!«

Ruprecht

Margret,
Der Satan sitzt im Wein! Dich schlug der Satan!

Margret

(höhnisch)

Versteckst dich hinterm Satan? Tapfer, tapfer!

Ruprecht

(aufbrausend)

Ich bin nicht feig!

Margret

Die Nachbarn werden sagen:
»Der ließ sein Weib und Kindlein hungern!« Du,
Ja, du! Dein Kind liegt tot – durch dich!

Ruprecht

Durch mich?

Margret

Dort ist sein frisches Grab, dort tue Buße!
Ich aber geh' als Dienstmagd auf die Wartburg
Und diene Gott und Frau Elisabeth!

Zwei Nachbarn, Köhler, kommen herangeschlendert.

Margret

(zu den Nachbarn)

Da hockt er! Flennt! Ihr kennt ihn! Heut' ist er
Leidlich vernünftig – morgen wieder Säufer!

Erster Nachbar

(zu Margret)

Du gehst?

Margret

Ich gehe! Meiner Seele Heil
Ist mehr wert, als dem Unhold Gattin sein.

Zweiter Nachbar

Und der?

Margret

Mag betteln! – 's ist viel Frommheit mächtig
Bei Frau Elisabeth. Drum fahr' ich zu ihr
Und diene schlecht und recht für Gotteslohn.

Erster Nachbar

(immer stumpf-gemächlich)

Ich mein' – Margret – er ist dein Ehemann –

Margret

Habt ihr den Pater Konrad pred'gen hören?
Habt ihr und schwatzt noch? »Reiß dein Auge aus,
Wenn es dich ärgert! Nach dem Reiche Gottes
Trachtet am ersten! Dies allein ist not!«

Ruprecht

Ich aber werd' verkommen! Sagt's ihr, Nachbarn!
Ein Räuber werd' ich! Töten werd' ich!

Margret

Tu's doch! –
O tät' er's doch, der Prahlhans! – Den hab' ich,
So wie das Hochwild brüllt im Herbst, nur einmal
Als Mann geschaut: er schlug dem Nebenbuhler
Den Buckel blau und nahm sein Weib im Sturm!
Seitdem – ein Trottel!

(Gen Himmel, rasch)

Heilig! Herr, nur heilig! –
Ich hab' bei dem die Seligkeit verpaßt! –
Nachbarn, ade! Grüßt eure Frauen! Sagt nur:
»'s ist besser, daß dein Ehegatte brenne,
Als daß ihr alle zwei zum Teufel fahrt!«
So spricht der Pater – und so tut jetzt Margret.

(Ab.)

Ruprecht

(knirschend)

Nachbarn, die war mein Satan! Alp und Vampir
War mir dies Rackerweib! Die Manneswürde,
Die in mir war, hat sie zur Fratze verzerrt! ...
Gut, daß sie geht! Das hätte schlimm geendet:
Ich hätte dies Weib aus Lust und Haß erdrosselt! ...
Wohl denn, das sei jetzt abgeschüttelt! ... Feigling?!
Gott sei's geklagt, ach, wohl! Verpfuscht bin ich!
Hört ihr's nicht knacken, wenn ich meine Knochen
Aufrecke wie nach tausendjähr'gem Schlaf?!

(Reckt sich mächtig. Dann, befriedigt)

Es langt noch! – Was? – Ich bin noch nicht zu morsch!
Kennt ihr mein Waldschwert?

(Die beiden wehren ab)

Unter alten Steinen
Hab' ich's herausgekratzt – ein Zauberschwert,
Das einst ein Heidenkriegsgott grimmig eingrub,
Als übers Land der Pfaffe kam – der Konrad!

(Geht in die Hütte.)

Erster Nachbar

Laß gut sein!

Zweiter Nachbar

Schneid dir nur nicht in den Finger!

(Zucken die Achseln und lachen.)

Ruprecht

(kommt mit einem Schwert, das er halb aus der Scheide zieht)

Dies war mein Bräutchen – bis die andre dort
Mich Dummkopf prellte! O verlaßnes Maidlein!

(Er sitzt, das Schwert zwischen den Knien, den Struppkopf liebkosend an den Knauf gelehnt, dumpf-grimmig vor sich hinmurmelnd.)

Erster Nachbar

Willst wohl Kriegsdienste tun?

Zweiter Nachbar

Ich rat' dir schlauer:
Geh hin, leg' dich als Bettler unters Tor
Der Wartburg! Frau Elisabeth kommt täglich
Und füttert alles faule Volk der Welt.
Sie kommt mit ihren Mägden: Margret ist
Dabei und muß dich eigenhändig füttern!

(Sie lachen.)

Ruprecht

(springt auf)

Pack' dich, verfluchte Tröstersippschaft – oder –

(Die beiden fliehen bestürzt, halb lachend.)

Hinter der Szene hört man Walther von der Vogelweide sprechen.

Walther

(hinter der Szene)

Rennt mir mein Roß nicht um! – Gemach!

(Tritt auf. Er ist grauhaarig und gealtert.)

Wem galt das?

(Er schaut sich um. Sein Blick wird ernst.)

Seltsamer Ort! ... Ein halbverfallner Mann –
Ein halbverfallen Haus – und stumm und steinern beide?
Nun, Freund, verzaubert oder tot?
Bist du ein Schattenspiel im Abendrot
Oder ein Bild von meinem eignen Leide? ...

(Berührt die Schulter des stumpf sitzenden Ruprecht)

Was quält dich, Leidgesell?

Ruprecht

(der nur flüchtig aufgeschaut, dumpf)

Mir lief mein Weib fort ...

Walther

Gabst du ihr Ursach'?

Ruprecht

Wohl. Jedoch – 's tut weh.

Walther

Und blieb dir niemand auf der Welt?

Ruprecht

(mit einem Blick auf das Grab)

Ein Grab.

Walther

(geht an den kleinen Grabhügel)

Ein kleines Grab ... Wer schläft drin?

Ruprecht

Unser Knabe.

Walther

Der Ort ist schön. So möcht' ich irgendwo
Im Wald ein Grabmal finden ...

(Bricht ein Buchenreis ab und steckt es aufs Grab, kommt wieder)

Düstrer Mann,
Wir beide sind in gleichem Herzeleid:
Frau Freude, die mein' hold' Gemahlin war,
Ist mir entlaufen. Unser Kind, das Lachen,
Ist tot.

(Setzt sich neben ihn, nimmt die Harfe vor sich und stützt sich auf die Harfe, wie jener aufs Schwert.)

Ruprecht

Wo fahrt Ihr hin?

Walther

Ich hab' ein Lehen,
Ein winzig Waldschloß, aber groß genug,
Um einen edlen Gast drin zu erwarten:
Den Tod. Falls mich die Lust nicht übermannt,
Mit Kaiser Friedrich übers Meer zu fahren.

(Er spielt träumerisch auf der Harfe.)

Ruprecht

Ihr seid ein Spielmann?

Walther

Spielmann bis ins Grab!

Ruprecht

(besinnlich, langsam und deutlich)

Mein Vater war ein Spielmann, Diethelm hieß er,
Und meine Mutter war ein fahrend Weib ...
Man mag euch Sänger nicht mehr auf der Wartburg ...

Walther

(stolz)

In Goldschrift stehn wir im Gestein der Wartburg
Und bleiben drin! Scheid' ich als letzter Sänger,
Weil dort ein Mann einzieht, den ich nicht mag,
So ist das Selbstverbannung. Merk' das, Köhler!

(Hat sich erhoben. Fernes Waldhorn)

Horch da! Mein toter Landgraf Hermann ruft!

(Waldhorn)

Der tote Eschenbacher gibt ihm Antwort!

(Waldhorn)

Da! Der verschollne Heinrich von Ofterdingen!
O, meine großen Freunde, wer so helle
Festzeit erlebt hat, ist zu stolz geworden
Für diese dürft'ge Welt! O Wartburgsommer,
Du bist dahin! Die Tränen fliegen herbstlich
Mir übers Antlitz. Doch nicht glücklos bin ich:
Denn mir im Herzen blieb von jenem Sonntag
Ein Abendleuchten – unvergänglich schön!

(Das Abendrot füllt mehr und mehr den Wald. Walther fährt über die Augen, dann, heller)

Nun? Ziehst du eine muntre Strecke mit?

Ruprecht

Ich habe rauhere Arbeit.

Walther

Was für Arbeit?

Ruprecht

Was Ihr da hört – das Waldhorn – mag ein Jauchzen
Oder dergleichen sein – von Konrads Horde!
Jawohl, vom Pater, der auf Wartburg einzieht
Als Beichtiger der Frau Elisabeth!
Zwar wunderlich genug, doch 's stimmt: der ist's,
Der Euch die Freude nahm und mir die Frau!

(Geheimnisvoll, grimmig-scheu)

Der hat den Otternblick: erschaut er einen,
Den er verderben will, so muß der still stehn
Und kann sich nicht vom Flecke rühren! Jüngst
Hat er zu Erfurt vier verbrannt als Ketzer!
Den Hildesheimer Prior hat er auch
Verbrannt, zu Goslar! Jetzt hat er mein Weib
Verhext! ... Den Mann muß ich mir scharf besehn!

(Geht in die Hütte, hüllt sich dort in einen zerrissenen Mantel, setzt einen zerknitterten Hut auf, will gehen)

Gehabt Euch wohl!

Walther

(kühl-vornehm)

Gesegn' Euch Gott die Fahrt!

Ruprecht

(bleibt stehen)

Sagt, Herr: versteh' ich recht, so weicht Ihr kampflos
Dem Drachen, der sich Pater Konrad nennt?

Walther

(ruhig-vornehm)

Wein Amt und Adel ist ein Freude-Schaffen –
Doch wo der Pater spricht, ist Haß und Angst.
Ich kämpfe nicht mit ihm. Drum noch einmal:
Gesegn' Euch Gott die Fahrt!

Köhler

(ihn achtungsvoll betrachtend, nach kleiner Pause)

Ihr seid ein Herr ...
Ich ein verworfner Knecht ... Doch weiß man nicht,
Wozu ein Wurm wie ich noch brauchbar sei.

(Ab.)

Walther

(allein, umstrahlt von zartem Abendschein. Er spricht das folgende erst ruhig-warm, dann mit wachsender Innigkeit)

Ich bin es, der Euch heut' entläßt, Frau Welt ...,
Den preis' ich glücklich, der zu herbem Los,
Von dem kein Kampf befreit, das Sprüchlein fällt:
»Ich will – weil Gott es will!« So sind wir groß,
Denn unsre Lebensstrophe hält genau
Den Taktschlag, den der große Meister hält.
Freiwillig scheid' ich heut' von Euch, Frau Welt –
Weil Ihr von mir Euch scheidet, liebe Frau.
Wir waren Gutgesellen, schmollten auch
Und lachten wieder, wie's der Ehe Brauch.
Kommt, gebt mir noch einmal die Hände, Frau,
Unbitter bin ich, ob mein Haar auch grau –
Nun geht zu jungen! Aber Walther hält
Heimfahrt zur Herberg – gute Nacht, Frau Welt!

(Er hat das alles edel-plastisch und, bei allem Ernst, etwas neckisch dargestellt. Nun wendet er sich an den Wald, noch ernster.)

Du edler Wald, in dessen Rauschegrund
Mein Grabmal harrt – auch dir ein treu Gut' Nacht!
Bringe den Lebenden, so lichtgesund,
So wurzelkräftig, was du uns gebracht!
Und wenn sich einer unter dir ergeht,
Der lautes Glück für leisen Frieden tauscht:
Gib ihm, was er von deinem Waldlied fleht,
Sei ihm ein Lachen, sei ihm ein Gebet –
Und segne, wer ihm reinen Herzens lauscht!
Ja, du lebendig Laub, es soll von Ofterdingen,
Von Walthers Lied, von Wolframs Geistespracht
In dir ein Raunen bleiben, ein verhalten Singen,
Das sich der Glückliche zu eigen macht!
So scheid' ich auch von dir getrost – Thüringer Wald, gut' Nacht

(Zwischenvorhang.)

Zweite Szene

Zimmer auf der Wartburg (dasselbe wie »Ofterdingen« IV, 1)
.

Elisabeth spricht mit einigen Bürgern. – Ludwig und seine betagte Mutter, Landgräfin Sophie, treten grade ein.

Elisabeth

(zu den Bürgern, freudig in die Hände klatschend)

Welch gut fromm Wert! Ich dank' euch, liebe Männer!

(Zu Ludwig)

Hier, Lieber, schau', ich halte hier Versammlung –
Und ohne dich – und übe mich ein wenig
In Fürstenpflichten. Weißt du wohl, wozu?

Ludwig

(ruhig-freundlich)

Strahlt wieder Jemand? Nun, wem gilt die Freude?

Elisabeth

Dem Spittelbau!

Ludwig

Dem Bau? – Ach, dem am Brunnen!

Elisabeth

Ja! Diese braven Eisenacher helfen!
Maurer und Zimmermeister – alle helfen!

Sophie

(kühl!)

Was für ein Bau?

Elisabeth

Den Armen, liebe Mutter,
Wird mein Gemahl ein Herbergshaus – ein Spittel –
Am Brunnen bauen ... Nun? Ihr freut Euch nicht?

Sophie

(kühl, zu den Bürgern)

Geht, brave Leute!

(Die Bürger ab,)

Sophie

(setzt sich, ernst)

Setz' dich zu meinen Füßen, Kind.

(Auf eine fragende Bewegung Ludwigs, ob er sich entfernen solle)

Bleib, Ludwig,
Hört beide zu. – Was ich euch sage, nehmt
Als alter Zeiten Nachhall, als »veraltet«.
Ich weiß, es fruchtet schwerlich. Mechthild ging
Ins Kloster: du jedoch, du brauchst das nicht.
Du bist Äbtissin auch im Fürstenkleid.
Walther zog fort – – ein Beichtiger zieht ein!

Ludwig

(zart ihre Schulter berührend, auf Elisabeth weisend)

Mutter, Ihr seht, die Augen schwimmen ihr
In Tränen – sie versteht nur, daß Ihr scheltet.
Auf was? Auf ihre Art. Doch warum schelten?
So ist sie – und so lieb' ich sie.

(Streichelt Elisabeths Haar.)

Elisabeth

(innig zu ihm aufblickend)

Mein Liebling!

Sophie

In dieser Stube saß ich einst mit Mechthild.
Auch sie war weich. Da nahm ich ihre Hand
Und sagte:

(Nimmt die Hand der vor ihr lauernden Elisabeth)

»Kind, sei stark und still und stolz!«
Und sagte weiter: »Willst du weichlich sein?«
Da sprang sie auf und sagte trotzig: »Nein!«
Und nahm den Schleier – weinte still und starb ...
Dies kennt man jetzt nicht mehr. Ihr alle schwimmt
Auf Wölkchen – seid wie Engelsköpfchen
Auf goldnem Hintergrund. Jedoch die Erde
Will Menschen. Dazu seid ihr da!

Elisabeth

Zu Menschen will ich sie ja machen! Arme
Will ich ja holen, wie man Bäumchen holt
Aus wildem Wald und in den Garten setzt –

Sophie

Verhätscheln willst du sie, mein Kind!

Elisabeth

Die Kranken?

Sophie

Du machst dir einen Gottesdienst daraus.
Du küssest Kreuz und Kranke – streichelst Bäume
Und fütterst Vögel – springst vom Roß herunter,
Wenn irgendwo ein Krüppelweib im Schmutz liegt,
Legst wohl ihr Kind gar an die eigne Brust –

(Steht auf)

Die Fürstin seh' ich nicht! Du kannst nicht herrschen!
Du dienst ja nur!

Ludwig

(ruhig, den Arm um die erschrockene, gleichfalls stehende Elisabeth legend)

Wir dienen alle, Mutter.
Jeder in seinem Amt. Sie dient als Christin.

Sophie

Sein Fürsten-Amt vergessen, ist nicht christlich.

Ludwig

(immer ruhig)

Nun, Mutter, da Ihr dies Gespräch erzwingt,
So fahr' ich fort: – (nachdrücklich) mit meinem klaren Willen
Tut Frau Elisabeth das, was sie tut!
Woher die Not, die unsre Sängerburg
Umlagert wie ein Wald? Durch euch allein!
Durch euer unbekümmert Herrenspiel!
Doch nein – ich schmähe nicht den tapfren Vater,
Der fromm und froh war! Aber eines weiß ich:
Schaff' ich nicht Rat für so viel Not im Land,
So kann ich nimmer reiten, denn mein Schimmel
Zerstampft die viele Armut, die auf allen
Feldwegen kriecht und humpelt!

Sophie

Ihr seid jung
Und habt ein ander Wesen ... Ich bin alt ...

(Will gehen.)

Ludwig

Bleibt, Mutter, einen Rat erteilt mir noch
In andrer Sache!

Elisabeth

(zu Frau Sophie)

Bitte, grollt mir nicht!

Sophie

(streicht ihr über den Kopf, schaut den Sohn an),

Ludwig

(düster, im Bart spielend, zu Boden blickend)

Der Papst verlangt den Kreuzzug ... Und der Kaiser
Ruft seine Fürsten ... Und da steh' ich nun
Und frage mich und Euch: Darf ich hinwegziehn?

Sophie

(rasch und heftig)

Nein, Ludwig! Nein! Das sage du dem Kaiser!
Ich liebe ganz und gar nicht jenen Weitflug
Der Hohenstaufen! Hier ist heiliges Land!
Tu deine Pflicht, so ziehst du in den Kreuzzug!
Wartburg heißt deine Pflicht! – Sagst du nicht selbst,
Thüringen brauche dich?

Elisabeth

Doch wenn man denkt,
Daß Heiden unsres Heilands Grab verwüsten –

Sophie

Wie will ein Heide unsren Heiland fangen?!
Was soll das abgelegte Kleid – das Grab?!

Elisabeth

Das heil'ge Grab?!

Ludwig

(ernst)

Es ist der Ehrenhügel
Der Christenheit. Haben wir den verloren,
So lassen wir die Fahne bei den Feinden.
Doch – wie's auch sei – gesetzt den Fall, man ruft mich?

Sophie

Tu's nicht! Ich sage dir: Dich braucht dein Land! –
Doch leider sprech' ich wohl umsonst. Ihr zwei
Seid Schwärmer – und die Schwärmerei des Kreuzzugs
Erblüht aus euch wie Blumen aus dem Stengel.
So leider wächst aus Herzensüberfluß
Vielleicht noch Unheil ... Helf euch Gott! Ich kann's nicht.

(Ab.) Ludwig steht tiefernst, zu Boden schauend, im Bart spielend! Elisabeth legt still den Kopf an seine Schulter.

Ludwig

(halb für sich)

Sie nennt mich Schwärmer, der ich Taten suche,
Größer als sie mein Vater tat – und heil'ger! ...
Elisabeth: Franziskus zieht durch Welschland,
Die Menschen leuchten, wenn sie ihm begegnen,
Und werden gut. Doch unser Land verdorrt,
Weil niemand Taten wirkt, Taten für Gott!

Elisabeth

(mit leuchtenden Augen)

Taten der tapfren Güte! Wir zwei tun sie!
Und darum will ich meinen Kranken bauen
Ein Haus voll Sonne! Ja, und du sollst ziehn,
Wenn dich der Kaiser ruft – – ob zwar –

(Läßt jäh erblassend die Arme sinken.)

Ludwig

Ich höre
Die Angst in dir – – es wird kein leichtes Ziehen.

Elisabeth

(in jähem Schmerzanfall, zitternd)

Nicht ziehn! O nein, nein! Geh nicht fort, mein Gatte!

(Umklammert ihn stürmisch.)

Ludwig

Kind, Kind, sei ruhig! Sieh, da steh' ich ja!

Elisabeth

Ich halte dich! Ich halte dich gefangen
Mit tausend Armen! Denn ich muß dich haben
Wie Trank und Brot, sonst bin ich ohne Kraft!

Ludwig

Ich bleibe ja – sieh doch, da steh' ich! Komm,
Dein Spittelhaus, wir bauen es zusammen!

Elisabeth

(die Tränen aus den Augen wischend, beschämt lächelnd)

Vergib – das war – nicht tapfer war das, nein!
Mutter hat recht – bin ein gar schwächlich Ding.

(hastig)

Doch sollst du nicht vom Kreuzzug sprechen! – Doch!
Sprich nur! – Gewöhne mich! – Ach, Liebster, manchmal

(Schaut sich unsicher um)

Bin ich hier sehr allein und fürchte mich!
Sie haben mich nicht lieb ...

Ludwig

(sie umarmend, stark und innig)

Ich hab' dich lieb ...

(Zwischenvorhang.)

Dritte Szene

Am vorderen Hang der Wartburg

Der sog. »Elisabeth-Brunnen« ist umblüht von wilden Rosen. Daneben ein steinern Bild des Gekreuzigten. Kranke und Bettler jeden Alters und Geschlechts lagern umher, darunter der erste und der zweite Bettler und der Knabe. Seufzer, gemurmelte Gebete, Stöhnen.

Der erste Bettler (ein Greis im weißen Bart)

O bittre Rosenblüte! O meine Wunden! – Knabe, klettre dort auf den Haselbaum – ja – schau' nach dem Wartburgtor, schau', ob Frau Elisabeth mit ihren Mägden kommt!

Der zweite Bettler

Oh, wenn sie doch käme! Komm, heilige Frau! Gib unsren Seelen ein tröstlich Wort und leg' unsren Schmerzen deine linde Hand auf!

Der erste Bettler

Kommt sie noch nicht, Junge?

Der zweite Bettler

Euer Enkel bricht sich Rosen ab. Kann man's ihm verargen? Das langweilt sich unter Alter und Gebrechlichkeit. – Schau' da, was für eine auserwählte Nation humpelt denn da heran?

Der dritte Bettler

(ein leidlich rüstiger Mann, der nur hinkend an einem Stock geht, tritt auf mit vielen Bresthaften, worunter der sehr klägliche Aussätzige an Krücken, mit einer Klapper in der Hand)

Grüß' dich Gott, Meinhardus – was sagst zu diesen Kreuzrittern?

Der Aussätzige

Weicht! Weicht von mir, ihr da am Brunnen! Ein lebendig Toter kommt! Aussatz kommt! Mir machen die Könige Platz!

(Er klappert, lagert sich, man weicht scheu aus seiner Nähe.)

Der erste Bettler

Bringst ja da eine ganze Pfarrgemeinde.

Der dritte Bettler

Solch Volk ist jetzt leichterhand zusammengetrommelt. – Will sie unsrer Frau Elisabeth vorstellen – das macht der frommen Frau Elisabeth Freude –

Der Aussätzige

(murmelt, giftig)

Alles Kröten, unflätige Kröten! (Lauter.) Was ihr da an mir schaut, sind nicht allein Schwären oder Beulen – sind Wunden! Haben mich geschlagen – die Bauernschufte – haben mich mit Steinen geworfen, die Sodomsbuben der Städte! – Ja, ja, ja, rückt nur ab! (Blickt sich unstet-wild um, in Verfolgungswahn.) Hebst du den Stecken? Willst du mich schlagen?! Ich sage dir, mein Gift steckt an! Wenn du mich anrührst – ich mach' dir Leib und Seele krank!

Der erste Bettler

(mild, beruhigend)

Sei ruhig, Freund! Man merkt, daß du Fremdling bist. Wir sind hier wie eine stille Kirche, – ja – worin Frau Elisabeth gar trostreich die Messe liest. Die Frau Landgräfin fürchtet keinen Aussatz, die wird sich auch vor dir nicht scheuen, armer Gesell!

(Beifallsmurmeln.)

Der zweite Bettler

Sie kommt zu uns wie ein Engel: das Wartburgtor ist wie ein Himmelstor. Vordem hat sich keiner der Herren nach uns umgeschaut, die haben fröhlich gezecht und gesungen – oh, ich weiß wohl noch – aber es ist des Elends übermenschlich viel geworden! Da hat uns Gott Frau Elisabeth geschickt.

Der erste Bettler

(leise, zuletzt flüsternd, aber deutlich)

Der Frau stehen bittre Dinge bevor – ja – ich weiß, was ich weiß – ja – einer hat in aller Stille das Kreuz genommen und wird mit Kaiser Friedrich ins Heilige Land fahren – ja – das rote Kreuz aus Tuch, wißt ihr, was die Ritter auf den Mantel nähen oder an den Waffenrock – ja – und da hilft nichts, er muß mit – ja – der Kaiser hat's mit dem Papst verschüttet und schenkt nun dem Papst einen Kreuzzug, damit er nur wieder gut wird – ja – und der Landgraf wagt es der zarten Frau nicht zu sagen, denn 's wird ihr das Herz brechen!

(Allgemeine Bekümmernis.)

Der dritte Bettler

Oh, oh! Arme Frau!

Der zweite Bettler

Oh, das wird sie treffen! Oh, sie haben sich lieb, wie sich nur zwei Menschenkinder lieben können!

Der Aussätzige

Ich mein', es gibt in Thüringen Arbeit und Elend genug! Muß denn der Landgraf zu den Sarazenen fahren?!

Der erste Bettler

Sie, die so gern Freude macht! Sie sagt, der ist der Allerärmste auf der Welt, der niemandem mehr Freude machen kann. Nachbarn: wir sind doch wohl gar sehr arm ...

Der zweite Bettler

Wir sind sehr arm ... Wenn man doch nur ihr eine Freude machen könnt'! Jetzt zumal, da ihr so viel Kummer bevorsteht!

Heinrich Raspe kommt mit zwei Bürgern vorüber.

Raspe

Seht ihr das Gesindel? Das sind die neuen Wartburgsänger! Tagediebe aus ganz Thüringen und Hessen winseln hier Litaneien.

(Ab.)

Der erste Bettler

Das ist des Landgrafen Bruder. Ein gar hoffärtiger Jüngling ...

Der Knabe

(ruft)

Frau Elisabeth kommt den Berg herab!

(Er springt mit vielen gepflückten Rosen herbei. Bewegung! viele richten sich auf, schauen nach ihr aus, rutschen näher.)

Der erste Bettler

(schaut die Rosen des Knaben an)

Spracht ihr nicht davon, wie wir der Frau Freude machen? Ei, ihr Blinden, sind nicht Rosen ihre liebste Freude – ja? Sagt sie nicht, daß die Dornen sie an des Heilands Leiden erinnern, die Rosen aber an des Heilands Liebe –ja! – So nehme doch jeder eine Rose in die Hand – ja – geht, lauft, kriecht der heiligen Frau entgegen – ja – und ruft aus Rosenfarben des Himmels Segen auf sie herab! (Freudige Zustimmung.) Teilt aus – ja – teilt aus!

(Alles versieht sich mit Rosen und Rosenzweigen.)

Der zweite Bettler

Und singt ihr das Osterlied, das sie so gern hört: »Christ ist erstanden von der Marter allen!«

Alle Bettler

(mehrstimmig singend, die Rosenzweige haltend)

Christ ist erstanden usw.

Osterlied

Das älteste der uns bekannten deutschen geistlichen Volkslieder. Im 13. Jahrhundert als allverbreitet erwähnt.

Osterlied

Elisabeth

(tritt während des Gesanges langsam auf).

Im hochgerafften Gewande trägt sie Brot; ebenso ihre Kammerfrauen Jutta und Eisentrud.

Der erste Bettler

(ihr zunächst stehend, am Stabe, nachdem das Lied verklungen)

Lob und Preis dir, Engel vom Himmel, du unser Sonnenschein, du unser Trost! Sieh, du bringst uns Brot und bringst uns Worte des ewigen Lebens. Aber wir Armen haben nichts, womit wir dir danken könnten, haben nur Krankheit, Armut und Tränen. Darum, siehe, haben wir diese Rosen gepflückt und legen sie dir zu Füßen: denn, o liebe Frau, auch wir möchten Freude machen!

(Sie legen alle die Rosen vor sie hin, viele küssen dabei ihr Gewand.)

Elisabeth

(tief bewegt, innig)

Bin ich ein Märchenkönigskind? Tun sich
Vor mir die Hecken auf? Und sind dahinter
So lieb-lebend'ge arme Menschenkinder? –
Dank, Dank, ihr meine Brüder, meine Schwestern!

(Sie tritt unter sie und teilt ihre Brote aus; ebenso die Dienerinnen.)

Grüß' Gott, Meinhardus – sei willkommen, Elsbeth –
Und du, Beate – schau', auch du, Johannes –

(den Aussätzigen erblickend)

Und dieser? – wie? – ach, Ärmster aller Armen,
Die böse Krankheit?!

(Kniet rasch zu ihm nieder.)

Der Aussätzige

(scheu und angstvoll abwehrend)

Legt die Hand nicht auf! Ich bin aussätzig!

Elisabeth

Verwundet gar? – Rasch, Eisentrud, gib Linnen! –

(Sie verbindet ihn, nachdem Eisentrud das Linnen eingetaucht hat.)

Der Aussätzige

(am Stein lehnend, mit zitternder Stimme, in tiefster Bewegung)

O Engel Gottes!... Die zu Hause haben
Mich nur geschlagen – Frau, da flucht' ich Gott,
Vergebt mir – Kinder warfen mich mit Steinen –
Oh, da kommt Ihr und sagt mir, daß auch ich
Ein Mensch sei – und zum Himmel darf –

Elisabeth

(hat die Hände gewaschen, trocknet sie an einem von Eisentrud gereichten Tuche)

Auch du!
Auch du, ja, Bruder, darfst zum Himmel gehn,
Wo Jesus Christus wohnt. Ich preise dich,
Du Ärmster! Wenn du vor mir stirbst, so bitte,
Daß Christus meiner sich erbarme.

Alle

(in Bewegung, leise)

Amen...

Elisabeth

(zu allen; der Aussätzige liegt mit verbundener Stirn, die Augen geschlossen, die Hände gefaltet, wie im Traume lächelnd)

Oh, hätt' ich doch die Kraft – auf eure Schwären
Legt' ich die Hand, und Rosen sollten blühn,
Wo jetzt das Leid so garst'gen Wohnsitz hat.
Geht nun, mein Volk! Ich muß euch heute schneller
Als sonst entscheuchen, denn mein Landgraf wartet.
Doch Frohes darf ich euch verkünden: Hier
Wird binnen kurzem sich ein Spittelhaus
Euch allen auftun – und ich bin euch dann
Tagtäglich nahe!

(Bewegung.)

Alle

Heil, Frau Landgräfin!

(Sie machen sich in froher Stimmung zum Aufbruch bereit.)

Elisabeth

Und, meine Teuren, nehmt nicht nur mein Brot
Hinab in eure Täler: seht, wenn drunten
Die Menschen häßlich zu euch sind, so wißt,
Daß Gott euch lieb hat! Gott hat mir's vertraut,
Daß ich euch sagen soll, er hat euch lieb!

(Nimmt einige Rosen, Eisentrud reicht sie Ihr.)

Die Rosen bring' ich Gott als Gruß von euch:
Ich kränze mir damit mein Christusbild –
Nicht wahr? – Nun geht! Gedenkt mein im Gebet!

( Ruprecht ist aufgetreten, steht düster abseits, in den Mantel gehüllt, das Schwert drunter. Die Bettler entfernen sich alle, viele küssen ihr zuvor das Gewand: »Dank – Dank, hohe Frau« – ab. Man hört sie hinter der Bühne singen: »Alleluja, Alleluja« usw. bis der Gesang verhallt.)

Elisabeth

(zu Ruprecht)

Und du? Was stehst du düster abseits? Hast du
Noch eine Bitte? Sprich, du finstrer Gast.

Ruprecht

Ich wollte mich als Bettler zwischen die da
Hinlegen und von Euch mich füttern lassen.
Jedoch – ich war zu stolz. Ich bin gesund,
Will auch kein Bettelbrot, obwohl der Hunger
Mich fast erwürgt. Ich bitte nur, daß Ihr
Mir Dienst verschafft. Ich weiß im Stall Bescheid.

Elisabeth

(ihn lange betrachtend, etwas schaudernd)

Du bist sehr seltsam... Geh zum Marschalk! Sag' ihm,
Ich sende dich. Er wird ein Ämtlein finden.

(Ruprecht verneigt sich kurz und geht davon, den Berg hinauf.)

Wie ist mir nur? Mich fliegt ein Schauer an...
Er geht mit dem verhüllten Schwert, als zöge
Tod oder Schicksal auf die Wartburg ein...

(Sich umwendend, ins Tal schauend)

O seht das Tal! Christus war Menschenfischer –
Dies Tal gemahnt mich an den heil'gen See
Genezareth: die Armen sind wie Fischlein,
Ich darf sie fangen, darf dem Herrn sie bringen!

(Erschrickt, wendet sich zum Kruzifix)

Weh mir, wer bin ich, daß ich mich vergleiche
Mit dir?!

(Küßt das Kreuz)

Vergib, und laß es nicht entgelten
Die dort im Tal, was ich vermessen sprach!

(Zu den Kammerfrauen)

O Jutta, Eisentrud! Wie sehr bedarf ich
Des Beichtigers! O Pater Konrad, komm!
Ich will dich achten, als wär' Christus selbst
Vom Kreuz gestiegen!

Jutta

(auffahrend, unwillig)

Herrin! Ist der Pater
Nicht auch ein Mensch?!

Elisabeth

Ich sehe nicht den Menschen,
Der ist nur Staub, das weiß ich. Auch in diesem
Entstellten Kranken, den ich hier verbunden,
Seh' ich den Menschen nicht –

Jutta

Nun, wen denn? – Gott? – Frau, Ihr schwärmt! Will Euch nur sagen, Frau: Wenn Euch ein Ritter oder Knappe sündhaft liebhat, der lege sich nur als Bettler zwischen diese Herde – sieh da, Frau Elisabeth kommt und küßt ihn!

Elisabeth

(erschrocken)

Wie sprichst du!

Eisentrud

(verweisend)

Jutta!

Jutta

Ich bin gradaus, Frau.

Elisabeth

(lächelt wieder)

Du Schelmin, willst du so mich meinen Kranken
Abspenstig machen? –

(Sammelt die Rosen in ihr Gewand, Eisentrud hilft.)

Soll dir nicht gelingen!
Denn ich bin fröhlich! Weil ich fröhlich bin,
So will ich ringsum keine Krankheit sehn:
Ich rühr' sie an –

(Landgraf tritt auf.)

– und wie die Krankheit ansteckt,
So steck' ich sie mit der Gesundheit an!
Doch kommt – der Landgraf wartet –

Landgraf Ludwig ist unbemerkt hinters Steinkreuz getreten.

Ludwig

(freundlich-ernst, doch liegt ein Schatten über ihm)

Hat gewartet –
Bis ihm die Zeit zu lang ward. Seht, nun tut er
Wie jener, der zum Gastmahl lud: er geht
Und schaut sich selber nach den Gästen um.
Und findet seinen schönsten Gast bereits
Mit Brot beladen. – Ist's nicht Brot, Geliebte?

Elisabeth

Nein, es sind wilde Rosen, lieber Gatte.

Ludwig

Rosen, Elisabeth?

Elisabeth

Schau her! – Doch willst du,
So ist's auch Brot – und wenn du willst, so sind es
So viele Bettler, als da Rosen sind.
Mir gab sein Leid ein jeder, dornenvoll
Und rosenrot wie ihre vielen Wunden,
Gab mir sein Leid – ich gab ihm nur mein Brot.
Mein Brot? Nein, es ist dein's: du hast mir ja
So schöne Sorge gnadenvoll erlaubt.
Ich wollte diese Rosen Christus bringen –
Nimm du sie hin als Danksagung der Armen,

(Läßt sich auf ein Knie nieder, hält die Rosen hin)

Mein süßer Gatte, Bruder mir und Herr!

Ludwig

(bewegt, ihr Haar streichelnd)

Du Liebliche, steh auf! – Mir ziemt es nur,
Vor dir zu knien. Hast du diese Rosen
Dem Herrn versprochen, komm, so wollen wir
Sogleich dies Kreuz bekränzen – nicht wahr, Schwester?

Elisabeth

(freudig-kindlich in die Hände klatschend)

Eia, das wollen wir!

(Fällt ihm um den Hals.)

Mein Ludwig, Gatte,
Ich habe dich unsäglich lieb! Vergib mir,
Daß ich die Stunden, die ich diesen gab,
Dir stahl und deiner Liebe! So viel Rosen,
So viele Küsse spend' ich dir in Treuen!

Ludwig

Topp, angenommen, Schwester!

Elisabeth

Doch zuvor
Laß uns des Heilands weltengroßes Leid
Mit Wartburgrosen schmücken – so! –

(Sie schmücken; die Kammerfrauen haben sich zurückgezogen.)

Wir sollten
Mit lichten Taten, gleich den lichten Blumen,
Die Erde blühend machen und verklären –
Ich will es tun, mein Heiland, nimm mich an!
Und wie der Kriegsknecht dir den Stachelkranz
Ins Haupt gedrückt, so setz' ich nunmehr dir
Dies Kränzchen auf, dem ich die Stacheln nahm.

(Setzt ihm ein Rosenkränzchen auf; beide knien.)

Elisabeth
Wir grüßen dich.

Ludwig
Von Herzen grüßen wir.

(Dann steht Ludwig auf, sich zum Scherze zwingend)

Und nun die Küsse! Erst die Rosen zählen!

(Es liegen noch viele am Boden.)

Dann so viel Küsse! Eins, zwei, drei – ach laß,
Unzählbar sind die Blumen – und unzählbar
Ist meiner Gattin grenzenlose Liebe!

(Sie küssen sich, er schaut ernst und zärtlich)

Nicht wahr, Elisabeth?

Elisabeth

Ja, grenzenlos!

(Sie setzen sich, sie an ihn gelehnt.)

Oft dünkt es mich, ich hab' dich zu sehr lieb!
Ich seh' im Geist dein Antlitz immerzu,
Auch wenn du fern bist, auch im Traum! Sogar
Vor meines Heilands Bild –

(rasch zum Kreuz)

vergib mir! – drängt sich
Dein lieb-lieb-Angesicht! Die Kinder hab' ich
Durch dich nur lieb – ach, unerschöpflich scheint mir
Der Liebesvorrat, den ich für dich habe!

Ludwig

(zart und ruhig)

Und so ist's nur, Elisabeth. Du sagst das
Nur inniger als ich. Wir Männer üben
Zu nüchtern Handwerk. Doch die Schwester weiß,
Daß sie mein Kleinod ist –

(zögert, düster)

– und bleibt – auch wenn ich
Fernfahren muß –

(Fühlt nach dem Ledertäschchen, das er seitwärts am Gürtel trägt; er ist im Jagdgewand)

– sehr fern – auch wenn ich gar –

Elisabeth

Du bist mir niemals fern –

Ludwig

Es könnte doch sein– –

Elisabeth

(träumerisch-selig)

Der Landgraf Ludwig ist mein Gatte – manchmal
Mit festgeschloßnen Augen sag' ich langsam:

(Tut's)

»Der Landgraf Ludwig ist mein lieber Gatte!«
Klingt's nicht wie Minnesang im Rosenhag?!
O Bruder, ganz in dich versinken möcht' ich –
Bin närrisch – wie ins Federwerk der Henne
Die Küchlein schlüpfen – – lachst mich aus?

(Sie hat spielend aus dem Ledertäschchen ein rotes Tuchkreuz gezogen.)

Was ist das?

(Erschrickt furchtbar)

Jesus –! Was soll denn dieses rote Kreuz?!
Ludwig du hast – du hast das Kreuz genommen?!

(Sinkt mit langem Seufzer ohnmächtig hin.)

Ludwig

(um sie beschäftigt)

He, Jutta, Eisentrud!

(Sie kommen.)

Beide

Gott! – Liebe Herrin!

Ludwig

(schöpft Wasser und wischt ihre Stirn)

Brauch' ich den Brunnen, der die Armen tränkt,
Für dich, du Gütige? Und bist du selbst
Den Armen beigesellt?

Elisabeth

(erwachend)

Den Allerärmsten!
O Gott, mein Bruder geht von mir! Mein Bruder
Läßt mich allein auf weiter Welt! Mein Bruder
Wird niemals wiederkehren, niemals, niemals!

(Sie weint heftig.)

Eisentrud

Was hat sie, hoher Herr?

Ludwig

Gib mir das Kreuz dort!

(Er steckt es wieder ein.)

Elisabeth, mein klein lieb Schwesterlein,
Laß mich dich etwas fragen – komm – hör' zu:
Hast du mich lieb?

Elisabeth

O Ludwig!

Ludwig

Und willst du,
Daß dein Geliebter als ein Herr und Ritter
Das tue, was sich ziemt?

Elisabeth

Dein Weib verlassen – –
Ziemt es dir nicht, bei mir zu bleiben, Ludwig?

Ludwig

So will ich anders fragen: Liebst du dort
Den Heiland, den wir eben erst bekränzten?

Elisabeth

Ja, Herr, von Herzen.

Ludwig

(straff)

Willst du, daß sein Grab
Geschändet werde? Daß die treuen Christen,
Die dort auf Vorwacht stehn, verstümmelt liegen
Von Heidenhunden? Daß Jerusalem,
Die heilige Stadt, sündhafte Greuel schaue
Und daß auf Golgatha der Moslem Hause?
Nein, nein, mein Weib will, daß wir Christus ehren,
Doch nicht mit Rosen – nein, mit rotem Schwert,
Das eingetaucht in Sarazenenblut
Ganz anders funkelt als die Tändelblumen!
Willst du, daß Christus so geehret werde
Von deinem Gatten?

Hat sich erhoben und auch sie mit emporgezogen.)

Elisabeth

(hingerissen, feurig, obwohl noch Tränen in den Augen)

Ja, mein hoher Gatte,
Mein Herr und Ritter, ja, so sollst du tun!
Und du sollst ziehn – und ich –

(mit bebenden Lippen)

will meine Tränen
Verschließen, wie man Perlen in den Schrein tut.
Und kommst du siegreich heim, so hol' ich sie
Hervor – und komm', vom Schmuck der Freudentränen
Ganz überschimmert, dir entgegen!

Ludwig

(aufatmend)

Dank!
Jetzt ist das Schwerste überwunden!

(Zum Kreuz)

Jesus
Hab' Dank, daß unter deinem ernsten Kreuze
Das lang verhehlte Pilgerkreuz entdeckt ward! –
Nun bin ich tapfer – denn Elisabeth ist tapfer!
Nicht wahr?

Elisabeth

Gott wird mir helfen.

Ludwig

Komm zur Wartburg!

(Jutta und Eisentrud nehmen die übrigen Rosen mit. Er führt die gebeugte Elisabeth. Alle ab,)

(Vorhang.)


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