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Dass du auf dem Blocksberge wärst

Ein Traum wie viele Träume

Durch den Tod eines vortrefflichen Mannes, mit dem ich mehrere Jahre in vertrautem Umgange gelebet habe, bin ich kürzlich zu dem Besitz eines Manuskripts von seiner Hand gekommen, an dessen Entstehung ich selbst einigen Anteil in sofern habe, als das meiste in demselben die Resultate von Unterhaltungen in unsern Abendstunden ausmachte. Wir spielten, statt mit Karten, die wir beide unversöhnlich haßten, mit Einfällen und Projekten aller Art, oft in die späte Nacht. Ich kann aber nicht sagen, daß wir, weil wir nicht um Geld spielten, deswegen immer ruhig auseinander gegangen wären. Der letzte Stich des Gegners, wenn die bestimmte Glocke schlug, hatte immer etwas Unangenehmes für einen oder den andern, und ich erinnere mich sogar einmal, daß ich, als ich schon bei meinem Hause war, wieder umkehrte, um einen falsch gespielten Trumpf wieder zurück zu nehmen, aber meinen Freund schon gerade auf den Lorbeern ruhend eingeschlafen fand, die mich die ganze Nacht wach erhielten. Das Buch ist grün eingebunden, und soll daher künftig alles was ich daraus entlehnen werde, welches wohl der Fall zuweilen sein könnte, mit der Überschrift: aus dem grünen Buche, bezeichnet werden. Der Titel ist etwas sonderbar, wiewohl nicht ohne Menschen- und Messe-Kenntnis abgefaßt, er heißt: echt deutsche Flüche, und Verwünschungen für alle Stände, nebst einem Anhange von Sprichwörtern und Fiktionen. Von den Fiktionen haben unsere Leser schon wirklich einiges gehabt, unter andern war unser Bedlam für Erfinder fast wörtlich aus dem grünen Buche genommen. Beim Aufmachen des Manuskripts fiel mir ein Brief in die Hände, der, wie die Unterschrift zeigt, von einem nicht sehr unbekannten Verleger war. Mein Freund hatte ihm das Manuskript angeboten, ohne mir etwas davon zu sagen, vermutlich um mir mit dem Gelde eine unvermutete Freude zu machen. Das war ganz seine Art. Daß er mir aber mit dem Briefe keine unerwartete Freude gemacht hat, verstehe ich nicht ganz. Hier ist der Brief.

»Ew. erhalten anbey Dero Manuskript zurück, weil selbiges Dero Zeit so nicht gebrauchen kan. Einige Artickel sind wircklich reitzbar, per Exempel jener vom doppelten Printzen und jener von Flüchen von Kindern. Doch winschen mein Frau und ich etwas mehr von Deologen hinein und der Schaam Hafftigkeit und die Obrigkeit, etwas reitzbar versteht sich und Pasquilandisch, das sind itzoiger Zeit warme Semmel in der Welt. Wolten Selbige Selbiges noch einschieben wollen, so wollen Wir sehen. Zenzur haben Wir nicht zu fürchten; meine Frau liest ihm alles für, und ist bey ihm wie Kind im Hause. Sie hüppt auch über manches Soll wohl heißen: überhüpft beim Lesen manches. Verbleibe Dero affectionirter etc.«

Außer der hohen merkantilischen Suade, die durchaus in diesem Briefe glüht, war es mir besonders angenehm, eine alte fast vergessene Idee von mir, ich meine die von einem doppelten Kronerben wieder zu finden, wovon das grüne Buch zwar nicht die Ausführung, aber doch den Plan, ziemlich deutlich enthält. Hauptsächlich dieser Frau Verlegerin wegen, die, wie ihr eigener Mann gesteht, über manches gern weghüpft, muß ich sagen, was das eigentlich für eine Idee ist, und von wem sie herstammt, falls etwa besagte Dame damit über ihr Gewissen weg, in irgend eine Romanen-Manufaktur damit hüpfen sollte. Hier ist etwas davon:

In einem bisher nicht sehr bekannten Reiche Asiens gibt eine geliebte Königin außerordentliche Hoffnung zu einem Thronerben, oder eigentlich zu reden, Hoffnung zu einem außerordentlichen Thronerben. Denn wirklich wuchsen diese Hoffnungen gegen das Ende der Schwangerschaft so stark, daß man sich öffentlich ins Ohr sagte: es würden wohl zwei Kronprinzen auf einmal kommen. – Das Publikum fängt an mit Meinungen schwanger zu gehen, ebenfalls doppelt und ebenfalls eine schwere Geburt verkündigend. – Politiker mit und ohne Prügel regen sich. – Kleine Vor-Entscheidungen ehe der Himmel entschieden hat. – Entscheidung des Himmels. – Bülletin: Gestern Abend wurde Ihro Majestät von zwei Kronerben glücklich entbunden, beide vollkommen ausgebildet, schön, gesund und munter, nur am untern Teile des Rückgrats und etwas weiter abwärts zusammengewachsen, und gewissermaßen Ein Stück, in allen übrigen Hauptteilen völlig doppelt. Dank, Anbetung und Verehrung für den doppelten Segen! – Geschichte der Entbindung von einem Zuschauer in der Nebenstube. – Sie erblicken das Licht der Welt mit zwei Füßchen einerlei Art, ob zwei rechten oder zwei linken, ist ungewiß. Wendung und Geburt. – Eine Deputation des Magistrats wünscht untertänigst, daß die Mißgeburt zum Wohl des Vaterlandes möchte sanft erstickt werden. – Unsanfte Erstickung der Deputation von Rechts wegen. – Tiefsinnige Untersuchung über den Wert des Doppelten in der Welt. – Von Leib und Seele. – Vom doppelten Adler. – Es erscheinen Adressen und Glückwünsche von allen Enden des Königreichs. – Die Dichter sprechen von einem Versuch der Natur, endlich der Welt ein Modell von einem vollkommenen Regenten zu geben. Das Kind heißt bei ihnen bald Castor und Pollux an einem Stück; bald Majorität und Minorität an einem Stück, und einer nennt es sogar den Zweieinigen. – Erziehung bis zur Beinkleiderzeit und Schnitt dieser Beinkleider. Man merkt beim Anprobieren, daß dieses ein wichtiger Artikel in der künftigen Regierung sein werde. – Es wird ein eigenes Konseil niedergesetzt, das über die beste Form dieses Anzugs entscheiden soll; bestehet aus drei Ärzten, drei Philosophen und drei Schneidern. – Große Uneinigkeit in diesem Konseil, sogar einige Prügeleien. – Cülottisten und Sanscülottisten durch das ganze Reich. – Sieg der erstem, weil sich mit Recht die Geistlichkeit zu ihnen schlägt. – Der Prinz bekömmt Hosen. – Dreitägige öffentliche Ausstellung derselben und Urteile der Welt darüber. Verzeichnis von Schriften darüber, die sich an die 200 belaufen. – Neigungen des Doppel-Prinzen fangen an zu keimen. Der eine zeigt viel Hang zur Spekulation und einem sitzenden Leben, der andere zum aktiven. – Sonderbare Szenen die sich daraus schon jetzt ergeben. – Ärzte und Schneider lachen, der Klerus und die Philosophen weinen. – Doppelte Pagen, doppelte Kammerdiener und doppelte Hofmeister. Es will sonst nicht gehen. Hiermit schließt sich der erste Teil. –

Indem ich zum zweiten Teil übergehen will, sehe ich mit schriftstellerischem Entsetzen, aus der Überschrift dieses Artikels, daß ich mich verloren habe, und fürchte fast, daß die Verwünschung die sie enthält, über mich und meinen doppelten Prinzen von manchem Leser möge ausgesprochen worden sein. Ich bitte um Vergebung; es kam in meinem Eigentum Feuer aus, da dieses nun so ziemlich geborgen ist, so habe ich die Ehre, versprochener Maßen, aufzuwarten.

Alles folgende sind die eigenen Worte meines in dem zweiten Viertel dieses Jahres (1798) leider! verstorbenen Freundes. Die Anrede ist an mich wie folgt:

Du weißt, mein Teuerster, daß es seit jeher eines meiner Lieblings- Geschäfte in müßigen Stunden gewesen ist, deutsche National- Flüche und Verwünschungen zu sammeln, um daraus gelegentlich einige zur endlichen Bestimmung des National-Charakters nötiger und noch fehlender Elemente durch Philosophie zu scheiden. So wie Leibniz schon gesagt hat, daß die Menschen sehr viel sinnreicher in ihren Spielereien als in ihren ernsten Geschäften wären, so habe ich auch gefunden, daß, ohne deswegen die Flüche unter die Spielereien zu rechnen, der Mensch sehr viel charakteristischer flucht als betet, vielleicht, weil er meistens aus dunkelem Gefühl seines hohen Wertes flucht und verwünscht, und aus einem ähnlichen Bewußtsein seines Unwertes und seiner Abhängigkeit betet. Um etwas dieser Art auszufinden, legte ich mich neulich mit meinem Dir bekannten Zettel zu Bette, in der Absicht etwas dieser Art, vor dem Einschlafen, auszufinden, was ich am Morgen in meine so genannte Noctes G...es (G...sche Nächte) eintragen könnte. Ich stieß sehr bald auf die in manchen Gegenden Deutschlands sehr bekannte Verwünschung: Daß du auf dem Blocksberge wärst So heißt unser Brocken in einem großen Teile von Deutschland, und ist unter diesem Namen selbst Kindern, die 100 Meilen von ihm leben, bekannt. Man wünscht oder verwünscht gewöhnlich Dinge dahin, deren man in hohem Grade überdrüssig ist. Die Verwünschung verträgt sich wirklich mehr, als irgend eine mit christlicher Liebe; sie tut nämlich den Affekt Genüge und hebt die Wiederkehr des Verwünschten nicht auf, wodurch sie sich sehr von andern unterscheidet, die man, im christlichen Deutschland wenigstens (denn von der deutschen Türkei ist hier noch nicht die Rede), und mit einem Anfangs- Buchstaben und Punkten druckt. Wer eine sehr merkwürdige, neuere Verwünschung, auf den Blocksberg, lesen will, wird sie im 2ten Hefte des IVten Bandes der neuesten Staats-Anzeigen S.142 finden. Der Verwünscher ist ein rechtschaffener Mann, der Franziskaner, Pater Guido Schultz. . Ich weiß nicht, was mich eigentlich bei dieser Zeile zum Stillstand brachte, ich ruhete dabei aus und schlief ein. Sogleich saß ich in einem leichten Wagen mit Vieren, und fuhr in einer Nacht bei sternen-hellem Himmel frisch zu. Ich kann nicht sagen, daß mir die Fahrt sehr gefallen hätte. Vermutlich hatte sich beim Einschlafen etwas von Walpurgis-Nacht auf meinen Traum-Apparat niedergeschlagen, so daß ich mich bei meinem Postillion nicht viel besser befand als Bürgers Lenore gegen das Ende ihrer Reise bei ihrem Dragoner. Indessen ich faßte Herz. Schwager, fragte ich, was ist das dort oben! Ist das ein Nordlicht? Schwager. Wo? Ich. I dort oben, sieht er das Licht nicht?

Schw. O! Wissen Sie denn das nicht? Morgen ist Neujahrs-Tag.

Ich. Das weiß ich wohl, aber was hat denn das Nordlicht mit dem Neujahrs-Tage zu tun?

Schw. (lachend) Ich führe doch wohl keinen Emigranten? Sie sprechen gut Hochdeutsch.

Ich. (etwas auffahrend) Hanswurst, sei kein Narre, und sage, was du willst mit deinem Geschwätze da.

Schw. Dank für Ihr Du. Wissen Sie denn nicht, daß heute große Ausstellung ist.

Ich. Was für eine Ausstellung?

Schw. Auf dem Blocksberge. Das ist der Blocksberg dort mit dem Lichte. Mit Ihrem Nordlichte! Ist denn dort Norden? (Der Kerl hatte Recht, das Licht lag gerade in Süd-Osten, und dieses Gefühl von Unrecht gab mir mein Blut wieder).

Ich. O! sag er mir kurz und gut lieber Freund, was er mir sagen will, und am Ende auch sagen wird. Was ist das?

Er. Nun wenn Sie so befehlen, aber, sagen Sie mir: haben Sie einen armen Schwager nicht zum besten?

Ich. Auf Ehre nicht; nur zu, frei heraus mit der Sprache. Ich verstehe noch zur Zeit von allem nichts.

Er. Nun gut denn, wenn Sie es so haben wollen. Diese Nacht stehet auf dem Blocksberge alles öffentlich aus, was in dem ganzen vergangenen Jahre hinauf ist gewünscht worden. Alles prächtig illuminiert, so helle wie am Tage.

Ich. O! lieber Herzens-Schwager, da laß uns hin. Das muß ich sehen. Aber ists nicht schon zu spät?

Er. Das nicht, aber haben Sie eine Frau? Es tut dem Herausgeber leid, daß er die Reden des Schwagers nicht in der plattdeutschen Sprache des Originals herzusetzen wagen darf. Die des Plattdeutschen kundigen Leser, können sich indessen diesen Verlust leicht ersetzen. Für die übrigen kann man zwar den Sinn der Worte wiedergeben, und das ist hier geschehen, aber die unaussprechliche Naivität dieser Äußerungen, das Kolorit des Sinnes zu empfinden, muß man unter diesen Menschen gelebt haben. Da, wo der gemeine Mann eine von der Sprache der höheren Stände verschiedene Sprache redet, wird es diesen leichter die Simplizität der Gesinnungen und Bemerkungen von jenen zu empfinden. Wo der gemeine Mann hingegen die Sprache der höhern Welt spricht, ist der Cours gegen ihn. Mit der Gemeinheit der Sprache, geht das Eigentümliche der Empfindung verloren.
Ich. Was ist denn das nun wieder?

Er. O ich meinte nur, ob Sie verheiratet wären. (Dabei hörte ich sogar, daß er in den Bart lächelte).

Ich. Ja, ich bin verheiratet. Was nun weiter mit allem dem infamen Zaudern? Ich bin verheiratet.

Er. Lieber Herr, ich meine es gut, das können Sie glauben. Ich habe lange keinen so freundlichen Herrn gefahren.

Ich. Nun gut, gut, heraus mit der Sprache.

Er. I, wenn Sie es so haben wollen. Ich meine nur, (hier wieder gefälliges, hörbares Lächeln) es wäre möglich, daß Ihre liebe Frau Sie im vergangenen Jahre auf den Blocksberg gewünscht hätte.

Ich. Und was denn da?

Er. Da würden Sie sich selbst denn dort oben herum marschieren sehen, so wie Sie da in der Kutsche sitzen, gerade so, Tracht und alles, wie im Spiegel; vor so etwas graut einem.

Ich. (laut lachend) Ehrlicher Teufel. Also das meintest du? O wenn es weiter nichts ist, guter Kerl, habe ich keine Sorge. Gesetzt ich sähe mich auch da, muß es denn gerade meine Frau sein, die mich dahin gewünscht hat; das könnten ja andere Leute sein. Ich kenne ihrer eine Menge, die mich auf den Blocksberg wünschen. Das weiß ich und mache mir eine Ehre daraus. Jeder rechtschaffene Mann in dieser Welt zählt ihrer leicht ein Dutzend, eben weil er ein rechtschaffener Mann ist.

Er. Gut, lieber Herr, das weiß ich wohl, aber wenn der Zettel nicht wäre.

Ich. Was für ein Zettel?

Er. I, der Zettel auf dem Rücken.

Ich. Ich bitte Dich ums Himmels willen, sprich fort, wir kommen sonst um die Hochzeit. Was sind denn das für Zettel?

Er. Ein jeder trägt da einen Zettel auf dem Rücken, daraufsteht mit feurigen (hier eine Pause), mit feurigen, feurigen Buchstaben geschrieben.

Ich. Was denn?

Er. Von wem man herauf gewünscht worden ist, und wie viele Male. (Hier eine Pause von meiner Seite. In der Tat wurde mir doch hierbei nicht ganz recht zu Mute. Denn man kann in einer sehr vergnügten Ehe leben, und dann doch zuweilen auf den Blocksberg gewünscht werden. Es war mir um die Leute zu tun. Ich dachte nach, und erinnerte mich einiger kleinen Vorfälle, dieses merkte der Schwager).

Er. Schlafen Sie? Sie sind ja so stille?

Ich. Wer wird schlafen, bei einer solchen Reise mit einem so angenehmen Schwager? Aber höre Er. Gesetzt ich fände nun meine Frau auch da, würde Sie mich kennen?

Er. Nein! als bloßen Passagier und Zuschauer nicht. Die sind unsichtbar für die Verwünschten. Aber die Verwünschten selbst sehen einander. Die bloßen Passagiere sehen alles, ohne gesehen zu werden. Erblicken Sie also Ihre liebe Frau oben, so werden Sie es am besten wissen, was das sagen will. Erblicken Sie sich selbst und Ihre Frau Arm in Arm, so hat dieses nichts zu bedeuten. Das können immer gute Ehen sein. Nur auf den Kopfputz kömmt alsdann viel an.

Ich. Ich sehe, der Schwager ist sehr informiert.

Er. O! Ich müßte ein Dummkopf sein, wenn ich es nicht verstände. Ich habe Hunderte hinaufgefahren, auch wieder herunter, wenn sie sich nicht – – Sie verstehen mich wohl.

Ich. Nein, lieber Schwager, ich verstehe es nicht.

Er. O doch.

Ich. Nein wahrlich nicht.

Er. Ich meine, wenn sie sich nicht droben erhenkt haben.

Ich. Also haben sich wirklich Passagiere droben erhenkt?

Er. O! mehr als einmal.

Ich. Und weswegen denn?

Er. Von wegen des Kopfputzes, von dem ich vorher geredet habe.

Ich. Kopfputz? Gibt es denn einen zum Erhenken.

Er. Oja.

Ich. Was für einen?

Er. Wenn Sie nicht wollen für ungut nehmen – Hörner.

Ich. Kannst Du mich, lieber Schwager, wohl in einer Stunde hinführen?

Er. O! in – in – einer Minute. Ich sehe Sie wissen nicht wer Sie fährt. Ich habe meine geheimen Verbindungen hier, bin aber Ihr guter Engel, fürchten Sie nichts.

In diesem Augenblicke fühlte ich mich weit über alles erhoben was die Welt Chausseen nennt. Ich schwamm, wie an einem Luftballon hängend, sanft dem Nordlicht entgegen. Alles, was noch in mir wog und zog, waren einige schwere Gedanken über die Folgen dieser Aufklärung, über wichtige Punkte des vergangenen so wohl als künftigen Lebens, der ich jetzt entgegen ging, und die der Himmel so weislich in Dunkel hüllt. Ich tadelte im Grunde meiner Seele nunmehr meine Verwegenheit, denn mein ganzes Leben zielte gar nicht auf einen solchen Überfall hin. Wer hätte auch so was denken sollen? Nach wenigen Minuten sanken wir auf den kleinen Brocken nieder, mechanisch sanft, aber für mich, mit einer Art von elektrischem Stoße aus dem Boden der Weissagung, der durch alle Glieder ging. In diesem Augenblicke war mir der Brocken heilig.

Man kann sich keinen himmlischem Anblick denken, der ganze höhere Gipfel des Brockens, der nunmehr vor uns lag, stand wie im Feuer. Alles noch etwas fern. Mein Postillion, der, wie ich nun deutlich sah, weder die braunschweigische noch die kaiserliche Montur trug, faßte mich bei der Hand, schüttelte sie lächelnd. Ich bin noch immer der alte Schwager im Tale. Sie denken nach; haben Sie keine Sorge, und (setzte er, Gottlob! lächelnd, hinzu) zum Erhenken ist immer Zeit. Nun ging ich mit Mut dem Berge zu.

Himmlischer Anblick überall. Überall wie Junius-Licht an einem heitern Mittage. Aber selbst in der Allee, der wir uns näherten, erschien keine Spur von Schatten. Was ist das? fragte ich meinen Führer, sind das Harz-Tannen? I, mein Himmel, Sie wissen nicht, wo Sie sind, versetzte er, das Licht blendet Sie. Das sind Bäume, die Deutschland hieher gewünscht hat. In dem Augenblick sah ich, daß es Freiheitsbäume waren, rot, blau und weiß gestreift; oben Bänder von gleicher Farbe. Bravo, meine lieben Landsleute, dachte ich, und nun fing ich an zu verstehen. So viel kömmt auf einen guten Wink an. Trotz meines Unterrichts im Tale, hielt ich alles hier für ein Paradies, und hatte gänzlich vergessen, daß ich mich unter lauter verwünschten Dingen befand. – Der Glanz hatte alle Schuld. An den Bäumen wehten Flaggen mit Zahlen. Was soll die Zahl da? fragte ich meinen Führer. Das ist die Zahl der Verwünschungen, sagte er. Nun dachte ich, willst du doch Eine wenigstens behalten. Es war ein herrlich gehobelter und verzierter Baum, oben mit vier Schildern, nach den vier Weltgegenden, mit Inschriften, die ich nicht lesen mochte. Es war mir mehr um die Zahlen zu tun, woraus sich auf die Inschriften schließen ließ. Es war zum Erstaunen: voran stand eine Eins, und, dafür stehe ich, hinter her zum aller wenigsten fünf Nullen. Also war dieser Baum wenigstens hundert tausendmal verwünscht worden. Das dachte ich wohl, sagte ich zu mir selbst, so mußte es kommen. Unter den Bäumen spazierten einige Offiziere mit gestickter Uniform Arm in Arm mit Leuten, die nicht in Uniform waren. Es wurde viel Französisch gesprochen, aber von einigen so schlecht und breit, daß man wohl hören konnte, es waren Deutsche, die es erst in späteren Jahren aus ökonomischer Desperation gelernt hatten. Was ist denn das für ein Trupp dort unter jenen Freiheits- Tannen, der keine Uniform trägt? fragte ich. Das sind Lieferanten an sich, antwortete mein Führer. Hierbei konnte ich mich kaum des herzlichsten Lachens enthalten, über meine eigene Ideen-Verbindung, versteht sich. Mir fielen dabei die Dinge an sich der neuen Philosophie ein, und so gewann der Ausdruck, im Munde eines Postillions, also eigentlich des Mundstücks zum Mundstücke des Posthorns, ein etwas drolliges Ansehen. Der gute Kerl, der sich meinen Schutzengel nannte, war ganz unschuldig dabei. Er verstand unter Lieferanten an sich, eine sehr bekannte Species von Lieferanten, die bloß an sich selbst liefern, und dieses Ungeziefer, deutsches und französisches auf dem Blocksberge zu finden, war nicht unerwartet. Wer würde diese Strichvögel nicht lieber in der Halsschlinge sehen, als hier im Freien streichend?

Gleich hinter der Freiheits-Tanne erblickte ich eine Menge Buden mit Kleidern; alle waren weiß, braun und schwarz. Ich glaubte in Monmouth-street Eine Straße, worin nicht sowohl vor Alter gestorbene Kleider, als vielmehr solche, die die Pest der Mode oft in der Blüte ihrer Jahre hingerafft hat, ihre Auferstehung erwarten, die denn auch nicht ausbleibt; wenn man die Erlaubnis, in den Provinzen und im Auslande zu spuken, Auferstehung nennen kann. in London zu sein. Als ich etwas näher trat, sah ich aus der Überschrift, daß es lauter Ordenshabite waren, vorzüglich Habite junger Nonnen; ich glaube nicht zu irren, wenn ich die Sammlung auf 5000 schätze. Sie waren systematisch aufgehängt, zwischen einem Paare Nonnenkleidern hingen immer einige Mönchshabite. Kapuziner, Franziskaner und die von La Trappe konnte ich deutlich erkennen. Sie schienen sich wie zu umarmen. Jetzt fing ich an diesen Tag zu preisen, der meine Theorie vom Menschen so sehr bestätigte. Leid tat es mir, als ich in denselben Buden einige protestantische Krägelchen, schwarzen Rock und Mantel und schwarz gebundene Bücher mit vergoldetem Schnitt erblickte. Wie ist das in aller Welt möglich? sagte ich ganz laut. Was möglich! versetzte mein Führer, es ist alles möglich, fort, fort, wir haben keine Zeit. Es wird besser kommen. Das nächste war ein kaum übersehbares Gehege, worin es von wilden Schweinen, Hirschen, Rehböcken und Hasen wimmelte. In der Mitte glänzte auf einer erhöhten Tafel in feuriger Schrift:

Von den sämtlichen Untertanen.

Was Henker, fragte ich, haben denn die wilden Schweine in Deutschland Untertanen; – Hier nicht viel gefragt. Sehen Sie, sehen Sie dort die herrlichen Equipagen! Es war zum Entzücken. Zum wenigsten zehn sechsspännige Wagen von einer Leichtigkeit, daß Ein Pferd ihrer sechs gezogen hätte, rennten unter Begleitung von menschlichen Renntieren, schön wie Engel, in ihrem Silber-Geschirr Hieraus können manche Leser lernen, was Diktate reiner praktischer Vernunft sind. Ich wußte, daß mich der Kerl nicht sah, und daß ihn meine Freude weder verwunden noch heilen konnte. Dessen ungeachtet machte ich das ganze Exerzitium an ihm durch, wie an einer Glieder-Puppe., vorüber. Ich kannte keinen von den Herrn darin, doch glaube ich, vier bis fünf Tonsuren bemerkt zu haben, zwei fuhren rückwärts, und vorwärts saßen Damen. Nonnen waren es nicht. O! da hätte ich die Kehrseite sehen mögen, rief ich. Geschwind, geschwind! Sehen Sie, da stehts auf den Kutschen hinten, rief mein Führer. Es war nicht zu verkennen. Die Flammen-Schrift hieß:

Von den sämtlichen Untertanen.

Das haben wir schon einmal gehabt, sagte ich. Nun öffnete sich der Schauplatz immer mehr. Gänge, gedrängt wie die Börse zu Amsterdam um Mittag, zeigten sich zu beiden Seiten. Es war nicht auszukommen, der Geist ermüdete. Ich las bloß einige Aufschriften. Z.B. Gang der alten Tanten. Gang der Ehemänner. Allgemeine Rücken-Devise: Von der Frau. Promenade der Hofmeister. Hier erkannte ich zwei oder drei. Ganz voran stand unser lieber N. mit seinem abgespannten Passions-Gesichte. Er hatte seinen kleinen Dollond in der Hand, und sah gerade nach mir. Ich wollte ihn grüßen, als mir einfiel, daß ich unsichtbar für ihn wäre. Ich sah mich also in der Richtung seines Fernglases um, und siehe, da stand der junge Schurke hinter mir, der gewiß diese gute Seele, zum Dank für ihre weise und väterliche Leitung, tausendmal herauf gewünscht hatte. Ich suchte den Revers des Buben zu gewinnen, um zu sehen, wem er seine Brocken-Reise zu verdanken hätte. Das Zettelchen glühte ganz fein: von seinem ewig treuen Engel, Signora Cassandra, an dem Tage da Monsieur aufhörte zu zahlen. Recht so, dachte ich. Vielleicht zielte der kleine Dollond Hieraus können manche Leser lernen, was Diktate reiner praktischer Vernunft sind. Ich wußte, daß mich der Kerl nicht sah, und daß ihn meine Freude weder verwunden noch heilen konnte. Dessen ungeachtet machte ich das ganze Exerzitium an ihm durch, wie an einer Glieder-Puppe. nach dieser Inskription. Indem ich noch diesem infamen Geschöpfe meine tiefste Verachtung durch Freude bezeigen wollte Hieraus können manche Leser lernen, was Diktate reiner praktischer Vernunft sind. Ich wußte, daß mich der Kerl nicht sah, und daß ihn meine Freude weder verwunden noch heilen konnte. Dessen ungeachtet machte ich das ganze Exerzitium an ihm durch, wie an einer Glieder-Puppe., stieß mich mein Führer fast etwas unsanft an. Ums Himmels willen erschrecken Sie nicht! – Was, was ist denn? – Sehen Sie denn nicht dort den Herrn? – Wo, wo ? I, dort! Sie kennen doch auch wahrlich alle Menschen, und sich selbst nicht. – Wie ein Donnerschlag ging es mir durch alle Glieder, nicht was mein Führer sagte (das wußte ich längst), sondern der Anblick von meinem Ich nicht Ich, zum ersten Male in der Welt, außerhalb des Spiegels, und mit Bewegungen, die mit den meinigen gar nicht in katoptrischer Harmonia praestabilita standen. Ich stand, wie eine Bildsäule versteinert, da; Ich nicht Ich hingegen war sehr munter, schaute umher, und schien sehr viel vergnügter, als sein Er nicht Er. Offenbar mußte etwas zwischen uns sein, was weder Er noch Ich war, und wovon keiner von uns etwas wußte. – Es war ein unbeschreiblicher Anblick, Sich Selbst so, ohne Sich Selbst, gehen zu sehen, wo man bei jedem Tritt der Abbildung zu erblicken fürchtet, was man nicht sieht, wenn man ihn selbst tut. – Aufrichtig zu reden, so gefiel ich mir nicht sonderlich. Ich würde den Hut anders gesetzt, den Stock anders getragen, und mich nicht so oft umgesehen haben, wie Ich nicht Ich. Indes dachte ich: es ist alles sonst so genau und richtig, also vermutlich auch das, was du nicht für so genau hältst. Nun wohlan, sagte ich zu mir selbst, das soll mir der Keim zu einer Theorie des Schauspiels sein. Dieses war eine kleine Autor-Regung, ein Intermezzo, das der Kopf der Autoren ihrem Herzen oft zum besten gibt, wenn er etwas Besseres geben könnte oder sollte. Nun kam der Mensch in mir wieder. – Mir gefiel in Wahrheit der Hut mit dem hohen Deckel, den Ich nicht Ich trug, nicht so ganz, ob Ich gleich Selbst einen solchen aufhatte. Mir fiel der Kopfputz ein. Meine Unruhe und meine Neugierde war unglaublich. Ich hätte einen Fürstenhut darum gegeben, diesen Filz abheben zu können. Auf einmal begegnete meinem Repräsentanten ein alter guter Freund von uns, den vermutlich seine Haushälterin mit ihrem verlobten Exspektanten hierher gewünscht hatte. Mein Echo-Wesen zog den Hut ab. Gerechter Himmel! Was für ein Anblick! Wenn dir je, teuerster Leser, an dem zweiten oder dritten Abend deiner ersten Liebe, der aufgehende Vollmond durch das Blüten-Gitter deiner Laube in dein begeistertes Auge geblickt hat, so hast du den Vollmond ganz mit dem Wonne-Gefühl gesehen, mit dem ich durch ein Gedränge von Bändern, Federn und andern wehenden und nicht wehenden Kopfzierden, meinen kahlen Scheitel erblickte. Er war es völlig, so wie ich ihn noch diesen Morgen vor dem Spiegel gesehen hatte; glatt freilich, aber auch ohne alle Spur von jenen kleinen aber solideren Sprößlingen, die oft der bloße geheime Wunsch des Weibes schon keimen machen soll. Also nicht einmal ein Spießer Ein junger Hirsch, der das erste Mal aufsetzt, und daher nur Spieße statt des Gehörnes hat. Adelung. bist du, dachte ich. Eigentliches Gehörn hatte ich nie gefürchtet. Dieses erfüllte mich mit einem Mute. – O! ich glaube, ich wäre dem Leidigen selbst entgegen gegangen.

Ich. Komm, komm, guter Freund, geschwind, sagte ich zu meinem Führer.

Er. Was denn, was wollen Sie denn?

Ich. Ich muß die Inskription lesen.

Er. Was für Inspektion?

Ich. Guter Tropf, ich will wissen, wer mich auf den Blocksberg gewünscht hat.

Er. O tun Sie das nicht. Es wäre doch wohl möglich.

Ich. Was möglich? Ich fürchte keine Möglichkeit. Komm, komm.

Wir eilten. Ich las den Zettel, und lächelte. Es war nichts Neues. Ich erblickte zwei Namen. Der eine war der von einem sonst scheinbar guten Schlucker, der eine entfernte Anwartschaft auf mein Amt hat, der mir immer zum neuen Jahre gratuliert, und des Monats wenigstens Ein Mal bei mir speist. Der andere, der von einem Bedienten, der nicht mehr allein in Keller gehen darf. – Ich gratuliere, gratuliere aus Ihrem Gesichte, lieber Herr, sagte mein Führer, indem er mir die Hand drückte. – Auf einmal sah er sich um und stutzte – Wat – die – schwere – – rief er, indem er meine Hand wegwarf und lief. Ich wußte in der Welt nicht, was dem guten Kerl angekommen war. – Auf einmal löste sich das Rätsel. Ich sah nämlich das Ich nicht Ich meines treuen Führers einher schreiten, nicht als Spießer, sondern mit dem vollkommensten Gehörn, das ich in meinem Leben gesehen habe, und von Ast zu Ast glänzte die Inschrift: von seiner lieben Ehefrau. Die Worte galten bloß die Verwünschung, das Gehörne bedurfte keiner Inschrift. Ich muß bekennen, weil der Kerl rüstig, jung und schön war, und ich einige Ursache hatte zu glauben, daß seine liebe Ehefrau auch hier irgendwo noch in gleichem Putz spuke, so konnte ich mich des herzlichen Lachens nicht enthalten. Nach dem Gehege mit ihm, nach dem Gehege, rief ein Gedränge von Menschen, worunter selbst einige Spießer waren. Meine Bewegung über diesen sonderbaren Vorfall wurde immer heftiger und so – erwachte ich. – Das, was aber von meinem eigentlichen Ich wieder zuerst recht wieder zu sich kam, war doch wieder der Autor. Ich dachte an meine neue Theorie vom Schauspiele, und fand nun wachend zu meinem nicht geringen Verdruß, daß das alles längst bekannte Sachen waren; längst gedachte und gesagte, wenigstens aber zum erstenmal lebhaft empfunden. Das ist doch immer etwas wert. Ich kam hierbei auf deinen alten Satz, lieber Freund. Du sagtest einmal bei dem Sprichworte: hierüber muß ich mich beschlafen, es gelte bei verwickelten Angelegenheiten des Lebens, wo es gewöhnlich gebraucht werde, nicht vom Schlaf, sondern vom Wachen im Bette, und hauptsächlich dem Erwachen am Morgen; von Gegenständen der schönen Künste hingegen, in mehr eigentlichem Verstande, doch sollte man da lieber sagen: hierüber muß ich mich beträumen. Die größesten Dichter und Künstler seien immer Menschen gewesen, die dieses wachend gekonnt, und immer in desto höherem Grade, je weniger sie sich auf das obige Beschlafen verstanden hätten. – Schade nur, lieber Freund, daß deine Regel den traurigen Umstand mit dem besten gemein hat, daß sie der, der sie versteht und fühlt, nicht nötig hat, und der, der sie nötig hätte, vice versa usw.


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