Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Verschiedene Arten von Gemütsfarben

Unsere Seele ist ein Chamäleon, das mit jedem Augenblick seine Farbe verändert. Bald erscheint uns alles in schwarzer melancholischer Tracht, die Gedanken kriechen langsam und schwerfällig, wie Schnecken in den Gehirnkammern umher, allerlei häßliche Harpyien, Kummer, Schmerz, Mißlaune usw. geraten in Bewegung und zwicken die armen Spiritus animales von einer Ecke des Sensorii in die andere, bis diese endlich durch die vielen Plackereien abgehärtet so friedfertig und still, als wüßten sie von keinen Schlägen, einhertraben und wie ein armer ausgepfiffener Autor kaltblütig und mit einer wahren Bärengeduld von allen Seiten auf sich losdreschen lassen. – Ein andermal ist alles in heftigem Sturm. Die Seele arbeitet ihre Beinkleider und Kamisöler so rasch aus, wie der Vesuv seine Lava und seine Asche. Und eins paßt so schön als das andere, alles liegt wie angegossen. Zuweilen werden dann freilich in diesem Geniedrange dem ehrlichen Nachbar ein paar Fenster eingeworfen oder ein paar Fehlstöße getan, die statt das Herz zu treffen in den Schlafrock fahren. Indessen das ist einmal so die Art des Genies. Man schlägt um sich und ob nun eine Fliege totgeschlagen oder ein Schädel zerschmettert wird, das ist am Ende einerlei. – Zu einer andern Zeit zieht die Seele die Staatsuniform an und paradiert einher, als wenn sie den Bucephalus selber unter sich hätte. Dann mag der Himmel zusammenstürzen – impavidum ferient ruinae. So etwas ist vorzüglich im Kriege sehr gewöhnlich. Veni, vidi, vici, nach einigen neuern Übersetzungen: Ich sahe die Kanonen, ich maß ihre Distanz und ließ zum Rückzuge blasen. – Ein andermal wird die grüne Flagge aufgesteckt. Das Comptoir der Seele verwandelt sich in ein freundschaftliches Besuchszimmer. Man kommt, man geht, man lacht, man scherzt, überall Raffaelsgesichter, Mozartsche Harmonien und schmachtende Vergißmeinnichts. So etwas ohngefähr, was eine gewisse Sekte unter den alten Philosophen das Summum bonum nannte. Ganz dumm waren die Leute eben nicht. Doch pst! wir leben im Zeitalter der Vernunft und da ist so etwas Konterbande. In diesen hyperterrestrischen Zeiten ist nun endlich noch ein anderer Zustand Mode geworden und der ist unstreitig der schönste unter allen. Man steigt fürs erste einige Stufen höher als andere ehrliche Leute auf der Jakobsleiter herauf. Und das ist schon viel, besonders wenn man ein gutes Teleskop zur Hand hat. Die Erde kommt nun weiter gar nicht mehr in Betracht. Man sieht nichts als Siriusse und Orionen und Kategorien und y und x und . Man mißt den Lauf der Sonnenstrahlen und rechnet und rechnet so lange, bis das arme Gefühl zusammenschrumpft und verdorrt, während sein Bruder, der Verstand, wie ein Halbgott von einem Stern zum andern umherfliegt. Erhaben ist diese Beschäftigung genug, nur Schade, daß dergleichen ätherische Speisen für unser irdisches Jammertal nicht nährend genug sind.

Jetzt lassen sie uns summieren, meine Herren, – zuerst düstres melancholisches Schwarz, dann grelle abstechende Farben, dann feuriger, glänzender Purpur, dann sanftes liebliches Grün und zuletzt schlichtes reines Weiß. Da haben Sie die ganze Farbenlehre der Gemütsstimmungen. Jede von diesen Grundfarben hat nun wiederum ihre verschiedenen Nüancen. Für jetzt wollen wir bloß von den erstern beiden Gattungen einige Proben betrachten, und mit dem Schwarzen den Anfang machen.

Nr. 1. (Mißlaune) Eine wahre Modecouleur. Man gewöhnt sich so daran, daß man sie gar nicht wieder ablegen kann. Ein Anzug von der Art sitzt freilich ein wenig knapp und genialische Sprünge sind nicht gut darin zu machen. Indessen dafür bekommen die Bewegungen desto mehr Schulmäßiges. Man piquiert sich auf eine recht methodische Art vergnügt zu sein. Die Gesichtsmuskeln werden links und rechts gespornt, die Stirne, die immer in Falten zusammenfahren will, wird auf eine musterhafte Art beständig wieder ausgeplättet, man will durchaus etwas Witziges sagen und die Einfälle kommen so gedrechselt, so gebürstet und mit einer so spanischen Gravität hervorgetreten, daß sie, statt den Mund nach der Breite zu erweitern, ihn vielmehr der Länge nach distradieren und so eine Art von Hiatus hervorbringen, der immer leicht an Gräber und Gräberkommentare erinnert. Überhaupt kommen Urteile vor, die einem Gelehrten von Profession und selbst einem Stoiker Ehre machen würden. Man ist so uneigennützig und enthaltsam auf die anziehendsten Vergnügungen Verzicht zu tun und bekommt einen so haarscharfen philosophischen Blick, daß man überall da Flecken und Dunkelheiten wahrnimmt, wo ein ungewitztes Auge nichts als helle Punkte sieht. Überdrüssig der ärmlichen Unterhaltung unter Freunden und Verwandten geht's nun endlich ins Studierzimmer und die Feder wird zur Hand genommen. Ein ganzes Bund muß indessen in der Nähe liegen. Zuerst werden ein paar geschnitten, dann ein paar zerkaut, hierauf einige Schnupftücher verbraucht, ein paarmal auf und nieder spaziert, eine Pfeife angesteckt und immer will das Brett vor dem Kopfe nicht weg. Der erwartete Transport von Gedanken erscheint endlich, aber so erbärmlich einballiert und so verzerrt und zerschlagen, daß man sich beim Anblick dieser Samaritergesichter kaum des Weinens enthalten kann. Es sind Mißgeburten, die alle nach einem Maßstabe geformt sind, nicht sowohl Gedanken als Wörter, hebräische Buchstaben ohne Vokale, Kanzleistil, der nur für Gewitzte verständlich ist. Es ist als ob nur eine oder höchstens ein Paar Gehirnkammern geöffnet wären, die übrigen aber sind verschlossen und halten die notiones fest und zähe an sich. Man sucht und sucht und findet nichts, man glaubt etwas Neues zu sagen und wiederholt sich, das arme Gefühl soll durchaus in Bewegung gesetzt werden und bleibt, ungeachtet von allen Seiten eingeheizt wird, so kalt wie ein Fisch. Das Beste, was man in diesem Zustande tun kann, ist eine Rezension zu machen. Wenn noch irgend ein Witz gelingt, so ist's eine Bitterkeit, die bis auf die Knochen frißt. So etwas bringt die trägen Lebensgeister wieder in Bewegung und reinigt die Leber. Um's Himmels willen aber hüte man sich bei so bewandten Umständen die Wanduhr aufzuziehen S. Tristram Shandy, Cap. 1. Wenn alsdann die armen Homunculi eine schiefe Richtung bekommen und statt nach Süden zu gehen nach Norden laufen so hat man den Schaden sich selber beizumessen. Solch Exaltationen verträgt diese Periode nicht.

Nr. 2. (Langeweile) fällt etwas ins Eselsgraue, die Lieblingsfarbe für Leute, die viel auf Etikette halten. Zum allenfalsigen Gebrauch ein kleines Pröbchen davon – ein Gespräch so wie es sehr häufig gehalten wird:

Auditor X. Der Hofrat verzeihen, daß ich so frei bin –

Hofrat Y. Bitte gehorsamst. Sehr viel Ehre für mich. Darf ich bitten, sich niederzulassen. – Wie ist denn zeithero das Befinden gewesen?

X. Ihnen aufzuwarten noch zur Zeit recht wohl.

Y. Der Herr Vater und Frau Mutter sind doch auch noch wohl?

X. Ihnen aufzuwarten, es geht ja gottlob so an. – Sie lassen sich beiderseits gehorsamst empfehlen.

Y. Danke gehorsamst.

X. Der Herr Hofrat sind doch auch immer wohl gewesen?

Y. Danke für die gütige Erkundigung, so ziemlich.

(Kleine Pause)

Y. Sind der Herr Auditor schon lange wieder hier?

X. Seit gestern.

Y. Und kommen zunächst?

X. Über Wetzlar.

Y. So!

(Lange Pause – der Hofrat fängt an einen Fidibus zu drehen – Herr X. spielt mit der Uhrkette.)

Y. Die langen Winterabende – es wird schon so früh dunkel.

X. Ja freilich – man kann beinahe am hellen Tage nicht sehen.

(Pause – der Hofr. bläst einige Fäserchen vom Ärmel.)

Y. Kathrine! Seht doch einmal nach dem Ofen. – Wie steht's denn mit des Herrn Vaters Prozesse, Herr Auditor?

X. Er schwebt noch – Vor vier Wochen ist es zur Replik gekommen –, ich denke nach Verlauf von ein paar Jahren wird es vielleicht zur Duplik –.

Y. Vielleicht ja! – Der Geschäfte sind gar zu viel.

(Stille – Hin und wieder schon Spuren von Gesichtsverlängerungen.)

Y. Haben der Herr Auditor die heutigen Zeitungen schon gelesen?

X. Bitt' um Verzeihung, noch nicht.

Y. Nun – das Bombardement von Kehl dauert noch immer fort.

X. Man sollte doch denken, es müßte beinahe kein Stein mehr auf dem andern sein.

Y. Ja, freilich wohl, indessen die Kanonenkugeln – treffen – doch nicht – alle und die Trompeten von Jericho – sind (mit einem Seufzer) – leider – aus der Mode gekommen.

(Pause – Nach und nach eine deutliche Schattierung von Schläfrigkeit in den Mienen.)

X. Haben der Herr Hofrat heute die Parentation des Pastor U. gehört?

Y. Ja wohl – sie war (mit vorgehaltener Hand und etwas oblongem Munde) recht schön und (hin und wieder mit Spuren von Horripilation) recht rührend.

(Sehr lange Pause – X. wischt sich die Stirn – Ein permanenter Krampf in den Backenmuskeln des Hofrat Y.)

X. nach der Uhr sehend und aufstehend.

Y. Eilen – Sie – doch nicht so, Herr Auditor.

X. Bitte gehorsamst – die Zeit vergeht so schnell.

Y. (aufstehend in einer permanenten parabolischen Richtung) Nun ich danke Ihnen, Herr Auditor, für die Ehre Ihres Besuchs – Es hat mich gefreut, Sie noch wohl zu sehen – ich will wünschen, daß Sie sich jederzeit wohl befinden mögen – Empfehlen Sie mich, wenn ich bitten darf, dem Herrn Vater und der Frau Mutter –

X. (Mit einer unendlichen Progression von Reverenzen auf der Retirade begriffen) Ich danke gehorsamst – ich empfehle mich (mit zunehmender Entfernung) des Herrn Hofrats fernerer – Gewogenheit und – Freundschaft und habe die Ehre (mit etwas erleichterter Brust) wohlschlafende Nacht zu wünschen.

So etwas ist gesellschaftliche Unterhaltung, Balsam für die ermüdeten Lebensgeister. Es gibt Leute, denen die Natur so deutliche Striche von dieser Gemütsfarbe beigebracht hat, daß ihr bloßer Anblick schon die mutwilligste Laune in Petrefaktenzustand versetzt. Man hüte sich ja mit diesen Leuten oft in Berührung zu kommen. Es sind Blutigel, die sich desto fester einsaugen, je mehr man sich bemüht, sie abzuschütteln.

Nr. 3. (Furcht) Schwarzrötlich, beinahe wie verrostet. Degenklingen. Die Seele will durchaus agieren – und doch die verdammten Kanonen! – Wenn die nicht wären! – Indessen einmal kann man nur sterben. – Freilich ein Bein oder ein Arm weniger macht eine gewaltige Differenz – Und was den Trost anbetrifft, daß nicht alle Kugeln treffen, so ist dieser denn doch in praxi nicht recht wirksam. So monologisiert die Seele immer vor sich weg. Bald kriecht sie zwischen Invalidenkrücken und Trepanationsinstrumenten umher, bald treten die Catonen, die Brutusse, die Friedriche auf und fangen an von männlicher Würde, von Ehre, von Mut und anderen erhabenen Sachen so eindringend zu sprechen, daß das arme Herz bald im stärksten Feuer glüht, bald zum Eisklumpen erstarrt. Wenn nun das Unterfutter so zerrieben und zerknotet wird, was muß das Brustwams dazu sagen? Es gibt hier einige frappante physiologische Veränderungen, die in der Tat mehr als einen Sinn interessieren, von denen wir aber fürs klüglichste halten zu schweigen. Den ganzen Zustand hat man nicht mit Unrecht mit dem Namen des Kanonenfiebers belegt. Zuweilen sind's freilich nur eingebildete Kanonen. Indessen was hindert das? Die Phantasie malt lebhafter als die Sinne und eine Kanone im Kopf wirkt öfters stärker als zwanzig vor den Augen.

Es gibt Leute, die einen geringen Anstrich dieser Farbe beständig an sich tragen. Diese Personen werden durch ein unbegrenztes Mißtrauen gegen sich selbst unaufhörlich gemartert. Sie glauben überall lächerlich zu werden, wo ihnen der vernünftige Teil der Menschen mit der größten Achtung begegnet. Aus Furcht etwas Anstößiges und Beleidigendes zu sagen stottern sie und haspeln mühsam die Worte hervor. Ihre Komplimente sind gewöhnlich mit Verwüstungen für Kaffee- und Teetische begleitet. Eine unruhige Röte durchströmt mit jedem Augenblick ihr Gesicht. Jede nur etwas zweideutige Frage setzt sie in Verwirrung, jede auch noch so geringe Arbeit gelingt ihnen nicht, weil


 << zurück weiter >>