Meinrad Lienert
Der doppelte Matthias und seine Töchter / 1
Meinrad Lienert

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Es ging schon ziemlich in den Nachmittag hinein, als man zu Erlenstalden endlich zum Abschluß des Freundschaftsschießens der im Schützenbund am Bärlauistock vereinigten drei Gesellschaften kam.

Man hatte die Bühne hiefür vor dem Schulhaus, auf dem Hauptplatz des Weilers, nahe der Kirche und gegenüber der Wirtschaft zum Hirschen, aufgeschlagen. Auf ihr hatte der Vorstand des Schützenbundes und unmittelbar seitwärts unter ihr die berglandum hochberühmte Feldmusik von Stagelrain Platz genommen.

Alsdann mußte auch der Schullehrer von Erlenstalden, der Beda Aloser, wohl oder übel, sich dazu verstehen, die Bühne zu besteigen. Man hatte ihn ja als Festredner gewonnen oder vieleher gepreßt. Hier nämlich ließ man einmal dem Lehrer ohne weiteres den Vortritt. Man wollte ebensogut, wie vorletztes Jahr die Hochsiter, eine Festrede im mustergültigsten Deutsch der Schulsprache haben. Für was hatte man einen eigenen Lehrer und für was hatte er seinen schönen Lohn in lauter Bargeld, das ja, selbst in den Stuben der hablichen Bauern, rar genug ist. Gut, der Lehrer war hier der allein mögliche Mann. So beredt, schlagfertig und packend der Kari aus dem Obereigen an der Gemeindeversammlung, ja, wie man hörte, sogar im Kantonsrat, sich zeigte, in der hochdeutschen Schulsprache ging's auch ihm, wie allem Bauernvolk, schwer, mit dem, was er frei heraussagen wollte, auszurücken. Es kam ihm dabei immer vor, als würden seine Gedanken wie ein Eisenbahnwagen im Geleise geschoben und also um die freie Bewegung gebracht. Ja, wenn sich's auf altschweizerisch reden ließe, aber das war ja, jetzt allem Anscheine nach, für Festreden nicht mehr fein genug, zu selbergewoben.

Also schickte man einstimmig den Lehrer vor. Dieser aber war über diesen Beschluß der heimischen Schützengesellschaft, die ihn unversehens so in den Vordergrund stellte und anerkannte, keineswegs ungehalten oder gar verdrossen. Er freute sich dessen im Gegenteil, denn er selbst hielt sich für den einzig möglichen Redner für dergleichen festliche Anlässe.

So kam's denn, daß auch er die Bühne, und zwar zur Eröffnung der Preisverteilung, bestieg, wo er sich vor den Festpräsidenten, den Martschenfuchsen Kari aus dem Obereigen, hinstellte. Aber als er nun so viele Augen, die Augen aller drei Schützen- und Festvölker von Erlenstalden, Stagelrain und Hochsiten saitengrad auf sich gerichtet sah und sich so bewußt ward, daß er sich in Dutzenden und aber Dutzenden Gesichtern und Gedanken abspiegelte, ward es ihm auf einmal schwummerlich zumute. Er bekam ein Armsündergesicht. Es sah ganz aus, als wolle sich sein Kopf allmählich wie die Taster bei der Feldschnecke, einziehen und zwischen den Schultern verschwinden. Seine Arme ließ er wie ein Hampelmann hängen. Ja, sein ganzes Wesen glich nur noch einer vereinsamten Bachweide unter Schneedruck. Es machte mit ihm, ob er nicht wieder herabsteigen wollte. Wohl hatte er ja in der Schule auch Augen, aber jene Augen, die tagtäglich an ihm hingen, sahen ihn noch nicht. Heute hingegen, war's anders; die Augen, die ihn jetzt anschauten, drängten sich bis in sein Allerheiligstes hinein, bis dahin, wo der Opfertisch seiner Liebe für den Salami stand.

Gut war's, daß nun die Feldmusik anließ. Sie kam ihm zu Hilfe und siehe da, sie machte ihn steigen, zwar nicht wie das Schlachtroß vor der Trompete, aber doch wie ein Ziegenböcklein, das sich nun getraut, über den Grünhag zu gucken. So begann er denn, nach dem Verklingen des Blechmusikspiels, seine Festrede mit einer eigentümlich schleimigen, ja schmalzrünstigen Stimme. Es war, als liefe sie wie ein Schlitten im wassersüchtigen, schnalzenden und säfzgenden Neuschnee. Dennoch, was freilich jedermann von einem Lehrer erwartet hatte, geschah, er hielt eine kleine, ganz hübsche Rede an die vereinigten Schützen der umliegenden Talschaften, und er schmückte diese Rede, so gut wie die großen Festredner an hohen vaterländischen Tagen, mit allerlei scheinigem Beiwerk aus, also daß sie auszusehen kam wie ein mit bunten Tüchlein bewimpeltes Aufrichttannchen auf einem Hausgeripp. Sogar mit der rühmlichst bekannten Bannerseide Gottfried Kellers behing er sie und mit den unerläßlichen ewiglebenden Wortspielen und Sprüchen aus der Requisitenkammer für eidgenössische Festreden. »Ihr Hirten, ihr Männer von den goldenen Firnen! Unser Schütze Tell, der erste Schützenkönig der Welt, sei euch Vorbild, zu Schutz und Trutz und Nutz' dem Vaterland!«

Also klang seine Rede unter dem gewaltigen Beifall des versammelten Volkes aus. Und nun kam sein Kopf wieder unerwartet gleitig, wie das Hörnlein der Schnecke bei Tauwetter, aus den Schultern heraus.

Er durfte jetzt mit dem Festpräsidenten, dem Kantonsrat Kari Fuchs aus dem Obereigen, die Verteilung der Lorbeerkränze vornehmen.

Zuerst verkündigte der Präsident die Hauptergebnisse des Wettschießens. Sie zeigten die Schützengesellschaften von Hochsiten und Stagelrain im ersten und zweiten und den festgebenden Verein Erlenstalden im dritten und letzten Range. Aber es wurden auch die besten Schützen jedes Vereins ausgerufen. So erwies es sich, zur Freude aller, daß diesesmal das Weibervolk den vordersten Platz behauptete, denn der Salami ab der Ruchegg hatte am meisten Zweckschüsse gemacht. Niemand unter den Männern war ihr neidig, denn dem Weiblichen mochten sie's von Herzen gönnen.

Aber es ging doch ein munteres Lachen allum, als nun der Festpräsident die Sulamith Stump auf die Bühne zur Krönung einlud. Man sprach wohl im ganzen Berggebiet vom Salami, aber was das eigentlich heißen konnte, schien kein Mensch mehr zu wissen. Daher erkannte man nun den Namen im Sonntagsaufrust kaum mehr.

Der Salami genierte sich gar nicht. Rotgesichtig, immer wieder allseitig in die Leute hinein ihre derben Späße machend, drängte sie sich durchs Volk und stieg gemächlich, etwas schleppend, über das krachende Vorstieglein auf die Bühne.

Dort kniete sie, zur großen Freude der Zuschauer, vor dem Schullehrer Beda Aloser, der einen Lorbeerkranz in Händen hielt, hin und er bekränzte und krönte sie, unter Wonneschauern, die ihn hin und her bewegten wie Ebbe und Flut einen Korkstöpsel.

Lachend, den Kranz schief auf dem Kopf, machte sich der Salami wieder ab der Bühne zu ihrem Schwager, dem Viehhändler Baschitoni Tritsch und zu ihrer Schwester Judith, die Hand in Hand unten standen.

»Der Vater wird schauen,« sagte die Judith, ihr munteres, halblautes Lachen gehen lassend, »denn daß er, das Zappelmännchen, der Vater einer Schützenkönigin werde, hat er sich gewiß noch nie träumen lassen, obwohl ihm zwar allerlei durch den Kopf geht und obschon er nie gern zugibt, daß er etwas nicht fertigbringen könnte.«

»Ja,« meinte der Salami, »hoffentlich komm' ich nun in seiner Meinung auch hoch. Am End' wird's ja doch wieder heißen: Ja, ja, aber die Reb, die Reb.«

Die Stagelrainer Feldmusik deckte ihr Gespräch mit Trompetengeschmetter und Brummbaß völlig zu; doch die Bekränzung der besten Schützen, aber auch die der minderguten, dauerte fort. Der Lorbeer schien hier keineswegs unerschwinglich. Es war ein andauerndes Absteigen bekränzter Schützen. Also daß der Spielaumichel, der vor der Bühne hinter der Judith stand, dem Kartschen Mariä im hohlen Stock zuraunte: »Komm, Kartsch, wir wollen uns drücken und uns hinter dem Pfarrhaus durch in die Wirtschaft hinein zu machen suchen, sonst, beim Eidhagel, bekommen wir auch noch einen Lorbeerkranz auf den Kopf.«

Auch dem Tschuppmoos Bändichtli traf's einen Kranz, dagegen ging das Röllchen, trotzdem es von unten noch blauer als der Himmel von oben zur preisspendenden Schützenbehörde hinaufsah, ganz leer aus. Es mußte seine Kugeln geradezu in ein besseres Jenseits, würde der Erlenstalder Sigrist sagen, hinübergeschossen haben.

Kaum war die Preisverteilung zu Ende, strömte alles ins Wirtshaus, in den beflaggten Hirschen hinein. Allen voran die immer durstige Feldmusik »Alpenrösli« von Stagelrain.

In dieser Wirtsstube hockte nun seit dem Mittagsessen der alte Stump ab der Ruchegg beim Kartenspiel und um ihn seine Spielgenossen, der alternde Bäckermeister Burket, der frische, knallrotbackige Metzger Balz Schwitter und die Reb. Alle waren immer noch eifrig dran, ihren landesbräuchlichen Kreuzjaß zu klopfen. Und der Stump klopfte ihn auch, denn jedesmal, wenn er austrumpfte, fuhr seine Faust mit Mannskraft auf den Tisch nieder. Seine Tochter, die Reb, tat's ihm nach und schlug drein, daß die Gläser aufhüpften. Und wenn ihr einmal ein guter Stich gelang, ließ sie ihr Lachen herauspoltern, daß die Wände zitterten, samt den dranhängenden tollfarbigen Reklametafeln und daß der Dolmetscher Spielaumichel in seinem Winkel dem Kartsch im hohlen Stock zuraunte: »Der, sag' ich dir, den die eines Tages in die Finger bekommt, der muß sich bis zu seinem seligen Ende nicht mehr um seinen Kopfputz bekümmern, der ist für immer gestriegelt und gestrählt.«

Aber der junge Metzger, dessen Partnerin die Reb war, hatte seine helle Freude an ihrer draufgängerischen Art. Er kam aus dem Lachen gar nicht mehr heraus und er sorgte auch dafür, daß die rote Tranksame nicht ausging, die Aller Fröhlichkeit ausgiebig begoß und ersichtlich in treibhausrasches Wachsen brachte. Freilich, wenn der Stump nicht gewann, ward er verdrossen. Alsdann kam ihm sein weitumgehender Hut etwas seitwärts zu sitzen und seine runde, furchige Stirne und die gradauspfeilenden Augen wurden fast ein wenig dräuend. Er war etwa gar imstande, mit dem Bäcker, seinem Partner, zu schimpfen, was den aber nicht viel zu bewegen schien. Schweigsam, still lächelnd, ließ er den Alten schimpfen. Er wußte ja wohl: beim ersten guten Stich brüllt und prahlt er wieder vor Vergnügen und Selbstbewußtsein.

Wie nun aber das Schützenvolk in die Wirtschaft hineindrängte und die Stube sich samt dem Nebenstüblein rasch zu füllen begann, rief der alte Stump, der eben die Karten mischte, schier verwundert aus: »Ja, 's Donners abeinander, ist's schon an dem! Ist die Schießerei schon aus und vorbei. Nun wird ja das Festen wohl erst recht angehen. Allem Anschein nach haben wir gutes Sitzleder gehabt; es geht ja schon gegen Abend. Und gar die Preisverteilung haben wir versäumt, ah, ah! Da wären wir auch nicht ungern dabei gewesen. Heja, Sackerlot, allweg gehört der Stump eigentlich zu sowas. Es nimmt mich nur wunder, wo die Unserigen heute alleweil herumgeistern. Der Baschitoni Tritsch von Hochsiten, mein Schwiegersohn und die Judith, waren doch auch einmal hier. Wo ist nun das alles wieder hingekommen? Lorbeerkränze werden meine Leute wohl keine bringen, denn im Schießen war ich nie kein großer Held. Der Salami, freilich, tut's gern; auch das Röllchen hab' ich schon schießen sehen, wenn auch nur an der Kirchweih zu Kilchaltdorf, wo es auf springende Kugeln einer Bude geschossen und aber keine getroffen hat.« Er lachte kurz auf. »Dagegen soll das Wild vor dem Salami,« fügte er, der Reb zuzwinkernd, bei, »um die Ruchegg nicht völlig sicher sein, heißt's. Aber das Jagen ist wieder eine andere Schützenkunst. Und sowieso, wie sollte so wispeliges Volk, wie's Weibervolk ist, etwas treffen können.«

Aber als er jetzt die Karten ausspielte, machte sich unter den schießfreudigen Hirten und ihren Weibern auch der Viehhändler Tritsch von Hochsiten mit der Judith und ihnen voran, lorbeerbekränzt, der Salami, den Lehrer nachziehend, der sich wand, als hätte ihn eben der Drechsler in der Arbeit, in die Wirtsstube herein. Hinter ihnen kamen auch noch das Röllchen, dem der Tschuppmoosjunge wie ihr Schatten folgte. Doch verlor er sich rasch unter die Leute an einen abseitigen Tisch.

Als nun der Salami, freudestrahlend über ihr ganzes, fettwulstiges Wesen und keineswegs schweigend, auf den Tisch zutrat, an dem der Stump thronte, hielt der inne im Spiel und rief aus: »Ja, 's Kuckucks, 's wird doch nicht sein, du solltest auch einen Kranz erwischt haben, Salami? Schau', das hätte ich nicht . . .«

»Ja und dazu den allerersten,« rief der Schützen-Präsident, der Martschenfuchsen Kari, von einem andern Tisch, »deine Drittälteste ist heute an unserm Freundschaftsschießen erst geworden.«

»Was erst? Ihr wollt mich aufziehen!«

Sein mächtiger Hut verschob sich ein wenig seitwärts.

»Was aufziehen? Erst ist der Salami!« lärmte ein alter Geißer.

Alles lachte auf. Der Lehrer aber, der sich mit den andern an Stumps Tisch niedergelassen hatte und sich schon neben seinen Schützling setzen durfte, machte mit nicht allzulauter Stimme: »Ja, Vater Stump, es ist die heilige Wahrheit, Eure Tochter Sulamith hat den ersten Lorbeerkranz erobert.«

Mit munter kugelnden, etwas geringschätzigen Augen schaute der Stump auf den Schullehrer, und zwar also gradenwegs, daß dieser unter seinen Blicken allmählich zusammenzugehen schien und völlig klein ward. Aber dann schlug der Alte die Faust auf den Tisch und der Hut rutschte ihm fast bis ins Genick hinunter. »Aha, den Weg! Erst ist der Salami, erst!«

Kein Wort redete er mehr. Er wandte sich seinen Spielgenossen zu, griffe die Arme gewaltig vertuend, seine Karten auf und spielte weiter, als ob er mit seinen drei Partnern allein in Stube und Welt wäre.

Das Röllchen hatte sich unterdessen auch am Tisch niedergelassen, und zwar so, daß sie ihren heimlichen Gesponsen, den Bändichtli, der an einer Wand im Winkel hockte, nicht aus den Augen verlieren konnte.

Mit stillem Lächeln sah jetzt die üppige Judith hin und wieder auf ihre jüngste Schwester, die ja, merkwürdigerweise, auch einen Lorbeerkranz trug, obwohl sie ihr hatte zuschauen können, wie sie die Kugeln über alle Berge hinausschoß. Aber sie sah dann eben auch, wie ihr nach der Preisverteilung der Tschuppmoosbattisten Bändichtli hinterrücks seinen eigenen Kranz auf den Blondkopf setzte.

Der Bäcker Burket aber war nun nicht mehr recht beim Kartenspiel. Er mußte des Röllchens heitere Haare ansehen, dran ungezählte unruhige Spinnenbeinchen sich um den Lorbeer kräuselten. Ein so unachtsamer Kartenspieler ward er, daß ihn der kleine Hirte, der Stump, immer wieder recht unwirsch ermahnte, er solle doch, zum Himmelherrgottsdonner, als sein Partner beim Spiel sein und nicht im letzten Augenblick noch alles versauen, da ihre Sache jetzt so gut stehe. Also nahm sich der Bäcker zusammen, denn er mochte es mit dem Alten nicht verderben.

Tätsch! flogen die Spielkarten nur so auf den Tisch und die Reb, die sie, zornentbrannt, hingeschmissen hatte, lärmte: »Heiliges Kanonenrohr aneinander, nun haben wir doch verspielt, Metzger, völlig und ganz verspielt haben wir!«

Ihr Teilhaber, der Metzger Schwitter, lachte nur auf, dagegen schlug jetzt der Stump die Faust auf den Tisch und rief, über und über sieghaft und seinen Hut wie einen Triumphbogen auf dem Kopf tragend, aus: »Ja, bei Gott, gewonnen haben wir's, der Matthathias Stump putzt, haarus!«

Sein Gelächter polterte durch die Wirtsstube.

Unversehens aber wandte er sich an den Salami, die eben dran war, dem aufschreckenden Schullehrer Kräpflein auf den Teller zu tun.

»Salami,« lärmte er, »alle Achtung vor dir! Also erst bist du am heutigen Wettschießen geworden. Schau', das ist eine Ehre, sowieso. Aufrichtig will ich dir's sagen, daß ich das von dir nicht erwartet hätte, obwohl du gern schießest, das weiß ich. Aber eigentlich wär's bei dir eher am Maul gewesen, einen Preis zu gewinnen und da, ja, hätte ich gleich an den allerersten gedacht, denn im Reden nimmst du's mit jedem und mit jeder auf, wenn's pressiert und sonst auch. Jedoch im Schießen, du, so eine rasch Aufgeregte. Gleichwohl, weitsichtige Augen hast du, Augen wie ein ganzer Flug Sperber. Und hast du das Zapplige von mir, so hast du anderseits die Augen und die feste, zuverlässige Hand auch nicht gestohlen und es kommt eben wieder auf den Ruchegg Stump hinaus. Nein, die Abstammung ist recht; da können meine Töchter ob mir nicht wüst tun. Heja, drum ist auch jede eine Stumpentochter und kommt so oder anders obenauf, sag' ich. So, so erst, Schützenkönigin bist du. Das freut mich jetzt. Tu mir Bescheid, Maitli!«

Er griff zum Glas, das halbvoll Rotweins war und stieß mit seiner Tochter an und alsdann der Reihe nach mit all seiner Verwandtschaft und Bekanntschaft.

»Heja, Vater, ich bin erst geworden,« sagte der Salami, »aber das muß ich auch sagen, unser Lehrer Aloser da hat mir dazu viel geholfen. Alleweil ist er um mich gewesen wie ein Gutwetterwind.«

»So, so,« machte der Alte, den Schulmeister freundlicher, ein wenig achtungsvoller ansehend. »Ja, für das kann man ihn, scheint's, doch auch noch brauchen und nicht bloß fürs ABC-Malen und Tatzenausteilen. Ich will zwar nichts gegen die Schule sagen. Wenn sie die Leute gescheiter machen kann, so ist das Gold wert. Sie können es brauchen. Dümmer werden sie in der Schule auf keinen Fall. Wie vieles vernimmt man in der Schulbank, wie manches Türlein wird einem da aufgetan, vor dem die Alten noch ratlos und tatlos gestanden sind. Früher hat man nicht einmal einen Heustock ausrechnen können und gemeint, die Welt sei wie ein runder Tisch, der auf einem Baumstrunk stehe und man müsse sich im Winternebel in acht nehmen, daß man mit seinem Führlein Holz auf dem Hornschlitten nicht drüber hinaus ins Bodenlose fahre. Jetzt aber weiß man, daß sie eine Kugel ist, so eine Art Kegelkugel in unseres Herrgotts Hand. Ich will nur eines sagen: Was bringt uns allein das Lesen! Das wenigstens bleibt einem zeitlebens, wenn man auch das Schreiben allenfalls wieder verlernt und lieber einen Berg Scheiter aufschichtet als ein Brieflein schreibt. Aber das Lesen. Ich weiß was man da gewinnen kann. Der Schlüssel ist's zu Erde, Luft und Meer, zu Himmel und Hölle. Hat es unsereinem nicht das ganze Alte Testament aufgetan? Schullehrer, trink und iß brav Krapfen! Große Brocken geben feiste Vögel. Ich zahl's. Jaso, also erst, unser Sa – unsere Sulamith erst, ah, ah, ah! Komm wieder einmal auf die Ruchegg, Lehrer, hörst! Der Salami kann dir ein Becken voll Schlagrahm schwingen, meinetwegen.«

Gleich wandte er sich wieder vom Schulmeister weg und zu den andern und begann, von Zeit zu Zeit nachdrucksam auf den Tisch faustend, in einem lärmenden Prahlen, der Welt den Stumpen rundum zu zeigen, ja funkelnagelneu aufzuweißeln, während der Salami mit dem Lehrer in ein andauerndes Tuscheln kam, wobei sie ihn einlud, dem Vater zu folgen und zu ihr auf die Ruchegg zu kommen. Nicht nur zu einem einmaligen Besuch, sondern nächtlicherweile zu Licht, denn wenn er ihr, so ganz in der Nähe besehen, weiterhin zusage, so werde sie nicht zu wüst tun, falls er ihr nachhalte und sie nach Erlenstalden in die Schulhauswohnung für immer herabholen wolle.

Der Schulmeister wußte sich ob diesem niemals erwarteten raschen Erfolg bei dem Salami fast nicht zu lassen. Seine Körperlichkeit, sein ganzes Wesen kam in einen beständigen, freilich völlig stillen Aufruhr und seine immer ein wenig schlaftrunken aussehenden Augen blieben in Ergebung an ihrem geläufigen Mundwerk und etwa freilich auch ab und zu unterhalb an ihrem herzlichen Bollwerk hangen. Er war überselig. Und sie goß, zwar nicht Öl, aber Rotwein in seine Flammen, die ihn ganz dem Alltäglichen entrückten. Auch die Festmusik, die sich nicht genug hören und hören lassen konnte, ward noch zum unbewußten Blasbalg seiner lang unter der Asche verborgenen Gluten. Während der Salami zwar alles sah, trotz ihrem zärtlichen Handel mit dem Lehrer, was um sie vorging, war hingegen auch der Bäcker Burket, wenn auch bei weitem nicht wie der Schulmeister, traumbefangen. Er hörte kein Wort von dem, was der alte Stump prahlte und lärmte. Er sah nur immer das Röllchen an, das ihm gegenüber saß, und er sorgte dafür, daß dem blauäugigen Mädchen alles auf den Teller kam, was Küche und Kasten Gutes, Schleckhaftes enthielten. Er zuckerte ihr selber den Wein und redete ab und zu etwas weniges mit ihr, wobei er's verstand, ihr die Annehmlichkeiten des großen Kilchaltdorfer Gemeinwesens klar und verlockend darzustellen. Und sie nahm all seine bedächtig schreitenden Reden, sowie auch seine Süßigkeiten, ziemlich schweigend, aber freundlich hin, ihn hin und wieder mit einem Lächeln beglückend, das ihn schwindliger machte als der Ausblick von einem Kirchturmdach. Ja, sogar ihre Hand durfte er ein Weilchen in die seine nehmen. Er merkte ja ganz und gar nicht, wie des Röllchens Augen es verstanden, an seiner grauen Schläfe sänftiglich vorbei, einen Zweckschuß nach dem andern auf den alleweil und gern Schützenscheibe spielenden Tschuppmoos Bändichtli zu tun.

Nun hatte aber auch die Reb über den Tisch von ihren Kraftleistungen zu prahlen angefangen. Sie zeigte sogar nicht übel Lust, sich mit dem Metzger Balz Schwitter im Fingerhäkeln zu messen. Hatten beide zündrote Köpfe. Schon zweimal hatte die Reb dem jungen Metzger die Faust unter die Nase gehalten, allerdings im Scherz, doch rief sie dabei aus: »Was sagst, du würdest es mit mir wohl aufnehmen? Oho, du so wenig wie andere. Wenn mich die Bauernburschen, die unserigen, nicht zu bodigen vermögen, wie sollte mich da so ein Dörfler, selbst wenn er ein Metzger ist und Ochsen schlägt, meistern. Nein, Balz Schwitter, mich bodigt keiner und du auch nicht.«

Hatten alle um sie herum, voraus der alte Stump, viel Vergnügen an diesem Spiel. Aber auf einmal sah der kleine Hirte von der Reb weg auf seine Jüngste. Ihr Lorbeerkranz war ihm in die Augen gefallen. »He, du da, Rolli!« rief er aus, »wie kommt's denn, daß du auch einen Kranz auf deinem meisterlosen Kindskopf hast? Es wird die Kränze doch nicht geschneit haben?«

»Fast und gar,« machte der Spielaumichel am andern Tisch halblaut.

Ein wenig war das Röllchen zusammengeschrocken, als es der Vater so unversehens anredete, doch nur für einen Augenblick. »Heja,« antwortete es, wieder ganz gewappnet, ihn unbefangen ansehend, »ich hab' halt auch geschossen. Wahr oder nicht, Judith?« – Die Große nickte ernsthaft zustimmend. – »He, da hab' ich halt auch ein Kränzlein bekommen, wenn auch nicht ein vorderes.«

»Ja, das kann ich mir denken,« lärmte der Alte. »Dennoch ist's ein Kranz und wenn's auch nicht der vorderste ist, brauchst du dich seiner doch nicht zu schämen. Es ist sozusagen auf eine Art dein Jungfernkranz. Also trag ihn in Ehren!«

Damit wandte er sich wieder den andern zu.

Es war also für das Röllchen noch gut abgelaufen. Der Alte hatte keine Ahnung von ihrem Liebsten dort im Stubenwinkel, der ja nur der armselige Junge des Flickschusters und Hühnerbäuerleins, des Tschuppmoos Battist, war. Die Judith jedoch schien völlig auf dem laufenden, denn sie lächelte ihr nun verständnisvoll und nachsichtig zu.

Der Stump aber hörte wieder angelegentlich seiner Tochter Reb zu, die immer lauter und grobkörniger daherredete. Zwischenhinein kam auch er, angeregt von ihr, neuerdings ins Prahlen.

Der Metzger jedoch ließ sich nicht ducken, gar nicht. Er stand kräftig Rede und Antwort. Aber sein Wohlgefallen an der ursprünglichen, freilich auch ungeleckten, kerngesunden Stumpentochter, die mit ihm sogar wie ein Mann um die Wette trank und ihm also in allem tapfer die Stange halten wollte, nahm noch zu. Es war ihm, er könne es nicht erwarten, bis sie im Unterdorf zu Kilchaltdorf hinter seiner Fleischbank stehe und mit dem scharfen Messer und den scharfhinsehenden Kunden zum Fechten komme. Heja, wenn die auch einmal einen Puff oder einen Tritt erhielt, die wird deswegen nicht gleich wie ein Zicklein in der Pfanne da liegen oder gar den Alten rufen. Ein rassiges Maitli, bergholzkräftig, gut in Wind und Wetter, ganz der alte Rucheggler, aber jung, mannsstark, eine Postur. Nein, das wäre doch etwas anderes, dachte er mitten unter dem Gelächterrollen der Reb, die über den Tisch erzählte, wie sie einst die Stromer auf der Ruchegg in den Senkel gestellt habe, als das Röllchen da nebenan. Obwohl's ein bildsauberes, beim Eid, ein schönes Mädchen ist, sagte er sich, so ist das doch nichts für unsereinen. Es ist zu nichtsig, zu viel Feinerlein. So eine zerbräche unsereinem ja unter den Händen, wenn man sie einmal etwas herzhaft anpackte. Nicht daß sie nicht auch kräftig sein könnte, ist ja auch recht und stramm gewachsen, aber gegen die Reb ist das bloß Zuckerpapier. Und das kann ein Metzger nicht brauchen.

Ab und zu hatte er ja wohl auch einen Blick auf den lorbeerbekränzten Salami getan, die in eifriger Unterhaltung mit dem Erlenstalder Schullehrer schien, aber nein, die paßte ihm von Anfang an nicht recht. Sie war ihm gar zu fleischig. Es war ja grad, als wäre sie von einem Haken in der Metzg abgenommen und ins Leben gestellt worden. Auch war sie ihm zu redreich, zu scharfstimmig. So hatte er sich immer mehr an des Stumpen zweitjüngste, an die Reb hingelassen. Und nun hörte er ihr zu, ohne mehr einen einzigen Blick anderwärts hinzutun.

Der Schulmeister Aloser dagegen schaute den Salami ganz anders an. Ihm, der mit seiner Liebe die Welt hätte umspannen mögen, war diese Stumpentochter keineswegs zu massig, durchaus nicht. Er gedachte übrigens diese Masse nach und nach zu vergeistigen und völlig an sich zu ziehen. Sowieso, sie hatte sein Herz und er hing so fest an ihr, wie eines Bübleins Hose am verharzten Baumstumpf. Sie aber nannte ihn bereits beim Vornamen. Beda hin und Beda her ging's in einem fort.

Endlich gelang es ihm, als sie endlich eine Pause machen mußte, die sie mit Essen und Trinken auszufüllen begann, auch seinerseits etwas ausgiebiger zu Wort zu kommen. Er benutzte es, um ihr zu wiederholen, wie ihn schon ihr Name Sulamith angezogen habe. Und alsdann fing er an, sein Licht bei ihr gehörig leuchten zu lassen. Er erzählte ihr vom Hohelied der Hl. Schrift und was alles zu bedeuten habe, das darin stehe. Er kam völlig in Begeisterung und ließ auch seine Arme, die so überflüssig an ihm herabzuhangen schienen, an seinen Schilderungen der salomonischen Liebesgeschichte mit der Sulamith im Gelobten Land mitwirken.

Die andere Sulamith aber, die ab der Ruchegg, aß und trank und das nicht wenig, und hörte mit halbem Ohr und schließlich mit zunehmendem Unwillen ihrem Verehrer zu.

Und auf einmal sagte sie, den Mund halb voll knusperiger Eierröhrchen: »Beda, hör' doch einmal auf! Schau', mit dergleichen Zeug komm mir lieber nicht. Das hättest du unserer Mager, deiner Fahrgeiß auf der Vorkirche, auftischen sollen. Die hat Vergnügen an dergleichen. Ich verstehe davon einen blauen Teufel. Das sag' ich dir zum voraus, Beda, auf daß du's weißt, wenn du zu mir hinauf auf die Ruchegg zu Licht kommen willst, wie ich's dir erlaubt habe. Was aber den Salomon und die Sulamith, die mich freilich eine wunderliche Heilige bedünkt, nach allem was ich heute von dir über sie vernommen habe, anbetrifft, so kann ich mir jetzt schon vorstellen, was sie zusammen ausgekernt haben könnten, ohne daß man's mir mit Butter und Honig aufs Brot streichen muß. Der Salomon ist eben zu dieser Sulamith zu Licht gegangen und fertig.«

Diese ziemlich schroffe Abweisung seiner besten Absichten ließen den Schullehrer wieder bedeutend zusammengehen, ja einknicken. Aber nach kurzem Kopfhängen kam wieder Leben in seine schleimig schleichenden Augen und selbst seine Arme begannen sich zu regen. Ja, seine Hand suchte sogar nach der Hand seiner Geliebten, die nun in ihrem Schoße unter dem Tisch lag. Und als er sie fand und sie ihm nicht entzogen ward, ging er wieder ganz auf und lächelte den Salami an. Die ließ sich aber hiedurch keineswegs stören und aß ruhig mit der andern Hand fort. Er aber dachte, wenn sie nur mein ist; alles andere wird sich später geben. Hierin vertraute er sehr seiner Beredsamkeit, da er sich eigentlich für einen gottbegnadigten Redner hielt.

Aber der Matthathias Stump, der den Schullehrer, als er ihn von der Sulamith reden hörte, heimlich belauscht hatte, obwohl seine Augen an Rebs Munde hingen, wandte sich jetzt unversehens seiner schützenköniglichen Tochter zu und rief aus: »Was tust du denn so dumm, du Huhn, und stellst dich dümmer und unberichteter als du bist?! Hab' ich denn euch, meinen Töchtern allen, nicht oft aus der Hl. Schrift vorgelesen, wenn auch natürlich nicht alles. Aber so zu tun, als wüßtest du gar nichts und die ganze Welt gälte dir nichts mehr als dein Herdloch auf der Ruchegg, brauchst du doch nicht. Hör' du den Lehrer da nur ruhig ab, wenn er von der Sulamith, dieser schönsten Jungfer im ganzen Alten Testament, redet. Schön muß die gewiß gewesen sein, die ein König Salomon, der doch hat auslesen können, über alles andere Weibervolk gern gehabt hat. Das ist freilich auch wahr, grad vielmehr kannst du nicht von jener biblischen Sulamith haben, als daß du auch auf den Bergen wohnst, wenn auch nicht auf dem Libanon. Und eine Taube . . . kurzum, du verdienst nicht, Sulamith zu heißen. Aber immerhin, weil du sonst ein rechtes Stück Weiblichkeit bist und auf deinem Boden und auf dem Küchenboden zum voraus, deine Sache so gut machst als man's etwa kann, so muß man dich doch gelten lassen. Und heute, das ist auch wahr, hast du gar meinem Haus eine besondere Ehre gemacht und die Stumpenfahne auf sein Dach gestellt. Bist halt doch eine Stumpentochter. Also stoß an, Lehrer!« redete er den Schulmeister an, ihm sein Glas hinhaltend. »Es gefällt mir an dir, daß du in der biblischen Geschichte so wohlbeschlagen bist. Und wenn du einmal auf die Ruchegg kommst, nehmen wir das Alte Testament vor den Ofen, ein schwerwiegendes Buch, sag' ich dir, und da kannst du mir jene Geschichte von der Sulamith noch etwas besser erklären, denn so ganz komme ich nicht aus ihr. Ich nehme an, die Schullehrer werden das aus dem Fundament verstehen, denn für das sind sie länger auf den Schulbänken herumgerutscht als unsereiner und haben ja haufensgenug Zeit, in den Heuferien und auch sonst, drüber nachzudenken, oder?«

Er wartete auf keine Antwort, war schon wieder bei den andern, die sich vom Bäcker Burket verabschiedeten, dessen Knecht mit der Peitsche in der Faust unter der Stubentüre stand und auf ihn wartete. Es war auch an der Zeit für den Bäcker, abzufahren. Er mußte noch nach Hochsiten hinüber, wo er einem alten Vetter seinen Besuch versprochen und nun schon mächtig versäumt hatte. Und da der Viehhändler Baschitoni Tritsch und seine junge Frau, die Judith, den gleichen Weg bis nach Hochsiten hatten, so beschlossen sie, zusammen aufzubrechen.

Der ältliche Bäcker Burket schien aber recht ungern wegzugehen. Sein Knecht mußte immer wieder rufen. Ein paarmal knallte er sogar mit der Peitsche. Sein Herr wollte einfach nicht kommen; es ward ihm so schwer, sich von der Gesellschaft zu lösen, in der in blühendem Schweigen, aber immer Sonne ums Stülpnäschen und den Schalk in den blauen Augen, das anmächelige Röllchen, fast unbemerkt, saß. Das war ja wieder einmal eine Bergblume, die man übersah. Aber er nicht, er wird wieder kommen, und zwar auf die Ruchegg. Für einen alternden Witwer wie ihn war dieses behende, gutfärbige und bildhübsche Hirtenkind ein Gefundenes. Künftig mochten sein grauer Knecht oder sein junger Bäckergeselle zur Kundschaft aufs Land hinfahren, wohin sie wollten, nach Erlenstalden jedoch wird er fahren, wenigstens im Winter, währenddem man ja über den holperigen Waldweg mit dem Schlitten sogar auf die Ruchegg kommen konnte. Ja, ja, das Röllchen. Wie hieß es eigentlich? Ja richtig, Rahel hieß es, aber dieses Bauernvolk formte ja alle Namen nach seinem Belieben, und zwar immer so, daß es ihren trägen Redwerken am wenigsten zu tun gab und aber auch etwa wie es ihrem Witz und ihrer Laune kam. Nun, Röllchen war ja auch nicht übel. Dieses Röllchen, jawohl, sollte ihm eines Tages ins Haus rollen bis in die Stubenkammer hinein und seine Bäckermeisterin werden. Nur hübsch langsam voran. Sie war noch bluterdenjung und er doch schon ein wenig angegraut. Da hieß es vorsichtig, klug und weise kutschieren, wenn man nicht unversehens in einen Seitengraben hinein zu liegen kommen wollte. Dem Weibervolk war ja sowieso nicht zu trauen. Immerhin, bei diesen Leuten der abseitigen Bergtäler mochte es doch noch besser sein. Und gar das Röllchen schaute aus all der Bläue seiner Augen noch so taufrisch in die Welt. Der Schalk, der freilich drin steckte, schien noch nicht recht wachbar. Nein, es konnte ihm nicht wohl fehlen, um so weniger als ihn das Mädchen heute immer freundlich, ja fast zutraulich, angesehen hatte.

So machte sich der Bäcker Burket endlich, nachdem er Röllchens Hand nochmals recht herzlich gedrückt hatte, mit dem Viehhändler und der Judith zur Wirtschaft hinaus, just als der Spielaumichel, aber nicht schön, zu jodeln anfing und die Feldmusik Alpenrösli aus Stagelrain sein Jauchzen und den Lärm der ganzen Stube wieder verschluckte.

»Schlaf wohl, Judith!« rief der alte Stump nochmals an die Türe hin, als sie mit ihrem Mann schon lange weggefahren war.

Aber dann stürzte er sein volles Glas flätig aus und nun stand auch er auf. Es überkam ihn auf einmal, daß es dunkel geworden war und schon betenläutete. Da wollte er heimzu. Vielleicht hatte die Mager, was er zwar nicht glaubte, das Vieh zu melken und zu füttern vergessen, hinter ihren Heiligenlegenden und Liederheftchen. Aber sicher ist sicher, also heimzu!

Als nun bezahlt war, was es noch zu bezahlen gab, denn der Bäcker und der Metzger hatten den Hauptanteil der Rechnung übernommen und hinterrücks beglichen, ward am Stumpentisch aufgebrochen.

»Vergelt's Gott!« lärmte der Stump, sich aus der Bank machend, als er vernahm, daß schon das meiste bezahlt war. »Aber jaha, der Bäcker Burket hat zuviel bezahlt, doch bin ich eine treue Kundschaft von ihm. Und du, junger Feger, du, Metzger Balz Schwitter, du hast auch mehr dran getan als ich's begehrt hätte. Doch habe ich schon mit deinem Vater selig geschäftet. Gleichwohl, ihr braucht mir eure Geldsäckel nicht zu leihen, ich kann's noch ohne euch machen, gottlob. Der Stump, merk' wohl, Metzger! der Stump will nichts geschenkt. Der Stump ist niemand etwas schuldig als unserm Herrgott Reu' und Leid und ein paar Herren im Dorf den Zins auf Martini. Sie sind meiner aber gewisser als der Kirchenuhr und wenn ich ihnen zum Zinsen komme und ihnen meine Goldvögel in die Truhen bringe, daß sie dort nisten und sich vermehren können, tuen sie's nicht anders, ich muß mit ihnen eine Flasche vom Mehrbessern oder gar ein fremdländisches, zuckersüßes Gläslein trinken, das das Fegfeuer im Leib hat. Also der Stump ist der Stump. Aber ich sage dir, Bursche, und dem abgezogenen Bäcker, dennoch noch einmal Dank und,« lachte er auf, »ihr werdet's etwa schon aufs Brot schlagen oder an den schlagreifen Stierenkälbern abziehen, da hab' ich keinen Kummer. Jetzt macht aber, wir müssen heimzu! Schlaf' wohl, Metzger! Wirst, denk' ich, noch fast vor uns in Kilchaltdorf sein mit deinem Gefährt, denn wir müssen doch auf einen Berg, wenn auch nicht auf den Sinai. Schlaf gesund!«

Und nun stampfte er, allen voran, aus der Wirtsstube und aufs Stiegenbrücklein hinaus, seinen langen Stock in Händen. Den Hut hatte er fast ganz im Genick und den Blick bei den Sternen.

Er brach in ein weithinschallendes Gelächter aus, das aber das der Reb noch überhöhte, als er sah, wie der betrunkene Spielaumichel vor ihm über die Vortreppe hinunterpurzelte.

Das machte nun den betrunkenen Dolmetscher, der sonst nichts weniger als empfindlich war, wild. Kaum stand er wieder auf den dürren Beinen, wollte er, den verwahrlosten Kopf vorwegend, wie ein erboster Stier und einen Anlauf nehmend, als gälte es über einen hochgehenden Bach zu springen, auf den furchtlos dastehenden Stump losfahren.

Aber da hatte ihn die Reb schon am Hosenbändel und ohne viel Federlesens warf sie ihn dem Balz Schwitter auf sein Gatterwägelein.

Und da blieb er auch, ganz wie ein Metzgkalb, liegen. Und der Metzger ließ ihn wo er lag, denn er mußte über Stagelrain nach Kilchaltdorf zurück. »Im Stagelrain will ich ihn abgeben,« sagte er. Er nahm den ausgehausten Schnapser um so williger mit, als ihm dieser Spielaumichel, wie dem Viehhändler Tritsch auch, doch immer etwa wieder etwas Dienliches in den Ställen berglandum wissen konnte.

»Schlaf wohl, Reb!« rief er, denn er hatte sich mittlerweile auf den Bock seines leichten Wagens gehockt. »Es ist mir alleweil, ich werde bald wieder einmal auf die Ruchegg kommen, und zwar noch lang' bevor's einwintert. Und wenn's mir die Seele im Leib drin zusammenbuttert, will ich doch trachten, es mit meinem Gefährt über euern unflätigen Waldweg auf die Ruchegg zu bringen. Sowieso, Reb, wir sehen uns bald wieder.«

»Meinetwegen mußt gar nicht so sprengen,« gab die Reb laut zurück, »aber komm nur, wenn du doch kommen willst. Es wird sich dann zeigen, was es mit dir ist und was du vermagst, du Prahler! Ich will dir, wenn du kommst, die Haustüre verhalten. Alsdann, Bursche, stell' dich und schau', wie du sie doch aufdrückst. Schlaf gesund und bring' dein Kalb gut nach Stagelrain!«

Alles lachte, auch der Hirschenwirt, der nun allein auf dem Vortrepplein stand, sich am Geländer festhaltend.

Da war der Metzger Balz Schwitter mit seiner Ladung schon weggefahren. Man hörte sein Gatterwäglein in die Nacht hineinrumpeln.

Nun machte sich auch der alte Stump schweigend, mit den kurzen Beinen soweit als möglich ausgreifend, an seinem langen Stock bergwärts. Und die Reb, die mit ihm weidan schritt, half ihm über die vielen, im runsigen Weg liegenden Steine des Anstoßes hinweg.

Ihnen nach kam der Salami mit dem Schullehrer Aloser, der sie ein Stück Weges begleiten wollte. Die Stumpentochter redete in einem fort, und zwar ziemlich kratzbürstig, kreischend. Er aber, wenn er auch einmal zum Wort kam, antwortete linden, sulzigen Tones und leise wie das dritte Echo.

Noch bedeutend stiller, ja, ganz still war's aber hinter diesen, obwohl ihnen doch ein blutjunges, gar lebendiges Pärchen nachfolgte. Freilich in gutem Abstand. Das Röllchen und der Tschuppmoos Bändichtli, von dem die Voransteigenden keine bloße Ahnung haben mochten. Nichts ließ sich von dahinten hören, als ab und zu ein Schnalzen, was aber auch vom bergabrinnenden Wässerlein herkommen konnte.

Aber als nun der Schullehrer, von dem redseligen, nimmermüden Salami verabschiedet, umkehren mußte, schlug sich der Tschuppmoosjunge flugs in die Erlenbüsche des Bächleins nebenan und rannte heimzu.

Das Röllchen aber machte sich nun den andern gleitig nach.

Wie sie am abwärtsgehenden Schulmeister vorbeihuschte, ihn freundlich, ja zutunlich anlächelnd, wünschte er ihr in überschwenglicher Weise gute Nacht, seinen abgeschossenen und zerknüllten Hut tief abnehmend.

»Komm doch einmal, du Rolli!« rief der Salami zurück, »was hast du denn so nachzufaulen?«

Das Röllchen gab ihr dasmal aber nicht wie sonst etwa heraus. Es winkte dem abziehenden Schulmeister nochmals Gute Nacht! zu. Alsdann hastete es den andern nach. Es war zu glückhaft. Alleweil hielt es sein Näschen etwas gesenkt, auf daß ihm ja vom Waldrosenbüschel, das ihm der Bändichtli ans Herz hatte anheften dürfen, kein Düftlein entgehe.


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