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Meine Absicht war der Beurteilung der Akademie eine Abhandlung von den Charakteren in der Geschichte vorzulegen, worin die Verfassung des Geschichtschreibers, und seine hierzu nötigen Kenntnisse betrachtet, und hernach eine Anwendung auf den Catilina des Sallust gemacht werden sollte, um zu sehen wie weit sich alle Taten dieses berüchtigten Rebellen aus dem fürchterlichen System von Gemütsbeschaffenheiten erklären lassen, welches Sallust von ihm voraussetzt. Allein ich habe gefunden, daß eine Abhandlung, worin nur das Nötigste beigebracht wäre, für die Zeit, worin sie vorgelesen werden sollte, viel zu groß sein würde, auch noch alsdann wenn man von dem Nötigen nur dasjenige sagen wollte, was ich davon sagen kann. Ich habe mir also vorgenommen meine Anmerkungen über diese Materie zu zerteilen und heute nur das allgemeinste davon vorzutragen.
Wenn mein Unternehmen mehr Neues an sich hätte als es würklich hat, so würde man mit Recht einen vollständigen Beweis von dem Nutzen desselben überhaupt verlangen können, den ich jetzt nur in besondern Fällen zeigen will.
Ein jeder, der weiß, wie viel oft in Beurteilung der Unternehmungen auf die natürliche Geschichte eines Reichs, und auf die Kenntnis des Genies einer Nation ankommt, wird den großen Nutzen eingestehen, den solche Schilderungen von großen Männern haben müssen; denn jene sind weiter nichts als große Charaktere der Länder und ihrer Bewohner, so wie diese nichts sind als Teile einer noch wenig bearbeiteten Natur-Geschichte, nämlich der Naturgeschichte vom menschlichen Herzen. Die gnaue Verbindung unserer Gesinnungen mit unsern Handlungen, und dieser letzteren mit unsern Begebenheiten, macht, daß das Portrait einer Seele zugleich ein Plan ihres Lebens und ihrer ganzen Geschichte ist. Wenn es ein großer Künstler gezeichnet hat, so ist es oft wichtiger, als alle Lebensbeschreibungen, und bisweilen ein kurzer Inbegriff von den Begebenheiten eines Staats, von dem Glück und Unglück ganzer Länder, von den Gesinnungen der Nationen, und ein Auszug aus der Menge von Triebfedern, die ganzen Weltteilen eine andere Gestalt haben geben können. Der Grund des großen Unterschieds zwischen dem heutigen Rom und dem vor ohngefähr 2000 Jahren liegt größtenteils in der Seele des Julius Cäsar, wenn man diese aus der großen verwickelten Kette herausnähme, was für Veränderungen würden auf einmal über den ganzen Erdboden entstehen? Alle unsere neueren Geschichtbücher würden unrichtig werden, und gewiß die größten Kapitel in der Geographie. Wer wird also wohl eine Beschreibung der Taten des Cäsar mit Vergnügen lesen, die ihm nicht einigermaßen diese merkwürdige Zusammenkunft von Gemütsbeschaffenheiten in einer einzigen Seele darstellt, da man heut zu Tage schon anfängt zu verlangen, daß jedes Buch eine Abbildung der körperlichen Eigenschaften seines Verfassers enthalten soll, der sehr oft nicht soviel Anteil an seinem Buch hat, als Cäsar an der heutigen Verfassung des deutschen Reichs.
Diese Befriedigung der Neugierde ist aber bei weitem nicht der einzige Neben-Nutzen der Charaktere, ich will jetzo nur noch eines einzigen erwähnen; dieses ist derjenige vorteilhafte Einfluß auf das Gemüte des Lesers, den man sonst gemeiniglich der Geschichte überhaupt zuschreibt, der aber hauptsächlich dieser Art von Gemälden eigen ist: Die Besserung des Herzens, die Erweiterung der Menschen-Kenntnis, die Aufklärung der Aussichten in das Künftige, die Zuversicht bei guten Handlungen, alles dieses können wir hier lernen, kurz, die einzige wahre Theorie des menschlichen Lebens. Wir wundern uns über das hohe Alter der Erz-Väter, wenn man aber die Erweiterung unserer Erkenntnis, und die Besserung unserer Seele für den Endzweck unsers Lebens ansieht, so hatten sie Ursache ein längeres Leben zu verlangen als wir, denn wir haben den Unterricht der Geschichte; und wer sich desselben als Philosoph bedient, hat allzeit schon ein halbes Jahrtausend gelebt, auch wenn er in seinem 40sten stirbt.
Ich wende mich jetzo zur Verfertigung solcher Gemälde und zu den Eigenschaften des Malers. Hier muß ich zum voraus erinnern, daß daraus, weil wir hier weniger Proportion bemerken, sie deswegen gar nicht zu finden sei. Sie ist würklich da, unsere guten Handbücher der Sittenlehre sind die Zeichen-Bücher, wo die einzelnen Teile oft mit vielem Glück entworfen sind, die aber vielleicht eben so wenig schon in einer Verbindung existiert haben als die Glieder des Vatikanischen Apolls. Die Regeln dieser Zeichenkunst sind freilich trotz unsrer unzähligen moralischen Schriften noch nicht tief genug untersucht, und dieses vermutlich deswegen, weil nicht bloß Metaphysik und Ästhetik dazu nötig ist. Die Verfertigung eines solchen Gemäldes erfordert ein wahres philosophisches Genie, das nicht sowohl die Logik, als die eigene Betrachtung, eine beständige Aufmerksamkeit auf sich selbst, ein tiefes Nachdenken über die Begebenheiten, worunter ich auch die gemeinsten rechne, und über die kleinsten Triebfedern der menschlichen Handlungen, und endlich der Umgang mit Leuten von allerlei Stand und Alter gebildet haben. Außerdem eine durch lange Übung erlangte Fertigkeit in der Mienen-Kenntnis wovon sich durch öftere sorgfältig angestellte Erfahrungen ohnstreitig von selbst ein System in dem Kopfe des Philosophen entwickelt, das sich wohl schwerlich jemals wird in Tabellen zwingen lassen, das aber nichts desto weniger eine reiche Quelle von Schlüssen für den Philosophischen Geschichtschreiber sein wird. Man wird mir wohl schwerlich einwerfen, daß ich zu viel von dem Geschichtschreiber verlange, denn meiner Meinung nach ist dieses noch nicht die Hälfte der Kenntnisse, die er besitzen muß. Die Eigenschaften, die ich vorhin genannt habe, sind diejenigen, die jeder besitzen soll, der die Welt mit Erfolg lehren will, er mag Geschichtschreiber, Poet, Rechtsgelehrter, Redner oder Arzt sein; und sie sind auch zu allen Zeiten die unterscheidende Züge großer Schriftsteller gewesen, in wahrhaften Geschichten und in erdichteten, vom Tacitus bis zum Cervantes. Ein Genie, das mit diesen Fähigkeiten versehen ist, muß wenn es sich zur Verfertigung eines Charakters selbst wendet noch eine Leidenschaft bekämpfen lernen, die in der gelehrten Welt von eben so wichtigen Folgen sein kann als eine von den gemeinen in der politischen, die Leidenschaft durch Witz glänzen zu wollen. Es ist eine sehr gemeine Anmerkung, daß selten Witz und Gründlichkeit beisammen stehen, aber die Macht des Witzes über die Meinung, beide in einerlei Person genommen, ist wohl mehr gefühlt als gesagt worden. Wir haben eine vortreffliche Schrift von dem Einfluß der Sprachen in die Meinung, ich glaube es ließe sich ebensoviel von dem Einfluß des Witzes und des Mechanischen in der Schreibart in die Meinung sagen, das von großem Nutzen in solchen Schriften sein könnte wo die strengste Wahrheit mit der Annehmlichkeit des Vortrags verbunden sein soll. Ich will mich hierüber deutlicher erklären. Es ist schon seit etlichen Tausenden von Jahren zur Mode bei den Schriftstellern geworden, daß sie sich allzeit um etliche Stufen über ihren gewöhnlichen Vortrag erheben, wenn sie einen Charakter entwerfen, zumal wenn die Person, die sie schildern, entweder äußerst tugendhaft oder äußerst lasterhaft ist, oder sonst ein seltsames Gemisch von Tugenden und Lastern an sich hat. Hier erscheinen Gegensätze auf Gegensätze, und eine symmetrische Periode auf die andere, und weil die Natur in Bildung der Charaktere nicht witzig ist und keine Antithesen affektiert, so wird aus der ungezwungenen Einfalt der Natur ein groteskes Geschöpf, das durch die mühsamste Abstraktion nicht zum natürlichen wird zurückgebracht werden können. Ich glaube hierin den Grund zu finden, warum Epikur so wenig auf Wahl, Ordnung und Verbindung der Worte und des Ausdrucks gesehen hat, und sogar die Zierlichkeit im Reden seinen Schülern untersagte, vermutlich war ihm diese stille Macht der Wortfügung über die Wahrheit bekannt, die immer wächst so wie die gründliche Philosophie bei einem Schriftsteller abnimmt und der Witz zunimmt. Der Fehler, welchem Epikur zuvorkommen wollte, ist gegründet, allein in der Art ihm abzuhelfen geht er seiner Gewohnheit nach zu weit, und es ließe sich leicht zeigen, daß er die Ordnung selbst befiehlt, die er verwerfen will, indem er der Natur zu gehorchen gebietet.
Um meine Gedanken hier mit Beispielen zu erläutern hatte ich einen Versuch gemacht, den Charakter des Pabsts Alexander VI den uns Guicciardin so schön gezeichnet hat, in eine solche Grammatische Musik zu setzen, allein ich habe es hier mit Fleiß weggelassen, weil solche Maschinen von gekuppelten Beiwörtern selbst im Scherze beleidigen und außerdem bei einem sehr bekannten französischen Schriftsteller können nachgesehen werden. Selbst der Charakter, den Guicciardin verfertigt hat, hat fast zuviel Symmetrisches, und wenn er gleich nicht unwahr sein kann, so erweckt er doch den Verdacht der Unwahrheit, und des Bestrebens, zum Nachteil der Wahrheit eine runde Periode zu machen. Außer diesem Fehler, der in der Zeichnung der Charaktere liegt, ist noch ein andrer sehr merkwürdig und gemein, der mehr das Kolorit, und die Farben selbst angeht. Wenn man nämlich gnau auf die Ausdrücke acht hat deren sich die Schriftsteller bei solchen Entwürfen bedienen, so wird man oft etwas Unbestimmtes, Wandelbares bemerken das für der Prüfung flieht, sonst aber mit einer mittelmäßigen Aufmerksamkeit gelesen leicht den Leser hintergeht. Dieses rührt daher, daß weil wir in der Analysis des menschlichen Gemüts noch nicht sehr weit gekommen sind auch die Sprachen aller Völker hierin mangelhaft sind, und die Wörter wodurch wir die Eigenschaften der Seele ausdrücken sind so zu reden nur Geschlechts-Namen, die noch sehr viele Gattungen unter sich begreifen. David Hume hat in seinen Schriften die in die Sittenlehre einschlagen durch eine Bemerkung gezeigt daß er das menschliche Herz eben so sehr kenne als seine Muttersprache. Er sagt, daß das Gefühl eines bewußten Wertes, die Selbst-Zufriedenheit, die einem Menschen die Musterung seiner eignen Aufführung verschafft, so gemein sie auch ist, kein Wort in der englischen Sprache habe, womit sie ausgedrückt werden könne. Eben so wird man oft in unsrer Sprache finden, wieviel Regungen es in uns gibt, die feiner sind als unsre Worte, welches der scharfsinnige Verfasser der Caprices d'imagination mit Unrecht zu leugnen scheint, daher borgen wir Worte und zugleich mit ihnen Begriffe, die über das Ganze eine Ungewißheit verbreiten, die nicht eher gänzlich wird vermieden werden können, bis ein Bruyère, und noch ein größerer als Bruyère aufstehet, der uns die Seele in einem Wörterbuch erklärt, zu welchem man so oft es nötig ist seine Zuflucht nehmen kann. Die nötige Fortsetzung dieser Betrachtungen und Erläuterungen über das Gesagte werde ich die Ehre haben der Akademie künftig vorzulegen.