Meinrad Lienert
Der doppelte Matthias und seine Töchter / 1
Meinrad Lienert

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9

Es war aber am Namenstag unseres lieben Alpenheiligen und Viehschirmers St. Wendolin, ausgangs Weinmonat, da stand das Heiligenkapellchen auf der Ruchegg wohlausgerüstet, fix und fertig bis auf die feingedrehten und beblümten Kerzen, in seiner Mulde und wartete auf die Einsegnung, denn von einer eigentlichen Einweihung war nicht mehr die Rede, da niemand in dem niedrigen, engen Heiligenhäuslein eine Messe hätte abhalten können.

Immerhin machte sich der Pfarrer von Erlenstalden schon vormittags beizeiten auf die waldigen Höhen, begleitet vom alten Sigrist und zwei Knaben, die ihm als Ministranten und so oder anders in der Kirche ihre kleinen Dienste zu leisten pflegten.

Der geistliche Herr besah sich das blendendweiße, niedliche Kapellchen und lobte es und aber vor allem auch die gottgefällige Absicht des Bergbauern, seines Stifters. Und als er's dann im Beisein des Matthathias Stump und seiner Töchter Hagar, Rebekka und Rahel und mit ihm zugleich das Ruchegg-Heimwesen eingesegnet hatte, wollte er gleich wieder weidab und talwärts steigen, da er einen Schwerkranken zu besuchen habe. Der Stump und seine Töchter vermochten ihn aber doch zu einem kleinen Imbiß, den sie schon bereitgestellt hatten, in die Stube des Ruchegghauses hineinzunötigem So saß er denn eine Weile und ließ sich den durchzogenen Schweinespeck mit entschälten und geschwellten Erdäpfeln und einem nachfolgenden Becken voll überquellenden Schlagrahms, mit dem Sigristen und den zwei Knaben wohlschmecken. Der alte, glatzköpfige Sigrist freilich, der mit dem Schlagrahm nicht viel anzufangen wußte, denn er sagte von ihm, er gebe um ihn nicht viel mehr als um Bachschaum, bekam von der Mager, mit der er als der Leitsängerin auf der Vorkirche besonders gut bekannt war, ein höllisch scharfes Schnäpschen zum glitschigen Speck. Dafür packte er all die Sprüche, die er wußte, frohflüssige und überflüssige, aus, bis es den Pfarrherrn genug bedünkte und er zum Aufbruch mahnte. Nur ungerne trennte sich der Sigrist von seinem Gläschen, das wie der Öltopf der Witfrau zu Sarepta nie leer stand, so oft er auch dran herumschlückelte. Kopfschüttelnd und in sich hineinbrummend, verließ er die heimelige Stube. Zu gern wäre er geblieben, um danach mit der Stumpensippe die nachmittägliche Einweihungsfeier auf dem nahen Gütsch in der Hausmatte mitzumachen. Aber all seine diesbezüglichen Andeutungen verfingen beim Pfarrer nicht, der ihn seines Schwerkranken wegen im Tale auf alle Fälle um sich haben wollte. Zwar kam der Sigrist nach kurzem nochmals zurück, denn er hatte absichtlich sein Schnupftabaktrühlein, das er noch pflegte wie einst sein Großvater, vergessen. So füllte ihm die Mager sein Gläschen noch einmal mit der unschuldfarbenen, hündisch bissigen Tranksame aus der großen Pumperkrausle, alsdann aber schob sie ihn, da sie den Pfarrer vom Föhrenwäldchen herauf nach ihm rufen hörte, sänftiglich, aber unwiderstehlich zur Türe hinaus.

Also ward die Rucheggstube wieder leer und nur ein zählebiges Gerüchlein vom verflossenen Branntweingeist ging drin noch um.

Aber als die Sonne nachmittags hoch über dem Bärlauistock und dem Torlauiruck stand, ward das Kapellchen in der nun völlig spätherbstlich aussehenden Gartenmulde immer schöner. Helläugig, morgenfrisch, wie ein saubergewaschenes Kind im schlohweißen Kleidchen, schaute es in die Welt. Es war ja nun gesegnet und wahrlich, wahrlich, man konnte es ihm ansehen.

Es war jedoch nicht schmucklos. Efeuwinden und Brombeerranken bekränzten es um und um. Und vor dem Gitter, auf dem Gesims des Mäuerleins, lagen die letzten Waldblumen, vielglockige, tiefblaue Enziane über grüngleißende Stachelpalmenzweige, deren knallrote Beeren alles überglänzten.

Unter dieses Gesims voll Spätblumen und Schöngrün aber hatte der Chläus Hülpi, ein kleindörflicher Kannalles von Hochsiten, aufs Mäuerlein die Worte hingemalt: Heiliger St. Wendolin, bitt für uns! Diese fromme Inschrift ward getragen vom Wappenschild der Stumpen, der auf Goldgrund einen grünen Baumstrunk zeigte, aus dem eine Faust mit einer Mordaxt herauswuchs. »Ja,« hatte der Stump naserümpfend gesagt, als er sich die Malerei besehen, »nun weiß kein Mensch, ob das da im Wappen ein Schlachtbeil oder eine Suppenkelle ist. So sind diese Handwerksleute im Tale. Schnell fertig kommen sie aus der Fremde heim und dann können sie gleichwohl alles mit dem Maul, nur nicht mit den Händen.«

Vor der kleinen Heimkapelle klapperte immer noch das Wasserrädchen in den Tag hinein. Der Alte hatte es nun auch nicht gelitten, daß man dieses Spielzeug wegnehme, »denn,« sagte er, »dieses einfältige Wasserrädchen hat doch meiner Jüngsten, dem Röllchen, die ganze Kinderzeit durch ein Freudlein ums andere gemacht und auch mir ist's oft in der Nacht, wenn ich hab' wach liegen müssen, mit seinem Plaudermäulchen zu Hilfe gekommen und hat mir allerlei Geschichten zu klappern angefangen und mich so doch wieder zum Einschlafen gebracht.«

Vor das Mäuerlein des Kapellchens aber hatte er, gleich unter dem Wappen, eine kleine Bank anbringen lassen, auf der es sich gar gut rasten und allenfalls beim Spiel der kleinen Klappermühle ein Mittagsschläfchen abhalten ließ.

Kurzum, das freundliche, weiße Heimkapellchen verklärte die ganze Ruchegg und gab ihr etwas in Gott Geborgenes. Jetzt aber wartete es auf die Leute, die ihm heute, an seinem Ehrentag, zu Besuch kommen sollten.

Und sie kamen. Zuerst, als die Stumpen schon fast ungeduldig zu werden anfingen und hinten zur Küche hinauf immer wieder gegen das Föhrenwäldchen hinabspähten, erschien der Bäcker und Wirt Burket aus dem Kilchaltdorfer Unterdorf. Er führte sein Roß, das er mit seinem leichten Brotwagen schon vor dem Einwintern über den mehr als holperigen Waldweg der Erlenstalder Genossame hinaufgebracht hatte. Zwar der Bäcker schritt gemächlich neben dem Gefährt her weidan, doch vertat sich drauf, so behaglich als möglich, eine weitumgehende alte Weibsperson, die Base Anneseba aus der Stolzern.

Er hatte die Bäuerin zu Erlenstalden aufgeladen. Bis dorthin hatte sie auf des Viehhändlers Tritschen Fuhrwerk, für das der Waldweg auf die Ruchegg zu runsig war, von Hochsiten herfahren können.

Unterwegs war sie mit dem Bäcker in ein Gespräch gekommen, das ihr und ihm erst recht zu passen schien. Nämlich, sie fragte ihn, ob er denn bei seinem großen Doppelgewerbe, der vielbeanspruchten Bäckerei und der kleinen, gangbaren, damit verbundenen Wirtschaft, nicht dran denke, noch einmal zu heiraten. Sie könne sich nicht wohl vorstellen, wie er's ohne ein eigenes Weibervolk in all dem Betrieb zu machen vermöge.

Doch, hatte er ihr geantwortet, das Heiraten hätte er schon im Sinn. An seinen zwei Buben von der ersten Frau selig her habe er noch blutwenig oder mehr als nichts. Der eine sei zu Nidach auf der Handelsschule, denn er habe Talent und der andere sei in der Lehre bei einem Konditor im Welschland. – Ja, meinte drauf die Bäuerin aus der Stolzern, da könne man nicht von Hoffart und Übermut reden, wenn er wieder heirate. – Ob sie ihm eine wüßte, wollte er wissen.

Da lachte sie ihn aus und sagte, er halte jedenfalls die Frauen für schauerlich einfältig und unmerkig, was man von einem Witwer eigentlich nicht glauben sollte. So wolle sie es ihm grad heraussagen: Er habe es auf die Jüngste des doppelten Matthias, zu dem er heute nicht umsonst den bösen Weg hinauffahre, abgesehen. Das habe sie schon lange heraus. Auch der Ruchegg-Stump sei da auf dem laufenden, wenn er auch sonst manches übersehe, da er seinen großen Kopf allzugradaus halte. Das Röllchen sei freilich noch recht jung für ihn, obwohl man ja eigentlich auch bei den Mannsleuten nie so ganz sicher wissen könne, wie alt oder jung einer sei, wenn er grau zu werden anfange. Doch so oder so, das sei seine Sache. – Ja, gab er lächelnd zu, es sei wahr, er ziele schon lange aufs Röllchen auf der Ruchegg. Sie habe ihn völlig verhext; er nähme sie mit beiden Händen und sie müßte es recht, was recht? fein müßte sie's bei ihm haben. Er führe ein christliches Haus und man könne ihm nachfragen, ob er mit seiner Ersten nicht durch und durch recht gewesen sei. Und wenn sie ihm nun auch etwas zu diesem Röllchen helfen wollte, müßte sie's wahrlich nicht für nichts tun. Sie wäre dann nicht nur ein gerngesehener Gast in seinem Haus und selbstverständlich die Patin zu seinem ersten Kind, er würde ihr auch ein halbes Jahr lang das Brot gratis zuführen lassen, selbst wenn sie auf dem großen Mythen wohnte. – Ja, meinte die Stolzernbäuerin lächelnd, sie wolle sehen, was sich in Sachen tun lasse, aber daß er's wisse, nicht seines Gratisbrotes wegen, denn solange die Welt stelle, habe man in der Stolzern noch nie aufs Mannaschneien warten müssen. Wenn sie da etwas tue, so geschehe es nur, weil sie's ihrem um und um wohlgeratenen, untunlichen Bäschen von Herzen gönnen möchte, daß es in ein großes Dorf und in eine schöne Sache hineinzusitzen käme. Heja, das wolle sie auch bekennen, und weil es ihr, wie allen Frauen, Spaß mache, zwei zusammenzubringen.

Also hatte sich der alternde Bäcker Burket beglückwünscht, daß er die Bäuerin aus der Stolzern, trotz ihrem unverschämten Gewicht und obwohl er selber deswegen hatte absteigen und zu Fuß den Berg hinaufschwitzen müssen, auf sein Wägelchen genommen hatte.

Und als sie nun auf einem langen Umweg auf das Ruchegghaus zustrebten, ward es drin lebendig und jetzt kam die Mager, als erste und längste, wie die Stolzernbase kichernd sagte, aus der Türe und bedächtigen Schrittes über das Stiegenbrücklein hinunter. Und zugleich danach hinter ihr breitbeinig der Matthathias Stump, sonntäglich angezogen, den grauen Kopf hochauf. Und ihm folgte, neugierig über die gewichtigen Schultern des kleinen Mannes hinwegsehend, das Röllchen. Kaum waren sie unten, polterte auch die Reb übers Stieglein hinab. Und während die andern die Gäste mit einem weitumschallenden, landesüblichen Bewillkommnungsgelächter begrüßten, faßte die Reb die zaghaft, ja zimperlich tuende Base einfach rundum und hob sie, so massig sie auch war, ohne viel Beschwerde ab dem Wägelchen.

Aber nun wies der Bäcker Burket, nachdem er allerseits die Hände gedrückt, auf den prallgefüllten Sack, der auf dem Gefährt lag, in dem er die bestellten Langbrote hatte. Alsdann griff er nach einem großen neben dem Brotsack liegenden Paket und wickelte draus einen gewaltigen, köstlich wie ein ganzes Kornfeld duftenden Wecken. »So, Kind Gottes,« sagte er, sich ans errötende Röllchen wendend, »für dich habe ich da noch etwas Besonderes, einen Eierzopf, den ich extra für dich gebacken habe. Ich kann nicht glauben, daß jemals ein besser gebutterter Eierwecken auf die Ruchegg getragen worden ist; nicht einmal vom Weihnachtskind.«

Das war ziemlich deutlich. Während der alte Stump schmunzelnd auf den anmächeligen Wecken schaute, freilich ohne ihn recht zu sehen, in Gedanken, und die Base verständnisvoll lächelte, lachte aber die Reb polternd heraus und rief: »Dieser Eierwecken sieht, beim Eidhagel, aus wie ein Wickelkind. Steig jetzt ja nicht auf die Winde, Rolli, wo unsere Wiege steht. Es ist mir, wenn du ihn hineinlegtest, könnte er auf einmal zu schreien anfangen.«

»Du Weltsmaitli!« lachte der Stump auf, »was dir nicht alles einfällt. Ja, die Reb, die Reb.«

Aber die Base Anneseba aus der Stolzern nahm das blutrote, jedoch gar nicht zufrieden aussehende Röllchen bei der Hand und sagte: »So, Bäschen, komm und zeige mir jetzt das Kapellchen, das wir heute ein wenig feiern wollen und wegen dem ich extra da zu euch in diese abseitige, rauhe Welt hinaufgekommen bin.«

»Gern, Base,« machte das Röllchen.

Also gingen sie miteinander in die Mulde hinunter, während die andern Roß und Wagen umstanden, alles einläßlich betrachtend.

Und als nun die Base Anneseba sich in der Gartenmulde das funkelnagelneue Kapellchen angesehen und es und das von ihr gestiftete, geschnitzte Kruzifix ob dem Altärchen genugsam gerühmt hatte, ließ sie sich auf die kleine Bank vor dem Heiligenhäuslein nieder und zog das Röllchen neben sich hin.

Alsdann begann sie zu berichten, wie es sie gefreut habe, daß sie beim Bäcker Burket habe aufsitzen und auf die Ruchegg fahren können. Und wie dieser Bäckermeister und Wirt es gut habe und wie bei dem eine zweite Frau so wohlgebettet wäre, wie in lauter Schlagrahm und wie eine zu guten Sachen und Sächelchen, zu wohlmundigen Mümpfelchen allerart käme und wie sie die Wecklein aus feinstem Weißmehl noch ofenwarm essen könnte. Und wie es heutzutage so schwierig sei für das ledige Weibervolk, recht versorgt zu werden und wie der wohlbestellteste Bergbauer es nicht vermöge, für seine Töchter und gar wenn einer fünfe habe, viel aushinzugeben, da diese magern, rauhen Bergweiden keine großen Kapitallasten vertrügen. »Kurzum, Bäschen Röllchen,« schloß sie ihren ausgiebigen Zuspruch, »wie ich's so ansehe, glaube ich nicht, daß du's irgendwo in allen Teilen so gut bekommen könntest wie beim Bäcker Burket, der ja auch noch gar nicht alt, sondern sozusagen in den besten Mannsjahren ist.«

Das Röllchen hatte der Alten schön zugehört, mit einem undurchsichtigen, wunderlichen Lächeln und ihr auch die Hand, die sie in der ihrigen hielt, gelassen. Es sah aber dabei aus, als höre es mehr auf das plauderhafte Wasserrädchen zu seinen Füßen, das ja auch so allerlei zu erzählen gewußt hätte, als auf die Base. Endlich aber antwortete es: »Base Anneseba, ich weiß wohl, wie gut Ihr's mit mir meint. Nein, man kann mir nicht wohler wollen als Ihr's tut. Dennoch, seht, Base, müßt Ihr doch auch gewahren, daß ich noch nicht recht nach bin. Es will mich bedünken, ich sei fürs Heiraten noch viel zu jung. Ich werde es mir aber doch überlegen, Euch zulieb, da Ihr so weit für mich denkt. Freilich,« setzte sie nach einem starken Händedruck der Alten hinzu, »das muß ich ja auch sagen, an den Kilchaltdorfer Bäcker da hätte ich nicht zu allererst gedacht, denn,« und nun ward der Schalk in ihren blauen Augen ein wenig sichtbar, »das wißt Ihr ja auch, daß der Bäcker Burket den Chläus Hülpi, den Kannalles, von Hochsiten herrufen müßte, um sich von ihm plätzeweise frischanstreichen und eine andere Ansicht machen zu lassen. So um die Ohren und der Enden herum ist der Meister Bäcker doch schon katzgrau. Und da es aber keine grauen Weidenkätzchen sind, kann man von ihnen auch keinen lustigen Mai erwarten.«

Lautauf lachte die Stolzernbase. »Du Fratz du, du Erzschalk!« sagte sie wohlgelaunt, »ja, da hast du schon recht, das kann dir niemand durchtun. Aber,« und nun gab sie sich eine heillose Mühe, wieder ein ernsthaftes Gesicht zuweg zu bringen, »aber Kind Gottes, wenn zwei sich erst haben und wenn einer recht und lieb zu einem ist, so vergißt man sowas. Schau', das habe ich schon oft gewahren können, Röllchen, bei den Mannsleuten und sonderheitlich den jungen, wird die Liebe nach der Hochzeit leicht brüchig, aber bei uns Frauen nimmt sie zu, oft hochwassermäßig, sag' ich dir. Ja, eigentlich kommt bei vielen Frauen das Gernhaben erst nachher, wenn sie sich an ihren Adam etwas gewöhnt haben. Und zudem, glaub' mir's, ist schon manche junge Frau, die einen Älteren genommen hat, gottenfroh gewesen, daß sie dann ja immer jünger war als ihr Mann, denn da hat er den Appetit nach ihren Küssen und all den verliebten Narreteien nicht so leicht verloren und ist ihr nicht schon in den ersten Zeiten der Ehe wie ein heikelnäschiger Geißbock durch den Hag auf eine andere frischgrüne Weide davon. Wenn ich da reden und berichten wollte von alledem, was ich erfahren habe und etwa auch aus Eigenem weiß, du würdest allerlei Augen machen. Sowieso, Bäschen, ein Teil Leute verjüngen sich durchs Heiraten, das ist einmal wahr. Beim Weibervolk kannst du's ja oft genug sehen, denn aus alten Jungfern gibt's alleweil junge Frauen. Aber das kann auch bei den Männern vorkommen. Und dann, wenn eine halt versorgt ist und Kinder hat, so sind diese ihr die Hauptsache und der Mannskerl, ob er mehr oder weniger gut federt, es . . .«

»Base,« machte das Röllchen, »ich meine, wir müssen uns wieder hinauf zum Haus machen. Hört Ihr's nicht?! Gewiß sind wieder Gäste oben angerückt.«

Richtig, oben war wieder ein Gelächter und lautes, frohes Getue.

So machten sie sich denn, ziemlich rasch, so rasch es der rundum wohlgebauten und völlig eckenfreien Stolzernbase ihr Atem und ihr umständliches Gangwerk erlaubten, aus der Mulde und in den Ruchegghof hinauf.

Da konnten sie gleich den Viehhändler Baschitoni Tritsch von Hochsiten und die Judith begrüßen helfen, was sie auch von Herzen taten. Ja, das Röllchen umhalste ihre Schwester in ganz unbäuerlicher, auf der Ruchegg noch nie erhörter Weise. Und wohl ein dutzendmal fragte sie die in Gesundheit strahlende Judith: Was macht unser Büblein, was macht der Zacharisli? Aber auch die Base aus der Stolzern wollte wissen, wie sich ihr Patenkind befinde, wie's mit dem Zahnen sei und ob er bald einmal stehen könne.

Die Judith, die doch die älteste Stumpentochter war, schien wahrhaftig noch jünger geworden zu sein, obwohl sie jetzt noch um ein Häftchen oder ein Knopflöchlein breiter aussah. Alles lachte an ihr. Und das alles kam aus ihren stillen, klugen Augen, die einfach alles Schattenhafte hinwegsonnten.

Aber jetzt nahm der stämmige, immer gewichtiger werdende Viehhändler Tritsch seinen jungen Knecht, dem Tschuppmoos Bändichtli, die Traggabel ab und nachdem er sie an den Brunnen angelehnt hatte, enthob er ihr ein halbes Dutzend bauchiger Flaschen voll Rotwein, die er auf das Ende des hölzernen, fleißig von Ameisen begangenen Brunnentrogs vor den Alten hinstellte: »So, Großvater,« sagte er, »da hat Euch die Judith einen Tropfen vom Mehrbessern gerüstet und auf die Ruchegg tragen lassen. Flaschenwein, Stump, urchiger Flaschenwein und das eine teure Sorte von einem ehrwürdigen Jahrgang. Ich habe sie einem welschen Viehhändler an eine Schuld hin abnehmen müssen.« Er griff eine Flasche auf und hob sie gegen die Sonne: »Seht, was für ein Färblein! Da drin wachsen die roten Backen, zum einen für die Jungen, die sie noch nicht haben und zum andern für die Alten, die sie schon nicht mehr haben. Was meint Ihr, Stolzernbase, wollt Ihr Euch nicht auch noch für ein Zeitchen solche anschaffen? Vielleicht könnt Ihr's dann dem Schwiegervater da, unserm Vater Stump, antun. Ist ja auch Witwer und wenn ihr allenfalls zusammenkommen wollt, so müßt ihr euch jetzt sputen, über den Graben zu setzen, bevor euch die Beine streiken.«

Alle lachten fröhlich auf und der Alte sagte: »Ja, wenn die Base Anneseba noch die wäre, die sie vor zwanzig bis dreißig Jahren gewesen ist, täte ich mich nicht lange besinnen.«

»Freilich,« meinte schmunzelnd die Base Anneseba, »aber dann, mein lieber, guter Vettermann, müßtest du dich eben auch frisch anstreichen oder noch lieber völlig wenden lassen, denn ich möchte auch lieber einen Jungen.«

»Das glaube ich!« lärmte die Reb und ihr Gelächter verschlang die Lustbarkeit der andern völlig.

»Also gut,« redete der Viehhändler weiter, die Flasche dem kleinen Hirten überreichend, der sie sich noch näher besehen wollte, »Großvater, das ist nun unser Festwein, denn ein pechschwarzer Kaffee, und wenn er noch so himmlisch gezuckert und höllisch geschnapst ist, tut's uns heute nicht. Es schickt sich auch nicht, so etwas, das man alle Tage haben kann, bei diesem besondern Anlaß aufzutischen. Dieser Rotwelsche aber, Stump, das sag' ich Euch, macht aus Euch bis zum Zunachten aus einem doppelten Matthias einen vierfachen, so daß Ihr, wenn ich's recht rechne, auf acht Beinen vom Gütsch da oben in der Hausmatten in die Rucheggstube und hinterm Ofen hinauf in die Elternkammer kriechen könnt.«

Aber ins laute Auflachen der andern redete jetzt der Alte, doch etwas verärgert über seinen Spottnamen, den ihm sonst niemand ins Gesicht zu sagen wagte: »Baschitoni, schau' du für dich, tracht' du nur, daß du dich auf deinen zwei Beinen zu halten vermagst, denn es ist schon mancher Viehhändler und Senntenbauer unversehens auf den Hintern zu liegen gekommen, wenn er zu großhansig gewirtschaftet hat, obwohl er ja, wenn man sein Sennten Kühe dazuzählt, die doch auch zu ihm gehören, fast auf anderthalbhundert Beinen gestanden ist. Verstehst jetzt das?!« herrschte er seinen gelassen lächelnden Schwiegersohn an.

»Der Stump, der Stump, der Stump!« lärmte die Reb, als wolle sie zum Angriff hornen.

»Großvater,« sagte die Judith, sich an den Alten anschmiegend und ihm über das schlechtrasierte Gesicht und die Wirrnis seiner grauen Haare streichelnd, »müßt's nicht so nehmen. Wie kann denn ein so verständiger Mann wie Ihr's doch seid, eines wohlgemeinten Späßchens wegen gleich so in Harnisch geraten! Der Baschitoni hat Euch ja nur nach seinem Festwein gelüstig machen wollen. Bei Gott, unser Zacharisli würde Euch gewiß mit verwunderten Augen anschauen, wenn er einen Großvater sähe, der so wegen nichts und wieder nichts wild wird.«

»Bist ein Schatz,« machte der Stump, seine Tochter in den Arm kneifend. Und seinem Schwiegersohn stumm die Hand drückend, sagte er, die Rotweinflasche nochmals angelegentlich beaugenscheinigend: »Etwas Besonderes muß also schon an Geistern da drin umgehen, denn diese verpfropften und gar noch versiegelten Flaschen machen einen schauerlich guten Eindruck. Am End' bekommst du doch recht, Baschitoni, daß der ganze rote Spuk, der da drin steckt, mit uns allen Ringelreihen spielt, sobald er heraus ist. He, was schert mich das? Heute ist der heilige St. Wendelstag und die Einweihung seines Kapellchens auf der Ruchegg. Ja, Sackerzuckerdonnerwetter, da darf unsereiner und andere Leute auch, denk' wohl, etwas festen und drantun. Mein Laubbett,« lachte er auf, »ist ja, gottlob, nicht weit weg.«

Und nun wandte er sich an seines Schwiegersohnes aufmerkenden Knecht und sagte, die Arme wiegend, als wollte er zu einem Anlauf über einen Bergbach ausholen: »Tschuppmoosbattistenbub, pack' die Tranksame da wieder zusammen und bring' sie auf deiner Traggabel da auf den nahen Gütsch in der Hausmatte! Hinter dem kurzen Erdhöcker gibt's einen Tisch, den uns der Chläus Hülpi, der Kannalles, vorgestern zuweggerichtet hat. Auf den stellst du die Flaschen ab. Aber daß du mir keine zerbrichst, du Haspel! Sonst bist dann alt genug. Röllchen,« redete er zu seiner Jüngsten, die auffallend rasch zur Hand war, »geh mit dem Ledigen da hinter den Gütsch und nimm ihm hinter dem Rainlein die hoffärtigen, petschaftierten Flaschen ab. Sicher ist sicher. Kannst auch gleich einen Armkorb mitnehmen und drin des Bäckers Langbrote da hinauftragen und wenn du willst, auch deinen großen Eierwecken. Wenn wir ihn dir heute auch aufessen helfen, was gilt's, der Meister Bäcker Burket da hat dir bis zu Weihnachten wieder einen andern im Ofen oder etwa nicht?«

»Allweg gewiß,« machte, aber nicht eben frohlaunig, der Bäcker, da er sehen mußte, wie eilfertig das Röllchen im Haus verschwand, um einen Korb zu holen. »Lieber wär's mir aber, wenn ich die Brote und den Eierzopf grad selber auf den Gütsch da oben tragen könnte, denn für dein Röllchen, Stump, ist das alles zu schwer . . .«

»Herrje, Bäcker,« warf der Alte ein, »zu schwer! Da hast du jedenfalls keine Ahnung davon, was für eine Verfassung wir Stumpenleute in den Knochen haben und wie uns die Oberarme anschwellen können.«

»Das Knechtlein da,« sagte aber der Bäcker, mit einem abschätzigen Blick auf den Tschuppmoosjungen, der die Traggabel samt Flaschenkorb schon wieder auf dem Rücken hatte und der mit brennenden Augen an die Haustüre hinaufsperberte, »der Bursche kann ja unterdessen mein Roß einstallen, wenn doch das Röllchen die Langbrote tragen soll. Den Wein will ich dann schon auf den Buckel nehmen.«

Der Viehhändler Tritsch, so Manns genug er sonst war und der nicht das Gesicht hatte, in dem man jeden Gedanken konnte aufsteigen sehen wie die Blasen in einem Krötenweiher, vermochte jetzt doch ein Grinsen nicht völlig zu verwinden. Aber im Hui schaute er wieder giltmirgleich, fast ernst drein, während die andern nicht recht zu wissen schienen, was sie mit den gottverliehenen Augen anfangen sollten.

Aber die Judith lachte munter, harmlos auf und sagte zum Bäcker: »Meister, seht Ihr denn nicht, habt Ihr's, scheint's, gar nicht gemerkt, daß die Mager, meine Schwester, mit Euerm Gefährtlein zur Scheune gefahren ist und das Roß eben vor dem Stall ausspannt? Das ist also so gut als besorgt, denn was die Mager macht, wird recht gemacht. Für Euch aber, das muß ich schon sagen, schickt es sich doch kaum, für solch einen Mann aus dem großen Dorf, sich mit dem Korb herumzuschlagen. Das ist doch Gesellen- oder Knechtenarbeit.«

»He, potztausend,« machte merkbar ungehalten und aber auch verlegen der Bäcker Burket, »tut doch nicht so dumm. In meinen jungen Jahren habe ich den Korb so viel auf dem Buckel gehabt, daß es mir mehr als einmal war, er sei mir angewachsen.«

»Ihr Leute, ich meine halt,.« redete jetzt die Base aus der Stolzern, »wenn's unserm lieben, werten Gast aus dem Dorf Freude macht, sich, bevor wir da unten in der Mulde vor dem Kapellchen Andacht halten, ein wenig herumzusteigen und die jenseitige Welt selbander vom grünen Hausmattengütsch aus jetzt schon ein Weilchen anzusehen, so sei das . . .«

»Nein,« sagte jetzt laut der alte Stump, der den Braten völlig roch, der aber seinen voraussichtlichen Schwiegersohn mit den angegrauten Schläfen nicht vor dem Viehhändler und den andern lächerlich werden lassen wollte, »nein, Meister Burket, bleib hier. Wir gehen ja alle zusammen bald hinter den Gütsch. Ich hab's dasmal doch fast mit der Judith, ich meine auch, es täte sich für dich nicht recht schicken, Burket, so den Tragesel zu machen. Hast du mir nicht das Haargleiche auch vorgehalten, Bäcker, als ich dir die letzte Woche auf einer Traggabel eine Last von dem Dürrfleisch ins Haus gebracht habe, das du mir aus dem Kamin abgekauft hast?«

»Heja,« schnörzte die Reb, »es war auch einfältig genug von Euch, die schweren Längs gedörrten Schweine- und Rindfleisches bis nach Kilchaltdorf hinabzutragen, aber Ihr habt's mich ja nicht tun lassen wollen.«

»Reblein,« machte der Hirte, »es wäre dir auch schwer geworden, denn wenn ich nicht beim schnorfigen Jogg, beim Mann des Knollaugs im rittigen Stutz, samt meinem Dürrfleisch auf die Torffuhre hätte aufhocken können, wäre ich wieder umgekehrt.«

»Was schwer geworden?!« maulte die Reb. »So ein paar Arme voll gedörrtes Rindfleisch von einer alten Kuh. Ihr wißt doch wohl, daß ich schon mehr als einmal, ungänge, widergrindige Kälber, so bergbäuerliche Zöglinge, sagt allemal der Sigrist, wenn sie nicht nachkommen haben wollen, einfach auf den Armen dem Metzger Balz Schwitter ins Kilchaltdorfer Unterdorf zugetragen habe, ohne deswegen am Weg viel abzuhocken.«

»Ja, ja, du bist etwas,« schmunzelte der Alte, »und Bursche genug wärst du, ein Roß zu unterlaufen und es einfach auf den Buckel zu nehmen, samt seinem Reiter, wie's unsere Vorväter, die alten Eidgenossen, einst im Krieg gemacht haben sollen, als sie ihre Haut den fremden Herren um Geld verkauft haben.«

Wohlgefällig ruht sein Auge auf der Reb, die mit ihren bloßen flaumigen und braungebrannten Armen in den überfließenden Brunnentrog hineinfuhr, in den ihr bei ihrem heftigen Tudichum ein Kamm gefallen war.

Aber nun rannte das Röllchen, eine Zaine am Arm, aus dem Haus und übers Stiegenbrücklein herunter. Ihre roten Wangen sangen und ihre blauen Augen jauchzten mit allen Engeln im Himmel um die Wette Halleluja. Und da war sie beim Brunnen und da zog sie mit dem eilfertigen Tschuppmoos Bändichtli auch schon ab, und zwar so gleitig, als fürchtete sie, der Bäcker könnte ihnen, wie der böse Zauberer im Märchen, doch noch nachlaufen.

Die Judith lächelte ihr stilles Lächeln, dem man aber wie einem klaren, aber zu tiefen Wasser, doch nicht auf den Grund sehen konnte. Die Base Anneseba hatte es sauersüß in den Mundwinkeln und der Viehhändler Tritsch klopfte der Reb auf die Achsel und sagte, um doch etwas zu sagen: »Ja, ja, du Weltsbursche!«

Aber der alte Stump horchte rainab: »Wenn ich mich nicht täusche und meinen vielgebrauchten Ohren noch trauen darf,« sagte er, »so steigt da wieder jemand durchs Föhrenwäldchen herauf. Wird etwa der Balz Schwitter sein, der Metzger, denn der Mensch lebt nicht allein von Brot,« machte er lachend zum Bäcker, der schweigsam vor sich hinsah, »sondern auch von gesottenen Schweinswürsten.«

Und gleich lauschte er wieder rainab.

Der Bäcker Burket aber machte sich gelassenen Schrittes, um seinen Verdruß vor der Alten aus der Stolzern, die ihn bedauernd, aber auch wieder ermunternd ansah, besser verbergen zu können, auf die nahe Scheune zu.

Ach was, es kann mir ja gleich sein, dachte er, ob der junge Schnaufer das Maidlein auf den grünen Gupf da hinaufbegleitet oder ich. Zum Anbeißen kommt er jedenfalls doch nicht, selbst wenn er ein ganzer Luchs wäre. Ist ja am End' nur ein halbfertiges Knechtlein und eines nichtsigen Hühnerbäuerleins Bub, dessen schuhflickender Alter mir noch für ein Vierteljahr das Brot schuldig ist. Die Stumpentöchter tun's aber nicht so billig; sie wollen einen eigenen, zuverlässigen Boden unter sich wissen oder in Aussicht haben. Wenigstens das Röllchen, das auch zu Kilchaltdorf und Nidach viel zu gelten käme, ohne daß man's auf den Markt aufführen müßte, wo es freilich den Preis ums Weibervolk bedenklich hinauftreiben könnte, will sich gewiß ins volle hineinsetzen und es schön haben. Da brauche ich mich also nicht zuviel zu kümmern. Es ärgert mich nur ein wenig, daß sie so flink bereit war, mit dem Gagelbuben zu gehen und daß sie ihm gar den Eierwecken, an den ich doch extra für sie einen halben Butterstock angewandt habe, zu tragen gab. Er hat ihn wie ein Wickelkind im Arm gehabt. »Meinetwegen, ich pfeif' drauf!« sagte er laut denkend.

Was ihn aber fast am meisten zu ärgern schien, war der Gedanke, daß er sich bei seinen bestandenen Jahren eigentlich doch vor dem kleinen, grauen Hirten, der soviel auf sich hielt, wie auch vor der Alten aus der Stolzern und vor Viehhändlers ab Hochsiten, dumm aufgeführt, ja lächerlich gemacht habe. Sie wußten ja doch alle gut genug, in welchem Spittel er krank war. Mit dem doppelten Matthias hatte er sich ja, wie man so sagt, so durch die Blume so gut als verständigt. Ja, da konnte es ihm nicht fehlen; der Stump wäre sicher froh, wenn er das Röllchen aus seiner Hochweid, aus diesen windigen Rauhenen, mitten in eine Kilchaltdorfer Backstube unter die frischen Brote und Wecken und süßen Stücklein hineinsetzen könnte. Überlaut hatte es ihm dieser, sonst so hochgetragene, gute Hirte zu merken gegeben. Nun, das war ja begreiflich. Wenn sich's eben ums eigene Kind handelt, kennt ein Vater nur einen Stolz: ihm so gut und so weit als möglich durch die hag-, ja haushohen Schneewächten allerart ins frostige Leben angewegt zu haben. Also der Alte wäre mir gewiß, sagte er sich, aber seine jungen Leute und gar seine Jüngste? Da komme ich nicht recht draus. Oft einmal, wenn sie so blaue Augen an mich hinmacht und mich freundlich anlächelt, ist's mir, ich könne ihr's noch ordentlich. Und dann wieder, wenn ich tiefer ins Blaue hineinwill, wird's mir auf eine gewisse Art schwindlig, grad wie letzthin auf der Mieserngamsscharte, wo ich auf einmal gemerkt habe, daß ich muttergottseelenallein war und ins Leere hineinfallen könnte. Die alte Tasche aus der Stolzern hat mich bisher noch nicht viel gefördert bei der blauäugigen Unruh. Nun, was nicht ist, kann noch werden. Auf den Gütsch komme ich heute sowieso und wenn nicht alles den Krebsgang geht, auch ans Röllchen. Ein Erzgeschirrlein ist's, das ist sicher; sie hat den Schalk in allen Fingerspitzen und bis in die Zehennägel hinunter. Ich möchte aber heute etwas vorwärts bei ihr kommen. Solange man das Weibervolk nicht fest am Gürtel und in der Kammer hat, hat man's nicht. Und auch da ist man einer noch nicht gewiß und wenn man sie wie einen Hofhund an einen ankettet, ob sie nicht irgendein Seidenfädelchen an einem Bein hat, das ein anderer in den Händen hat und woran er sie ab allen Ketten, aus Kammer und Haus, über Berg und Tal und durch Fegfeuer und Hölle von einem wegschleifen kann. Nun, ich habe ja wachbare Augen und bin kein heuriges Kaninchen mehr. Ich werde mich schon in acht nehmen.

Da war er ja vor der altersbraunen, nicht mehr völlig erdbebensicher auf ihrem Grundmäuerlein stehenden Scheune und schon trat er in ihren ziemlich dunklen Stall, wo des Stumps lange Tochter, die Mager, eben seinen Rotfuchs zu den Kühen an den Barren stellte.

Es lächerte ihn fast, zu sehen, was die neun Kühe und gar von der andern Seite, aus einer spinngewebeverhangenen Dämmerung, die meckernden Ziegen, für Glotzaugen auf sein kräftiges Roß machten. Aber dann sah er mit Befriedigung, ja, mit Vergnügen und wachsender Aufmerksamkeit, wie selbstverständlich recht und ruhig die schlanke Hagar es mit seinem Roß machte. Wie sicher sie um den trämpelnden Fuchs herum war und wie sich das noch junge, kluge Tier gleich in sie fand und ihre Hand willig, ja gern anzunehmen schien.

Sie entschuldigte sich, daß sie dem Gaul mit keinem Haber aufwarten könne, doch wolle sie ihm vom besten, sonnenwarm eingebrachten, gutgeratsamten Öhmd geben.

Alsdann begann sie mit ihm über sein Roß zu sprechen und wundern mußte er sich, wie sie da gut berichtet war. Sie habe das nicht etwa von der Mutter her, sagte sie auf seine bezügliche Bemerkung, sondern von einem Aufenthalt bei ihrer Vetterschaft in Richels Erlenbühl. Dort habe man ja immer Roßzucht getrieben. Und da sei sie nun, als dem Petertoni im Erlenbühl die Frau von einem halben Dutzend kleiner Kinder weggestorben sei, zur Aushilfe drei Jahre lang, selber noch ein halbes Kind, eingestanden.

Und als sie nun in ihrer ganzen Länge neben ihm beim Roß stand und es ihm, nachdem sie's vorder gerühmt und seine Vorzüge namhaft zu machen versucht hatte, nun auch eingehend kritisierte und es bei aller Rassigkeit etwas zu hoch und zu heubauchig, aber für seine breitausgeladene Schwere zu dünnbeinig erachtete, rückte er ihr noch näher, immer angelegentlicher zuhörend. Und auf einmal fand er, als er sie einläßlicher anzuschauen begann und ihre hellbraunen Augen ein paarmal freundlich, fast zutraulich, über ihn gekommen waren, daß diese zweitälteste Tochter auf der Ruchegg wohl etwas gar weit hinaufging, aber eigentlich gar kein plumpes Bauernfünfe, sondern eine Jungfer sei, die allerlei Anziehendes habe und die unter ihrer Trockenheit vielleicht lebhafte Grundwasser verberge. Und nun fiel ihm auch die Überfülle ihrer Haare auf, die ihr vorhin, wie sie beim Futterrüsten durchs Trüschiloch schlüpfte, aufgegangen waren, sie allseitig überströmend und die sie jetzt wieder schnellfingerig zopfte.

Und als sie nun so neben ihm stand, ihn helläugig, fast lieb anlächelnd, wie die Frühlingssonne, die im Augenblick eine frostige Stube in eine warme umzaubern kann, und wie ihm ihre binsenroten Zöpfe, die sie dreifältig um den Kopf band, fast in die Augen kamen, ward es ihm ganz wunderlich. Seine Hand hob sich wie von selbst, völlig eigenwillig und schien sich der Mager auf die Schulter legen zu wollen.

Aber da war irgendwo draußen ein Auflachen und jetzt standen blitzgeschwind zwei blaue, knisterndblaue Augen vor ihm. Seine Hand kam anstatt auf die hohe, stillwartende Achsel der Hagar, auf den Hinterteil seines Rosses zu liegen. »Ich meine, es ist wieder ein Besuch angerückt oder doch im Anzug,« redete er.

»Das mag wohl sein,« antwortete sie tiefstimmig, »da wollen wir uns jetzt hinausmachen und sehen wer's ist.«

Ohne weiteres vor ihm hergehend, schritt sie gemächlich, gradauf aus dem Stall.

Der Bäcker aber machte sich ihr nach, zwiespältig durch und durch, fast ungern den dumpfluftigen Stall verlassend. Es war ihm, als müsse er drin noch etwas suchen, das ihm eben entfallen sei. Als er jedoch ins Freie hinauskam und der blaue Himmel über ihn hereinfiel, lachten ihn draus zwei glitzerige, schelmisch zwinkernde Sternlein an, die einzigen Sterne, die für ihn am Himmel möglich schienen und die einzigen, von denen er glaubte, sie könnten ihn ins Gelobte Land hineinführen. Nein, ging's ihm durch den Sinn, sie ist gewiß ein sauberes, ja, und ein anmächeliges Geschöpf, diese Lange, bei all ihrer Trockenheit, aber das Röllchen . . .

Er konnte seine Gedanken nicht weiter ausspinnen, denn da gingen sie ja schon auf den Brunnen zu, vor dem eben Schullehrers von Erlenstalden, der Salami und etwas hinter ihr heransteigend ihr Mann, der Beda Aloser, angekommen waren. Diese hatten sich bereits mit den andern begrüßt und nun bewillkommneten sie auch die herankommende Mager und den noch etwas ernsthafter als sonst dreinschauenden Bäcker Burket. Doch gab sich der einen Ruck, rasch bedenkend, daß des Schulmeisters Frau auch Röllchens Schwester sei und schüttelte ihr und ihrem sich ihm fast schüchtern entgegenwindenden Lehrer die Hand nachdrücklich.

Und nun betrachteten alle, der alte Stump nicht ohne ein wenig die Nase zu rümpfen, die neuangekommenen Gäste, vorab den Salami.

Sie bemühte sich aber auch, ihre ganze drallpralle Person gehörig ins Licht zu rücken, wobei ihr neues Kleid aber besonders zur Schau kommen mußte. Es war buntgesprenkelt und seine Farben schrien fürjo und mordjo! und sprangen den andern fast ins Gesicht. Sie hatte den Stoff dazu, wie sie bald genug und mit rasch werkender Zunge dartat, einem patentlosen Hausierer aus dem Volk Gottes spottbillig, aus lauter Erbarmen abgenommen und ihn dann von der Schneiderin im Hinterdorf zu Kilchaltdorf zum festlichen Gewand gestalten lassen.

Als man sie genug bewundert hatte, bemühte sie sich, mit vielen Reden, ihren Mann, den Lehrer, etwas mehr ins Licht zu rücken, denn er liebte oder verstand es, sich immer etwas unsichtbar zu machen. Es mochte aber auch daher kommen, daß er immer im Schatten zu stehen schien, wo er auch stand. Nun, viel gab's an ihm eigentlich nicht zu sehen, denn sein dunkles, schon ziemlich abgetragenes Hochzeits- und Sonntagsgewand hatten sie doch schon reichlich betrachten können. Der Schulmeister kam aber nicht recht dazu, sich zu zeigen, denn seine Frau, der Salami, staubte ihn immer wieder ab und anläßlich auch zugleich allweil wieder flüchtig das Bollwerk ihres Herzens, es blitzgeschwind links und rechts überschauend, um sich zu vergewissern, daß nun alles einwandfrei und erzsauber sei.

Was aber den alten Berghirten, den Stump, wunderte und heiter stimmte, war die Gitarre, die sein schulmeisterlicher Schwiegersohn am Rücken, der ihm immer über den Kopf hinauskriechen wollte, trug. Obwohl er ja wußte, daß der Lehrer die kleine Orgel zu Erlenstalden zu spielen verstand, gar soviel Musik hatte er doch nicht hinter ihm vermutet. So sah er doch, beim Strahl, auch nicht aus. Er mußte kurz auflachen, als er ihn näher besah. Sein Schwiegersohn kam ihm mit seiner Gitarre am Rücken vor wie eine aufgerichtete Riesenschildkröte, die sich dreht und windet, um ihre Schale von sich abzutun.

»Herrgottabeinander,« lachte aber jetzt die Reb heraus, »jetzt schaut einmal unsern Vetter, den Lehrer an, er hat eine Zupfgeige auf dem Buckel! Nimmt mich der Teufel wunder,« wandte sie sich an ihn, »was du damit anfangen willst, Schwager. Hoffentlich tönt die schöner als die Schulbuben, wenn du sie zupfst.«

»Ei, du grobe Schelle,« schnellte sie der Salami an, »laß mir meinen lieben Beda in Ruh. Und sowieso: du wirst dich über seine Zupfgeige noch wundern.«

Sie wandte sich gleich von ihrer lachenden Schwester weg und dem viereckigen Zainlein zu, das der Lehrer am Arm hatte. Dem aber entnahm sie einen gebratenen, dem Anschein nach keineswegs in seiner Jugend hingerichteten Hahn. »Vater,« redete sie mit kreischender Stimme, »es soll uns niemand nachsagen, wir seien wie die Fecker mit leeren Händen vor Eure Türe gekommen und mit vollen Schürzen wieder weggegangen. Ich habe gedacht, man könnte Euch an diesem St. Wendelstag zur Feier des Hauskapellchens keine größere Freude machen, als wenn man Euch etwas Feinschmeckendes, Lindes und in allen Teilen Wohlbekömmliches zutrüge. Nun hat mich zwar die Judith mit ihren petschaftierten Flaschen ausgestochen. Gleichwohl, auch vom dickrotesten und meisterlosesten Wein wird niemand satt, er mag so voll davon sein als man's sein kann. So nehme ich an, der junge Gockel da, der ein ganzes Geläuf trauernder Witwen hinterläßt, gefalle Euch auch, Vater. Er wird Euch nur so zerschmilzen zwischen den Zähnen. Kein Fisch, was kein Fisch? kein Erdapfel, sag' ich Euch, kann weniger Gräte haben. Es war sozusagen mein vornehmster, tüchtigster Gockel. Ein Gockel für einen Herrenhühnerhof. Ich hätte ihn, wahrlichgott, an keinen andern vertauscht und wenn man ihn mir, wie den Gockel auf einer reformierten Kirche, über und über vergoldet hätte. Ihr seht also, Vater, daß ich Euch heute auch etwas Rechtes habe zuhalten wollen.«

»Ja, ja,« sagte der Alte, die Augen immer auf dem hochgelobten Hahn, »du meinst es ja gut mit mir, das weiß ich. Aber gar so ein Geschwemm brauchst du doch nicht über diesen Gockel da zu machen, als ob du ihn mir noch extra mit Honig einbeizen müßtest. Ich bin ja wohl zufrieden mit ihm, wenn er nicht zu zäh ist, denn, nimm's nicht für ungut! aber ich muß an jenen gallenbittern, zähledrigen Auerhahn denken, den du seinerzeit selber geschossen hast und den wir alsdann an deiner Hochzeit hätten abnagen sollen. Ich sage dir jedoch Vergeltsgott, denn am End' kommt nicht alles auf den Gockel an, ich nehme den Willen fürs Werk, Sulamith.«

»Aha,« schimpfte der Salami los, »also kann ich's Euch bloß so gut vertreffen, Vater. Und zum Dank für meinen jungen, vollfettigen Gockel, der ein schneetaubenweißes Fleischlein hat, mindert Ihr mir noch den schönen Auerhahn herab, den der Hutmacher von Nidach durchaus hat ausstopfen lassen und in sein großes Ladenfenster ausstellen wollen. Am liebsten nähme ich den Gockel wieder mit heim. Und ich habe ihn für Euch doch so sorgfältig gebraten. Nein, Euch kann man doch nicht leicht etwas recht machen. Wenn ich's gewußt hätte, wie man meine Gabe aufnimmt, wäre ich, St. Wendel hin, St. Wendel her, lieber daheim zu Erlenstalden bei meinen Säuen geblieben. Aber Ihr seid immer mit mir am unleidlichsten und unverträglichsten gewesen und habt mir die andern Töchter vorgezogen. Und ich habe doch . . .«

»Sei doch still, du Einfalt!« machte der Stump. »Du bist auch alleweil die unverträglichste gewesen und hast mir wegen jedem Drecklein und wegen jedem Vorhalt, den ich dir als dein Vater meinte machen zu sollen, ein böses Maul angehängt, sobald du hast reden können. Und, ja wahrlichgott, du hast's viel zu früh gekonnt. Mußt du dich da wundern, daß mir's nicht immer zum Herausjauchzen ist, wenn ich dich ansehe. Dein Maul, das über alles und oft recht lieblos, seine Tunke ausgegossen hat, hat mir das Lachen zuoft verschlagen. Dennoch bist du eine Stumpentochter und hast mir auch schon und nicht wenig Freude gemacht, das will ich dir nun auch sagen. So gib aber einmal Friede und meine nicht immer, die Welt gehe unter, wenn du nicht in allem und jedem das letzte Wort hast und laß auch andere und andern etwas gelten. Du bist nicht der einzige Kopf. Übrigens, wir sind jetzt heute da beisammen wegen dem Kapellchen des heiligen St. Wendel, was wir dann daoben hinterm Gütsch noch besonders etwas feiern wollen. Und sowieso,« redete er aber auf einmal starkstimmiger, mit tieffurchiger Stimme, »du weißt ja, daß mit mir nicht so gut Krieg anzufangen ist wie mit deinem Beda, wo du freilich keine Schlacht verlieren kannst, weil's der gute Schulmeister keinenfalls zum Kampf kommen läßt. Ja, ein guter Mann, unser Lehrer,« rief er aus, seinem zusammenknickenden Schwiegersohn auf die schmalen Schultern klopfend, von denen die Arme wie Dachkennel im Gewitter herabhingen, »einer, der auch das Zeug zum Märtyrer hat, auf daß man ihn einstmals im Kalender rot anstreicht oder gar auch in ein Heimkapellchen hineinstellt. Aber sei er wer er wolle, er hat ein währschaftes Weib, mag sie ihn nehmen wie sie will, eine Stumpentochter. Wenn's eine wert ist und verdient, einen Mann zu beherren, der seinerseits mindestens ein halbes Hundert rauhwolliger Bauernbengel regiert, so ist's unser Salami. Respekt vor dir! Aber jetzt kommt! Ich meine, nun wollen wir in die Mulde hinunter, zu unserm lieben heiligen St. Wendel.«

Alles lachte und war bodenwohlauf gestimmt. Sogar der Salami lachte kreischend mit und nur der Schullehrer Beda Aloser zeigte ein Gesicht, aus dem grad so gut ein Weinen wie ein Lachen hätte werden können, aber es verglaste also unabgeklärt.

Aber da war's, als ob dieses glasige Angesicht plötzlich in Scherben ginge, denn der Schullehrer fuhr erschrocken zusammen. Ein Tannzapfen, der plötzlich an die Hauslaube aufschlug, war ihm auf den Kopf gefallen. Und jetzt flog noch einer an die Laube und einer gar aufs Hausdach und rollten beide den Untenstehenden vor die Füße.

»Aha,« lärmte die Reb, als sich alle überrascht, fast erschrocken, anglotzten, abwärts, »das hätte man doch denken können, daß du dich auf deine Art ankündigen mußt, ohne daß man dich recht zu sehen bekommt, du Dorfhengst!«

Flink griff sie die Tannzapfen vom Boden auf und schleuderte sie, gewaltig ausholend, rainab.

Aus dem Bestand alter, krauser Föhren, einen guten Steinwurf unterhalb des Hofes, schritt jetzt der gesundfärbige, rotbackige Metzger Balz Schwitter. Auf der Schulter trug er etwas, das wie ein dickkopfiger Knüttel aussah. Vom Brunnen aus konnte man's gewahren, daß er ein völlig angriffiges Gesicht machte, als ginge es zu Krieg. Und das ging's auch, denn der junge, kraftstrotzende Metzger hatte nichts Geringeres im Sinne als heute, hau's oder stech's oder stieb's, des Stumpen Zweitjüngste, die Reb, zu erobern.

Hinter ihm trampte giltmirgleich ein älterer Knecht nach, der einen ansehnlichen Korb auf dem Rücken hatte. Dieser ältliche Metzgerknecht aber schaute nichts weniger als kampfeifrig drein. Man sah ihm an, wie ihm der Korb samt dem Berg haushoch verleidet war und wie er sich nach einem Ruhebänklein sehnte.

Die Reb, deren braunrotes, etwas sommersprossiges Gesicht um einen ersten Nachtschatten dunkler geworden war, hatte nach einem kindskopfgroßen Stein gelangt, aber als sie der Alte anschnörzte: »Was hast, was fällt denn dir ein?! Willst du unsere Gäste steinigen?« ließ sie den harten Brocken fallen und machte sich ziemlich hurtig, rainab, den Heransteigenden entgegen.

Und als sie nun vor dem Metzger stand und er ihr seine rote, umfängliche Hand entgegenstreckte, schlug sie ein, daß es knallte, biß die Zähne zusammen und drückte diese Hand mit Mannskraft. Aber der Metzger gab den Druck nicht minder mannhaft zurück.

»Metzger,« rief sie aus, ihn an der Hand hin und her zerrend, »du gäbest einen warmen Handschuh.«

»Ja,« meinte er lachend, sich willig ein Weilchen herumreißen lassend, »und aus dir könnte eine rechte Zange werden.«

»Du hättest den Korb auch selber tragen können,« sagte sie, ihn loslassend, mit einem Blick auf den übelzeitigen, vernehmlich schnaufenden Knecht, »du, so ein Klöpfel. Es werden ja wohl die bestellten Würste drin sein. So hast du's denn nicht merken können, wie's dem Grauschimmel da die Beine nimmt und wie er Luft zieht, als ob er Durchzug hätte. Schäme dich!«

»He, du, Babeli,« antwortete kräftig der Metzger, »dazu daß er das trägt, ist der Knecht da und dafür wird er auch bezahlt. Auch hat er bei mir die ganze Kost und außerdem ist er das Tragen von Kindsbeinen an gewöhnt. Er hat schon für meinen Alten selig das Fleisch kreuz und quer im Land herum vertragen. Übrigens sind wir ja von Kilchaltdorf weg bis Erlenstalden mit dem Gatterwägelchen gefahren. Dahinauf aber, über einen Weg, der schon mehr eine Bachruns ist, hab' ich's mit meinem zwölfjährigen Gaul umsonst probiert.« Er lachte auf: »Es scheint mir fast, du wolltest heute einmal die Barmherzige spielen und die Gute machen. Wenn du aber ein so gutes Herz hast, Reb, so kannst mir jetzt den Schinken da abnehmen und zu euch hinauftragen. Du machst mir damit noch eine große Freude. Ich habe ihn extra für dich, Schatz Gottes, auf die Ruchegg hinaufgetragen. Ehr' und Respekt vor eurem Kaminschoß! Hingegen, ein solcher Schinken ist aber, seit das Ruchegghaus steht, sicher und heilig noch nie daoben gehangen.«

»Prahl' nicht so,« sagte sie mit einer schönen Aufheiterung um ihre Nase, die keck, ja verwegen wie ein Fels, aus ihrem Gesichte vorsprang, »du bist ja noch nie auf des Ruchegghauses Herd gehockt. Wie kannst du da wissen, was im Kamin hängt? Gleichwohl, ich sag' dir Vergeltsgott. Du brauchst dir aber deswegen nichts Besonderes auszudenken oder einzubilden, du so wenig als irgendein anderer. Die Würste da kommen auf den Gütsch in der Hausmatte, wo wir festen und auch der Schinken, den du mir verehrt hast, soll allen wohltun und dir freilich auch und das erst recht.«

»Bist doch eine, du, eine recht unfreundliche bist du gegen uns Ledige. 's ist ja grad,« redete der Metzger, mit einem doch etwas gezwungenen Lachen, »als ob du uns Mannsleute nicht ansehen, geschweige gern haben könntest. 's wird dir doch nicht ernst sein? Aber machst du dich zur harten Nuß, so kann ich dir sagen, daß ich auch noch die härteste aufgeknackt habe und selbst wenn ich die Zähne zur Faust hab' zu Hilfe nehmen müssen. Und wenn du eine Türfalle mit sieben Schlössern bist, so will ich sie doch aufbringen, was gilt's?! Allweg,« setzte er, sie gradaus mit feurigen Augen ansehend bei, »fühle ich in mir das Zeug, dich allenfalls zum Mannsvolk zu bekehren und wenn du eine Heilige wärst, was du aber auch nicht bist. Eine von den sieben törichten Jungfrauen bist du!«

»Das nützt dich nichts,« antwortete sie gutgelaunt, »du magst Augen an mich hinmachen wie du willst. Oh, was so ein junger Mannskerl sich alles einbildet.«

»Möchtest du denn lieber einen Alten?«

Sie lachte polternd auf: »Ja, kannst dir's denken.« Aber als auch er verschmitzt grinste, lärmte sie fast zornig: »Ich brauche keinen und will keinen!«

Jetzt lachte er aber erst recht auf, und auch oben, wo die andern um den Brunnen standen und dem Gespräch zuhörten, gab's ein Gelächter.

Da bekam er ihre Hand zu fassen, die sie ihm wie in Verwirrung ließ. »Gib mir wenigstens einen Kuß zum Willkommen. Den meine ich doch verdient zu haben, wenn man dir mit einem Schinken auf dem Buckel nachläuft und,« raunte er ihr zu, »wenn man dich so wohl leiden mag.«

Fast ungestüm entzog sie ihm ihre Hand. Aber als sie sah, wie er seine bis weit über ihre Grenzen hinaus roten Backen merklich sinken ließ und wunderliche, unsichere Augen machte, sagte sie so laut, daß es die Krähen, die auf dem Rucheggstall kauerten, hören konnten: »Metzger, Bursche, also ich sag's dir noch einmal: Du brauchst dir nichts einzubilden. Ich will nicht ins Dorf. Es ist mir wohl genug daoben auf der Ruchegg. Und wenn es mich danach gelüstet, einen Mann anzuschauen, so muß ich nicht weit gehen, der Stump, den ihr den doppelten Matthias heißt, lebt noch und einen wie den gibt's ja doch auf hundert Stunden Umfang und noch hundert drüber hinaus, keinen zweiten. Aber du hast mir einen Schinken bis dahinauf gebracht, Bursche, und du willst mir wohl. Gut, wenn du denn um Küsse, um diese Schleckware, diese einfältige Säfzerei, soviel gibst, so will ich dir jetzt sagen, daß ich dir nicht bloß für ein volles Bauerndutzend Küsse ruhig wie eine Ofenkachel darhalten will, sondern ich will dir auch selber einen Kuß geben, und zwar mitten ins Gesicht, dahin wo du deine glitzrigen, beißlustigen Zähne hast, du Wolf, wenn du mich dazu auf irgendeine Art zwingen oder bringen kannst. So,« lachte sie, fast jauchzend heraus, »gelt nur, jetzt gibst's auf?«

Und damit machte sich die Reb, den Schinken auf der Schulter, starkschrittig und hochgetragenen Kopfes, wieder zu ihren Leuten hinauf, gefolgt vom jungen Metzger Schwitter, der nun wieder frohauf, mutig in die Welt blickte, und vom ältlichen Metzgerknecht.

Am Brunnen, nahe dem Haus, hatte man mit steigender Aufmerksamkeit der Reb zugehört, die ihre Gäste so aus aller Weise eigenwillig empfing. Aber schließlich war man aus der Fröhlichkeit nicht mehr herausgekommen und gar der kleine Hirte, der alte Stump, begann seinen grauen Wildmannskopf zu heben und mit den Armen zu rudern, als wäre er der Tell und müßte den Baumgarten über den Urnersee vor dem Landvogt flüchten, als er die Reb ihn also hochstellen hörte. »Ja, ja, die Reb!« murmelte er immer wieder.

Aber dann sagte die Base Anneseba aus der Stolzern lächelnd: »Was meinst du, Stump? Da hat deine Reb dem Metzger Balz Schwitter ja eine schöne, verlockende Aufgabe gegeben. Einen Kuß soll er von ihr bekommen, aber nur wenn er sie dazu so oder so zu zwingen oder zu bringen vermag. Das wird sich so ein baumstarker, junger Mensch, wie's dieser Kilchaltdorfer Metzger ist, wohl nicht zehnmal vorkauen lassen. Es nimmt mich nun doch fast wunder, wie's da noch herauskommt. Leicht macht es ihm die Reb allweg nicht, denn ja, sapperlot, die ist auch ein Bursche und was für einer! Nein, was man doch alles erlebt den Tag aus und bis man alt genug ist.«

Der Metzger und sein keuchender Knecht, der seinen schweren Korb so rasch als tunlich abnahm und an den Brunnentrog hinstellte und die Reb, waren nun unter den andern. Und herzlich ward der stramme Schlächtermeister von allen begrüßt. Ja, der Stump klopfte ihm sogar auf die Achsel und sagte halblaut: »Schön von dir, daß du dem Reblein mit einem ganzen Schinken aufwartest. Sie ist ein rechtes Kind.«

»Ja,« meinte lachend und ebenso leise, der Metzger, »aber keins, das sich leicht auf die Arme nehmen und einwiegen läßt.«

»Jaha,« gab der Alte herum, »dazu muß einer freilich die Arme haben. Ich,« er lachte auf, »hab' sie genug drauf gehabt.«

»Mag schon sein,« sagte der Metzger, »aber da war sie noch nicht viel schwerer als eine große Blutwurst, doch jetzt ist's ein anderes mit ihr. Sie ist schwieriger auf die Arme zu nehmen und gar drin zu behalten als eine Wildkatze. Trotzdem, ich probier's. Der versprochene Kuß wird ihr nicht geschenkt.«

Der Alte lachte still vor sich hin. »Ja, probier's nur, Metzger,« machte er kaum vernehmlich. »Gelt nur,« raunte er ihm ins Ohr, »du möchtest meine Reb halt gerne hinter deiner Fleischbank stehen sehen?«

»Sowieso,« gab der flüsternd zurück. »Nötigenfalls wär's Eure handsame Tochter imstand und tät mir die Ochsen und Kälber nicht bloß zerlegen und ausbeinen, sie täte sie grad auch noch selber schlagen.«

»So, ihr Leute,« rief aber jetzt der graue Hirte, »ihr werten Gäste allerseits, nun wollen wir noch ein Weilchen zu unserm lieben heiligen St. Wendel hinunter in die Mulde und vor seinem Kapellchen einen Rosenkranz miteinander beten, bevor wir zum Festen auf den Gütsch gehen. Wir sind's ihm zum ersten schuldig, da er heute seinen Namenstag hat und zum andern, weil wir die eben eingesegnete Kapelle auch mit unserm Gebet einweihen wollen. Der liebe Heilige wird das an uns achten und uns nicht vergessen, wenn Fehlzeiten eintreffen sollten. Also kommt!«

So stiegen sie denn alle miteinander, ausgenommen der alte Metzgerknecht, der auf dem Brunnentrog neben dem Schinken hockte und zuerst etwas zu Luft kommen und verkühlen wollte, in die Mulde hinab, zum Heimkapellchen, das ihnen freundlich entgegenzulächeln schien.

Auch das Röllchen und der Tschuppmoos Bändichtli waren unter ihnen. Sie hatten sich während der alle Aufmerksamkeit beanspruchenden Begrüßung zwischen dem Metzger und der Reb, unbeachtet vom Gütsch her unter die andern mischen können. Nur die Judith schien ihre etwas verzögerte Rückkehr bemerkt zu haben, denn sie zwinkerte dem über und über roten Röllchen schelmisch, verständnisinnig zu.

Bald kam aus der Mulde herauf ein lautes, mehrfarbiges Beten. Aus allen heraus waren die tiefgängige, wohlklingende Stimme der Mager, die hohe, kreischende des Salami und die zwei kräftigen, heldenmäßig schreitenden Stimmen des Matthathias Stump und seiner Tochter Reb zu hören.


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