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Gott ist unerklärbar und unbeweisbar. Das ist seine Ehre und Majestät. Aber wer ihn erlebt, dem leuchtet die Lebenssonne, der ist außerstande, je von Gott zu lassen.

 

Es ist nichts da zum Erklären, alles nur zum Erleben. Der Erklärungsunfug ist ein Haupthindernis des Lebens.

 

Die ganze Welt will gar nicht erklärt, sondern nur erlebt werden. Offenbar sollen wir von allem Bestehenden nur eine Kette lebendiger Eindrücke bekommen und diese zu eigener Betätigung darin verarbeiten. Nicht erklären, sondern leben ist das große Gebot der Natur.

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Das Göttliche wird nur erkannt an der Einfachheit. Nur ist das Einfache oft am schwersten zu finden.

Die große Wahrheit ist unendlich einfach und für jedermann offen. Nur ist nicht jeder für das Einfache offen. Wir sind alle mehr oder weniger verbildet, und es bedarf oft einer langen Arbeit des Umdenkens, ehe wir Sinne bekommen, die das ganz Einfache aufnehmen können.

Die Wahrheit ist kein Lehrgefüge, an das man sich halten könnte, sondern eine Summe von Leben.

 

»Die Wahrheit« ist unbeweisbar. Sie ist eine Wirklichkeit, die nur erlebt werden kann. Tatsachen kann man nicht beweisen, sondern nur bezeugen. Auch das Feuer kann man nicht beweisen, wie auch kein Mensch die Schöpfung der Welt durch Gott beweisen kann. Der waltenden Gotteskräfte werden wir erst inne durch den Glauben, das ist der Gehorsam: »der Wahrheit«. Wer »die Wahrheit« erlebt, der hat sie und braucht sie nur festzuhalten; wer sie nicht erlebt, der hat sie nicht und versteht sie nicht.

 

Die Wahrheit kann jeden Menschen erfüllen, soweit er sie zu fassen vermag. In jedem Falle wird er völlig von ihr ausgefüllt sein. Es wird dann Sache der Wahrheit sein, ihn selbst immer mehr zu erweitern und zu vertiefen, um ihm in immer neuen Tiefen offenbar zu werden; aber auf jedem Punkte dieser Entwickelung hat sie ihn ganz. Das ist ein unausgesetztes seliges Erleben, das jede Wirklichkeit verklärt und in den Bereich der Wahrheit hineinzieht.

Es hat auch immer wieder Menschen gegeben, die sich völlig in der Wahrheit wußten, für die es nur noch ein Vorwärts und Zunehmen geben konnte, die völlig klar darüber waren, daß kein Hindernis, weder Glück noch Unglück, nicht einmal der Tod, irgend etwas von diesem Sein in der Wahrheit anzutasten vermöge. Diesen Zustand nennt die Bibel das ewige Leben.

 

Es ist etwas Großes um die hehre Majestät der Wahrheit. Nur muß man zittern, wenn sie hereingetreten ist. Gar leicht kann sie verscheucht werden.

 

Wer statt der Wahrheit die Bequemlichkeit für sein Leben hält und dieses Leben sucht, der wird's verlieren, wem's aber auf sein Leben nicht ankommt, sondern nur auf seine Wahrheit, der wird's finden.

 

Auf den Geist des Menschen wirkt nur ein einziges ein. Das berauscht nicht, sondern ernüchtert. Es faßt wohl bis in die innersten Wurzeln des Seins, aber gerade darin gesundet der Mensch. Es begeistert unendlich, aber es raubt nie die Besinnung. Im Gegenteil, es hält immer unendlich klar und innerlich frei.

Dieses eine ist die Wahrheit. Geist und Wahrheit gehören immer zusammen. Die Seele mit ihren feinen Gefühlsschwingungen ist ganz recht, eine reiche Gotteswelt. Wehe, wer sie nicht hat! Aber sie muß beherrscht sein vom Geist und überleuchtet von seiner Klarheit und Wahrheit. So ist Geist das höhere Gebiet des Seins. Am Namen liegt natürlich nichts. Man mag's Geist, Pneuma, oder anders nennen, dieses unerklärbare Etwas, was unser Ich bestimmt; aber das empfindet jeder Mensch: dieses muß zur Herrschaft kommen, wenn unsere Wahrheit siegreich durchbrechen soll. Der Leib muß, ebenso wie die seelische Empfindungswelt, der Wahrheit des Geistes gehorchen lernen.

Von der Wahrheit als einer selbständigen Macht hat Jesus viel geredet, überhaupt zuerst geredet. Ohne ihn würden wir »die« Wahrheit nicht kennen. Sie ist's, die uns frei macht.

 

Die Wahrheit Gottes wächst wie jeder Lebenskeim. Wir haben diese Wahrheit heute als Erkenntnis. Es muß auch einmal eine Zeit kommen, wo sie allgemein als einzig mögliche Lebenshaltung gelten wird.

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Sein im Geiste ist etwas grundanderes als Gedankenreihen in sich aufnehmen.

 

Einen Lebenswert haben Lehrsätze natürlich nicht. Sie hängen äußerlich am Menschen dran und haben etwa die Bedeutung von Uniformen. Die sie tragen, schwärmen mehr oder weniger dafür. Verschiedenheit der Uniformen bedeutet Mißtrauen und Streitfall. Aber der Mensch ist ganz etwas anderes als seine Uniform, auch wenn er oft genug drin aufgeht. Ein Lehrgerüst wird meistens durch die Kraft des Eigensinns oder Parteisinns – man sagt dafür auch Gewissensnot – anscheinend zum Wesensbestandteil des Menschen, so wie sich mancher ohne seine gewohnte schmucke Uniform nicht denken kann. Allein es kann doch unmöglich die verschiedene Farbe und Form einen wirklichen Unterschied bewirken. Dieser würde erst dann vorhanden sein, wenn der Mensch aus den Wahrheiten seines Lehrtums Kräfte zöge, die ihn lebendiger, göttlicher, gesünder, liebevoller und dergl. machen. Diese göttlichen Lebenskräfte, die der Wahrheit entströmen, sind aber von der Uniform ganz unabhängig. Sie kommen meistens erst zur vollen Geltung, wenn die Uniformen ausgezogen sind.

 

Weil die Wahrheit keine Farbe, sondern ein Wesen ist, hat sie auch eine höchst eigentümliche Wirkung. Sie wirkt auf den ganzen Menschen. Eine Ansicht, auch wenn's eine wahre Ansicht ist, vermag das nie. Unsere Ansichten haben wir vielleicht alle im Leben öfters gewechselt, unser Wesen blieb schließlich immer das gleiche. Vielleicht, daß wir hier und da kleine Fortschritte machten, in der Regel bleiben uns dieselben Nöte und Schwächen.

»Die« Wahrheit würde aber unser Wesen von Grund aus umgestalten. Das vermögen Anschauungsformen nie. Selbst leibliche Wirkungen müßte »die« Wahrheit auf den Menschen ausüben. Leben, Gesundheit, Friede, Freude, Sicherheit und unerschütterlicher Mut würde neben den wahren Gedanken zum Ausdruck kommen. Solange diese Wirkungen nicht da sind, solange glaube ich nicht, daß jemand »die« Wahrheit hat. Was er aber für Gedankenreihen dauernd oder vorübergehend herbergt, ist doch wahrhaftig völlig gleichgültig.

Aber der erste Schritt zur Wahrheit ist der, daß wir jedem seine Gedankenfreiheit gewährleisten.

 

Es ist nicht so wichtig, welche Anschauung und Auffassung wir von diesem oder jenem Ding, oder der ganzen Natur haben. Unsere Anschauung richtet sich nach unserem Auffassungsvermögen. Aber das ist ein tiefgreifender Unterschied, ob wir uns als Beherrschte oder als Sieger, als Leidende oder als Handelnde wissen und benehmen.

 

Ist der Glaube weiter nichts als ein Gedankending, so wird aus dieser neuen Ansicht eine Art von Philosophie, die gelehrten und müßigen Leuten zugänglich ist und ein gewisses Vergnügen bereitet, im übrigen aber wertlos ist, wie alle Anschauungsgefüge. Ist er aber ein Erleben, eine Geschichte, so müssen in ihm welterschütternde und ungeahnte Kräfte der Umgestaltung und Erneuerung liegen. Ein wirkungsloser Glaube ist ein Widerspruch in sich selbst. Geistliche Gleichgültigkeit und Glaube können so wenig beisammen sein wie Licht und Finsternis. Sie heben aus rein naturgeschichtlichen Gründen einander auf.

 

Ein Glaube oder Unglaube, der weiter nichts ist als eine Form des Denkens, hat weder Wert noch Unwert. Ob er Lebenskräfte gibt, darum handelt sich's. Der Mensch bedarf zum Leben einer Summe von Kraft. Hat er diese, so wird sie aus ihm strahlen als Lebensglück und eine Offenbarung seines Seins in Gott sein, hat er sie nicht, so wird er allmählich lebensunfähig werden, aber seine Weltanschauung ist so gleichgültig wie die Farbe seiner Kleider.

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Ein Mensch, der einmal in einem Lehrgebäude steckt, ist nicht mehr fähig, etwas Werdendes richtig zu beurteilen.

 

Ein Gedankengefüge ist herrisch und gewalttätig und finster.

 

Man kann deutlich beobachten, daß sich Menschen in gewisse Gedankenreihen so hineingewöhnen, daß sie beinah als Bestandteile ihrer selbst erscheinen, daß Mensch und Gedankenkreis als unlösliches Ganze erscheint, und der Mensch ein Antasten des Gedankengefüges als persönlichen Schmerz und Verwundung empfindet. Das ist natürlich ein sehr gefährlicher Krankheitszustand. Da ist das Ich, das Gottesbild, verloren gegangen und vergraben unter irgendwelchen fremden Gedankenreihen. Von Glaube ist dabei keine Rede, obgleich diese Zustände oft genug mit Glauben verwechselt werden.

 

Die Religionsstreiterei ist eine furchtbar ernste Sache. Es gibt kaum ein deutlicheres Zeichen der Gottverlassenheit, als wenn jemand über Religion streitet. Fluchen ist kein so deutliches Zeichen. Elisa hat einmal 42 unartige Buben verflucht und blieb doch ein Gottesmann, aber der Religionsstreiter hat keine Ahnung von der Majestät des lebendigen Gottes, der daherkommt und alle Gedanken der Menschen weit, weit überholt.

 

Man kann geradezu sagen: Je allgemeiner und deutlicher Gott erkannt wird, um so geringer ist das Bedürfnis, über den Begriff »Gott« Rechenschaft zu geben; und umgekehrt kann man aus dem Emporwuchern philosophischer und theologisch-wissenschaftlicher Richtungen schließen, daß zu solcher Zeit Gott wenig bekannt sein muß. Man würde sich ja sonst nicht so viel über den Begriff »Gott« zu ereifern nötig haben; ebenso wie sich diejenigen Kinder am meisten über den Begriff »Eltern« Gedanken machen, welche früh verwaist sind. Die anderen haben es nicht nötig.

 

Wie verdüsternd wirkt doch religiöse Gebundenheit, gleichviel welcher Färbung! Von Gott und seinem Reiche ist orthodox ebenso weit entfernt wie liberal. So lange es der Wahrheit Gottes nicht gelingt, die religiösen Panzer zu zersprengen, bleibt der Mensch auf der Rechten und Linken Gott–los. Aber die Wahrheit macht auch frei und läßt die religiösen Gegensätze veralten wie ein fadenscheiniges Gewand.

 

O du wundersames Dogma! Welche Macht eignet dir doch, in höflichster Form mit allem Schein des Glaubens dem lebendigen Gott auszuweichen. Mit nichts kann man sich so gut jegliche Leistung des Glaubens ersparen als mit Glaubenssätzen. Wie sicher ist man doch vor dem heute eingreifenden Tun Gottes im Schutze eines Dogmas!

 

Wo ist denn das ewige Leben und die Auferstehung geblieben? Alles in den jüngsten Tag hineingepackt. Wo ist denn das Himmelreich? Irgendwo jenseits des Grabes, unerreichbar weit. Die Auferstehung, das Leben und das Himmelreich ist den Lebendigen abhanden gekommen. Dafür bot man uns die Schalen und Treber des Dogmas. Die Juden haben Jesum totgeschlagen, s'ist wahr, und sie leiden dafür ihr schweres Gericht vor den Augen der Jahrtausende, aber die Christen haben den Auferstandenen totgeschlagen mit ihren Dogmen, und darum leiden sie das Gericht der Zerstreuung, des Unfriedens, des Todes im Geiste auch vor den Augen der Jahrtausende.

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Wenn jemand an eine Vorsehung nicht glaubt, wird's der Vorsehung nicht schaden. Ihm selbst auch nicht, denn er soll nur glauben, was er selbst miterlebt. Er wird's aber glauben, wenn er's schaut und selbst erlebt.

Vielleicht kann man die Sache an einem Beispiele erläutern. Wir erleben täglich einen der geheimnisvollsten und wunderbarsten Vorgänge, die sich überhaupt ein Mensch vorstellen kann, unsere Ernährung. Wär's keine Alltäglichkeit, so würde das Essen und seine Wirkung als größtes Wunder von uns angestaunt werden.

Wird's dem Menschen schwach zumute und stimmt sich das Leben herab, so greift er nach den Früchten der Bäume, oder des Feldes, oder er zieht irgendeiner tierischen Mitkreatur das Fell ab und versenkt, was er vom Fleische mag, in seinen allzeit hungrigen Magen. Dann steht er auf und fühlt sich neu erfüllt von Kräften. Ihm kommen neue Gedanken. Sein ganzes Menschsein ist gehoben. Wodurch? Dadurch, daß er Tier und Pflanze verschlang. Offenbar wurde durch Vermittelung des Essens das Tier und die Pflanze Mensch. Was vorher etwa Tierlende war, wird im Menschen Auge, Ohr, Blut, Knochen, Nerv, Hirn. Sogar Gedanken werden draus.

Das wunderbarste ist aber bei diesem geheimnisvollen Walten des Lebens, daß jeder Teil des Körpers, jede einzelne Zelle von der Nahrung genau das und soviel bekommt, als sie bedarf. Jedem wird genau sein Teil zugemessen und zugewogen. Es muß also eine Zellenvorsehung geben, die das Sein und Bedürfnis jeglicher Zelle genau regelt. Die Zelle selbst ist so winzig und unbedeutend, daß von ihr zu reden nicht lohnt, aber so wichtig, daß sie nicht einen Tag übersehen wird.

Denken wir einmal, wir wären bloß Zellen, könnten aber unserem Sein entsprechend denken. Da würden wir vielleicht auch fragen: Gibt es eine Vorsehung? Unsere Mitzellen würden uns klar zu machen suchen, daß es notwendig eine geben müsse, die jedem der Millionen Zellwesen genau sein Maß und seine Sonderstoffe gewähre und zuführe.

Sie könnten es aber nicht beweisen. Der Vorgang der Ernährung an sich wäre viel zu hoch für Zellenvorstellungen. Sie bauten nur ihre Schlüsse auf ihre tägliche Erfahrung auf. Aber sie hätten recht.

Sind wir in Wirklichkeit aber mehr als Zellen? Jeder einzelne von uns ist ein kleinstes Teilchen der großen Einheit Mensch. Die Menschheit weiß von uns vielleicht so wenig wie der Körper von den Zellen. Die einzelne namentlich wird gar nicht beachtet.

Aber jede einzelne Zelle ist trotzdem sehr wichtig. Schon deshalb, weil sie sich sehr empfindlich zur Geltung zu bringen vermag. Wenige Zellen vermögen das Leben des Ganzen sehr erheblich zu stören. So friedliche Bürger sie im gesunden Zustande sind, so widerborstig werden sie im kranken und können plötzlich die Hauptsache werden, die alles Denken auf sich allein ziehen. Das Leben versucht dann oft auf die sinnigste Weise alles zu tun, um die Leidenden zur Ruhe zu bringen, zu pflegen, zu trösten. Der schmerzende Teil wird besonderer Fürsorge wert erachtet. Es geht gar nicht anders, wenn das Ganze nicht leiden soll.

Gibt es eine Vorsehung? – Unter den Zellen gewiß. Eine Fürsorge, die auch das kleinste vorher ganz unbewußt ordnet und regelt und bei Unregelmäßigkeiten mit aller Macht helfend eingreift. Wir nennen diese Zellvorsehung Leben.

Wir sind wirklich auch nicht mehr als Zellen. Ebenso wie wir ist jede kleinste Zelle ausgerüstet mit einer sehr feinen Empfindung, mit der sie in ihrem Kreise genau zu überlegen vermag, was ihr nützt und schadet, was sie bedarf und begehrt. Ihr Empfinden ist nur bei uns, ganz entsprechend unserer Größe, unbewußtes Unterleben. Unser bewußtes Leben gehört als Denken und Wollen nur dem Gesamt-Ich. Unsere gesamte Sichtbarkeit ist nur ein Zellenbündel, das mit einem einheitlichen Bewußtsein ausgerüstet ist.

Dem natürlichen Denken ist es sehr naheliegend, sich vorzustellen, daß es auch ein noch höheres allgemeines Bewußtsein geben muß, das die Gesamtheit Mensch umspannt. Diesem würde wieder jedes Einzelsein im Unterbewußtsein liegen und nur nach Bedarf ins Auge gefaßt werden. Es wären nur die Größenverhältnisse verschieden. Wesensunterschiede brauchte es nicht zu geben.

Die Einzelzelle hat gewiß kein Verständnis für den Menschen, der sie trägt. Sie ist viel zu klein, um eine Vorstellung vom Menschen nur fassen zu können, und hätte sie eine, so würde sie ihn genau so wie sich selbst denken. Sie würde sagen: Der große Mensch, der mich trägt, und in dem ich lebe und webe, kann nichts anderes sein als eine eiförmige Riesenzelle mit Zellkern, Zellwasser und Zellhaut. Man dürfte ihr diese oder eine ähnliche Vorstellung nicht übelnehmen. Sie denkt, so gut sie kann und kann nicht weiter.

Ganz ebenso geht es bei uns Menschenzellen. Wir können uns das große Um-Ich, von dem jeder einzelne nur ein kleiner Widerschein ist, nicht richtig vorstellen. Es ist für unser Denken zu groß und doch ergibt es sich nach dem sonstigen Naturverlauf als unabweisbare Schlußfolgerung.

Dieses Große, Allumfassende mag man Vorsehung nennen. Der Name tut natürlich nichts zur Sache. Kein einziger Name vermöchte dieses All-Eine zu umspannen oder beschreiben. Es ist Gott, ist Vater, ist Leben und Urquell alles Lebens, ist das ewige Ich, in dem wir leben, weben und sind. Du hast das Recht, dir von ihm eine Vorstellung zu machen und einen Namen zu nennen, wie du's vermagst. Niemand darf deine Ausdrucksweise antasten, deine Gedanken falsch nennen, denn niemand erfaßt nur annähernd dieses ewige Sein. Nur das darfst du wissen, daß wer dich um deines Denkens willen tadelt, wahrscheinlich weniger davon zu fassen vermag, als du selbst.

An diese Vorsehung des Vaters würde ich mich immer unmittelbar wenden und den Mut haben, mein kleines Sein zur vollen Geltung zu bringen. Aber natürlich nicht darum, weil ich so gut und brav bin, sondern weil ich bedürftig bin. Wäre ich gut und vollkommen, so wäre es eine unstatthafte Zudringlichkeit, wenn ich die Vorsehung für mich besonders in Anspruch nehmen wollte. Aber wie in mir selbst das Elende und Unvollkommene schreit und Hilfe heischt, so muß auch ich das Recht haben, im Falle der Not mich dem Großen gegenüber zur Geltung zu bringen und Hilfe zu erwarten. Es ist auch das Allernatürlichste, daß mit allen zu Gebote stehenden Kräften – das sind alle, die es gibt – und mit aller Weisheit Abhilfe geschafft wird, daß auch das Unbedeutendste so geregelt wird, wie es dem Einzelnen, Kleinsten und Geringsten frommt.

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Aller Glaube beruht auf Gegenseitigkeit, nicht auf Einseitigkeit. Darum ist der Glaube an Gott etwas so Großes, entsprechend der Persönlichkeit Gottes. Wenn man es menschlich deutlich machen will, könnte man dafür das lateinische Wort »Credit« in unserer Handelssprache gebrauchen. Das Tun des einen ist, ihn zu eröffnen, die Sorge des andern, ihn nicht zu verlieren und nutzbringend damit zu arbeiten. Kredit hat nur Wert, wenn man damit wuchern kann, andernfalls ist die Gabe wertlos, sogar gefährlich. Kredit eröffnen kann man nur mit Auswahl und nach bestimmtem Maße, nicht jedermann gleich hoch, sondern nur entsprechend dem Maße, in dem man Zutrauen haben kann. Kredit ohne Auswahl würde den ganzen Handel weit mehr schädigen als beleben, aber mit entsprechender Auswahl ist er Hauptmittel zur Erreichung großer Wirkungen. Um ohne Bild zu reden, ist Gott derjenige, der Himmlisches anvertraut, der Mensch, der es festhält und göttlich verwertet. Der Anfang liegt auf Seiten Gottes. Daher kann man nicht in die Menschen ohne weiteres hineinpredigen: Glauben, Glauben! Das werden sie gar nicht verstehen können. Man kann höchstens verlangen, daß sie der Gabe Gottes nicht ungehorsam seien.

 

Menschen können ja nichts nehmen und sich selbst ausdenken, was Gott nicht offenbaren will; aber Menschen können sich so halten, daß sie offenbarungsfähig sind oder nicht.

 

Man dürfte nicht fragen, was kann der natürliche Mensch zu seinem Heile tun? Die Frage ist vielmehr die: unter welchen Umständen kann Gott etwas tun zum Heile des Menschen? und wir könnten sie etwa so stellen: wie muß der natürliche Mensch sein, damit eine Errettung stattfinden kann? ... Jesus sagt: »Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme.«

Demnach gibt es Menschen, die »aus der Wahrheit« sind, und solche, die es nicht sind; sagen wir vorläufig dafür: aufrichtige und nicht aufrichtige. Die Lage des Menschen ist durch Geburt und Verhältnisse so, daß sie wohl fühlen: das Wahre, das Rechte ist's eigentlich nicht. Die einen nun bewahren sich in allem Unwahren die Sehnsucht und das Verständnis für das Wahre, die anderen schicken sich in das vorhandene Unwahre, so gut es eben geht und beruhigen sich dabei. Letztere hören die Stimme des Herrn so leicht nicht.

In diesem Zustande gibt es natürlich verschiedene Abstufungen und Grade, vielerlei Einflüsse kommen dazu, Geburt, geistiges Erbteil von den Eltern, Erziehung, verschiedenartige Lebenseinflüsse und -Verhältnisse und dergleichen. Völliges Ausgeschlossensein von der Wahrheit und damit von dem Erkennen der Stimme des Herrn kann man von niemand aussprechen.

 

Wahrheiten sind Belohnungen des Glaubens, nicht Werbemittel. Von dem Augenblick an, wo ein Mensch Zutrauen zeigt, vielleicht vorerst nur geringes, persönliches, kann man ihm etwas sagen. Faßt er das mit göttlichem Verständnis, so kann ihm weiteres werden. Aber unmöglich ist's, mit Hilfe planlos ausgestreuter Wahrheit Menschen für Gott gewinnen zu wollen. Die Wahrheiten Gottes sind keine Lehren, sondern Erlebnisse. Auch eine mitgeteilte Wahrheit ist ein kleines Erlebnis, das an Vorheriges und ein gewisses Bereitstehen deiner Person einheitlich gefügt ansetzt, wie sich die wachstümliche Zunahme des Zellengewebes aus der unsichtbaren Welt des Wurzelwerks ergänzt. Daher ist's ein ganz rührender Irrtum, den man oft in der üblichen Gedankenlosigkeit aussprechen hört, die Großtaten Jesu und der Apostel seien damals notwendig gewesen, um den Glauben einzubürgern, aber heute nicht, weil wir ja Gott sei Dank! alle so gläubig geworden seien und uns ohne auffällige Taten Gottes in unserer ganzen strenggläubigen Tüchtigkeit viel besser darstellen. Gerade umgekehrt ist's. Dem entgegenkommenden Zutrauen zu Jesus und seinen Aposteln gegenüber konnten Wahrheiten mitgeteilt werden, auch bis ins sinnenfälligste Wesen hinein, und hätten sich dauernd immer breiter ausdehnen und sich folgerecht der ganzen Welt mitteilen müssen als »Leben der Welt«, hätten aber nimmermehr ins Geistliche verflüchtigt werden dürfen.

 

Der Glaube ist das selige Land des Erlebens Gottes. Es ist, als wenn jemandem die Augen aufgetan würden, »daß ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält, schau' alle Wirkenskraft und Samen und tu' nicht mehr in Worten kramen«. Wir haben heute einen Zustand, der etwa dem entspricht, was man damals Glauben nannte. Das vorige Jahrhundert hat uns die Augen aufgetan über ungeahnte Naturkräfte und Zusammenhänge. Chemische, physikalische, elektrische, biologische Kräfte und Vorgänge wurden dem staunenden Auge unwissender Barbaren gezeigt und deutlich gemacht, und flugs nahmen einsichtsvolle Erfinder diese Naturkräfte in den Dienst der Menschheit und schufen ein Zeitalter der Tat, das einen Aufschwung der Lebenshaltung mit sich brachte, der auch die kühnste Märchenphantasie weit zurückließ. Dieses neue Erleben, das kann man nennen den Glauben der Zeit, zu dem uns seit etwa hundert Jahren die Türen geöffnet sind und natürlich immer weiter geöffnet werden müssen.

 

Die Kette der Erlebnisse erst bildet das, was man allenfalls Glaube nennen darf. Ein anderer kann für mich keine Erfahrungen machen, mit denen ich mich auf die Dauer zufrieden geben kann, sowenig er für mich geboren werden oder sterben kann. Das kann ich nur selbst erleben, wenn ich's verstehen und innewerden soll.

Wer aber in dieser Richtung offene Augen bekommt und seine kleinen Erlebnisse macht, der sollte dieses neue Bewußtsein sorgfältig in seinem allertiefsten Innern verschließen und dort aufs genaueste zu verarbeiten suchen, damit es in ihm zum natürlichsten Empfinden ausreift, das sein ganzes Sein und Tun umfängt. Es wird seine neue Welt und sein neues Licht werden, das ihn bald genug umleuchten wird.

Das Schönste dran ist, daß das nächste Anrecht auf Beachtung des Körpers die kranke Zelle hat, nicht die gesunde; die allerunvollkommenste, nicht die Musterzelle, auch dann nicht, wenn sie sich noch so sehr reckt.

Wenn du dich elend fühlst, dann vertraue auf deine Unbrauchbarkeit und Bedürftigkeit und untersuche selbst die Frage, ob's eine Vorsehung gibt. Der Leib empfindet Schmerz, wenn eine Zelle krank ist, und die Vorsehung leidet, solange als du leidest. Der ungeheure Schmerz in der Welt hat größeren Widerhall, als wir ahnen.

Wer nun eintaucht in dieses einzigartige Erleben und schauen darf, was das Einfachste und Natürlichste ist, der lasse sich ganz davon erfüllen mit inniger Dankbarkeit. Erst dann beginnt das eigentliche Leben, das ewige Leben. Aber wenn du's hast, red' ja nicht davon und spreize dich nicht damit. Du machst dich sonst auf der Erde unangenehm und im Himmel lächerlich.

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Vom Himmel her strömt unausgesetzt Gedankenfreiheit über alle Welt, über Böse und Gute, Gerechte und Ungerechte. In einer unendlichen Geduld ist unser ganzes Wesen der Entwickelung anheimgegeben. Und diese ist zielbewußt und gerecht. Sie fördert die Wahrheit zutage, und alle Gedankengebilde müssen nur dazu dienen, die Wahrheit um so mehr hervortreten zu lassen. Alle, die verneinenden ebenso wie die bejahenden.

 

Das Himmelreich ist das Land der Freiheit und Unmittelbarkeit. Die dafür Sinn haben, sind Himmelreichsleute.

Im Himmel herrscht ein weltumspannendes Freidenken, an das auch die Kühnsten auf Erden nicht hinankommen.

 

Gott verlangt ja von keinem Menschen, daß er Unbewiesenes glaubt. Aber die göttlichen Beweise sind keine Denkergebnisse, sondern Geschichte und Wirklichkeit des Erlebens.

 

Ganz sicher mutet Jesus keinem einzigen Menschen zu, irgendwelche Lehren, die Menschen über ihn verbreiten wollten, zu glauben. Was nicht in unzweideutigen Taten kommt und in einer Gottesgeschichte, in die Menschen hineingestellt werden, kann gar nicht entscheidend sein für die Zugehörigkeit zum Reiche Gottes. Religionen leben von Lehren, Formeln, Formen, das Reich Gottes bewegt sich in lebendiger Geschichte.

Im Gebiete der Wahrheit aber, der naturgeschichtlichen ebenso wie der geistigen, gibt es keinen mathematischen Beweis, weil die Elemente der Mathematik nicht vorhanden sind. Es gibt nur den Beweis des Erlebnisses. Wir werden nur dessen inne, was wir als Tatsache durchschreiten und sind gar nicht fähig, etwas zu verstehen, was wir nicht an uns erlebt und erfahren haben.

Wahr ist im religiösen Gebiete, was den Menschen in ein höheres Sein, nicht Denken hebt. Alle Formeln und Bekenntnisse liegen aber nur im Bannkreise des Denkens und Verstehens, nicht des Seins und Lebens. Also stoßen sie mit der Wahrheit des Menschen so wenig zusammen, wie ein Dampfschiff mit einer Lokomotive.

 

Die Wahrheit ist nur eine. Vielleicht habe ich sie, und der andere, der anders denkt, irrt. Dann kann es doch nur so sein, daß er sie noch nicht hat. Ist es die Wahrheit, dann muß sie auch in sein Leben früher oder später hineindringen, denn Wahrheit kann gar nicht verborgen bleiben. Wenn ich ihn aber heute in meine Wahrheit hineinnötigen will, so begehe ich den Grundfehler der Ungeduld und schneide ihm eine Entwickelung ab, die für ihn vielleicht höchst wichtig und notwendig ist. Dadurch, daß ich ihm die Wahrheit aufhänge, und er sie nicht selbst innerlich gefunden und erlebt hat, kann ich ihm nur schaden. Ich habe nur auf eines Anspruch, daß er mir auch die Duldung gewährt, die ich ihm gebe.

Die Sache liegt aber viel tiefer. Alle Gedankenreihen haben im Grunde mit dem Wesen des Menschen rein gar nichts zu tun. Gedanken sind Gewänder des Geistes und unterscheiden sich vom Ich des anderen so wie die Kleidung vom Menschen. Kleider machen Leute – ja, aber nur zum Schein. Sie machen Leute, aber sie schaffen nicht Menschen. Es gibt Leute, die hochchristlich und streng konservativ sind, und alles Gute, was es gibt, denken und aussprechen, und sie sind doch Lumpen und Heuchler.

Das Wesen des Menschen macht's aus, nicht sein zufälliger Ansichtenbehang. Was hilft's da, wenn wir mit anderen die gleichen Gedankenreihen äußern, wenn wir doch im Wesen grundverschieden und grundanders zu bewerten sind?

 

Gibt es Geist, so schadet es dem Geiste am wenigsten, wenn jemand sein Dasein leugnet. Was würden wir tun, wenn jemand unser Dasein leugnen wollte? Ich denke, wir würden uns nicht drüber ärgern, sondern eine passende Gelegenheit ergreifen, den Leuten unser Dasein in freundlicher Weise zum Bewußtsein zu bringen. Ich würde jeden solchen einmal zu Tisch einladen und mit ihm anstoßen auf unser beiderseitiges Wohlergehen. Es wurde damit eine so reizende Lage des Erkennens geschaffen werden, daß wir noch die besten Freunde würden.

Sollte im Reiche des Geistes weniger Humor walten? Jemand hat einmal gesagt: Der den Frosch geschaffen hat – sollte der keinen Humor haben? Der Geist wird sich einmal in entzückender und beseligender Weise zu erkennen geben. Wer sich im Namen des Geistes glaubt über seine Leugner entrüsten zu müssen und anfängt, sie Materialisten oder dergleichen zu schimpfen, bekundet jedenfalls große Schwäche und sehr geringen Glauben in seine Sache. Der sogenannte Materialist hat oft viel mehr Geist als sein grollender Gegner.

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Wir sind wunderliche Leute. Wenn wir eine Geschichte lesen, wie die Wüstengeschichte, dann sagen wir: Das ist doch beinahe unmöglich, daß es wirklich sollte Brot vom Himmel geregnet oder getaut haben. Dann untersuchen wir die Quellen, die das berichten, und finden, daß sie höchst unzuverlässig sind. Späte Abfassungen wundersüchtiger Zeiten. Dann legen wir die Geschichte einfach weg. So wird natürlich kein Gottesbrot.

Aber Jesus dachte anders. Er las die Geschichten und prüfte sie auch und machte sich seine Gedanken. Aber er dachte: Wenn die wahr sind, dann muß ich sie nacherleben können, und werde nicht ruhen, bis ich sie erlebe. Dann geht mich Verfasser und Überarbeiter dieser alten Papiere nichts mehr an, dann habe ich sie als beglückende eigene Gegenwart in meinem Leben. Auf diese Weise erlebte er wirklich das Gottesbrot und wußte zugleich: Die Alten haben's auch so gehabt.

 

Alle sogenannten Naturgesetze sind doch nur Willensausdruck Gottes. Wer aber im Willen Gottes selbst steht, dem müssen sie in vollster Beweglichkeit gehorchen. Diese Beweglichkeit ist keineswegs ein Widerspruch gegen Gott, sondern weitere Entfaltung und Offenbarung seines Wesens. Nur so ist der Mensch Ebenbild Gottes, und darum war Jesus wahrer Mensch, weil er das Ebenbild Gottes verwirklichte.

 

Man ist im allgemeinen gewohnt, das Wunder an dem zu messen, was wir als Naturgesetze erkannt haben und das Wunder etwa zu erklären als Verstoß gegen die Naturgesetze. Das ist eine Erklärung aus dem Nein heraus, ein sehr laienhafter Standpunkt. Was ist denn Naturgesetz? Was wissen wir im Grunde von der Natur und ihren Gesetzen? Vom Wesen der Natur wissen wir überhaupt nichts, und was wir Naturgesetze nennen, dürften immerhin verbesserungsfähige Erkenntnisse sein.

Aber mag dem sein, wie ihm wolle: das Wunder hat überhaupt mit den Naturgesetzen nichts zu schaffen. Das Wunder muß nicht an der Natur, sondern an Gott gemessen werden. Wunder ist ganz einfach göttliche Unmittelbarkeit. Wem Gott ein lebendiger ist, wer Gottes im Erleben inne wird, der bekennt und bezeugt das Wunder, die unmittelbare Gottestat, das Wort als Tat. Wer Gott als den lebendigen erkannt hat, der bekommt allmählich andere Anschauungen über Raum, Zeit und Stoff. Ihm erscheint als das einzig Wirkliche und Wirksame der Geist, d. h. das wesenhafte Sein in Gott, der sich allerdings durch Raum, Zeit und Stoff kundgibt und sich in ihnen bewegt, aber in ihnen doch mehr seinen zufälligen Ausdruck findet. Wunder sind bewußte Geistestaten, die ihrem eigenen Gesetz folgen, gleichviel ob sie sich scheinbar innerhalb oder oberhalb dessen bewegen, was wir Naturgesetze nennen.

Wunder können nie erklärt werden, weil wir Geist nicht erklären oder beweisen können, weil wir mit unserem Denken einstweilen sinnlich, d. h. an Raum, Zeit und Ort gebunden sind. Aber Wunder kann man verstehen, weil wir Geist sind, und soweit wir Gottes sind. Wunder sind nur dem verständlich, der sie erlebt oder bewirkt. Es ist, als öffne sich solchem im Wunder ein Blick in das Wesen des Seins, heraus aus der sinnlichen Gebundenheit.

 

Wir dürfen unsere Naturwissenschaft nicht überschätzen. Wenn wir weiter zusehen, ist's vorerst nur eine Wissenschaft, aber noch lange keine Herrschaft Wir forschen nach den Gesetzen, die die Stoffe regieren, und können sie auch bis zu einem gewissen Grade so gruppieren, daß die sie beherrschenden Gesetze sich nach unserem Willen geltend machen. Wir können ihnen aber keine Gesetze vorschreiben und ihnen befehlen, sich im gegebenen Falle nach unserem Willen zu richten. Sie gehorchen ihrem Gesetz, nicht unserem Gesetz. Mit unsern großen Kenntnissen haben wir eigentlich weiter nichts zuwege gebracht, als daß wir uns unter die Gesetze der Stoffe mit beugten und dadurch unsere Lage so angenehm wie möglich gestalteten, daß wir die Natur als unbeschränkte Herrscherin anerkannten und uns als einen Teil ihrer selbst willenlos unter ihren Willen beugten. Die Herrscherin wurde die Natur. So liest man auch in allen naturwissenschaftlichen Schriften.

Wir stehen also wie Knechte im großen Haushalte Gottes, dem Stoffe, aber nicht wie Kinder. In unsern technischen Errungenschaften haben wir die Kräfte des Stoffes überlistet, nicht regiert, und es ist einzusehen, daß wir auf dem Wege der bloßen Wissenschaft in der Natur niemals zu einer wahren Herrscherstellung gelangen werden. Wir werden uns noch weit, weit mehr ausbreiten und können vielleicht einmal mit Ätherkraft über, unter und auf dem Wasser und der Erde dahinschweben, aber stets werden wir Knechte des Stoffes, nie seine Beherrscher sein, wenn wir nicht einen grundanderen Weg einschlagen. Dieser einzige Weg ist der Weg Jesu.

Es ist nun eigentümlich heute. Überall, wo er seine Herrscherstellung in einer uns Knechten unverständlichen Weise zur Geltung brachte, erklären wir die Berichte für verlogen oder wenigstens übertrieben auf Grund unserer Kenntnis der Naturgesetze. Das geschieht nach der schönen Denkformel des Aristoteles, die man den Schülern beibringt: Alle Menschen stehen unter der Natur und ihren Gesetzen, Jesus war ein Mensch, folglich stand Jesus auch unter der Natur und ihren Gesetzen, folglich ist alles, was anderes über ihn berichtet wird, unlauter, irrtümlich, jedenfalls unbrauchbar.

Ob wohl die Welt sich dauernd mit diesem Prachtschlusse beruhigen wird? Ich meine, schon das zwanzigste Jahrhundert wird ihn mitleidig belächeln. Wär's nicht viel vernünftiger, wenn man etwa so dächte: Von einem gewissen Menschen Jesus wird nach Zeugnissen, die den Eindruck großer Nüchternheit und Glaubwürdigkeit machen, eine eigentümliche Herrscherstellung zur Natur und ihren Gesetzen berichtet. Er erreichte diese eigentümliche Stellung, indem er sich von den Einzelerscheinungen aus mit Gott, den er als Urgrund alles Seins unerschütterlich festhielt, in direkte Verbindung setzte durch Entwickelung innerster Willenskraft. Die Glaubwürdigkeit der Berichte wird man am besten dadurch prüfen, daß man den Weg Jesu nachgeht. Dann können, was noch viel wichtiger ist, möglicherweise auch andere Menschen in den Stand gesetzt werden, zu gleichen Zielen zu gelangen, und wir könnten damit werden, was uns heute als ewig unerreichbar vorschwebt, und was bloße Erkenntnisse überhaupt nicht geben können: wahre Menschen. Wahre Menschen beherrschen die Natur als Kinder Gottes im Sinne des Vaters. Naturknechte können nicht wahre Menschen sein.

 

Es hat Philosophen gegeben, die haben die müßige Frage aufgeworfen: Was ist Gott? Die sind natürlich sämtlich gescheitert. Jesus stellt die Frage: Wo ist Gott? und unterscheidet sich dadurch von allen vor ihm und nach ihm, soweit sie sich unabhängig von ihm stellten. Ihn bewegt also nicht die Verstandesfrage des Erkennens, sondern die sittliche des Erlebens. Wenn die Fragen des Erkennens Erkenntnis schaffen, so müssen die sittlichen Fragen Leben schaffen, und das Geheimnis der wundervollen Lebenskräfte, die um Jesum her wirksam wurden, ruht in seiner unmittelbaren Stellung zum Vater.

Der Mensch bleibt etwa an der Erscheinungsform des Stoffes hängen und läßt sich dadurch beirren. Jesus drang hindurch ins Wesen und beherrschte damit den Stoff. Wir kommen mit unseren Kenntnissen der Erscheinungsformen nicht über die Mechanik hinaus und können uns gar nicht denken, daß ein Vorgang anders geschieht als auf mechanischem Wege, so daß es heute als größte Ketzerei gilt, wenn man etwas Übermechanisches voraussetzt. Aber wir fragen auch nur nach den Erscheinungsformen. Jesus stellte die Frage anders. Darum war sein Ergebnis anders. Hoch über dem Mechanischen liegt das lebenglühende Wesen des Vaters, und das ist offenbar der geheimste Kern alles Seins, auch jeder Erscheinungsform, und indem er unverwandt nur dieses Wesen ins Auge faßte, unbeirrt durch alle Zufälligkeit der Form, fand und beherrschte er folglich die Erscheinungsformen.

Wenn er also Wasser in Wein verwandelte oder Tausenden das Brot brach, so trat er nicht aus der Natur heraus nach einer öden Wunderlehre, sondern handelte aus ihrem höheren Wesen heraus. Das ist weder widernatürlich noch übernatürlich, sondern wahrhaft natürlich und würde uns so wenig unverständlich sein wie die mechanischen Vorgänge, wenn wir die Frage nach dem wahren Wesen des Stoffes überhaupt bewegten. Wir suchen ja zugestandenermaßen nur die Erscheinungsform, nicht das Wesen, und setzen dann mit einem kühnen Schlusse das Wesen an als Summe der Erscheinungen. Daher stehen wir heute noch Jesu gegenüber wie die Wilden dem Maschinenkünstler.

 

Es ist eine Eigentümlichkeit des Geistes, daß er nicht Begriff ist, sondern Kraft. Es ist daher das Wahrscheinlichste, daß alles, was wir Kräfte nennen, auch die anscheinend dem Stoffe innewohnenden, nichts sind als Geistesanstöße oder Gedanken. Ja der Stoff selbst ist vielleicht nur deshalb für uns so rätselhaft und unerklärbar, weil er eine Versichtbarung von Geist ist, bewegt von Gedanken, die wir deshalb für unwandelbar halten, weil wir in der kurzen Spanne unseres Schauens sie für unwandelbar erfunden haben, und weil wir ihnen einstweilen machtlos gegenüberstehen und sie damit durch unser eigenes Denken zu unwandelbaren gemacht haben. Würden wir an den Geist glauben und nicht an den Stoff, so würde sich wahrscheinlich herausstellen, daß der Stoff das Fließende, Wogende und Bewegliche ist, und daß der Geist ihn leitet nach seinen Gedanken. Es muß eine Stufe des Seins geben, in der der Stoff dem Willen des einzelnen ebenso gehorcht wie heute dem sogenannten ewigen und unwandelbaren Naturgesetz.

 

Die Dinge wollen ihrer Natur nach durch Geist regiert und geleitet sein, sonst folgen sie ihren Gesetzen, und der arme Mensch wird von ihnen mitgeschleppt und gerät unter die Herrschaft der Dinge.

 

Es war Auswirkung von Glauben, wenn Jesus Brot, Wein, Fische schaffte, wenn ihm alle Kräfte des Stoffes zur unbeschränkten Verfügung standen, wenn er dem Meer und dem Sturmwind gebot und den Seinen sagte: Ihr werdet noch Größeres tun. Nun ist ganz gewiß, daß man mit Ansichten die Kräfte des Stoffes nicht in Bewegung setzt, daß man mit Anschauungen Berge nicht versetzt und Kranke nicht heilt. Darum ist der Glaube etwas wesentlich anderes als Anschauungen, denn seine Wirkungen waren weltbewegend.

 

An keine Machtgrenze zu glauben, sondern siegreich wie der Meister immer weiter zu dringen, das wäre seinem Sinne entsprechend. Das Dogma hilft uns zu der Machtstellung Jesu gar nichts, wohl aber die Erfahrung, unsere persönliche Erfahrung, die Kräfte, die sie durch uns auswirkt. Wenn er in die Welt hineinrief: Wer mich siehet, der siehet den Vater, so müßten die Seinen sprechen: Wer uns siehet, der siehet Jesum, und in wem Jesus nicht gesehen wird, der kann vielleicht ein sehr pflichteifriger und frommer Religionsdiener sein, aber eine Herrschaftsstellung nimmt er nicht ein, weder in der sichtbaren, noch viel weniger in der unsichtbaren Welt, und Jesus seufzt heute nicht so sehr über das Heidentum und die Gottlosigkeit in der Welt, als über ein Christentum, das ihn am meisten hindert, zur Geltung zu kommen.

Ist's nun nicht wunderlich, wenn Menschen eifrig bemüht sind, alle Taten Jesu und erst recht die seiner Jünger umzudeuten, so daß sie heute wie Spinneweben in staubigen Religionswinkeln hängen, wo die Leuchten der Wissenschaft nur noch nicht hineingeleuchtet hätten, um sie zu vernichten, statt umgekehrt mit aller Macht danach zu streben, sie nachzutun, nicht nachzuahmen und nachzuäffen, sondern frei, klar, wie der Augenblick es erfordert, im gleichen Sinne zu handeln und zu wirken, die Herrschaftsstellung einfach zu erwerben und in Besitz zu nehmen, die ihm und von ihm aus uns gegeben ist?

 

Wie schade, daß sich niemand mehr getraut, sich zur Natur zu stellen, wie Jesus. In unerbittlichem Schweigen hält aber er seit beinahe zweitausend Jahren seine Stellung fest, bis wir ihm folgen, und das bleibt gewiß, wer an den Stoff glaubt, den wird der Stoff beherrschen, wer aber an Gott glaubt, den wird Gott beherrschen und ihn zum Herrn machen auch über den Stoff.


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