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Briefe aus England

An Heinrich Christian Boie

[Erster Brief]

London, den 1. Oktob. 1775

Ihr Verlangen, mein lieber B., Ihnen etwas von Herrn Garrick zu schreiben, kann ich nun hoffentlich besser befriedigen, als damals, da Sie es zum erstenmal gegen mich äußerten. Ich hatte diesen außerordentlichen Mann zu der Zeit gerade zweimal gesehen, und das war zu wenig, um ihn ruhig zu beobachten, und nicht lange genug her, um an einen Freund ruhig darüber zu schreiben. Hier kommen nun einige meiner Bemerkungen; nicht alle; Sie sollen künftig die übrigen haben, wenn Sie wollen; Beobachtung und Raisonnement durch einander, und wahrscheinlicher Weise mehr Ausschweifung als beide zusammen; alles, wo möglich, gerade weg, ich meine in der Ordnung und mit den Ausdrücken, die mir die Laune der Minute darbietet, in welcher ich schreibe. Ich weiß, Sie verzeihen mir dieses; ich mache mich gar nicht gerne an Briefe, wo ich das nicht tun darf, oder vielmehr, ich schreibe sie immer lieber morgen und dann – in Ewigkeit nicht. Noch eins, ob ich gleich, nächst deklariertem Nonsense, nichts im Stil mehr hasse, als den Boswellischen festlichen, weissagenden Ton, womit manche Schriftsteller gleich jeden großen Mann, den sie beschreiben, zum Engel und sich zum Propheten erheben, und eine gewisse Feiertagsprose zu stammeln anfangen, die der Wahrheit so trefflich zu statten kömmt, so könnte es doch sein (ich hoffe es nicht) daß mir mein Gegenstand einen kleinen Streich spielte. Merken Sie so etwas, mein Freund, so berechnen Sie den Rabatt gleich selbst, und danken mir indessen, daß ich Ihnen nicht gleich anfangs geschrieben habe.

Ich habe Herrn Garrick nunmehr gerade achtmal spielen sehen, und darunter in einigen seiner vorzüglichsten Rollen. Einmal als Abel Drugger in Ben Jonsons sehr veränderten Alchimisten; einmal als Archer in Farquhars stratagem; einmal als Sir John Brute in Vanbrughs provoked wife; zweimal als Hamlet; einmal als Lusignan in der von Hill veränderten Zaire; einmal als Benedikt in Shakespears much ado about nothing, und endlich als Don Leon in Beaumonts und Fletchers rule a wife and have a wife. Außerdem habe ich ihn selbst gesprochen, und habe nunmehr freien Zutritt in seine Loge.

Unter den erwähnten Charakteren soll es ihm Weston im Abel Drugger gleich tun, so wie Quin ehmals im Sir John Brute, allein noch hat kein Mann seinen Fuß auf ein britisches Theater gesetzt, der es ihm in den übrigen gleich getan hätte, auch ist itzt keiner da, der zu einem solchen Manne nur im einzelnen die mindeste Hoffnung gäbe, und am allerwenigsten zu einem, der alles zugleich werden könnte. Vermutlich leidet auch jene Vergleichung mit Quin und Weston noch eine Einschränkung. Quin im Sir John Brute habe ich zwar nicht sehen können, und den Weston im Abel Drugger nicht gesehen, allein ähnliche Urteile über Garricken, und zwar in Rollen, wo ich die Vergleichung anstellen konnte, haben mich sehr mißtrauisch gemacht. Ich bin nunmehr ziemlich überzeugt, daß ihn in Rollen, die er einmal übernimmt, schlechterdings niemand übertrifft, der nicht Garrick ist, ich meine, in dessen Seele und Körper sich kein solches System von Schauspielertalenten findet, als bei ihm, und einen solchen Mann hat England außer ihm noch nicht gesehen, wenigstens auf seinen Schaubühnen nicht. Was es mit dem Urteil jener Personen über Weston für eine Bewandtnis hat, und über Quin gehabt haben mag, muß ich erklären; es wird sich hierbei manches von Herrn Garrick beibringen lassen, das ich sonst vergessen möchte, und außerdem wollte ich auch nicht, da ich einmal so viel gesagt habe, daß Sie lange glaubten, es gefiele mir Weston nicht, ein Mann, der itzt der Liebling des Volks ist, und der mich mehr lachen gemacht hat, als alle übrige englische Schauspieler zusammen genommen. Ich sage Ihnen künftig einmal mehr von ihm, itzt mag zu meiner Absicht folgendes genug sein:

Weston ist eines der drolligsten Geschöpfe, die mir je vor die Augen gekommen sind. Figur, Stimme, Anstand, und alles erweckt Lachen, ob er es gleich nie zu wollen scheint, und nie selbst lacht. Kaum erscheint er auf dem Theater, so vergißt ein großer Teil der Versammlung wohl gar ihm zu Gefallen das Stück und sieht ihn isoliert seine Künste machen. Sie sehen, vor solchen Richtern kann ein solcher Mann nicht schlecht spielen. Die Leute wollen nur ihn sehen. Mit Garrick ist es ganz anders, man will immer in ihm den wirksamen Teil des Ganzen, und den täuschenden Nachahmer der Natur finden; er könnte also selbst vor seinem England seine Rolle schlecht spielen, wenn er wollte, aber das könnte Weston schwerlich. Nun hat Ben Jonson nur wenig Punkte von Abel Druggers Charakter gegeben, wenn ein Schauspieler durch diese seine Linie ziehen kann, so kann er ziemlich a son aise fortgehen, ohne zu fürchten, daß er übertreten werde. Eine vortreffliche Gelegenheit für Weston, seine eigene Person gut los zu werden, zumal in den langen Zwischenräumen, wo Abel Drugger stumm ist, in einer Stube, wo außer einem Paar Sternseher und Teufelsbanner, Skelette von Menschen, Krokodile, Straußeier und leere Rezipienten stehen, worin wohl gar der Teufel selbst sitzen könnte. Mich dünkt, ich sähe ihn, wie er bei jeder heftigen Bewegung der Astrologen, oder dem geringsten Getöse, das sich nicht gleich selbst erklärt, erstarrt, und mit parallelen Füßen da steht wie eine Mumie, und dann, wenn es vorüber ist, erst mit den Augen zu leben und zu untersuchen anfängt, und dann den Kopf langsam dreht usw. Der größte Teil der Versammlung klatscht und lacht, selbst der Kenner lächelt mit; über den närrischen Teufel: aber bei Garricks Abel Drugger – da fängt der Kenner mit dem Beifall an. Das ist ein ganz anderes Geschöpf, aus der Absicht des Dichters abstrahiert, durch die ausgebreiteste Kenntnis individualisierender Umstände verbessert, und von der obersten Galerie herab leserlich ausgedrückt. Die Gebärdensprache fällt ihm nicht, wenn ich so reden darf, in einer bequemen alles verschlingenden Erstarrung, die am Ende doch unnatürlich läßt, sondern in jeder Minute äußert der arme Abel seinen Charakter, Aberglauben und Einfalt, mit neuen Zeichen. Ich erwähne nur eines Zugs, den Herr Weston nicht einmal nachmachen, geschweige erfunden haben könnte, und an den der Dichter vermutlich auch nicht gedacht hat. Wenn die Astrologen den nunmehr großen Namen Abel Drugger aus den Sternen heraus buchstabieren, so sagt der betrogne arme Tropf mit inniger Freude: Das ist mein Name. Garrick macht daraus eine heimliche Freude, denn sich so gerade heraus zu freuen wäre wider den Respekt. Garrick dreht sich also von ihnen ab, und freut sich ein paar Augenblicke so in sich hinein, daß er wirklich die roten Ringe um die Augen kriegt, die allemal eine große, wenigstens zum Teil gewaltsam unterdrückte Freude begleiten, und so sagt er: das ist mein Name, zu sich selbst. Dieses weise Heimlichtun tat eine unbeschreibliche Wirkung, denn man sah nicht bloß den einfältigen, Hintergangenen passiven Pinsel, sondern einen noch weit lächerlicheren, der mit einer Art von innerem Triumph sich noch wohl gar für einen durchtriebenen Gast hält. So etwas muß man von Weston nicht erwarten. Wo aber seine besondere Simplizität und Figur dem Stück zu statten kommt, da tut er Wunder. So erscheint er in Footes devil upon two Sticks als Dr. Last, als Mawworm im Scheinheiligen und als Scrub im Stratagem. Ich habe ihn in allen dreien gesehen, im letztern mit Garricken zugleich in einigen Szenen. Das sind Szenen, mein lieber B., ich glaube selbst ....'s abgefrömmelte, dem Zeitlichen längst nicht mehr reizbare Wange faltete sich hier wohl einmal wieder zu einem irdischen Lächeln! –

Eine ähnliche Beschaffenheit hatte es vermutlich mit Quins Sir John Brute. Die Leute, die ihn hierin Garrick gleich setzten, und gar hier und da vorzogen, fügten hinzu, Quin wäre selbst eine Art von Sir John gewesen, und das machte, bei mir wenigstens, ihr Urteil sehr verdächtig. Es gehört Kraft dazu, einen Schwachen auf der Bühne gut vorzustellen, und Kenntnis der feinen Welt und des Wertes der guten Sitten, um den versoffenen, liederlichen Sir John, wenigstens für Leute von Welt und Geschmack zu machen. Es gibt leider! Sir Johne in allen Ständen und da, stelle ich mir vor, machte Quin den weidmännischen Taugenichts für die Fuchsjäger, Landjunker und Renommisten; Garrick hingegen den Taugenichts von Geburt und Stand für den Hof und Leute von Geschmack. Daß dieses ein Schauspieler oft tun könne, ohne dem Dichter zu nahe zu treten, ist gewiß nicht zu leugnen. Wie sehr ist z.E. nicht das langsame, schleppende hol' mich d..... das beim herabhangenden schweren Pfeifenkopf im Walde gesprochen wird, von dem schnellen, fast partikelmäßigen unterschieden, das zwischen ein paar artigen Lippen auf dem Billard oder der Parade hervor fliegt. Über das hat man aber auch starke Veränderungen mit dem Stück selbst gemacht. Noch muß ich anführen, daß so wie Garricks Feinde von der einen Seite ihm den Quin an die Seite setzen, weil der wirklich ein Sir John gewesen wäre, so habe ich sie auf der andern nachteilig auf Garricks Charakter schließen hören, weil er den Sir John Brute so gut spielte. Das letztere habe ich so gar in einem öffentlichen Blatte gelesen. Sie sehen also, daß Garrick noch täglich seine Rebhuhne findet. Aus dem, was ich hier angeführt habe, werden Sie leicht, ohne daß ich nötig hätte eine Summe zu ziehen, abnehmen, was das sagen will: Weston und Quin tun es Garricken gleich. Die eine Partei schätzt den Wert des komischen Schauspielers nach der Größe des Kützels, den er ihnen verursacht, ohne zu untersuchen, ob er es als Schauspieler durch eine vorzügliche Auszeichnung seiner Rolle, oder als isolierter Hanswurst tut, und die andere verlangt aus Mangel an Geschmack oder Weltkenntnis allzu starke Züge, und findet bei dem sogenannten Allzunatürlichen ihre Rechnung oder gar im Affektierten. Solche Leute würden oft Garricken schlechtweg tadeln, wenn sie es sicher tun könnten, allein sie würden zu viel für ihren Kredit wagen, daher äußert sich ihr schlechter Geschmack und ihre Unerfahrenheit nur zuweilen darin, daß sie ihm einen schlechtem Schauspieler gleich setzen. Das gebe ich gerne zu (und wer wird es nicht zugeben?) daß Tausende nicht alles sehen, was Garrick zu sehen gibt, darin geht es ihm nicht um ein Haar besser, als seinen beiden nahen Geistesverwandten Shakespear und Hogarth. Um bei ihnen alles zu sehen, muß man zu der gewöhnlichen Erleuchtung noch sein eigenes Lichtchen mitbringen.

Was gibt denn aber nun diesem Manne die große Überlegenheit? Der Ursachen, mein Freund, sind sehr viele, und ein sehr großer Teil derselben liegt in der höchstglücklichen Bildung des Mannes. Allein ob ich gleich ihre Wirkung in der Summe bis zum Hinreißenden mächtig gefühlt habe, so wage ich es doch nicht, sie in einem jeden gegebenen Fall zu analysieren. Es gehört mehr Kenntnis der Welt und mehr Übung in dieser Analyse dazu, als ich habe, und eine öftere Vergleichung, als ich anstellen konnte. Indessen, da einem manches im Umgange mit Menschen von allerlei Stand, Form und Anstand unvermutet klar werden kann (manches ist mir itzt schon deutlicher als es anfangs war) und ich den Mann in den Hauptsituationen mit Figur und Gesicht immer wie lebendig vor mir sehen kann, so könnte es sein, daß ich künftig einmal, wenn ich wieder bei Ihnen bin, etwas Zusammenhängenderes über ihn sagen könnte. Itzt müssen Sie es selbst hier und da aus meinen Briefen heraussuchen. Man hat mich einmal versichern wollen, daß hier ein Mann an einem Werk für die Schauspieler arbeite, das Regeln enthalten soll, von Garricken abstrahiert, aber durch Philosophie auf Grundsätze zurückgebracht, verbunden und geläutert. Ich habe nachher nichts wieder davon gehört. Wenn es an dem ist, so gebe der Himmel, daß der Mann ein Lessing ist, aber die sind leider! hier so selten als in Deutschland. Er sollte noch jung sein, und das macht mir bange, denn auch hier wimmelt es so gut, als in Deutschland von jungen geniesüchtigen Originalköpfen, wie sie sich nennen, die ihr halb Ausgedachtes halb gesagt bei jeder Gelegenheit darbieten, ihren jungen schwärmerischen Anbetern zum Wonnegefühl, allein dem eigentlichen Denker, dem ihr Schwall von Götterprose nicht ein Körnchen Nahrung zuführt, zum Abscheu. Nun näher zur Sache.

Herr Garrick hat in seiner ganzen Figur, Bewegung und Anstand etwas, das ich unter den wenigen Franzosen, die ich gesehen habe, ein paarmal wenigstens zum Teil, und unter den vielen Engländern, die mir vorgekommen sind, gar nie wieder angetroffen habe. Ich meine hier Franzosen, die wenigstens über die Mitte des Lebens hinaus sind; aus der guten Gesellschaft, das versteht sich wohl. Wenn er sich z.E. mit einer Verbeugung gegen jemanden wendet, so sind, nicht der Kopf allein, nicht die Schultern, nicht die Füße und Arme allein beschäftigt, sondern jedes gibt dazu einen gemäßigten Anteil in der gefälligsten und den Umständen angemessensten Verhältnis her. Wenn er, auch ohne Furcht, Hoffnung, Mißtrauen oder irgend einen Affekt hinter den Szenen hervortritt, so möchte man gleich nur ihn allein ansehen; er geht und bewegt sich unter den übrigen Schauspielern, wie der Mensch unter Marionetten. Hieraus wird nun freilich niemand Herrn Garricks Anstand kennen lernen, den nicht schon etwa vorher das Betragen eines solchen wohlerzogenen Franzosen aufmerksam gemacht hat, in dem Fall wäre dieser Wink die beste Beschreibung. Folgendes wird die Sache vielleicht klärer machen. Seine Statur ist eher zu den kleinen als den mittleren zu rechnen und sein Körper untersetzt. Seine Gliedmaßen haben das gefälligste Ebenmaß und der ganze Mann ist auf die niedlichste Weise beisammen. Es ist an ihm kein dem geübtesten Auge sichtbares Gebrechen, weder in den Teilen, noch in der Zusammensetzung, noch in der Bewegung. In der letzteren bemerkt man mit Entzücken immer den reichen Vorrat an Kraft, der, wenn er gut gezeigt wird, wie Sie wissen, mehr gefällt als Aufwand. Es schleudert und schleift und schleppt nichts an ihm, und da, wo andere Schauspieler in der Bewegung der Arme und Beine sich noch einen Spielraum von sechs und mehr Zollen zu beiden Seiten des Schönen erlauben, da trifft er es mit bewundernswürdiger Sicherheit und Festigkeit, auf ein Haar. Seine Art zu gehen, die Achseln zu zucken, die Arme einzustecken, den Hut zu setzen, bald in die Augen zu drücken, bald seitwärts aus der Stirne zu stoßen, alles mit der leichten Bewegung der Glieder, als wäre jedes seine rechte Hand, ist daher eine Erquickung anzusehen. Man fühlt sich selbst leicht und wohl, wenn man die Stärke und Sicherheit in seinen Bewegungen sieht, und wie allgegenwärtig er in den Muskeln seines Körpers scheint. Wenn ich mich selbst recht verstehe, so trägt sein untersetzter Körper nicht wenig dazu bei. Von dem starken Schenkel herab verdünnt sich das richtig geformte Bein immer mehr und schließt sich endlich in dem nettesten Fuß, den Sie sich denken können, und eben so verdünnt sich der starke Arm nach der kleinen Hand zu. Was das für eine Wirkung tun muß, können Sie sich leicht vorstellen. Allein diese Stärke ist nicht bloß scheinbar. Er ist wirklich stark und äußerst geübt und flink. In der Szene im Alchimisten, wo er sich boxt, läuft er und hüpft er von einem dieser netten Beine auf das andere mit bewundernswürdiger Leichtigkeit, daß man glaubt er schwebe, auch in dem Tanz in much ado about nothing, unterscheidet er sich vor andern durch die Leichtigkeit seiner Sprünge, als ich ihn in diesem Tanz sah, war das Volk so zufrieden damit, daß es die Unverschämtheit hatte, seinem Roscius encore zuzurufen. In seinem Gesichte sieht jedermann, ohne viel physiognomisches Raffinement, den glücklichen schönen Geist auf der heitern Stirne, und den wachsamen Beobachter und witzigen Kopf in dem schnellen, funkelnden und oft schalkhaften Auge. Seine Mienen sind bis zur Mitteilung deutlich und lebhaft. Man sieht ernsthaft mit ihm aus, man runzelt die Stirne mit ihm, und lächelt mit ihm; in seiner heimlichen Freude, und in der Freundlichkeit, wenn er in einem Beiseite den Zuhörer zu seinem Vertrauten zu machen scheint, ist etwas so Zutuliches, daß man dem entzückenden Manne mit ganzer Seele entgegen fliegt.

Von seiner Gabe das Gesicht zu verändern haben Sie vermutlich, so wie ich, in Deutschland schon gehört. Der Enthusiasmus seiner Landsleute und der Reisenden hat wohl etwas hier zugesetzt, aber ich glaube doch, daß mehr als die Hälfte wahr ist, und das heiß' ich für den Enthusiasmus gut observiert. Herr G. hat es allerdings hierin zum Erstaunen weit gebracht. Ich werde unter der Hand hiervon Beispiele geben, wenn ich ihn in besondern Rollen beschreibe; hier erwähne ich nur, daß mich z. E. im Sir John Brute, wo ich ihn ganz in der Nähe beobachtete, sein Mund aufmerksam machte, so bald er auf die Bühne trat. Er hatte nämlich die beiden Winkel desselben etwas herab gezogen, wodurch er sich ein äußerst liederliches und versoffenes Ansehen gab. Diese Figur des Mundes behielt er bis ans Ende bei, nur mit dem Unterschiede, daß sich der Mund etwas mehr öffnete, so wie sein Rausch anwuchs; diese Figur muß sich also, in dem Manne, so mit der Idee eines Sir Johns Brutes assoziiert haben, daß sie sich ohne Vorsatz gibt, sonst, sollte man denken, müßte er sie einmal in dem Lärm vergessen, dessen er fürwahr in diesem Stück nicht wenig macht.

Nun bedenken Sie weiter: seit dem dieser vortrefflich gebildete und dabei mit allen Geistesgaben eines großen Schauspielers von der Natur ausgerüstete Mann, in seinem 24sten Jahre, als Exkandidatus Juris, auf einmal auf dem Theater in Goodmansfields erschien, und gleich bei seiner ersten Erscheinung alle Schauspieler seiner Zeit zurück ließ, ward er der Abgott der Nation, die Würze der guten Gesellschaft und der Liebling der Großen. Fast alle die neuern englischen Schriftsteller, die man bei uns so sehr liest, nachahmt und nachäfft, waren seine Freunde. Er half sie bilden, so wie sie ihn wiederum bilden halfen. Der Mensch lag seinem beobachtenden Geiste offen, von dem ausgebildeten und ausgekünstelten in den Sälen von S.James' an, bis zu den Wilden in den Garküchen von S. Giles'. Er besuchte die Schule, in welche Shakespear ging, wo er ebenfalls, wie jener, nicht auf Offenbarungen paßte, sondern, studierte, (denn in England tut das Genie nicht alles, wie in Deutschland) London meine ich, wo ein Mann mit solchem Talent zur Beobachtung seinen Erfahrungssätzen in einem Jahre leicht eine Richtigkeit geben kann, wozu kaum in einem Städtchen, wo alles einerlei hofft und fürchtet, einerlei bewundert und einerlei erzählt, und wo sich alles reimt, ein ganzes Leben hinreichend wäre. Ich wundere mich daher gar nicht, wenn sich dort zuweilen ein Mann bildet, dessen Werke hernach Leute an andern Orten und von mindrer Erfahrung zum Maßstab ihres Wachstums in der Kenntnis des Menschen gebrauchen können, ich meine, in denen man immer mehr findet, je mehr man selbst zur Lesung mitzubringen hat, sondern ich wundere mich, daß London nicht mehrere bildet, ich meine nicht mehrere Garricke oder Hogarthe oder Fieldinge, sondern Leute, die zwar etwas anderes wären, aber es so würden wie jene. Kenntnis der Welt gibt dem Schriftsteller in jeder Klasse Überlegenheit. Sie gibt, wo nicht in allen Fällen seinem Was, doch immer seinem Wie eine Stärke, gegen die der große nachahmende Zauberer nicht aufkommt, so sehr auch Er, oder sein Club oder sein Städtchen das Gegenteil glauben mag, und unter den Umständen glauben muß. Wenn man daher die Welt selbst etwas kennt, so wird man leicht gewahr, daß Garrick auf der Bühne von Kenntnissen Gebrauch macht, die man, dort gezeigt, fast weggeworfen nennen möchte, vermutlich aber nur so lange, als man ihrer selbst noch nicht viele wegzuwerfen hat. Denn es mag damals, als ich nach Garricken hinsah, noch manches Paar Augen nach ihm gesehen haben, das mehr in ihm erblickte als ich, oder wohl gar nicht einmal alles fand, was es suchte. Stellte G. z. E. den wollüstigen Fresser vor, und wollte mit den Fingern untersuchen, ob sein Kapaun oder sein Fasan zur völligen Reife am Spieß gediehen sei, so wollte ich wohl wetten, er sondierte ihn auch mit dem vierten Finger der linken Hand. In allen übrigen wäre dazu zu viel Stärke und zu wenig Gefühl. Man muß aber dergleichen Dinge selbst finden; wenn man sie andern beschreiben will, so läuft man oft grade alsdann, wenn man sich am weisesten dünkt, Gefahr lächerlich zu werden.

Außer den einem guten Schauspieler mehr wesentlichen Eigenschaften besitzt der Mann noch eine Menge anderer, womit man in allen Ständen des Lebens sein Glück macht und die Menschen hinführen kann, wo man sie hin haben will. Dahin rechne ich seine Gabe, einzelnen Menschen so wohl als dem Publikum seine Schwachheiten sehr geschwind abzumerken. Dieses setzt ihn in den Stand, in einem Notfall dem natürlichen Schönen noch den Zusatz von Konventionellen zu geben, ohne welches es in dem Jahr, ja ich möchte fast sagen, an dem Tage den Eindruck nicht gemacht haben würde, den es macht. Ich habe selbst bemerkt, daß wann ihm z. E. bei einem neuen Versuche der laute Beifall, oder die gewohnte Todesstille der Versammlung ausbleibt, so weiß er es sicherlich noch vor dem Schlüsse der Handlung so zu wenden, daß sie erfolgen müssen.

Nun, mein lieber B. wenn Sie sich anders aus dem, was ich gesagt habe, schon einen Garrick haben bilden können, so folgen Sie mir itzt mit ihm in einige Szenen. Ich will heute, weil ich eben dazu aufgelegt bin, die aus dem Hamlet nehmen ,wo ihm der Geist erscheint. Sie kennen ihn schon in diesen Szenen aus Meister Rebhuhns vortrefflicher Beschreibung im Fündling. Die meinige soll jene nicht entbehrlich machen, sondern nur erklären:

Hamlet erscheint in einem schwarzen Kleide, dem einzigen, das leider! noch am ganzen Hofe für seinen armen Vater, der kaum ein paar Monate tot ist, getragen wird. Horatio und Marcellus sind bei ihm und haben Uniform; Sie erwarten den Geist; die Arme hat Hamlet hoch untergesteckt, und den Hut in die Augen gedrückt; es ist eine kalte Nacht, und eben zwölfe; das Theater ist verdunkelt und die ganze Versammlung von einigen Tausenden wird so stille, und alle Gesichter so unbeweglich, als wären sie an die Wände des Schauplatzes gemalt; man könnte am entferntesten Ende des Theaters eine Nadel fallen hören. Auf einmal, da Hamlet eben ziemlich tief im Theater, etwas zur Linken, geht und den Rücken nach der Versammlung kehrt, fährt Horatio zusammen: Sehen Sie, Mylord, dort kommts, sagt er, und deutet nach der Rechten, wo der Geist schon unbeweglich hingepflanzt steht, ehe man ihn einmal gewahr wird. Garrick, auf diese Worte, wirft sich plötzlich herum und stürzt in demselben Augenblicke zwei bis drei Schritte mit zusammenbrechenden Knien zurück, sein Hut fällt auf die Erde, die beiden Arme, hauptsächlich der linke, sind fast ausgestreckt, die Hand so hoch als der Kopf, der rechte Arm ist mehr gebogen und die Hand niedriger, die Finger stehen aus einander, und der Mund offen, so bleibt er in einen großen aber anständigen Schritt, wie erstarrt, stehen, unterstützt von seinen Freunden, die mit der Erscheinung bekannter sind, und fürchteten, er würde niederfallen; in seiner Miene ist das Entsetzen so ausgedruckt, daß mich, noch ehe er zu sprechen anfing, ein wiederholtes Grausen anwandelte. Die fast fürchterliche Stille der Versammlung, die vor diesem Auftritt vorherging, und machte, daß man sich kaum sicher glaubte, trug vermutlich nicht wenig dazu bei. So spricht er endlich, nicht mit dem Anfange, sondern mit dem Ende eines Odemzugs und bebender Stimme: Angels and ministers of grace defend us! Worte, die alles vollenden, was dieser Szene noch fehlen könnte, sie zu einer der größten und schrecklichsten zu machen, deren vielleicht der Schauplatz fähig ist. Der Geist winkt ihm, da sollten Sie ihn sich von seinen Freunden, die ihn warnen nicht zu folgen und fest halten, los arbeiten sehen, immer mit den Augen auf den Geist, ob er gleich mit seinen Gefährten spricht. Aber endlich, da sie es ihm zu lange machen, wendet er auch sein Gesicht nach ihnen, reißt sich mit großer Heftigkeit los, und zieht mit einer Geschwindigkeit, die einen schaudern macht, den Degen gegen sie: by heaven I'll make a ghost of him, that lets me, sagt er. Das ist genug für sie; alsdann legt er den Degen gegen das Gespenst aus: go on I'll follow thee: so geht der Geist ab. Hamlet steht noch immer still, mit vorgehaltenem Degen, um mehr Entfernung zu gewinnen, endlich da der Zuschauer den Geist nicht mehr sieht, fängt er ihm an langsam zu folgen, steht zuweilen still und geht dann weiter, immer mit ausgelegtem Degen, die Augen starr nach dem Geist, mit verwirrtem Haar und noch außer Odem, bis er sich ebenfalls hinter den Szenen verliert. Mit was für einem lauten Beifall dieser Abzug begleitet wird, können Sie sich leicht denken. Er fängt an, so bald der Geist fort ist, und dauert bis Hamlet ebenfalls verschwindet. Was das für ein Triumph ist! Man sollte denken ein solcher Beifall auf einem der ersten Schauplätze der Welt und vielleicht von dem gefühlvollsten Publikum der Welt, müßte jeden Funken von Schauspielergenie in einem Zuschauer zu Flammen fachen. Allein da sieht mans, so handeln, wie Garrick, und so schreiben, wie Shakespear, sind Wirkungen von Ursachen, die sehr tief liegen. Sie werden freilich nachgeahmt, nicht sie, sollte man sagen, sondern das Phantom, das sich der Nachahmer nach Maßgabe seiner eigenen Kräfte von ihnen schafft. Dieses erreicht er oft, übertrifft es wohl gar, und bleibt dem ohngeachtet weit unter dem wahren Original. Der Weißbinder hält sein Werk für so vollkommen, als der Maler das seinige, oder wohl gar für vollkommner. Nicht jeder Schauspieler, der die flachen Hände von ein paar hundert Menschen allezeit zu kommandieren weiß, ist deswegen ein Garrick, und nicht jeder Schriftsteller, der ein paar so genannte Heimlichkeiten der menschlichen Natur, in einer altväterischen Prose, und mit Prunkschnitzern gegen Sprache und gute Sitten auszuplaudern gelernt hat, ist deswegen ein Shakespear.

Der Geist wurde von Herrn Bransby vorgestellt. Er erschien allemal sehr gut, ganz über und über in einem Harnisch, den man durch einen Anzug von stahlblauem Atlas ausdrückt; selbst von dem Gesicht sieht man nichts als die bleiche Nase und etwas weniges zu beiden Seiten derselben.

Dieses mag für heute von Herrn Garrick genug sein, aber schließen kann ich unmöglich, ohne einmal nach den Schauspielern meines Vaterlandes zurück zu sehen. Einige meiner Freunde in Deutschland haben befürchtet, ich möchte mich durch mein häufiges Besuchen der englischen Schauplätze so verwöhnen, daß ich an den deutschen künftig keinen Geschmack mehr finden könnte. Dem Himmel sei Dank! einen solchen Baderstolz hat mir mein bißchen Reisen noch nicht beigebracht, und der müßte es sein, oder noch was Schlechters, wenn ich bei meiner itzigen Überzeugung die Verdienste unserer Schauspieler verkennen wollte. Gerade umgekehrt, ich werde künftig die braven Leute noch weit mehr bewundern, als ehemals, da sie es in den Umständen, in welchen sie sich gemeiniglich bei uns befinden, so sehr weit gebracht haben, wie ich itzo besser, als ehmals, einsehe. Unter denen, die ich in Göttingen, Hannover und Hamburg gesehen habe (die andern Schauplätze kenne ich nicht) könnten nicht allein viele in Drurylane mit spielen, sondern einige würden sogar Aufsehen machen. Ein so allgemeiner Schauspieler als z. E. Herr Ekhof, ist, wenn ich Herrn Garrick ausnehme, auf dem englischen Theater itzt schlechterdings nicht, ob es gleich noch viele gibt, die es in besondern Rollen sehr weit wo nicht zur Vollkommenheit gebracht haben. Z. E. in Drurylane, King, Smith, Dodd, Parsons, Palmer, und hauptsächlich der drollige Weston; alsdann in Coventgarden, Barry, Lewis (der zu einem guten allgemeinen Schauspieler Hoffnung gibt), Lee, Macklin, Shuter und Woodward. Allein gleich Herr Smith in Drurylane, ein ziemlich beliebter Schauspieler und schöner Mann, der auch zu Anfang des Winters, ehe Garrick sich sehen läßt und gegen das Ende, wenn er wieder verschwindet, dessen Rollen, Hamlet, Richard III. etc. mit vielem Beifall spielt, ist weit unter Herrn Ekhof. Die Ursache ist, er hat seine Kunst auch nicht an der Quelle geholt, er ist der Kenner des Menschen nicht, der Herr Ekhof sein muß. Dieses wird aus folgender Anekdote erhellen, die mir ein glaubwürdiger Mann erzählt hat. Vor mehreren Jahren, da freilich Herr Smith der Mann noch nicht war, der er itzo ist, erschrak er zwar als Hamlet in der oben beschriebenen Szene, zog aber zugleich aus Respekt gegen den Geist seines gnädigsten Herrn Vaters den Hut mit einer tiefen Verbeugung ab. Sehen Sie, so gehts den Leuten zuweilen unversehens, die glauben, sie könnten mit Nachahmen auskommen. So etwas hätte Herr Ekhof in seinem 12ten Jahre nicht getan und nicht tun können. Aber dafür kriegte auch Herr Smith damals den Namen Monsieur Hamlet ab, den man ihm nun wieder vergessen hat.

Den Tod der jüngeren Mamsel Ackermann habe ich in einem englischen Blatte vor einigen Monaten nicht ohne die größte Bewegung gelesen. Ist das nicht traurig, mein lieber B.? Ich mag es nicht über mich nehmen zu untersuchen, welcher englischen Schauspielerin sie hätte gleich werden können: itzt wäre es ein trauriges Geschäft, und allemal würde es ein schweres gewesen sein. Von ihrem Alter ist keine da, die das wäre, was sie war, und die zwo oder drei der älteren, die sie itzt übertreffen, hätte sie unter gleichen Umständen vielleicht in ihrem 25sten Jahre alle übertroffen. Sie hat uns indessen gezeigt, was wir in Deutschland mit unsern Treibhäuschen ausrichten können. Wie wenn nun unsere Pflanzen erst gar die Sonne hätten, die sie in England haben, wo sie noch außerdem vor dem Strahl sicher sind, für den bis itzt in Deutschland noch kein Franklin einen Ableiter gefunden hat, obgleich manche Stadt und manches Städtchen seinen Richmann zählt, der für den Vorwitz mit ihm spielen zu wollen, mit seinem Verderben hat büßen müssen.

Ich bin etc.
G. C. L.

 

[Zweiter Brief]

London, den 10. Oktober 1775

Ohne eine Antwort von Ihnen, mein wertester B. auf meinen letzten Brief, und den Leitfaden von Fragen abzuwarten, durch den ich den Weg zu Ihrer Befriedigung geschwinder finden könnte, schreibe ich Ihnen schon wieder. Ich habe itzt gerade Zeit und Mut darnach herumzusuchen, und beide mögten mir fehlen, wann Sie mir den Leitfaden zuwerfen. Lassen Sie also sehen, ob ich sie nicht ohne ihn finden kann. –

Ich habe zuweilen, wenn ich Herrn Garrick mit so vieler Kraft da stehen sah, wenn ich so reden darf, gedacht, ob nicht mancher Schauspieler, der nicht so gut von der Natur ausgebildet ist, als er, dieses durch Kunst einigermaßen ersetzen könnte. Ich mögte wohl wissen, ob man sich auf den Theatern ausstopft, um sich zu verschönern, meine ich, so wie man sich bemalt. Tut man es, woran ich kaum zweifeln sollte, so ist wohl so viel gewiß, man versteht sich nicht überall darauf. Das Knochengebäude manches deutschen Schauspielers ist nicht so schlecht, als der Überzug der Muskeln und des Fettes, an denen Zeit und Krankheit, und in den parisischen Provinzen unsers Vaterlandes, auch noch Hunger und Kummer unaufhörlich nagen. Die erquickende Sicherheit und Festigkeit in der Bewegung, den Vorrat von Kraft, kann ja die Versammlung nicht fühlen, hören will sie sie nicht, also muß sie sie sehen; und die sehe man einmal in einem Paar spitzen Schultern, zylindrischen Schenkeln, oder leeren Ärmeln, oder lattenförmigen Beinen. Ich bin überzeugt, daß es oft eine Kleinigkeit in der Form des Arms ist, was einem Portebras ein lahmes Ansehen gibt. Eine Säule, deren Würfel nur um 1/6 höher wäre als breit, sieht einem geübten Auge gleich aus, als könnte sie das Gebäude nicht mehr tragen. Und was ist die Schönheit einer Säule gegen die vom menschlichen Körper, wovon das Auge der geborne und durch hundertfaches Interesse wachsam erhaltene Richter ist?

Bei den Portebras fällt mir Mrs. Yates ein, die erste Schauspielerin im hohen Tragischen auf Garricks Schauplatz. Diese Frau ist nicht mehr jung, überdas von der Art der hagern, und hat vermutlich nicht die besten Arme. Auch habe ich ihre Arme nie entblößt gesehen, ja nicht einmal im bloßen Handschuh. Jedesmal, auch in solchen Charaktern, wo sich ein schöner Arm schwerlich versteckt hätte, lief der völlige, aber nicht leer scheinende Ärmel, sich von der Schulter an allmählig verengend, bis an die Hand herab, an die er nah und enge anschloß. Die Einförmigkeit, die ein solcher Anzug dem Arm hätte geben können, zu vermeiden, hatte sie etlichemal eine von der Farbe des Kleides stark abstechende Frisur darum gewunden. Die angenehme konische Form des Ärmels, die jedem Zuschauer nicht bloß Freiheit ließ, sondern Anlaß gab, sich den schönsten Arm darunter zu denken, gab ihm auch sichtbare Stärke. Auch wußte sie den Arm so mächtig zu führen, daß man von dieser Frau allein ein Chironomie abstrahieren könnte. Die Schauspieler sollten hierin nicht nachlässig sein, und sich diesen Anschein von Geschicklichkeit nicht versagen, so lang die wirkliche fehlt; denn obgleich die Zuschauer sich nicht alle deutlich sagen können, wo der Fehler liegt, so fühlen sie doch, daß er irgendwo liegen muß, an dem geschwächten Eindruck, den die Handlung auf sie macht, desto gewisser, je weniger sie noch zur Zeit hierüber aus Büchern zu plaudern gelernt haben.

Die unbeschreiblich gefällige Leichtigkeit, Stärke und Sicherheit in der Bewegung: (dieses sind noch immer die besten Wörter die ich dafür finden kann) wodurch sich Herr Garrick so sehr auszeichnet, mögten wohl nicht so leicht zu erhalten sein, ob ich gleich nicht leugnen will, daß die richtige Form seiner Glieder etwas dazu beiträgt. Ich fürchte, es ist vieljährige Zeit und schweißkostende Übung des Leibes, die sich endlich zu dieser Ungezwungenheit aufgeklärt hat, und die, durch beständige Beobachtung schöner, von Personen beiderlei Geschlechts bewunderter und beneideter Männer verherrlicht, itzt bei ihm aussieht, als hätt' er sie umsonst. So wie etwa die Leichtigkeit mit Kraft im Stil der Oligographen des Altertums nicht so wohl die Frucht eines Schlaraffenklimas, als vielmehr die Folge durch tiefes Studium erworbener deutlicher Begriffe, und der Geist aus ganzen Bänden von Exercitiis sein mag, die sie verbrannt haben.

Hierzu kommt nunmehr bei diesem Manne das seelenstärkende Gefühl seiner Überlegenheit. Er hat nichts zu fürchten. Das ganze Publikum sieht aufwärts nach ihm, und die wenigen, die über ihn sein mögen, sind gewiß von der Klasse derer, die stille schweigen. Was Wunder, wenn diese Begeistrung zuweilen ein Licht um ihn verbreitet, das alle übrige Schauspieler verdunkelt? In allem was er tut, oder sagt, ist daher nicht die flüchtigste Spur eines ängstlichen Bestrebens zu gefallen, wodurch so mancher Schauspieler mißfällt. Weiter; wenn er den Hofmann macht, so tritt in ihm kein armer Teufel auf, sondern es ist der Mann von Welt selbst, den man sieht; der Mann, der diesen Abend an dem papiernen Hof in Drurylane und morgen vormittag an dem goldnen in St. James glänzt. Wie viel Hofleute, und was sage ich Hofleute? Wie viel Hamlete mögen denn überhaupt wohl in der Welt sein, die das sind, was der Mann zwischen seinen vier Wänden ist? Dieses waren wieder ein paar Pinselstriche an seinem Porträt als Garrick. Nun noch ein paar am Hamlet.

In dem vortrefflichen Monolog: O that this too, too solid flesh would melt etc. bringt er, um mich astronomischer Kunstwörter zu bedienen, wieder eine Menge von den kleinen Gleichungen an, womit er die Handlung eines mittleren Menschen zur Wahrheit und Bestimmtheit des Individuums verbessert. Die Tränen des gerechtesten Schmerzes für einen tugendhaften Vater, um den eine leichtsinnige Mutter, nicht allein keine Trauer, sondern kein Leid mehr trägt, zu einer Zeit, da die Schmarotzer noch Schwarz tragen sollten, die unaufhaltsamsten unter allen Tränen, vielleicht, da sie bei einem solchen Kampf von Pflicht mit Pflicht die einzige Erleichterung sind, die sich ein rechtschaffenes Herz verschaffen kann, überwältigen Garricken völlig. Von den Worten: So excellent a King geht das letzte ganz verloren; man sieht es nur an der Bewegung des Mundes, der sich gleich darauf fest und zitternd schließt, um den allzu deutlichen Ausdruck des Schmerzes durch die Lippen, der sich ins Unmännliche ziehen könnte, zu hemmen. Diese Art Tränen fallen zu lassen, die mit der ganzen Last des innern Schmerzes auch zugleich die männliche Seele zeigt, die unter ihr leidet, teilt sich unaufhaltsam mit. Ist man aber erst einmal Shakespearn in der Reihe, so wird jedes Wort ein Schlag, wenn es Garrick spricht. Am Ende des Monologs mischt sich gerechter Unwille mit seinem Schmerz, und einmal, da sein Arm heftig, wie mit einem Streich, herunter fällt, um einem Wort im Unwillen Nachdruck zu geben, bleibt dieses Wort, unerwartet für die Zuhörer, von Tränen aufgehalten aus, und kömmt erst nach einigen Augenblicken mit den Tränen zugleich nach. Ich und mein Nachbar, mit dem ich noch kein Wort gesprochen hatte, sahen uns hier einander an, und sagten etwas. Es war unwiderstehlich.

Der berühmte Monolog: To be or not to be etc. macht natürlich den großen Eindruck auf den Zuhörer nicht, und kann ihn nicht machen. Er tut aber doch ungleich mehr, als man von einem Räsonnement über Selbstmord und Tod in einem Trauerspiel erwarten sollte, deswegen, weil ihn nicht allein ein großer Teil der Versammlung wie ein Vaterunser auswendig weiß, sondern auch, mögte ich sagen, jedermann wie ein Vaterunser sprechen hört, zwar freilich nicht mit den großen begleitenden Ideen unsers geheiligten Gebets, aber doch mit einem Gefühl von Feierlichkeit und Würde, wovon sich jemanden, der England nicht kennt, kein Begriff geben läßt. Shakespear ist auf dieser Insel nicht berühmt, sondern heilig; man hört seine Sittensprüche überall; ich selbst habe sie am 7ten Februar, an einem wichtigen Tag, im Parlement gehört. So verwächst sein Namen mit den ehrwürdigsten Ideen; man singt aus ihm und von ihm, und daher lernt ihn ein großer Teil der englischen Jugend eher kennen als das ABC und den Pontius Pilatus.

Hamlet, der, wie ich schon erinnert habe, in Trauer ist, erscheint hier, weil er schon angefangen hat, den Verrückten zu spielen, mit dickem, losem Haar, davon ein Teil über die eine Schulter hervorhängt; einer von den schwarzen Strümpfen ist herunter gefallen und läßt den weißen Unterstrumpf sehen, auch eine Schlinge des roten Kniebandes hängt über die Mitte der Wade herab. So tritt er langsam und in tiefer Betrachtung hinter den Szenen hervor; das Kinn unterstützt er mit der rechten Hand, und den Ellbogen des rechten Arms mit der linken, und sieht mit großer Würde seitwärts auf die Erde nieder. Hierauf, indem er den rechten Arm von dem Kinn wegbringt, aber, wo ich mich recht erinnere, ihn noch durch den linken unterstützt hält, spricht er die Worte To be or not to be etc. leise, aber wegen der großen Stille (und nicht aus einer besondern Gabe des Mannes, wie sogar in einigen Schriften steht) überall vernehmlich.

Eine kleine Sprachanmerkung muß ich hier machen. In der vierten Zeile dieses Monologs schlagen doch einige vor, against assailing troubles anstatt against a sea of troubles zu lesen, weil man gegen ein Meer die Waffen nicht ergreifen könne. Herr Garrick sagt dem ungeachtet against a sea of troubles. Ich gebe Ihnen hier bloß Garricks Stimme; was er für Autoritäten für sich hat, untersuche ich nicht. Mir würde es hier schwer werden, und Sie können das auf der Göttingischen Bibliothek in einem Wink ausmachen.

Eben so mit Anständigkeit verwirrt ist auch zuletzt, da die Vernunft von ihr gewichen ist, der Anzug der Ophelia. Sie ward von Mrs. Smith, einer jungen Frau, die sich für diese Rolle vortrefflich schickt, (ob sie gleich für viele andere, die sie spielt, nicht Leben genug hat) einer guten Sängerin, vorgestellt. Ihr langes flächsenes Haar hing zum Teil den Rücken herab und zum Teil über die Schulter hervor; in der Linken hielt sie einen Büschel unverworrnes Stroh, und ihr ganzes Tun in ihrem Wahnsinn war sanft, so wie die Leidenschaft, die die Ursache davon war. Die Lieder, die sie vortrefflich sang, hatten etwas so Klagendes, Sanftes und Melancholisches, daß ich sie noch lange nachher in der Nacht, wenn ich allein war, zu hören glaubte. Überhaupt ist diese ganze Szene bis zum Schmerz rührend, und läßt eine Wunde in der Seele zurück, die Shakespear so ganz fortschmerzen läßt, daß man wünschen mögte, man hätte die arme, unglückliche Ophelia nicht gesehen. Wäre doch Voltaire hier gewesen und hätte Mrs. Smith über den Shakespear kommentieren hören! Ich traue es fast dem ungewöhnlichen Mann zu, daß er bereut haben würde, was er wider diese Szenen gesagt hat. Das weiß ich, hätte ich je so was geschrieben, mit voltairischen Witz und Einfluß auf die Schwachen versteht sich, und hätte nachher gesehen, was ich gesehen habe, fürwahr, ich hätte Shakespears Geist in den Zeitungen um Vergebung gebeten. Aber Einen Sieg hat doch Voltaire in Drurylane erhalten: die Todengräberszene bleibt weg. In Coventgarden behält man sie noch bei. Das hätte Garrick nicht tun müssen. Ein so altes, herrliches Stück mit aller seiner charakteristischen, rohen Stärke aufgeführt, hätte doch, in dieser süßen Zeit, wo auch hier die Sprache der Natur konventionellschönem Gewäsch zu weichen anfängt, den Fall zuweilen wieder einmal gebrochen, wenn es ihn auch nicht hätte aufhalten können.

Einige der schönsten Szenen muß ich übergehen, unter andern die, wo er die Schauspieler unterrichtet, und dann die, in welcher er seiner Mutter die Vergleichung zwischen seinem Onkel und seinem Vater ins Herz donnert, und der Geist darüber erscheint; ein Schlag auf den andern, ehe man sich noch erholt hat. – Es führt ins Unendliche. Ich beschließ also hier das Trauerspiel und gebe Ihnen nur noch eine kurze Farce.

Sir John Brute ist nicht bloß ein liederlicher Hund, sondern Garrick macht auch einen alten Gecken aus ihm. Das letztere ist gleich im Anzug sichtbar. Auf eine Perücke, die noch so ziemlich zu seinen Jahren paßt, hat er ein kleines bordiertes Modehütchen, so leichtfertig hingeworfen, daß es schlechterdings nichts von der Stirne bedeckt, was nicht schon von der Perücke bedeckt wäre. In seiner Hand hält er einen von den eichenen Hakenstöcken, mit denen sich die jungen Poltrons im Park des Morgens (so heißt hier die Zeit von 10 Uhr bis 3) das Ansehen von verteufelten Kerlen geben. Es ist eigentlich ein Prügel, an dem nur dünne Spuren von Kunst und Kultur zu sehen sind, gerade so wie gemeiniglich auch an dem menschlichen Bengel, der ihn trägt. Diesen Stock braucht Sir John, seine Worte mit Gepolter zu unterstützen, zumal wenn nur Frauenzimmer gegenwärtig sind, oder auch einmal in der Hitze hinzuschlagen, wo niemand steht, der es übel auslegen könnte. –

Auf allen Schauplätzen gibt es fast immer irgend einen oder den andern Schauspieler, der den Betrunkenen mehr als erträglich macht. Die Ursache ist leicht zu finden. Es fehlt nirgends an Gelegenheit zur Beobachtung, und, was wohl der Hauptgrund sein mag, dergleichen Rollen haben ihrer Natur nach, weder enge, noch sehr scharf abgeschnittene Grenzen. Dem ungeachtet spielt Herr Garrick den betrunkenen Sir John so, daß ich gewiß den außerordentlichen Mann in ihm erkannt haben würde, auch wenn ich nie etwas von ihm gehört, und ihn selbst in diesem Stück nur in Einer Szene gesehen hätte. Vom Anfange sitzt die Perücke noch gerade, und man sieht das Gesicht voll und rund. Nun kommt er äußerst betrunken nach Haus, da sieht es aus wie der Mond ein paar Tage vor dem letzten Viertel; fast die Hälfte ist von der Perücke bedeckt; der Teil, den man noch sieht, ist zwar etwas blutig und glänzt von Schweiß, ist aber dafür äußerst freundlich, so daß er den Verlust des andern wieder ersetzt. Die Weste ist von oben bis unten offen, die Strümpfe voller Falten, und die beiden Strumpfbänder hängen herab, und zwar – sehr mystisch – zweierlei Strumpfbänder; es ist nur ein Wunder, daß er nicht gar Schuhe von beiderlei Geschlecht erwischt hat. In diesem betrübten Zustand kommt er zur Frau in die Stube, und auf ihr ängstliches Befragen, was ihm fehle (und sie hat Ursache so zu fragen) antwortet er mit gesammelten Kräften: Frau, gesund wie ein Fisch im Wasser, und doch regt er sich nicht vom Türpfosten weg, an dem er fest sitzt, als wenn er sich den Rücken reiben wollte. Dann wird er grob und tut auf einmal wieder so weinklug und so freundlich, daß die ganze Versammlung in einen Aufruhr von Beifall ausbricht. In der Szene, wo er einschläft, hat er mich in Erstaunen gesetzt. Die Art, wie er bei geschlossenen Augen, schwimmendem Kopf, und blaß mit der Frau zankt, und, mit r und l in einen Mittellaut zusammengeschmolzen, bald schimpft und bald eine Sittenlehre zu lallen scheint, wovon er das scheußlichste Widerspiel ist; wie er die Lippen bewegt, daß man nicht weiß, ob er kaut, oder schmeckt, oder spricht, das alles war so weit über meine Erwartung, als irgend etwas, was ich von diesem Manne gesehen habe. Sie sollten ihn nur das Wort praerogative aussprechen hören; er kommt ohne zwei drei Versuche niemals auf die dritte Silbe. Vanbrugh hat dieses herrlich gebraucht. Es ist das rechte Losungswort zu Schlägen in den politischen Biergesellschaften von England, wo man sich um den Begriff nichts bekümmert, und kann sehr gefährlich werden, wenn die Mitglieder so weit sind, daß sie es nicht mehr aussprechen können. So schön aber auch dieses Stück gespielt wird, denn Lady Brute wird von Miß Young und Lady Fancyful von der berühmten Mrs. Abington vorgestellt: so wäre es, dünkt mich, doch besser, es nie auf das Theater zu bringen. Man hat zwar die schändliche Szene, wo sich Sir John Brute in einen Geistlichen verkleidet, und so mit der Scharwache balgt, dahin abgeändert, daß er diese großen Taten nun im Reifrock, Saloppe und Kopfzeug verrichtet, wogegen man nichts mehr einzuwenden hat, allein dem ungeachtet sind hier und da noch abscheuliche Sachen, beleidigend für Ohren und Augen.

Ich habe schon neulich gesagt, daß Garrick die Gabe, alles zu individualisieren in einem so sehr hohen Grad besitzt; daß dieses nicht wenig zu seiner Überlegenheit beiträgt, und doch sollte ich denken, müßte sich das mit etwas Aufmerksamkeit, nicht auf Schauspieler, sondern auf Menschen in Gesellschaft, zum Teil wenigstens, leicht erhalten lassen. Wenn nur die Schauspieler erst wüßten, worauf sie acht haben sollten. Der Theatermensch kann, trotz seiner Aussteuer vom Dichter, noch immer frieren, wenn ihn der Schauspieler nicht warm anzieht, zumal, wenn der erstere nur französische Zeuge gibt. Garrick greift, wenn es nötig ist, mit der linken Hand lieber in die rechte Tasche, ehe er eine Prise Schnupftabak wechselt, die er zwischen den Fingern der rechten hat. Er kann, in einen unerfahrnen unbeholfenen Menschen verkleidet, sein erstes spanisches Rohr so tragen, daß man glaubt, er trüge es für seinen Herrn zum Silberschmied, oder feil, oder hätte ein Barometer darin. Eine Gleichungstafel, die solche Züge enthielte, wäre kein geringes Geschenk für die Schauspieler, und, unter uns, für unsere dramatischen Dichter und Romanenschreiber. Alle (man darf wohl so allgemein sprechen, wo nur zwei oder drei ausgenommen werden können, deren Wert bekannt genug ist) schreiben, als fehlte es ihnen an Stoff zur Beobachtung oder an Geist dazu, und die meisten, als fehlte es ihnen an beiden. Wenn ein Jurist aufgeführt wird, so kann man sicher daraufrechnen, daß leges und nur der Justinian vorkommen; der Advokat erscheint allemal mit seinen weitläuftigen Zeilen und langen Prozessen; der Fähndrich flucht, oder spricht von Prügeln, und ihre Menschenfreunde haben, wo sie gehen und stehen, eine Träne in den Augen und einen harten Gulden in der Hand. Das ist nun alles ganz gut, und mag für die Primaner genug sein, und für 9 unter 10 von den χαλοισ χ' αγαθοισ, die ihre Meinungen über Bücher gedruckt sagen. Aber ist das Shakespears Kunst? Fürwahr so wenig als Kreuzmachen Christentum. Ich sollte denken, der Advokat, der Gastwirt, der Kaufmann, der Krämer, der Barbier, der Ladendiener, der Konsul im Städtchen, alle hätten ihre eigne Staatsklugheit, ihre eignen Grundsätze des guten Geschmacks, ihre eigne Physiognomik, ja ihre eigne Astronomie. Wer sich das Vergnügen machen will darauf zu achten, wird es bald finden. Am deutlichsten zeigen sie sich, wenn diese Leute in Gegenwart ihrer Untergebenen sich mit einem Mann vom Fach das Ansehen einer Kollegialschaft geben wollen. Ich zeigte einmal einer Gesellschaft, die wenig oder nichts von Astronomie wußte, den zunehmenden Mond durch ein Fernrohr, das stark vergrößerte. Verschiedene darunter fragten, ob nicht Tropfen auf dem Glase hingen? Die Flecken im Monde haben in den Vierteln wirklich einige Ähnlichkeit mit Regentropfen an einer Fensterscheibe, in denen sich etwa die gegenüberstehenden Häuser dunkel und der Himmel hell darstellt. Dieses war alles gut, es waren Frauenzimmer, die keinen Anspruch auf Gelehrsamkeit machten, und ihrer Empfindung getreu fragten. Allein auf einmal wendete sich ein Mann gegen mich, und drückte die Unwissenden sanft zurück: sagen Sie mir einmal, fragte er, sind diese Tropfen nicht eigentlich was man influxum lunae physicum nennt? Wiederum, in einer sehr gemischten Gesellschaft in einem Gasthofe fragte mich ein anderer: Nicht wahr, Herr.....Die Polhöhe ist, wenn man des Abends hinausgeht und sieht in die Höhe? dabei sah er wirklich unter einem Winkel in die Höhe, der vermuten ließ, daß ihm einmal jemand den Polarstern gezeigt haben mußte. Ein Muster von einer konfusen Idee konfus ausgedruckt. Können Sie wohl raten, wer diese Leute waren? Lavaters Engel, der aus einem gegebenen Zahn den Mann restituiert, dem er zugehörte, müßte dieses augenblicklich wissen. Ihnen will ich es sagen, wenn Sie das Rätsel allenfalls jemanden aufgeben wollen. Der letztere war ein eingebildeter, reicher Krämer, der sich bei einigen der gegenwärtigen ein Ansehen von Gelehrsamkeit geben wollte, wenn es auch mit einigem Verlust bei den übrigen verbunden sein sollte, und der erstere ein nicht mehr ganz nüchterner katholischer Kanonikus. Für heute mag das genug sein. Künftig sage ich Ihnen etwas über Garricks Bildnisse, etwas von Weston vielleicht und den Frauenzimmern, vermutlich auch von Gabrielli, die Sie aus Brydones Reise kennen werden. Sie ist hier und wird ehestens als Dido erscheinen. Leben Sie wohl!

G. C. L.

 

[Dritter Brief]

London, den 30. Nov. 1775

Ein unangenehmer Vorfall, die Unpäßlichkeit eines meiner Reisegefährten gibt mir itzt ganz unvermutet Zeit zur Erfüllung meines Versprechens, Ihnen, liebster B., noch einmal vor meiner Abreise zu schreiben, welches mir sonst unmöglich gewesen wäre. Ich wende nun einen Teil dieser Frist mit desto größerer Bereitwilligkeit auf diese Beschäftigung, als sie mir, außer dem Vergnügen, das mir jede Unterhaltung mit Ihnen gewährt, auch noch den Mangel an freundschaftlichem Umgang ersetzt, den ich als ein, nach bereits genommenem Abschied, pro absente Erklärter, gewissermaßen hier leide.

Ohne das mindeste von dem zu vergessen, was ich Ihnen von Weston und einigen Schauspielerinnen auf den englischen Bühnen versprochen habe, fange ich wieder mit Garrick an.

Mich dünkt, ich habe Ihnen schon einmal gesagt, daß er den Hamlet im französischen Kleide spielt. Es scheint allerdings sonderbar. Ich habe ihn deswegen öfters tadeln hören, aber doch niemals zwischen den Akten, oder beim Nachhausefahren, oder hinten drein beim Abendessen, sondern immer nach verloschenem Eindruck, und bei wieder erwachtem Kopf, im kalten Gespräch, wo, wie Sie wissen, sehr oft gelehrt für gut, und auffallend für scharfsinnig angenommen und gegeben wird. Ich muß gestehen, dieser Tadel hat mir nie so recht eingewollt. Und bedenken Sie nur, ob es so sehr schwer war so behutsam zu sein.

Einmal wußte ich: Garrick ist ein äußerst scharfsinniger Mann, der das genaueste Register über den Geschmack seiner Nation führt, sicherlich nichts ohne Ursache auf der Bühne unternimmt, und überdas das ganze Haus voller alter Trachten hängen hat; ferner ein Mann, bei dem jedes Tags Erfahrung nicht zu monströser Erweiterung des Maulwerks, sondern zu Beförderung harmonischen Wachstums von einem gesunden Kopf den gehörigen Stellen zugeführt wird. Und der Mann sollte nicht sehen können, was jeder Londonsche Macaroni mit Händen greifen zu können glaubt? Er, der schon vor 30 Jahren war, was seine meisten Tadler ziemlich erbettelt itzt sind; Anstatt also einzustimmen, fing ich an bei mir zu überlegen, was ihn wohl bewogen haben könnte, so etwas zu tun. Ich dachte lang umher, wenigstens zu meiner eigenen Beruhigung etwas zu finden, als ich bei der zweiten Vorstellung des Hamlet, die ich sah, in dem Augenblick, da er den Degen gegen den Horatio zieht, vermutlich mit Garricks Empfindung zusammen traf. Nach meinem System ist er nun entschuldigt; er würde sogar bei mir verlieren, wenn er anders erschiene. Ich lasse jedermann seine Freiheit, damus petimusque. Ich weiß es sehr wohl, daß man bei solchen Dingen durch eine gewisse vermeintliche Anspannung nur allzuoft durch den Weg des Superfeinen endlich zu demselben Irrtum geleitet wird, den der andere auf dem weit bequemeren der Übereilung geschwinder findet. Aber dem sei, wie ihm wolle, verschweigen kann ich Ihnen meine Gründe nicht, die, wenn sie auch gleich nicht Garricks sein sollten, doch denkende Schauspieler hier und da auf etwas Bessers leiten könnten.

Mir kommt es vor, als wenn alte Trachten auf der Bühne für uns, wenn wir nicht gar zu gelehrt sind, immer eine Art von Maskeradehabit wären, der zwar, wenn er schön ist, gefällt, allein, das geringe Vergnügen, das er gewährt, kann selten ganz zu der Summe des übrigen geschlagen werden, das den Eindruck des Stücks vermehrt. Es geht mir hierin, wie mit den deutschen Büchern mit lateinischen Lettern. Für mich sind sie immer eine Art von Übersetzung. Der Augenblick, den ich anwenden muß, mir diese Zeichen in mein altes darmstädtisches ABC zu übersetzen, ist dem Eindruck nachteilig. Ein Sinngedicht würde bei mir die ganze Kraft des ersten Mals verlieren, wenn ich es z.B. bei umgekehrtem Buch heraus buchstabieren müßte. Von den subtilen Fäden, an denen unser Vergnügen hienieden hängt, ist es Sünde, auch nur einen ohne Not durchzuschneiden. Da also, sollte ich denken, wo unsre itzige Kleidung in einem Schauspiel nicht die empfindliche Majestät unserer Schulgelehrsamkeit beleidigt, sollen wir sie auf alle Weise beibehalten. Unsere französischen Röcke sind längst zur Würde einer Haut, und ihre Falten zur Bedeutung von Mienen gediehen, und alles Ringen, Krümmen, Fechten und Fallen in einer fremden Tracht verstehen wir zwar, aber wir fühlen es nicht. Den Fall eines Hutes während eines Kampfes fühle ich völlig, den von einem Helm weit weniger, er könnte sich auf die Ungeschicklichkeit des Akteurs schieben lassen, und lächerlich aussehen. Ich weiß nicht, wie fest ein Helm sitzen muß und kann. Als Garrick in oben erwähnter Stellung den Rücken zum Teil gegen die Versammlung kehrte, und ich bei seiner Anstrengung die bekannte Diagonalfalte von der Schulter nach der entgegengesetzten Hüfte erblickte, fürwahr, ich hätte selbst sein Gesicht ein paarmal dafür hingegeben. In dem dintigen Mantel, von dem Hamlet einmal spricht, hätte ich bei weitem das nicht gesehen. Ein gut gebauter Schauspieler, (und das sollten wenigstens alle die sein, die sich mit dem Trauerspiel abgeben) verliert allemal in einer Tracht, die sich zu sehr von der entfernt, die irgend einmal im Leben, bei einem früher, beim andern später, keiner der geringsten Gegenstände unserer Wünsche, und die süßeste Befriedigung jugendlicher Eitelkeit war, und in der unser Auge das zu viel und zu wenig bis zu Strohhalmebreiten anzugeben weiß. Wohlverstanden, daß ich hiermit nicht sage: Cäsar und Englands Heinriche und Richarde sollten in Gardeuniform mit Schärpe und Ringkragen einher treten. Diese und ähnliche Abweichungen von einem allgemeinen Gebrauch zu empfinden und zu ahnden, hat jedermann Kenntnisse und antiquarischen Stolz in der Schule und von Kupferstichen, Münzen und Ofenplatten gesammlet. Ich meine nur, wo der Antiquar in den Köpfen eines Publikums über einen gewissen Artikel noch schlummert, da soll der Schauspieler nicht der erste sein, der ihn wecken will. Das kleine episodische Vergnügen, wenn ich so reden darf, das mir der schnöde Prunk eines Maskeradenhabits macht, ersetzt mir den Eintrag nicht, der dadurch dem Stück von jener andern Seite geschiehet. Alle Zuschauer leiden den Verlust, sie glauben nur nicht alle, daß das die Ursache sei. Doch ist hierin der Geschmack eines einsichtsvollen Schauspielers, der die Stärke und Schwäche der Augen kennt, vor die er treten soll, über alle Regeln. In dem Fall, den ich voraussetze, findet sich London in Absicht auf den dänischen Hamlet, und hat da Garrick nötig, es zum Schaden beider Parteien klüger zu machen? Garrick entbehrt gern von der einen Seite ein bißgen Lob seiner Gelehrsamkeit, wenn ihm von der andern die Herzen zu Tausenden zufallen.

Nun kommen Sie, mein Freund; wegen dieses ästhetischen Schattenspiels, aus dem vielleicht etwas für den Genius Quinquennii zu machen gewesen wäre, wenn einer unserer philosophischen Savoyarden sein erhabenes Babel dazu hätte anstimmen wollen, sollen Sie nun, wo nicht schadlos gehalten, doch wenigstens durch Abwechslung erquickt werden. Ich will Ihnen den drolligen Weston, von welchem ich Ihnen, als ich seinen Charakter in meinem ersten Briefe flüchtig entwarf, etwas mehreres versprach, ein paar Szenen zeigen. Dieses sonderbare Geschöpf kam aus der Küche von St. James, wo sein Vater Koch vom zweiten Range war, auf einmal aufs Theater, mit einer Figur, die im Vorbeigehn auf der Straße gesehen, so wenig für dasselbe gemacht zu sein scheint, daß in der Tat ein Garrick und ein Foote nötig war, es zu finden. Denn die fanden's. Er ist von kleiner hölzerner Statur, und seine Staatspositur ist daher die mit den beiden Händen in den Rocktaschen. Seine Gesichtsbildung ist äußerst roh, die Lippen etwas dicke, und die Nase von der Familie der Schuhleistförmigen. Allein aus den Augen, die daher kaum in dieses Gesicht zu gehören scheinen, blickt der beobachtende Schalk und Garricks glücklicher Nebenbuhler, in dem Fache nämlich. Seine Stimme ist gedrückt und pelzig, und seine Rede langsam. Ich habe solche Figuren fast in allen Städten, wo ich gewesen bin, des Sonntags gesehen, ich weiß nicht, ob es Seilwinder oder Gemüsgärtner waren, nicht ganz so glatt und auch nicht so geschmeidig, als die Bäcker. Ich muß mich näher erklären. In einem Stück, worin ich mir ihn eben itzt gedenke, trug er einen Rock von himmelblauem Tuch, das sich ins Nebliche zog, eine rote Weste, schwarze Beinkleider und blaue Strümpfe; die Schuhschnallen saßen, dünkt mich, etwas am äußern Abhang des Fußes, und das ungebundene Haar hing ihm in Gruppen, wie gelbe Wurzeln, um den Kopf. Wenn er daher aufs Theater tritt, so glaubt man, es hätte sich jemand, ohne bemerkt zu werden, von der Straße dahin verlaufen, so natürlich kleidet er sich, und so ungezwungen erscheint er. Das verrät nichts Gemeines.

Sie sehen aus allem, zum Chamäleon ist er verdorben, er tut alles, was er tut, durch den Fuchs. Die Natur, die ihn von der einen Seite bestimmt zu haben scheint, Lachen zu erregen, scheint ihn von der andern der Fähigkeit beraubt zu haben, selbst zu lachen. Er ist immer ernsthaft, oder lächelt nur, und dieses selten; auch währt es lang, bis es im ganzen Gesicht herumkommt. Ich habe es einmal gesehen, da ihm in einem Stück ein niedliches Kammermädchen, um ihn ins Interesse ihrer Dame zu ziehen, die Backen tätschelt. Das Gesicht klärte sich zwar langsam, endlich aber auch zu einem solchen Grade auf, daß wenigstens zwei Dutzend Zähne herauskamen, worunter mancher nicht klein war. Da war schwerlich ein Mund im Schauspielhause, der nicht, ein jeder nach seiner Art, mit gelacht oder gelächelt hätte. Weil er bei allem diesem so sehr halsstarrig original, und keinem Charakter einen Schritt zu Gefallen geht, so haben die Dichter die Charaktere zu ihm hingebracht. So soll Jerry Sneak in Foote's Mayor of Garret, welchen er so unnachahmlich spielt, nach Weston geformt sein, und da ists freilich kein Wunder. Auch der Bediente in einem Stück, das itzt viel Lärm macht, The maid of the oaks, wird nicht bloß von Weston vorgestellt, sondern der Dichter hat Weston zum Bedienten im Stück gemacht. Ich habe, glaub' ich, in meinem ersten Briefe einer Szene in Farquhars Stratagem erwähnt, worin ich Garrick und Weston beisammen gesehen habe. Ich will sie Ihnen gern nach Vermögen beschreiben, wiewohl ich noch sehr zweifle, ob ich nur einen erträglichen Schattenriß davon werde machen können. Der Schauspieler sowohl als der Zuschauer sind beide immer mehr im Lustspiel zu Haus, als im Trauerspiel, und was der erstere auch selbst durch die feinste Kunst im Trauerspiel hervorbringt, läßt sich immer, dünkt mich, leichter in Worte fassen, als was die unerschöpfliche Natur im erstem sowohl tut als bemerkt. Ich kann eine solche Szene, worin die beiden Lieblinge eines erleuchteten Volks sich bemühen, zu ihrem längst gegründeten Ruhm, ohne Übertreibung, in dem Zaum der geübtesten Vernunft, etwas hinzuzutun, nicht beschreiben. Alles, was ich tun kann, ist, einer Einbildungskraft, deren Wirkungskreis mir unbekannt ist, auf Geratewohl einige Winke zu geben, sich selbst etwas Ähnliches zu schaffen.

Garrick macht den Archer, einen Herrn von Stand, der sich aus leicht zu erratenden Ursachen in einen Bedienten verkleidet hat, und der arme Weston den Scrub, einen Aufwärter in einem armseligen Wirtshause, worin jener einkehrt, und wo man alle Bedürfnisse des Magens und Ergötzlichkeiten des Gaumens immer gestern hatte, und morgen wieder haben wird, aber niemals itzt hat. Garrick hat himmelblaue Livree, mit funkelndem Silber reich besetzt, einen blendenden Bortenhut mit einer roten Feder, spielt ein Paar weiße, glänzende, seidene Waden, und ein Paar Schnallen, die nicht besser sein können, und ist ein entzückender Kerl. Und Weston, den die schwere Last einer schmierigen Aufwartung unter zehn verschiedenen Rubriken drückt, der arme Teufel, erscheint ihm gegen über in einer traurigen abgeregneten Perücke und einem grauen Kamisol, das vor etwa dreißig Jahren für einen glücklichern Bauch geschnitten sein mogte, mit roten wollenen Strümpfen und einer grünen Schürze. Er gerät in eine Art von andächtigem Erstaunen, da dieser Herr Bediente (wie das Göttingische Mädchen sagte) auftritt. Garrick, frisch, schalkhaft und schön wie ein Engel, den niedlichen Hut mit fast gefälliger Leichtfertigkeit seitwärts aus dem hellen Gesicht gestoßen, tritt munter und voll Vertrauens auf seine Waden und neuen Anzug, fest und stramm daher, und fühlt sich um ein Drittel größer neben dem trübseligen Scrub. Und Scrub, der ohnehin wenig ist, scheint auch noch das zu verlieren, und zittert mit den Knien, vor lauter Gefühl des dreifachen Kontrasts zwischen Aufwärter – und Bedienten, und folgt bei gefallenem Unterkinn in eine Art von Anbetung Garricken bei allen Bewegungen mit den Augen nach. Archer, der den Scrub zu seinen Absichten braucht, wird bald gnädig. Sie setzen sich neben einander nieder. Dieser Teil der Szene ist in Kupfer gestochen, und Sayer hat eine Kopie davon unter seine bekannten Bildchen aufgenommen. Allein weder Weston noch Garrick gleichen sich da sonderlich, zumal ist der letztere, der sich sonst in eben dieser Bildchensammlung als Abel Drugger und Sir John Brute so herrlich gleicht, daß fast nichts drüber geht, abscheulich mißhandelt. Wer die unwiderstehliche Macht des Kontrastes auf dem Theater kennen lernen will, wenn er vom Dichter und dem Schauspieler gut und nach beiden Seiten gleich stark durchgesetzt wird, damit nicht die Struktur, deren ganze Schönheit im richtigen Gleichgewicht bestehet, nach einer Seite umgeschmissen wird, wie gemeiniglich geschiehet, der muß diese Szene sehen. Garrick wirft sich mit der ihm eigenen Leichtigkeit auf den Stuhl, schlägt den rechten Arm über Westons Lehne, und biegt sich zum vertraulichen Gespräch nach ihm hin; die herrliche Livree liegt rückwärts geschlagen, und eine Schönheitslinie schließt sich in Rock und Mann an die andre. Weston sitzt auf der Mitte des Stuhls, wie es sich gebührt, nur etwas zu weit nach vorn und auf jedem Knie eine Hand, stark versteinert da, mit den Schalksaugen auf Garricken gewendet. Wenn etwas auf seinem Gesicht ausgedrückt ist, so ist es Affektation von Würde mit lähmendem Gefühl des schrecklichen Kontrasts. Hierbei bemerkte ich etwas an Weston, das sich herrlich ausnahm. Während als Garrick mit einer gefälligen Nachlässigkeit in sich selbst ruhte, suchte ihm Weston mit steifem Rücken allmählich die Höhe abzugewinnen, teils des Anstandes wegen und teils auch zuweilen wenn Garrick ihm nicht ins Gesicht sieht, mit mehr Sicherheit eine neue Vergleichung zwischen sich und ihm zu stehlen. Wenn Archer endlich mit großer Leichtigkeit die Beine über einander schlägt, so versucht Scrub ein Gleiches, und bringt es auch endlich, jedoch nicht ohne einige Hülfe der Hände, glücklich zu Stande, alles entweder bei starrenden, oder heimlich vergleichenden Augen. Endlich da Archer die herrlichen seidenen Waden zu streicheln anfängt, so will auch Weston mit seinen armseligen roten wollenen, ein Gleiches tun, retiriert sich aber wieder, und zieht mit Mitleid erregender Demütigung die grüne Schürze langsam über das Ganze. In dieser Szene tat die natürlich dumme Miene des Weston, sein treuherziges Wesen, das bei ihm aus allem hervorleuchtet, und durch den unaffektierten Pelz seiner Stimme nicht wenig gewinnt, fast Garricken Abtrag. Das ist viel gesagt. Er hatte die Götter und die Teufel auf seiner Seite. Als Bedienter in the maid of the oaks ist er in glücklichern Umständen, und geputzt, aber doch auch so, daß man sieht, es kömmt nicht allein selten an ihn, sondern es ist auch so gar seine Sache nicht einmal. Seine Haare hat er in einen wegstehenden Crapaud elend eingepackt, oben und an den Seiten sind sie zum Teil gepudert, wie mirs vorkam, nur mit den Fingern, oder Papierschnitzeln; dabei hat er einen grauen Rock, wieder rote Strümpfe an, und ein herrliches Bouquet vor. In diesem Stück unterscheidet er sich vorzüglich durch hölzerne Behendigkeit und eine Art von unnötiger Geschäftigkeit, die trotz des Schweißes, den sie ihn auspreßt, den Gang der Sache, den sie befördern soll, nicht wenig aufhält. Er will immer, kann aber vor lauter Wollen selten, und hält sich dem ohngeachtet, wenn sonst die Herrschaft nicht dabei ist, nicht undeutlich für eine der wichtigsten Personen dieses Tags. Ihm, Mrs. Abington, Herrn Dodd und den ungemein prächtigen Dekorationen, die sich zuweilen dem Operelysischen nähern, hat es dieses Stück auch zu danken, daß es zu Anfang dieses Jahrs 23mal aufgeführt worden ist. Wie gern beschriebe ich Ihnen den Mann, wie er als Schuhflicker im hinkenden Teufel ( Devil upon two sticks) ein paar Schuh, die er unter dem Rock stecken hat, in die Ecke hinlegt, um mit desto mehr Anstand auf einen Schemel zu steigen, auf welchem ihn Foote zum Doktor kreiert. Aber wenn ich das durchlaufe, was ich gesagt habe, so vergeht mir alle Neigung mehr von ihm zu sagen. Es ist zwar ein Vergnügen, den Totaleindruck, den der Anblick eines solchen Wundergeschöpfes auf einen macht, in seine Bestandteile zu zerlegen, und Empfindungen zu Buch zu bringen; (ich habe mir solche Beschreibungen zum Vergnügen eine Menge gemacht,) aber die Absicht einem andern ein ähnliches Vergnügen zu verschaffen, wird meist verfehlt, weil die unvermeidliche Unvollständigkeit der Zahl dieser entwickelten Gefühle, dem Leser bei ihrer Herabstimmung zur Klarheit Raum genug übrig läßt, neben dem Endzweck des Verfassers vorbei zu schleichen, oder noch schlimmer ihm den Vorwurf zu machen, er habe zu viel gesehn. Zwei Anekdoten von ihm, die mich mehr unmittelbar in des Mannes Seele sehen lassen, muß ich Ihnen noch erzählen:

Vor einigen Jahren wählte sich dieses hölzerne Gestell zu seinem Benefizstück – Sie raten sicherlich nicht was? – – Richard den Dritten. Daß das Haus voll werden mußte, zum Bersten, das konnte wohl Weston so gut vorher wissen, als Sie es mir itzt glauben. Und dieses ist wohl das einzige Mal gewesen, daß Shakespear auf dem Schauplatz von Drurylane vorsätzlich ist geschändet worden; in Coventgarden hat es Shuter mehrmals getan. Mir fiel, als ich es hörte, der Affen-Laokoon ein, wo sich die Schlange um drei Affen, Vater und Söhne, schlingt, die alle drei erbärmlich zusammen schreien. Es mag toll hergegangen sein. –- Als er am Ende starb, so bestund das Volk darauf, er sollte wieder aufstehen, und noch einmal sterben, und das vermutlich mit einem Getöse, das wohl einen Toden hätte erwecken können. Der hätte in dem bekannten Monolog sagen müssen:

an ass, an ass, a Kingdom for an ass!

Die andre macht ihm mehr Ehre, auch war ich selbst Zeuge. In den Rival Candidates, demselben Stück, worin er von dem Mädchen getätschelt wird, sprach er in diesem Jahr den Epilog in Gesellschaft eines großen Hundes, den er am Ring des Halsbandes hält, und der ihm fast bis an die Hüfte reicht. Es ist ein allerliebstes Tier, und klotzt seinem drolligen Führer, während er spricht, zuweilen so menschlich herauf ins Gesicht, und dieser streichelt ihn wieder mit so vieler Herablassung, daß niemand zwischen beiden die Seelenvereinigung verkennen kann. Diesen Epilog zu sprechen, wurde Weston zum erstenmal überdrüssig, als ich das Stück zum zweitenmal sah, und wollte nicht erscheinen; das Volk nahm dieses sehr übel, und Epilogue! Epilogue! erschallte aus allen den Kehlen, die Richard den Dritten von den Toten erwecken wollten; Weston erschien immer nicht. Viele Leute aus der Loge gingen weg, allein ich war entschlossen, den Ausgang abzuwarten. Auf einmal regnete es erst Birnen, dann Oranschen, hierauf Quartierbuteljen auf das Theater, und einmal flog eine, die wohl drei Quartier halten mogte, an einen der Krystalleuchter hin, und alles sah einem Aufruhr ähnlich, als Weston so gelassen, als würde er allemal so gerufen, mit Dragon, (so hieß der Hund) hervortrat. Es wurde ein wenig hie und da gezischt, aber das legte sich bald. Nun ist in dem Epilog eine Stelle, worin er den Hund anredet, indem er, wie ich glaube, von Kritiken spricht: und was hängst du denn den Schwanz, Dragon, sie werden dir nichts tun? Diese Stelle veränderte Weston, aus dem Stegreif, ohne weder dem Reim, noch dem Vers zu nahe zu treten, in diese: Und warum hängst du denn den Schwanz, Hans Narre, dir werden sie keine Bouteillen an den Kopf werfen. Diese in der Tat in einer solchen kritischen Lage und einer gereimten Rede angebrachte höchst sinnreiche Veränderung machte alles gut. Man hörte nicht auf zu klatschen, und zu rufen. Alles das machte auf Westons Gesicht nicht so viel Veränderung als auf einer Ofenplatte. Da war keine Freude, keine Miene innerer Satisfaktion; gar nichts, so wenig als auf dem Gesicht seines vierbeinigen Freundes. So viel diesesmal von Weston, von dem ich ungern schweige, weil es mir vorkommt, als hätte ich ihm Unrecht getan, weil ich mir selbst nicht Gnüge getan habe.

Ehe ich nun zu dem Frauenzimmer komme, will ich Ihnen noch eine Frage beantworten, die Sie in einem Ihrer Briefe getan haben: ob denn Garrick so ganz durch und durch untadelhaft spiele, und ob ich nicht zuweilen wenigstens etwas bemerkt, das ich weggewünscht hätte? Ihnen Fehler von Garrick anzuzeigen, liebster B., davor werde ich mich wohl hüten, allein wenn Sie wissen wollen, was mir, dessen Empfindungen ich allein hier entwickele, ohne sie mit ästhetischen Fundamentalgesetzen zusammen zu halten, zuweilen nicht an ihm gefallen hat, da lasse ich mich eher ein, wiewohl auch dieses nur sehr unbeträchtlich sein wird. Denn einmal müssen Sie bedenken: er spielt itzt nur Stücke, die er sich völlig eigen gemacht, und über die er nun ein Vierteljahrhundert durch in seiner ausgesuchten Gesellschaft das Urteil der größten Kenner des Menschen empfangen hat. Selbst den Strumpf, der ihm so herabhängt, kann man denken, hat ihm vielleicht Fielding herabgezogen, und den Hut, der da so schön seitwärts sitzt, Sterne oder Goldsmith zurückgestoßen. Bei so bewandten Umständen, mein Freund, gibt's viel zu lernen, und wenig zu tadeln. Ferner, leugne ich nicht, sein Ruhm blendet bald mehr, bald weniger; es ist schon kein geringes Vergnügen, ich will nicht sagen Glück, ehe der Vorhang aufgezogen wird, dem Schauplatz gegenüber zu sitzen, auf dem in einigen Minuten ein Mann auftreten soll, der nach einem ziemlich einstimmigen Urteil der erste Schauspieler der neuen Zeit ist. Außerdem der Freund, Lehrer und Zögling einiger der größten Schriftsteller dieses Jahrhunderts. Ist das nichts? Ich bin, um Garricken spielen zu sehen, einmal von Morgens halb zehn an einen Weg von sechs deutschen Meilen gereiset, habe nicht zu Mittag gegessen, und erst nach elf Uhr zu Abend. Ich habe mit einer Art von wollüstiger Bangigkeit, die Musik anfangen hören, die vor dem Stück herging, in welchem ich ihn zum erstenmal sah. Und was Wunder? Hätte Garrick unter einem wärmeren Himmel, von einem engern und höhern Gerüste, mit gleicher Kraft gesprochen und Herzen erschüttert, so würden einst seine Lumpen etwas Ähnliches tun. Es ist sehr menschlich, und wird so gehen bis an das Ende der Welt. Ich erinnere mich daher jetzt nur eines einzigen Mals, und zwar im Hamlet, daß Garrick etwas auf eine Art sagte, die eine üble Wirkung auf mich tat, und einen Mißklang mit meiner damaligen Empfindung machte, die vielleicht falsch gestimmt war. Ich will Ihnen sagen, was es gewesen ist. Vor Anfang des Monologs, der auf die Szene folgt, in welcher sich der Geist dem Hamlet über den Mord eröffnet, steht Garrick, als wäre er Hamlet selbst, bis zur Untätigkeit und fast zur Zerrüttung gerührt da, und wenn endlich die Betäubung, in welche eröffnete Gräber, Greuel ohnegleichen und schreiendes Vaterblut die vortreffliche Seele gestürzt hatten, nach und nach weicht, und das dunkle, schmerzhafte Gefühl sich zur Betrachtung und Worten aufklärt, und zum heimlichen Entschluß sammlet, so hat Shakespear dafür gesorgt, daß diese Betrachtung und Worte von der Tiefe und dem Tumult zeugen, aus dem sie hervorbrechen, und Garrick sorgte, wie Sie leicht denken können, von seiner Seite auch dafür, daß jeder Gestus auch einem tauben Zuschauer wiederum von dem Ernst und Gewicht der Worte gezeugt hätte, deren Begleiter sie waren; Eine einzige Zeile ausgenommen, die, nach meinem Gefühl, so wie sie damals Garrick sprach, weder dem tauben Zuschauer, noch dem blinden Zuhörer hätte gefallen können. Er sprach die physiognomische Bemerkung, die er auch in seine Schreibtafel trägt: that one may, Smile and Smile and a Villain, mit der Miene und dem Ton der kleinlichen Nachspötterei, fast als wollte er den Mann damit auszeichnen, der immer lächelte und lächelte und doch dabei ein Schurke war. Ich kann nicht leugnen, dieses fiel mir in meiner damaligen Verfassung so auf, daß ich den Augenblick erwachte.

Wehe meinem Briefe über Garrick, wenn Sie und Ihre Freunde anders stimmen sollten. Ich fürchte es nicht; denn bei der zweiten Vorstellung des Hamlet, der ich beiwohnte, hatte ich das für mich schmeichelhafte Vergnügen, ihn dieselben Worte meiner Empfindung durchaus gemäß aussprechen zu hören, nämlich mit dem Ton der wohl bedachten Anzeichnung zu nahem Gebrauch. Das Lächeln des Schurken, den Hamlet meint, war für ihn von der einen Seite zu wichtig, und zu scheußlich von der andern, sich dagegen bei einem Selbstgespräch mit mimischem Spott zu kühlen. Die Lippen, die so gelächelt hatten, mußte der Tod aus Hamlets Händen (und nichts anders) Ernsthaftigkeit lehren, und das je eher je besser. Was Garricken bewogen haben mag, jene Worte damals so zu sprechen, will ich nicht ausmachen. Ich dachte, die schönen und sanften Wörter Smile and Smile mögten vielleicht schwer ohne Mienen, die wenigstens zur Familie der lächelnden gehörten, auszusprechen gewesen sein, allein ich glaube doch nun, daß es eher ein Versuch, als ein unvermuteter Streich seiner Zunge und ihrer Nachbarschaft war. Sehen Sie, ist das nicht herrlich? Ich merke so eben erst, daß ich des Mannes Kunst auf Kosten seines Verstandes verteidige. Also kein Wort mehr davon.

Unter den hiesigen Schauspielerinnen ist nach meinem Geschmack Mrs. Barry noch immer die größte, oder doch die allgemeinste, und die einzige, die in diesem Punkt eine Vergleichung mit Garrick aushält. Sie kann, zu einem eiteln Kammerpüppchen zusammengeschnürt, sich mit süßer Selbstgefälligkeit tänzeln und zieren, und trippeln, daß den kleinen Mamsellen und den großen Bedienten das Herz im ganzen Hause aufgeht; und dann wieder mit einem Strom von rauschender und rieselnder Seide hinter sich her, mit hohlem Rücken und stolz zurückgewandtem Angesicht einhertreten, wie die Eitelkeit, wenn sie sich am Zug ihrer Schleppe weidet. Sie ist eine große Schönheit, und, wie mir gesagt worden, auch selbst ohne Schminke beim Sonnenlicht auffallend schön, eine geborne Schauspielerin. Ihr Geburtsort ist das schöne, romantische Bath, wo ihr Vater Apotheker war. In ihrem 10ten Jahr (wie mir eine Dame erzählt hat, die sie damals kannte) warf sie ihr Strickzeug weg, schlich sich mit dem Shakespear auf den Boden des Hauses, und sprach mit den Schornsteinen. Ihre Schönheit gehört zur Klasse der Heiligen, und der herrschende Ausdruck in ihren Mienen und dem Klang ihrer über alles reizenden Stimme, ist sanfte Unschuld und entgegenkommende Güte. Ein Weib so wie sie der Himmel haben wollte! Sanft, nachgebend, und so wenig satirisch als heroisch. O, sie erschrickt vor einem God damn! als wenn eine Bombe spränge. Ich habe sie als Cordelia im König Lear gesehen, wie sie die von Tränen glänzenden großen Augen nach dem Himmel hob, dann sprachlos die Hände hochringend, mit dem Anstand und, wie mich dünkte, dem Glanz einer Verklärten, ihrem alten verlassenen Vater entgegen eilte und ihn umarmte. Es ist das Größte, was ich in der Art von einer Schauspielerin gesehen habe, noch itzt das Fest meiner Phantasie, und ich werde das Andenken an diese Szene nur mit meinem Leben verlieren. Als ich vor 5 Jahren hier war, sah ich sie schon als Desdemona in Othello. Ich habe Ihnen gewiß in Göttingen davon erzählt. Auch erinnere ich mich kaum jemals so stark Partei in einem Stück genommen zu haben, als damals. Reddish, der den teuflischen Jago vorstellte, ist mir noch itzt unausstehlich. Wehe allen Lippen und Nasen, die der seinigen gleichen, wenn ich einmal eine Physiognomik schreibe!

G. C. L.

 

Schluß des dritten Briefes aus England an Boie

Damals war Mrs. Barry noch in Drurylane; jetzt spielt sie in Coventgarden. Herr Barry, ihr Mann, ehemals ein angebeteter und noch jetzt immer beliebter Schauspieler, ist alt und steif. Herr Garrick ließ also diese vortreffliche Frau, vielleicht ihres Mannes wegen, gehen, den er teuer bezahlen mußte, und nicht sonderlich mehr brauchen konnte, und zog dafür Herrn Yates und seine Frau aus Coventgarden an sich, wovon jener kein übler drolliger Schauspieler, und das vermutlich für wenig Geld ist, diese aber im hohen Tragischen nächst Mrs. Barry sicherlich die größte Schauspielerin, die England hat. Mrs. Barry bekommt, wie mir ein Mann gesagt hat, der es wissen kann, jährlich 1 800 Pfund, nehme ich nun an, daß ihr Mann nur die Hälfte hat, und setze außerdem die Revenue an ihren Benefizabenden auf 500 Pfund, (Miß Catley, eine mutwillige, beliebte Sängerin, bekam an ihrem Benefizabend, wie ich genau weiß, 309 Pfund;) so genießt dieses Ehepaar für die wenigen Winterabende, an welchen es spielt, ein jährliches Einkommen von fast 20 000 Talern. Da läßt sich freilich gut für spielen, wenn, wie bei diesen Personen, Trieb der Natur einen schon ohne Besoldung zum Schauspieler macht. Den Sommer bringen sie auf einem herrlichen Landgute in Surrey zu, das ich einmal in der Ferne habe liegen sehen. Ich stund auf eine halbe Stunde stille, und doch konnte ich mich an dem mannigfaltigen Zauberlichte nicht satt sehen, welches meine Phantasie auf das Haus und die Gegend warf, in welcher es stehet.

Nun komme ich auf eine Schauspielerin, die ich schon einigemal genannt habe, Mrs. Abington, eine in mehr als einer Rücksicht so merkwürdige Frau, daß ich Ihnen leicht ein kleines Werk über sie schreiben könnte. Und hätte ich Ihnen durch eine solche Schrift die Talente dieser ungewöhnlichen Seele genau entwickelt, so würde ich, glauben Sie mir, stolzer daraufsein, als auf irgend ein approbiertes Werk in diesem Fach. In einem Brief so etwas auch nur zu versuchen, habe ich jetzt weder Zeit noch Geduld, und es gehörig durchzusetzen, wenn ich aus den Urteilen der Leute schließen darf, von welchen ich sie habe bewundern hören, auch sicherlich weder hinlängliche Kenntnisse noch Erfahrung. Das wenige, das ich von ihr sagen werde, setze ich nur deswegen her, weil es nach einer solchen Entschuldigung, nach dem Plan meiner Briefe, die Ihnen eine kleine Nachricht von allen guten Schauspielern in London geben sollen, eben so unverzeihlich sein würde ganz von ihr zu schweigen, als das erwähnte Werk, dem ich nicht gewachsen bin, wirklich zu unternehmen.

Mrs. Abington ist von Mrs. Yates und Mrs. Barry so unterschieden, wie die komische Muse von der tragischen. An Majestät und Ausdruck sanfter Empfindung steht sie ihnen, zumal der letztern, nach, und übertrifft sie an Talent, die bittere Wahrheit, mit allen den kleinen begleitenden Zügen, den Zeichen der eigenen Bemerkung, tief ins Herz zu reden, daß jeder glauben muß, sie meinte ihn; und dann auch an leider allzufrüh geübter Kunst; bei allem diesen, den herrlichsten Wuchs mit einem gefälligen Strich von Absicht zu zeigen, der dieser großen Schauspielerin noch aus der gefährlichen Schule anklebt, in welcher ihre Reize ausgebildet worden und – – noch ehe sie die Bühne betrat, ihren Lohn empfangen haben. An Geist ist sie sicherlich allen englischen Schauspielerinnen sehr weit überlegen. Man merkt es ihr an, die papierne Welt in Drurylane ist ihr zu enge, auch ist es jetzt, da ich dieses schreibe, bereits mehr als Mutmaßung, daß sie dereinst ihre Rolle in dem großen Original selbst spielen wird. Ihr Gesicht ist nichts weniger als schön; sie ist blaß und dabei zu stolz sich zu schminken, ihre Nase etwas aufgestülpt und der Mund keiner von den feinsten. Allein ihre Blicke schneiden unter den schönen Augenbraunen oft mit einem gewissen unbeschreiblichen Lächeln über entdeckte Torheit begleitet, so mächtig hervor, daß dem bange werden muß, den sie treffen. Der Schnitt ihrer Kleidung und ihr Kopfputz ist, wie mich Damen versichert haben, deren Urteil ich zur Ergänzung sowohl als Beglaubigung der meinigen anführe, jederzeit im allergrößten Geschmack; sie tritt daher selten auf das Theater, daß nicht die Mode der feinen Welt hinter ihr herträte. In den stummen Rollen, oder wenn sie etwas gesagt hatte, dem sie mit stummen Auf- und Abgehen Kraft geben wollte, ging sie, wider die Gewohnheit der Schauspieler, oft grade vom Zuschauer ab nach der Tiefe des Theaters. Da hätten Sie sehen sollen, mit welchem Anstand sie sich in den Hüften wog, und mit jedem Tritt die Blicke des kopierenden Neides und der kopierenden Bewunderung, die ihr aus tausend Augen folgten, noch mutwillig schärfen zu wollen schien. So wenig sie für das Trauerspiel geschaffen ist, so wenig ist sie es für das Niedrigkomische. Ihre Rede ist langsam, und wenn sie Torheiten kopieren soll, so müssen es nur solche sein, die sich mit affektierter oder unaffektierter Grazie im Anstand vertragen. Während als sich daher die Gemahlin des Harlekins mit den Albernheiten des armen und reichen Pöbels herumzauset, so schlägt sie sich nach den bestimmten Gesetzen eines anständigen Duells mit den Torheiten der Großen. Hierin ist, wenn meine Empfindung nicht trügt, ihre hauptsächlichste Stärke, und zeigt von einer gewissen Würde der Seele, die alle niedrige Mittel den Beifall der Menge zu haben verachtet. Auch die niedrigen Rollen weiß sie von dem Staub der Werkstätte und Spinnstube zu reinigen: wenn dieses nicht allemal zu billigen sein sollte, so hat doch, einer solchen Künstlerin gegen über, die Kritik selten Unbarmherzigkeit oder kaltes Blut genug, das am Ganzen hängend fehlerhaft zu finden, was isoliert gewiß vortrefflich wäre. Ich habe sie sehr oft spielen sehen, auch einigemal mit Garrick zugleich. Am meisten gefiel sie mir in the provoked Wife; the Beaux' Stratagem; in rule a wife and have a wife; in the Bon Ton; in much ado about nothing und the maid of the Oaks, einem Stück, welches sich auf eine wahre Geschichte gründet und vom General Burgoyne seiner Nichte Lady Derby zu Ehren geschrieben worden. Wenig Stücke in der Welt werden wohl mit so viel geschmackvoller Pracht und so vollkommen gut aufgeführt, als dieses, denn es ist mehr als wahrscheinlich, daß der Verfasser sich die Schauspieler gewählt, und bei Zeichnung der Charaktere ihren besonderen Charakter in Betracht gezogen hat. Die Dekorationen hat Lutherberg gemalt und kosten gegen 10 000 Taler.

Sie hat, wie man sagt, hauptsächlich durch ihren Geist, einen Mann gefesselt, der an Glücksgütern, Stand und Ruhm nur wenige seinesgleichen in England hat, keinen Neuling. Er ist ein Witwer, und hat ihr Verbindungen antragen lassen, denen zur Vollkommenheit nichts fehlte, als die priesterliche Einweihung. Da sie mit dieser Art von Verbindung sehr bekannt ist, (denn auch Herr Abington, dessen Namen und Vermögen sie besitzt, war ihr gesetzmäßiger Mann nicht) so ging sie dieselben, wie man sagt, unter folgenden Bedingungen ein: Sie müsse Besuche annehmen dürfen, vor wie nach, und welche sie wolle; der Lord müsse sie nie in ihrem Hause besuchen; er müsse ihr außer Pferden und Karosse wöchentlich 50 Pfund aussetzen, und endlich niemals von ihr verlangen das Theater zu verlassen. Es wurde alles eingestanden. Ein Sieg, weswegen sie nicht allein von allen ihres Gewerbes, sondern auch von einem großen Teil der züchtigern Schönheiten Englands beneidet wird, und der desto merkwürdiger ist, als er sich weder auf Jugend noch glühende Wangen, noch überhaupt Schönheit des Gesichts gründet. Diese Anekdote, für deren Wahrheit in allen Stücken ich eben nicht haften will, steht, dünkt mich, hier nicht am unrechten Ort, da sie einiges zu belegen dient, was ich von dieser Schauspielerin gesagt habe. Wenn Sie sie einmal im Spiegel sehen wollen, so kaufen Sie sich ein gewisses Porträt von ihr, das nach Reynolds von Elisabeth Judkins in schwarzer Kunst vortrefflich gearbeitet worden ist. Ein wahrhaftes Muster einer leichten Stellung, und natürlichen Ordnung der Hände, vermutlich von dieser leichten Hexe selbst angegeben. Es sollte billig von manchen deutschen Porträtmalern studiert werden, deren Favoritstellung der Hände noch immer von der Lage der Flügel an einem gebratenen Huhn geborgt zu sein scheint. Ich besitze es, und es wird vermutlich auch in meiner kleinen Porträtsammlung haften, die sonst, wie Sie wissen, eben so, nur in flüchtigem Generationen, kommt und geht, wie die schnöden Sterblichen, deren Abbildungen sie enthält. Doch ich breche meinem Versprechen gemäß hier ab, werde aber dieser merkwürdigen Dame doch noch einmal an einer Stelle meines Briefes Erwähnung tun, wo Sie es schwerlich vermuten.

In Coventgarden ist noch Mrs. Hartley merkwürdig. Ihr großer Ruhm gründet sich minder auf ihre Kunst, als ihre an hohes Ideal grenzende Form. Die Londonsche Macaroni haben ihr den Namen Mediceische Venus gegeben. Sehr armselig, wie mich dünkt; sie ist nichts weniger, als ein niedliches, winziges Venusfigürchen, sondern, wenn sie eine Tochter Jupiters ist, so ist gewiß Juno ihre Mutter. In Masons Elfrida hat sie eine Rolle, worin sie kniet, und da läuft London zusammen, Mrs. Hartley knien zu sehen. Ich habe sie ein einziges Mal gesehen, aber nicht auf den Knien, sondern als Lady Macbeth. Die Szene, wo sie im weißen, dünnen Gewand, nachtwandelnd einher tritt, und das Königsblut, von dem sie träumt, von ihren Händen wischt, schwebt mir noch immer vor, ob sie gleich gar nicht in Shakespears Geist spielte, und bei so viel Güte in den Mienen und der Stimme kaum konnte. Ich glaubte eine Heilige zu sehen, die sich die schwere Buße auflegt, ein paar Minuten die Gebärden eines Teufels nachzumachen.

Nun, mein Freund, will ich einmal mit Ihnen auf ein paar Augenblicke zur Abwechslung die Welt in einer Nuß, Drurylane und Coventgarden verlassen, und zu der Nuß im Flittergold einer Welt, der italienischen Oper im Haymarket, herab –- nicht wahr? herabsteigen. Ich habe die vergötterte Gabrielli gesehen und gehört, und hätte sie sprechen können, wenn ich gewollt hätte; es ist mir einigemal angetragen, und sogar verdacht worden, daß ich es nicht getan habe. Sie kennen sie gewiß aus Brydones Reisen, aus denen ich sie schon in Göttingen kennen gelernt hatte. Ich hatte, nach jener Beschreibung, ein fast größeres Verlangen sie zu hören, als Garricken. Sie war lange mit mir in demselben London, ehe sie erschien. Das machte die Sache sehr viel schlimmer, wie Sie wissen. Auf einmal wurde angekündigt:

Opera Dido
Dido, Signora Gabrielli.

Ich ging eine Stunde vorher nach der Oper, und wurde abgewiesen: Signora wäre krank. Einige Tage darauf wurde wieder avertiert:

Dido, Signora Gabrielli.

Ich ließ mich in der Sänfte hintragen, und wurde wieder abgewiesen: Signora hätte die Influenza, so nannte man in jenen italienischen Tagen in London den Schnupfen. Zum drittenmal fuhr ich hin. Ich war eben vorher bei Dr. Forster zu Tisch und verließ, Gabriellis wegen, eine höchst angenehme Gesellschaft von Gelehrten, die fürwahr von Otaheite und Neu-Seeland sprachen, wie unser einer von Eimbeck. Ich mußte wieder abziehen: Dido wäre noch nicht wohl. Endlich acht Tage nachher, es war der 11te November dieses Jahres, schien die Sache Ernst zu werden. Signora hatte die Influenza verloren, und eine bis zur Raserei gestiegene Influenza Signora zu sehen hatte London befallen. Nun ging ich wieder zu Fuß, aber dafür auch zwei geschlagene Stunden vorher. Mein Geld wurde genommen, und ich lief die Treppe hinauf voll von Vergnügen Ihnen dereinst von Gabrielli schreiben zu können, die ich selbst noch nicht gesehen hatte. Als ich an die Tür der Galerie kam, für welches Glück man drittehalb Gulden bezahlt, sähe ich, bei dem Licht einer düstern Laterne, eine Dame stehen, die sich sorgfältig in die eine Ecke der Tür gepreßt hatte. Sie hatte sich fest in eine Saloppe gewickelt, die Kappe übergeschlagen, und hauchte tief in einen Federmuff, so daß ich von ihrem ganzen Gesicht nichts sehen konnte, als etwas von der Stirne und die Augen, allein das war auch für mich mehr als hinreichend, den Augenblick Mrs. Abington zu erkennen. Also Mrs. Abington und ich hatten unter 800 000 Seelen, die London enthält, wo nicht die größte Neugierde Signora Gabrielli zu sehen, doch gewiß unter allen, die größte Vorsicht gebraucht, sie für drittehalb Gulden zu befriedigen. Ich suchte so geschwind ich konnte mein bestes Englisch zusammen: Es würde vermutlich diesen Abend sehr voll werden, sagte ich: Das glaube sie auch, sagte sie, und weil in demselben Augenblick unsere Prophezeiung mit Macht anfing in Erfüllung zu gehen, und ich für ratsam hielt, mich in die andre Ecke der ziemlich breiten Tür zu stellen, um wenigstens, wenn die Schleuse geöffnet würde, bei der zu vermutenden Geschwindigkeit des einbrechenden Stroms den traurigen Schutz der Friktion zu genießen, so wurde unsere Unterredung, die, nicht wahr; so herrlich angefangen hatte, unterbrochen, und ich habe nie wieder die Ehre gehabt. Denn in der erschrecklichen Katarakte nach Eröffnung der Tür, wovon Mrs. Abington und ich die ersten Tropfen waren, verlor ich sie aus dem Gesicht. Als ich aber saß und mich erholt hatte, fand ich, daß zwischen ihr und mir nur zwei Personen, Mann und Frau vermutlich saßen, und ich unter fünfen nach dieser Seite der einzige war, der ein Opernbüchelchen hatte. Da nun Mrs. Abington doch immer gern wissen wollte, wann Gabrielli wieder erscheinen würde, so ging mein Buch bis an sie hin. Als daher Dido zum letztenmal abtrat, so erhielt ich, aus alter Bekanntschaft, an der Türe mein Buch mit einer Verbeugung wieder zurück, für die Lord.....der sie besser hätte deuten können als ich, den Wochengehalt vielleicht verdoppelt hätte. Was man nicht für Bekanntschaften macht, wenn man reist!

Nun geschwind, Gabrielli. Der Vorhang fuhr unter einem Donner von zwanzig Pauken und Trompeten auf, der meinen Odem aufhielt, und Dido Gabrielli, in Gold und weißer Seide, flog vor einer silbernen karthaginesischen Garde unter dem Beifall Londons daher. Es ist keine Kleinigkeit, so was zu sehen und zu hören. Stellen Sie sich vor, unter den Karthaginensern, ganz hinten, entdeckte ich unsern alten sonderbaren George H** mit Uniform, Schärpe und Ringkragen der englischen Garde. Er hatte die Woche beim Opernhause diesen Abend und kannte Dido vermutlich. Er kauete diesesmal nicht an seinem Zopf, wie ehemals auf der Weender Straße, und nahm sich bei dieser Musik nicht übel aus. Allein dieser Auftritt war auch fast das beste, was ich diesen Abend hatte. Stellen Sie sich unter Gabrielli eine Frau vor, mit rundlichem Gesicht, viel eher klein als groß, und der bereits die Tag- und Nachtgleichen des Lebens aus den Augen sehen; die schlechterdings keine Aktion hat, und im Vertrauen auf ihre Stimme ihre Arien, ¾ des Gesichts gegen die Zuschauer gewandt, abgurgelt, oft bei schiefgedrehtem Hals, mit den Augen auf eine individuelle Loge gerichtet, so haben Sie sie ganz. Einige Arien, als unter andern – gleich im ersten Akt:

Son Regina; e Sono amante
E l'imperio io sola voglio,
Del mio Soglio, e del mio cor.
Darmi legge in van pretende
Chi l'arbitrio a me contende
Della gloria, e dell'amor.

sang sie vortrefflich, allein mich dünkt, ich habe es in meinen Träumen besser gehört. Mit einem Wort, ich wollte, eine Viertelstunde in Drurylane, an einem schönen Abend, so wenig für diese Dido geben, als ein bequemes warmes Landhaus in Buckinghamshire, oder der Bergstraße, für ihr papiernes Karthago. Damit Sie aber doch diesem Urteil, das übrigens mit dem besten Teil von London einstimmt, nicht zu viel trauen, so muß ich Ihnen sagen, daß ich nicht so ganz unparteiisch bin. In einem Kopf, an welchem ein solches Paar ungeübter, oder vielleicht unverwöhnter Ohren sitzt, wie der meinige, kann der feine Kitzel einer komplizierten Musik unmöglich die schmerzhaften Stiche auch nur lindern, die ihm die unüberschwenglichen Absurditäten der italienischen Oper alle Augenblicke geben muß. Statt des virgilischen Aeneas und des wackern Montezuma, der 200 schwangere Gemahlinnen auf einmal hatte, sehe ich hier einen gemästeten Hämling mit Waden bis an die Fersen, die Hand an ein schlappes Herz gelegt, hoch von Liebe trillern, daß sich die Steine erbarmen mögten. Ich kann und mag nicht mehr sagen. Sind Sie zufrieden damit? Doch ehe ich die Oper verlasse, muß ich Ihnen noch etwas von einem Mädchen sagen, das alle Aufmerksamkeit verdient, und auch vermutlich schon hat, einer Tänzerin, der kühnen Nebenbuhlerin unserer vergötterten Heinel, die ich in der Oper habe tanzen sehen.

Bacelli eine junge (so schien sie mir wenigstens) aber große Meisterin im höhern Tanz, ein allerliebstes Geschöpf. Wenn Bacelli ein italienisches Ohr an Kuß erinnern könnte, so sollte ich denken, hätte sie sich Bacelli genannt, wie sich der maltesische Nachahmer der Nachtigall, Rossignol. Sie ist keins von den winddürren, mit Fleischfarbe überstrichenen Gerippen, deren Tanz im Mondschein bei gemeinem Anzüge einem Gespensterpickenick auf einem Kirchhof ähnlich sehen müßte. Sie ist eher stark als mager, und ihr Körper hat jene glückliche Länge, die bei aller Niedlichkeit sich im Notfall auch mit Majestät verträgt. Auch in ihren Sprüngen behält sie eine unbeschreibliche Grazie immer bei, und im mehr sanften Tanz weiß das Auge kaum, was es hauptsächlich fassen soll, die Arme, oder die Füße, oder irgend einen andern Zug des wallenden Umrisses. Was das für ein Vergnügen ist, zu sehen, wie auf das Signal einer bezaubernden Musik, sich das Gewühl figurierender Luftspringer wie eine See bricht, um diese junge Venus zu einem Solo hervorschweben zu lassen, wenn man das Solo nennen kann, wo tausend Herzen mithüpfen – –

Nun, dem Himmel sei Dank, mit einem Vergnügen, wie Milton aus der Hölle, kehre ich nach Coventgarden und Drurylane zurück, und hole noch einiges nach. Sie verzeihen mir diese Sprünge, mein Freund, und ich wage sie desto getroster, als ich Ihnen unter meinen vielen Versprechungen, das weiß ich, sicherlich keine Ordnung in meinen Briefen versprochen habe. Den wegen seiner großen Verdienste, seines Prozesses, und seiner Physiognomie berühmten Macklin habe ich den Shylock in Shakespears Kaufmann von Venedig spielen sehen. Sie wissen, Macklin als Shylock klingt auf dem Zettel so schön wie Garrick als Hamlet. Es war gerade der Abend, an dem er zum erstenmal, nach geendigtem Prozeß, wieder erschien. Als er heraustrat, wurde er mit einem dreimaligen allgemeinen Klatschen, wovon jedes wohl eine Viertelminute dauerte, empfangen. Es ist nicht zu leugnen, diesen Juden zu sehen ist mehr als hinreichend, in dem gesetztesten Mann auf einmal alle Vorurteile der Kindheit gegen dieses Volk wieder aufzuwecken. Shylock ist keiner von den kleinlichen, beredten Betrügern, die über die Tugenden einer goldenen Uhrkette aus Tomback eine Stunde plaudern können; er ist langsam, in unergründlicher Schlauigkeit stille, und wo er das Gesetz für sich hat, bis zur Bosheit gerecht. Stellen Sie sich einen etwas starken Mann vor, mit einem gelben, rohen Gesicht, und einer Nase, die an keiner der 3 Dimensionen sonderliche Mangel leidet, einem langen Unterkinn und einem Mund, bei dessen Schlitzung der Natur das Messer ausgefahren zu sein schien, bis an die Ohren, auf einer Seite wenigstens, wie mich dünkte. Sein Kleid ist schwarz und lang, seine Beinkleider ebenfalls lang und weit, und sein Hut dreikantig und rot, nach Art der italienischen Juden vermutlich. Die ersten Worte, die er sagt, wenn er auftritt, sind langsam und bedeutend! Three thousand Ducats. Das doppelte th und das zweimalige s, zumal das letzte nach dem t, das Macklin so leckerhaft lispelt, als schmeckte er die Dukaten, und alles, was man dafür kaufen kann, auf einmal, geben dem Mann, gleich beim Eintritt, einen Kredit, der nicht mehr zu verderben ist. Drei solcher Worte so, und an der Stelle gesprochen, zeichnen einen ganzen Charakter. In der Szene, wo er seine Tochter zum erstenmal vermißt, erscheint er ohne Hut, mit aufgesträubtem Haar, wovon einiges fingerlang vom Wirbel senkrecht in die Höhe steht, bei dieser Miene wie von einem Galgenlüftgen gehoben. Die beiden Hände sind geballt, und seine Bewegungen kurz und konvulsivisch. Einen sonst ruhigen, entschlossenen Betrüger in solchen Bewegungen zu sehn, ist fürchterlich. Hinter drein wurde ein Nachspiel Love a la mode aufgeführt, wovon Macklin der Verfasser ist, und worin er selbst die Rolle des Sir Harry Mac Sarcasm unnachahmlich spielt, und fast (vermutlich als Autor) nicht vom Theater wegkömmt. Es ist sehr unterhaltend und strotzt von Witz. Ich habe denselben Schauspieler auch als Macbeth gesehen, in derselben Rolle, die ihn ehemals den Aufruhr verursachte, der die Ursache des Prozesses war. Ich kann nicht sagen, daß er mir hier sehr gefallen hat, ob er gleich mit großem Verstand spielte, allein der Mann hat nicht allein die Jahre, sondern auch die Steifigkeit des Alters. Es tut mir immer weh, wenn ich einen alten Schauspieler auf dem Theater niederstürzen sehe, weil ich weiß, es muß ihm auch weh tun.

Ich glaube, (ich fürchte, sollte ich jetzt sagen) ich werde Ihnen noch einmal schreiben. Mein Reisegefährte hat sich in den drei Tagen verschlimmert. Leben Sie wohl.

London den 2 Dezember 1775.
G.C.L.


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