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Es war um St. Gallustag im Herbst. Stumps auf der Ruchegg suchten eben das letzte Öhmd in der Hausmatte so rasch als tunlich einzubringen, da sich die Nebelhorden langsam um den Bärlauistock legten und die Welt ein verdrossenes Regengesicht zeigte.
Der kleine, graue, wirrhaarige Hirte tat sich mit seiner Heugabel mächtig um. Er stocknete die nicht allzu trockenen Öhmdschwaden zu ansehnlichen Haufen, die dann die Mager immer wieder mit dem Heuseil zu schweren, umfänglichen Bürden zusammenband. Und die Reb nahm sie auf. Jedesmal spie sie zuerst in die Hände, fluchte auch etwa, wenn ihr das dürre Zeug in die Augen kam oder sonstwie nicht gut genug zu liegen schien, dann mit einem gewaltigen Ruck, sich etwas nach hinten lassend, lud sie sich die gewichtigen Bürden auf, trug sie über die Matten und sichern, wahrhaft männlichen Schrittes über die lange Leiter hinauf auf die Heudiele der nahen Scheune.
Das Röllchen aber schwadete das letzte Öhmd für den Vater und besorgte auch schon das Nachrechen. Stille schaute sie in die Mulde unter dem Stall hinein, in der ihr Blumen- und Gemüsegarten, der aber mehr nur ein Erdäpfelacker war, lag und wo nun, von den gotischen Türmchen der roten Weidrosenstengel umblüht, ein Kapellchen stand, das mit dem Schein seines frischgeweißelten Mäuerleins die ganze Mulde erleuchtete.
Das war also das Heimkapellchen, die Dankstiftung des Matthatias Stump und seiner Leute für die gnädig vorübergegangene Klauenseuche. Großartig sah es ja nicht aus. Ein kleines Kapellchen mit einem Altärchen aus einem gewaltigen, ziemlich rohbearbeiteten, fast weinroten Block, einem Findling, der hinter dem Stall, von einer Legföhre umwuchert, gestanden hatte, und einem einfachen Gitter, das die einzige Öffnung, im Umfang eines Fensterchens, auf der Vorderseite abschloß. Aber das schmiedeeiserne Gitter ließ sich leicht öffnen. Allenfalls konnte ein Mensch, wenn er hineinkroch, in diesem Heiligenhäuslein aufrecht stehen. Nicht jeder Mensch. Die Mager, die es versuchte, denn sie wollte die versilberten Kerzenstöcke, die der Salami geschickt hatte, hineinbringen, war nur gebückt an den kleinen Altar gekommen.
Das Kapellchen aber stand der Gartenmulde, dem ganzen Heimwesen gut. Der Alte hatte Freude dran. Er wartete nur noch auf den hl. Wendel. Das aus Ahornholz geschnitzte Kruzifix, das die Base Anneseba aus der Stolzern stiftete, hing schon ob dem Altärchen. Sobald er nun auch den Heiligen drin haben würde, sollte der Erlenstalder Pfarrer das Heimkapellchen einweihen. Eine bescheidene Einweihung mußte ja stattfinden; da gab es nichts anderes, denn sonst wären ja doch alle die Kosten, die man für das Heimkapellchen hatte, für die Katz, und der Teufel könnte seiner lachen und mit den Nachtbutzen drum ringelreihen.
Mit lachenden Augen guckte das Röllchen ab und zu aufs Wasserrädchen hinab, das es einst aus Schindeln in der klarflüssigen Bachrinne der Mulde angebracht hatte und das nun Tag und Nacht durch aus dem Klappern gar nicht mehr herauskam. Es klapperte seit langem allabendlich die ganze Stumpenschaft in Schlaf. Der Alte hatte es wegtun wollen, da sich dieses plappernde Spielzeug so nahe beim Heiligenhäuslein nicht schicke, aber das Rollchen hatte sich mit unerwarteter Zähigkeit für sein kurzweiliges, nimmermüdes Wasserwerk eingesetzt. Da gab der Stump, der nichts so sehr achtete wie einen festen Willen, nach. »Meinetwegen also,« hatte er aufgelacht, »der heilige St. Wendel wird sich wohl auch dran gewöhnen, denn gar vieles was die lieben Heiligen, ja sogar unser Herrgott, von den Leuten zu hören bekommen, ist oft leider auch mehr klappern als beten.«
»Vater,« rief jetzt das Röllchen über die Matte dem hart werkenden Hirten zu, »wann kommt denn der hl. Wendel endlich einmal?«
»Ich weiß es nicht,« kam kurz der Bescheid.
»Er kann ja alle Tage kommen,« meinte die Mager, die Tröglein ihres Heuseiles auswerfend, »Rolli, du hast ja selber gesagt, als du letzthin von Hochsiten zurück warst, der Schwager Viehhändler habe den Heiligen schon frisch verputzen und ihn sich ins Haus bringen lassen. Hast du ihn denn da nicht zu sehen bekommen?«
»Nein,« sagte halblaut das Röllchen, »ich hatte allerlei anderes zu tun und da hab' ich's vergessen, danach zu fragen, ob man ihn sehen könne.«
»Ja, ja,« machte halblaut, trocken die Mager zu ihr, »wenn der Heilige junges lebendiges Fleisch und heißfüßiges, rotes Blut gehabt hätte, und gar wenn er ein Hirthemd angehabt und statt Wendel Bändichtli geheißen hätte, so . . .«
»Sei doch still, der Vater könnte es ja hören!«
»Vater,« sagte sie ablenkend, laut, da auch die Reb breitbeinig, aber ziemlich rasch vom Stall her heranmarschierte, »ich meine alleweil, hätten wir eine eingesegnete Kapelle und den hl. Wendel drin schon gehabt, so wäre uns das Prämienrind, das Ramsli, nicht umgestanden. Der Heilige hätte dann schon dafür gesorgt, daß es nicht soviel Hühnerfedern in den Schluck bekommen hätte, daß es dran ersticken und abgetan hat werden müssen.«
»Ja, das mag wohl sein,« stimmte der Alte zu.
»Aber jetzt habe ich's eingesalzt und ins Kamin gehängt,« sagte die herangekommene Reb überlaut. »So bin ich fast froh, daß uns der Heilige diesen Schaden noch nicht hat wenden können, denn über ein gut geräuchertes Stück saftigen Rindfleisches geht mir nichts.« Sie schnalzte mit der Zunge und zeigte die blinkenden Zähne. »Mach' dich weg, Rolli!«
Sie stieß das Röllchen zur Seite, packte mit beiden Fäusten die zurechtgelegte Öhmdbürde also heftig an und bückte sich dann so tief, daß sie ihr richtig über den Kopf hinweg und rainab rollte. Und also kam sie ins Hüpfen und Springen, daß ihr der Tschuppmoos Bändichtli, der eben, die Traggabel auf dem Rücken, aus dem Föhrenwäldchen unterhalb des Gehöftes herauskam, nur noch knapp mit einem Seitensprung entrann.
Aber an den Föhren schlug sie auf und blieb liegen.
Herrschaft, gab das ein Gelächter oben zwischen Haus und Stall; die Reb brüllte geradezu vor Wonne. Aber dann rannte sie nidsich und auf den Bändichtli zuhastend, lärmte sie: »Du Tropf, hast du denn diese Öhmdwelle nicht aufhalten können?!«
Er lachte ihr auch entgegen und sagte: »Nein, da hätte ich zuerst meine Traggabel abstellen müssen. Aber wenn ich Gemeinderat von Stagelrain wäre, ließ' ich dich rufen, damit du beim Lenzen und Föhnen die Lawinen auffangen könntest. Sie bekämen dann dort nicht soviel Waldschaden und wegrasiertes Holz.«
Als sie Miene machte, mit den kräftigen, völlig braungebrannten Armen hinter ihn zu geraten, schrie er fast auf und sie mit beiden Händen abwehrend, rief er aus: »Reb, der Tausendgottswillen, rühr' mich nicht an. Ich kann dasmal keinen Hosenlupf, nicht einmal ein scherzendes Ringen mit dir wagen, denn . . .«
»Ja, es würde dir auch wenig helfen, denn,« lachte die Reb auf, »denn ich habe dich ja letzthin, als du den jungen Stier von Hochsiten von unserm Schwager her zugeführt hast und so angriffig warst, dreimal hintereinander regelrecht gebodigt, und zwar ins flotschtriefendnasse Gras hinein. Nun wirst du ja wohl wieder trocken sein, Bürschlein, oder doch am End' nur bis an die Ohren?«
»Reb, laß ihn doch gehen!« kam des Röllchens verdrossene Stimme von oben.
»Nein,« lärmte die Reb zum großen Vergnügen ihres Vaters zurück, »ich lass' ihn nicht so schnell gehen. Wenn mir dieser Tschuppmoosjunge da die Bürde Öhmd nicht wieder hinauf zu euch und auf die Heudiele auch noch trägt, so kommt er mir nicht durch und am Rucheggbrunnen vorbei, du magst darob klagmartern wie du willst. Wirst doch nicht auf ihn warten, Rolli? Pressiert's dir denn so, ihn, dieses gutfedernde, aber auch federleichte Erlenstalderbürschlein oben zu sehen?«
»Ich wäre aber schon lange oben und du mit deinem starren, eisenharten Gestell hättest mich jedenfalls kaum abzuhalten, sicher aber nicht einzuholen vermocht,« antwortete der Tschuppmoos Bändichtli, die Reb keck aus seiner Hirthemdkapuze hinaus anblickend, »aber ich darf weder zu geschwind laufen, noch sonstwie wüst tun, denn daß du's weißt, daß ihr's alle wißt,« er erhob die Stimme: »Ich habe heute den hl. Wendel auf meiner Traggabel!«
Jetzt sagte die Reb nichts mehr. Sie stand nur so da und glotzte ihn und die Traggabel, auf der's ein kegelförmiges Pack gab, an.
Aber vom Haus her kam nun des alten Stumps Stimme: »Was, was, den heiligen St. Wendel bringst?! Reb, Maitli, gib Frieden! Daß du mir den Jungen ja nicht anrührst, sonst hast du's dann mit mir zu tun! So, so, den Heiligen bringst uns. So ist's endlich einmal möglich geworden. Steig hinauf, Bursche, zu uns! Wir wollen den Heiligen in Empfang nehmen und ihn uns ansehen.«
Also machte sich der Bändichtli mit seiner ungewohnten Last auf der Traggabel, die allen auf einmal kostbar ward, rainauf und auf die Stumpenleute zu, die ihn um den Brunnen zwischen Haus und Scheune erwarteten.
Und als er nun dort war und vor dem kleinen Hirten und seiner langen, breitzinkigen Heugabel stand, wünschte er gar freundlich und allerseits die Zeit an, wobei er aber das Röllchen gar nicht anzusehen wagte. Alsdann nahm er seine Traggabel bedachtsam ab und sie an den Brunnentrog stellend, machte er sich dran, das draufstehende Pack zu lösen. Und ehe man sich's so recht versah, stand auf dem trockenen Ende des morschen Troges eine kleine Statue, eine hübschbemalte Figur, mit einem doppelten, wie lauter Gold glänzenden Heiligenschein.
»So,« sagte er, lang aufatmend, »da hätte ich ihn also, euern hl. Wendel und, Gott Lob und Dank, in allen Teilen ganz.«
Mit großen Augen schauten alle auf den Heiligen, nun auch noch die Reb, die ihre Öhmdbürde erst wieder den Rain hinauf und gleich auf die Scheune getragen hatte.
»Schau' dazu,« lärmte sie auflachend ins tiefe Schweigen, »was ist das für ein nichtsiges Männchen, dieser Heilige da! Aber wohl, schön angestrichen, jaha, das ist er.«
Die andern staunten nur alleweil auf die Figur, die da so unversehens ab einer bäuerlichen Traggabel und aus einem milchkaffeebraunen Papiersack auf der Ruchegg erschien.
Endlich rief der Stump aus: »So, so, da hätten wir nun den Heiligen für unser Kapellchen. Und wenn ich's reden will, so muß ich's sagen: Er gefällt mir nicht übel, nur ist er mir für einen Heiligen zu jungscheinig. Ich habe mir gedacht, so ein heiliger St. Wendel, der Weid und Welt schirmen und gegen böse Seuchen und allerlei Ungeheuerliches wehren soll, müsse ein bestandener Mann mit einem mehr oder minder grauen Bart sein. Einer, der das Leben und nicht bloß ein paar Schuhe durchgemacht hat. Junges Blut wird es außerdem schwieriger haben, heilig zu werden. Aber das ist wahr, schön bemalt ist er.«
»Stump, Vater,« sagte die Mager, »die Heiligkeit schätzt man nicht nach dem Gewicht oder nach dem Bart ein. Ich habe in meinen Heiligenlegenden heiliges Jungvolk genug, das den Martertod gestorben ist und im Himmel gibt's nicht einen einzigen alten Engel.«
»Vater,« meinte mit ihrer geschwinden, starken Stimme die Reb, »kommt mir nicht mit den Alten. Ich mag mich unter ihnen umschauen wie und wo ich will, ich bekomme vielleicht nur verharzte Sünder zu Gesicht. Gleichwohl, darin muß ich Euch recht geben, ich habe auch einen bäumigern, rauhwolligern Heiligen erwartet. Auch hätte dieser angemalte Schutzpatron, unser nunmehriger Wächter über Alp und Vieh, doch dem St. Wendel mehr gleichsehen dürfen, den sie auf der Stagelrainer Allmeind in der Kapelle haben und der einer ist wie ein schlechtabgeasteter, windgefallener Baum. Gleichwohl, er ist jetzt da.«
»Und hundertmal, tausendmal willkommen sollst du mir sein, lieber St. Wendel!« rief nun das Röllchen aus, sich zu dem ansehnlichen Statuettlein auf den Brunnentrog hockend und es über sein braunes Fell und über den vergoldeten Hirtenstab streichelnd. »Mir gefällst du, ich kann dir's nicht sagen wie sehr, und noch nie habe ich einen Heiligen, jung oder alt, gesehen, der ein so schöner Jüngling gewesen wäre wie du. Schaut nur, wie leicht und fein er gebaut ist und was er für heiterfarbige Locken hat. Nein, keinen Erzvater aus dem Alten Testament nähme ich für ihn und wenn ihm der Bart bis auf den Boden ginge und er ihn zöpfen oder sich drin gar zu Bett legen könnte. Wart' nur, lieber St. Wendel, bis du auf dem Altärchen stehst, ich will dir denn den ganzen Sommer lang schon für Blumen sorgen, daß du aus einem guten Geruch gar nicht mehr herauskommst. Nein, etwas so Hübsches!«
»Aff!« schnörzte die Reb. »Jetzt hör' einer, wie die mit diesem St. Wendel redt, als ob sie ihn zum Schatz haben möchte.«
»Ihn nicht,« warf die Mager ein, »aber einen Liebsten haben möchte sie wohl und da will sie vielleicht unsern Kapellenheiligen bloß so als eine Art Dolmetscher bei einem andern anstellen und ihn hiefür einseifen, denn das versteht sie. Nun, möge er ihr helfen, ich gönne es ihr.«
Der Alte hatte sich am Heiligen jetzt satt gesehen. »Jung oder alt, fein oder groblacht,« sagte er, »die Judith hat ihn heraufgeschickt, in der Meinung, er mache uns Freude und er stehe unserm Heimkapellchen gut an. Also haltet's Maul! Und soviel sagt der Stump: Sei uns willkommen, heiliger St. Wendel, auf der Ruchegg! Und wenn du zu uns und unserer Sache nur halb so schön schaust, wie wir zu dir schauen wollen, so wird sich niemand beklagen können. Und nun, Bursche, Tschuppmoosbattistenbub, sollst du uns aber auch berichten, wie mein Schwiegersohn, der Viehhändler Tritsch auf Hochsiten, zu diesem Heiligen da gekommen ist. Das wundert mich doch fast.«
Der Bändichtli lehnte seine Traggabel an den Trog und sich aufs warme Rasenbödelein daneben hinwerfend, schaute er mit gar muntern Augen zum alten Stump auf, der sich auf den Scheitstrunk gehockt hatte und, die Heugabel in der Faust, wie ein rechter Hirtenkönig aussah. Seine Holzschuhe gingen fast und gar bis an die bloßen Füße Röllchens, das nun auf dem Ende des Brunnentroges hockte und den St. Wendel in seinem Schoß hatte.
»Also,« begann der Bändichtli, »Eure Judith . . .«
»Die Meisterin, du Schaf!« schnauzte ihn der Alte ab.
»Also, ja eben die Meisterin und ihr Mann, der Viehhändler Tritsch, lassen euch alle vielmal grüßen und da sei nun der St. Wendel, den sie euch in das Heimkapellchen versprochen haben und die Reb . . .«
»Die Rebekka, du Lümmel!«
»Heja, und die Rebekka soll die nächsten Tage auf Hochsiten hinunterkommen mit dem Metzgkalb, denn der Metzger Balz Schwitter habe bei uns grad eine alte Kuh abzuholen. Es gehe dann in einem, und sie brauche so das Kalb nicht bis nach Kilchaltdorf, wie auch schon, am Schwanz hineinzudrehen.«
Die Reb lachte auf.
»Mach', mach', erzähl' einmal!« brummte der Bauer.
»Ja, ja, ich komme schon,« sagte frohgemut der Tschuppmoosjunge, »ich kann so wenig wie ein Brunnen alles, was ich drin habe, auf einmal hinauslassen.
»Also, so vor einem Monat und etwas Ungerades dazu, hatte der Meister Tritsch unten im Städtlein Nidach beim alten Fürsprecher, dem Doktor Hieronimus Fink, zu tun, eines Streithandels mit einem Nachbar wegen, was Euch aber das Röllchen . . .«
»Die Rahel, du Torenbub!«
»Die Rahel, die ja letzthin auf Hochsiten war, schon erzählt haben wird. Und da fragte denn der Meister den alten Streitzüchter, ob er ihm vielleicht einen Heiligen, aber es müßte der St. Wendel sein, auf die Ruchegg in ein neues Heimkapellchen wüßte. Er habe nämlich versprochen, einen solchen seinem Schwiegervater zu stiften.
»Also gut. Zuerst lachte der Fürsprecher ein wenig, dann aber ward er gleich wieder ernst wie ein Schattentobel und sagte, er glaube, beim alten Trödler auf dem Hauptplatz unterm Bogen könnte man so etwas noch bekommen. Der habe ja so ziemlich alles, was nicht im Paradies und in der Arche Noah zurückgeblieben sei, in seinen dunklen Ladenwinkeln drin. Und wenn er's allenfalls nicht bei der Hand habe, so wisse er's doch sicher und heilig zu beschaffen. Er glaube, man könnte bei ihm sogar die kleinen Kindlein naturfrisch geliefert bekommen.
»So machten sich denn der Viehhändler Tritsch, mein Meister, und der Fürsprecher in des Trödlers Kramladen. Wie nun diesem der Fürsprecher sagte, der Meister möchte gern einen St. Wendel für ein Heimkapellchen auf den Waldbergen, führte sie der Alte zu einer großen Truhe, die voll verstaubten Gerümpels allerart war. Und da stand nun zwischen einem verbeulten, grünangelaufenen Kupferkesselchen und einem dreiarmigen Kerzenstock dieser fast zwei Fuß hohe Heilige da, mit seinem Schäferstab und daneben sei noch eine ebenso hohe, etwas abgetragene Figur gestanden, erzählte der Meister, von welcher der Krämer sagte, es sei etwas Griechisches. Der Meister habe es aber nicht geglaubt, denn er habe wohl gemerkt, daß das der Teufel und dazu gar einer mit zwei Bocksfüßen sei, denn er habe ein aalglattes Weibsbild, eine splitternackte Sünderin, in den Armen gehabt und es habe ganz so ausgesehen, als ob er mit ihr der Hölle zueile. Diese Figur habe dem Doktor Fink so gut gefallen, daß er sie dem Alten abgekauft und ihm bare hundert Franken dafür bezahlt habe.«
Die Reb lachte kräftig heraus.
»Lach' nicht so dumm!« machte unwirsch der Hirte.
»Ja, ja,« sagte die Mager, »es wäre, glaublich, eher zum Heulen. Da haben diese arme Sünderin ja nun zwei Teufel geholt.«
Alle schauten fast erstaunt auf die Mager, die aber keine Miene verzog und nur trocken ein wenig hüstelte.
Aber der Bändichtli, des Tschuppmoosbattisten Sohn, erzählte weiter: »Da nahm also mein Meister, der Baschitoni Tritsch, den Heiligen, der ihm gezeigt worden war, in die Hände und sagte zum Krämer: ›Ja, Mann Gottes, wenn's mir recht ist, müßt Ihr Euch geirrt haben; wie soll das da der St. Wendel sein? Schaut her, es steht ja auf seinem Gestell ein anderer Name, Damon steht ja drauf eingekritzelt.‹ Aber da hat ihn der Fürsprecher, der Doktor Fink, der ja ein gelehrter und weitherum gekommener Mann ist und sich am End' doch nicht nur unter den Teufeln auskennt . . .«
»Der alte Satan!« knurrte die Mager.
»Gib Ruh!« herrschte sie der Stump an. »Was hast du denn heute immer dein Maul dreinzuhängen, du Stange?!«
»Dieser Doktor Fink, der Fürsprecher, sagte nun gleich, deswegen sei diese Figur doch der St. Wendel, wenn auch Damon unter seinen Füßen stehen denn Damon heiße auf deutsch soviel als Wendel. Er werde eben im Griechischen drin, etwa in der Gegend von Arkadien und Umgebung, seine Schäferei gehabt haben. Daß er der Patron der Schäfer und der Enden sei, könne ja jedwedes Kind am Hirtenstab ansehen. Und als der Meister dem alten Trödler vorhielt, dieser Heilige habe ja keinen Heiligenschein, so habe ihn der ausgelacht und gesagt: Freilich hat er einen und sogar einen doppelten, er habe ihn nur zur Reparatur fortschicken müssen. Sobald der also zurückkomme, so werde er ihm das Statuettlein, so habe er der Figur gesagt, nach Hochsiten zuschicken. Und den griechischen Namen habe er gleich ausgekratzt.
»So ist uns denn vor kurzem dieser Heilige da, über und über frisch angestrichen, samt dem doppelten Heiligenschein zu Hochsiten angekommen und sein gutdeutscher Name Wendel ist auch drunter gestanden, was ihr ja sehen könnt. Das Röll–, der Roll–, die Rahel hat ihn ja jetzt im Schoß.«
»Ja, das ist aber kein Platz für einen Heiligen,« lärmte lachend die Reb. Und das Statuettlein dem Röllchen entreißend, stellte sie's zuhöchst auf den Brunnenstock, wo es dem Bergwind bedenklich ausgesetzt war.
Doch da hatte die Mager den Heiligen schon in den Armen.
»Macht mir keine Dummheiten,« schimpfte der Alte. »Gar schnell wäre das schöne Geschenk, das uns da die Judith heraufgeschickt hat, den Vögeln, denn unter euch Hornussen kann ja nichts ganz bleiben, was nicht von Stein und Eisen ist.«
»Ja,« redete die Magere »es ist ein lieber Heiliger, der St. Wendel, er meint's gut mit dem Bauernvolk und weiß was Brauch ist im Land. Im Legendenbuch steht, wenn ich's noch recht im Kopf habe, daß er die weißwolligsten Schafe hatte und daß an ihnen wie an ihm alles Kotige und Unreine wie Regenwasser abgelaufen sei und ihm auch nicht das kleinste Fleckchen habe machen können.«
»So einer solltet Ihr sein, Vater,« machte die Reb, »dann hätte man mit Euern Hosen nicht so eine heillose Arbeit, denn zuweilen ist's einem, Ihr traget an ihnen den ganzen Stall und was dahinter ist, in die Stube hinein.«
Der Stump lachte. »Ja, Reblein, das möchte dir dienen, denn das Hosenputzen kann's dir nicht. Lieber als mit der Bürste werkst du mit der Axt. Meinetwegen; ist auch recht. Also, Bursche,« redete er jetzt, sich rasch erhebend und die Schultern und Arme ausweitend und wiegend, »das ist schön, daß du uns den Heiligen und das ohne ein Brestlein, dahinaufgetragen hast. Auch hast du deinen Bericht gut gemacht. Auf den Kopf bist du nicht gefallen oder dann in lauter Taubenflaum, wenn du schon bloß des Schuhmachers und Geißbäuerleins Battisten Bub ab dem Tschuppmoos bist. So nimm denn der Mager den heiligen St. Wendel ab. Derjenige, der ihn uns gebracht hat, soll ihn auch mit eigenen Händen ins Kapellchen hineinstellen dürfen. Das Röllchen kann dir den Weg zeigen. Aber du siehst ihn ja schon und das Kapellchen da unten in der Mulde auch. Doch ist's vielleicht gleichwohl vom Guten, wenn sie dir das Gitter auftut und dir den Heiligen hineingibt, wenn du ins Heiligenhäuslein gekrochen bist. Du solltest es noch wohl hineinbringen; bist ja weidenleicht und gelenkig wie eine Eidechse, oder etwa nicht? Also macht zu! Wir andern aber wollen vespertrinken, denn,« er schaute himmelauf, »der Nebel vermag uns heute nicht zuzudecken. Er hat sich völlig verzogen. Was mich anbelangt, ich muß jetzt einen Schluck gutgezuckerten, einen Schluck geistigen Schwarzen muß ich haben, denn es ist mir völlig feiertäglich zumut, seit wir unsern Kapellenheiligen hieroben unter uns haben. Er bringt uns Glück, was gilt'? Mager, tu den Kaffee über!«
Dieser Zuruf wäre nicht notwendig gewesen. Seine Tochter Hagar war schon, mit einem langen, vielsagenden Blick auf das Röllchen und den Tschuppmoosjungen, der nun den St. Wendel im Arm hielt, übers Stiegenbrücklein hinauf in die Küche gegangen.
Und als sich ihr nun auch der Stump polternd ins Haus hinein nachgemacht hatte, ließ das Röllchen nochmals die blauen Augen blitzgeschwind rundum gehen. Dann nahm es den Bändichtli bei der Hand und führte ihn still lächelnd in die Mulde hinein, mitten durch ihren Garten, an dessen plauderndem Wässerlein das heimelige Kapellchen stand.
Wie war's doch so läubleinstill in der Mulde! Wie dufteten die Herbstblumen und wie glänzten die Brombeeren!
Nein, so ganz still war's doch nicht, denn das unermüdliche Wasserrädchen in der Bachrinne klapperte munter drauflos. Es war wirklich und wahrhaftig, als ob der Tschuppmoosbändichtli ins Himmelblaue und ins Abendrot hineinküsse, als er Röllchens blaue Augen und ihren roten Mund küßte.
Aber sie wehrte ihm, sie packte ihn am Hirthemd und zog ihn vor das Kapellchen. »Mach', schlüpf' hinein!« gebot sie, das Gitter auftuend, »und dann, wenn du drin steckst, will ich dir den Heiligen geben, damit du ihn aufs Altärchen unter das Kreuz der Base Anneseba aus der Stolzern und zwischen die Kerzenstöcke unseres Salamis hinstellen kannst. Gib ja acht, daß du ihn nicht zerbrichst! Wir zwei haben die Hilfe des lieben Heiligen auch notwendig, nötiger als Stall und Weiden. Wenn er uns wohlwill, nimmt er's mit dem Vater auf und da kann's sein, daß selbst er genug zu tun bekommt.«
Schon stand der Bursche im Kapellchen. Sie reichte ihm den St. Wendel hinein, achtgebend, daß dessen doppelter Heiligenschein ja nirgends anschlug oder auch nur anstreifte. Er nahm ihn auf die Arme wie ein erstmaliger Vater seinen eben geborenen Säugling und stellte ihn, den Staub ringsum wegblasend, aufs Altärchen ab.
Alsdann kroch er wieder hinaus und das Röllchen packte ihn bei den Armen und zog und half, bis er mit einemmal vor die Kapelle und gar über seine Liebste hinfiel.
Blitzgeschwind war sie auf. Und nun jagten sie sich kreuzbodenwohlauf in der Mulde herum und überhörten völlig die Stimme der Mager aus der Küche, die sie zum Vespertrunk rief.
Und als sich die Mager, gleich danach, aus dem Haus zur Mulde hinschlich und sich hinter einer Erlenstaude auf die Zehen stellte und sich zu recken und zu strecken begann, als wollte sie über die Berge hinauswachsen, sah sie ihre jüngste Schwester und den Bändichtli beim plappernden Wasserrädchen knien und zuschauen, wie's die Blumen und Blätter, die sie draufzu schwimmen ließen, erfaßte und rundum nahm.
»O ihr Kindsköpfe!« rief sie aus. Aber die beiden hörten sie nicht. »Ach,« seufzte sie, »wenn ich doch nur nicht gar so eine Lange wäre und auch so ein helles Lachschellchen im Hals hätte wie das Röllchen, statt so ein langweiliges Tuthorn. Ach wenn . . . Rolli!« lärmte sie plötzlich fast wild, »der Kaffee steht auf dem Tisch. Wollt ihr kommen oder soll ich euch die Reb oder gar den Vater in euere Spielstube hinunterschicken?«
Weg war sie.
Donnerwetter, war der Bändichtli flink auf den Beinen.
»Verrät und verrätscht sie uns jetzt?« fragte er, wahrhaftig erbleichend.
»O bewahre,« lachte das Röllchen, immer noch auf den Knien, aus blauen Schelmenaugen zu ihm aufschauend, »das tut die Mager nicht, das, nein, ist nicht Stumpenart.«
»Aber wenn sie's doch täte, was würdest du machen?«
»Lachen!« schrie sie. Und aufspringend rief sie aus: »Tschuppmoosbub, mach' doch nicht so ein Gesicht oder ich will dich nicht mehr. Nein, so eine Blindschleiche wie meinen Vettermann, den Lehrer Beda Aloser, möchte ich denn doch nicht haben.«
»Ja freilich, aber ein anderer, der wohlhabende Bäcker Burket aus dem Kilchaltdorfer Unterdorf will dich ja, und du weißt, wieviel er bei deinem Vater und wie bluterdenwenig ich bei diesem gelte. Aber ich kann nicht ohne dich leben.«
Sie kicherte. »Das fragte sich noch,« sagte sie dann, »das glaube ich dir nicht und keinem, der's sagt, glaube ich's. Die Judith hat mir's schon gesagt, die Mannsleute tun nur so bis sie eine haben, doch sei's klüger, wenn man nicht alles, was sie einem sagen, mit einem heiligen Eid behaften wolle. Liebe Kerle seien sie am End' doch. Und nun komm, Bursche, wir wollen zum Kaffee. Du mußt ja danach heimzu, leider Gottes. Und was das andere angeht, was zwischen uns beiden ist und noch werden soll oder nicht, das überlassen wir nun unserm lieben hl. Wendel da im Kapellchen, aber,« sie zupfte ihn geschwind an beiden Ohrenringlein, »ich will die Augen schon auch offen behalten. Komm!«
Sie übersprang ihr immer lautes Wasserrädchen und alsdann eilten sie, Hand in Hand, durch die nur noch spärlich beblümte Mulde zum nahen Ruchegghaus hinauf und hinein, just als die Stimme der Reb hinten hinaus nach ihnen lärmte.