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»Wenn nicht jemand neugeboren wird, so sieht er gar nichts vom Reiche Gottes.«

Dieses Umgebären ist ein ganz erdrückender Gedanke. Wäre das Wort nicht so zur Charakterlosigkeit abgeschliffen worden, es müßte uns heute noch erschrecken wie damals den Nikodemus. Eine ganze Naturgeschichte liegt drin verborgen. Der Umgeborene ist natürlich ganz neu, aber aus seinen alten Bestandteilen neu geworden. Alles Geborene kommt unfreiwillig zur Welt und ist doch gliedlich gewachsen und geworden. Ein Wiedergeborener ist derselbe wie vorher und doch ein ganz neuer, unfreiwillig geworden, und doch nun ganz frei.

 

Es ist ganz leicht, erlöst zu werden. Es geschieht unbewußt, ungewollt und überraschend, eine neue Geburt. Aber dann erfordert es die Anstrengung und Ausbildung aller vorhandenen Kräfte. Daß ein Mensch geboren wird, dazu braucht er sich keine Mühe zu geben, aber daß er lebendig bleibt, und wie lange er sich lebendig erhalten kann, daß er ein Menschenleben wirklich nach Inhalt und Dauer ausfüllt, das erfordert die äußerste Anstrengung und Ausnützung aller Kräfte. Die weitaus meisten erlahmen ja unterwegs und versinken zur Unzeit mutlos und mattherzig in Grab und Verwesung. Im ewigen Leben herrschen genau die gleichen Gesetze wie im zeitlichen. Für die Umgeborenen kommt alles drauf an, im neuen Leben zu bleiben und alle verfügbaren Kräfte zu entfalten und zu stählen.

 

Eine göttliche Rettung bedeutet zugleich eine Umwälzung aller Verhältnisse und Änderung alles dessen, was bisher als Lebensbedingung galt. Dem Geretteten ist aller Boden unter den Füßen weggezogen. Aber wenn er meint, ins Bodenlose zu fallen, fühlt er sich gehalten und getragen und sieht staunend ein herrlich neues, köstliches Leben vor seinen Augen aufgehen, das ihn ewig umfängt. Erlösung ist göttlicher Umsturz des Seins.

 

Wenn man Blinden vom Blau des Himmels vorschwärmt, kann man sie ja vielleicht sehnsüchtig begeistern, aber wenn man ihnen die Augen auftut, dann sehen und wissen sie, was Blau ist, denn sie haben's erlebt. Oder meint etwa jemand, er würde es nicht merken, wenn er aus der Hölle, in der er geboren, ins Himmelreich hineinversetzt wird?

Wem einmal der Sinn für das Reich Gottes aufgegangen ist, der hat sich wirklich vergessen über der Herrlichkeit, der er dient. Denn ihm geht's auf jeden Fall ganz ausgezeichnet gut, ob in Ketten, oder Schlägen, oder Nöten, oder Sterben, er hat in jedem Falle ewiges Leben, und das ist Seligkeit und Wonne. Was kümmert ihn da der Zufall seines kleinen Schicksals?

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Wie heute, war's auch damals trotz aller Lebenstaten, die den Apostel begleiteten, durchaus nicht leicht und mühelos, wirklich auf Gott hin umzudenken. Es besteht darin, daß man Gottes inne wird als der einzigen Wirklichkeit, des einzigen festen Punktes und Grundes im Rauschen der Zeit und des Alls. Alles, was uns umgibt, sind wallende Schleier. Keiner hält fest, und meinst du ihn zu fassen, so bist du betrogen. Die Kunst ist, den Schleier zu übersehen und durchzusehen und der Quelle des Seins und des Lebens, Gottes inne zu werden, seine Füße zu stellen auf den Ewigkeitsboden Gott. Nur dann steht man fest. Sonst wird man mit den Schleiern umgetrieben. Das Tun aus Gott erscheint dem Schleierwesen als Wunder. Auch dem Paulus folgte überall ein großes Wundern. Wer alles umdenken gelernt, der sieht darin die echte Natur und wundert sich des Schleierwesens, daß es mit solcher Wirklichkeitsgewalt aufzutreten wagt und die Sinne täuscht und die Menschen umnebelt.

Die Kunst, richtig zu sehen, ist groß, aber alle Kraft des Seins erfordert es, darin zu bleiben und sich von dem Erschauten nicht abirren zu lassen. Das verhindert nur die Treue gegen den neuen Herrscher Jesus. Wir wissen heute, wie schwer es ist. Uns erscheint es beinahe als unmöglich. Wir brauchen nicht zu glauben, daß es den Alten leichter geworden ist, trotz Paulus und großer Erlebnisse.

Göttlicher Reichtum verlangt gerade so volle Arbeit wie weltlicher. Wie dieser zerfällt, wenn die Leute nicht mehr arbeiten und sich drum kümmern, so jener, wenn die Geisteskräfte nicht geübt werden.

 

Das Reich Gottes ist nicht unmittelbare Vollendung, es schafft ihr nur die Wachstumsbedingungen, und zum Wachsen gehört Zeit.

 

Wer seine Arbeitskräfte völlig ausnutzt, von dem kann man auch hoffen, daß seine Glaubenskräfte geübt und gestählt werden. Wer in der Arbeit versagt, kann sich allenfalls in irgendein religiöses Wesen hineinsteigern, aber er kommt neben dem Reiche Gottes hinaus. Das große Beispiel der Geschichte ist das Mönchswesen. Die Klöster waren allerdings religiöse Hochburgen, man spürt aber wenig, daß sie Stätten des Reiches Gottes wären.

Die Stellung, die die Menschen unter dem Einflusse des Auferstandenen zur grauen Alltagsarbeit, zur unscheinbaren Pflichterfüllung in an sich unscheinbaren Dingen einnehmen, ist meistens entscheidend für ihr Verständnis des Reiches Gottes. Müßige Leute sind für das Reich Gottes nicht geschickt. Sie haben viel zu viel Zeit, und die Kräfte des Auferstandenen würden ihnen zu stark werden. Aber wo immer durch die Arbeit etwas Ablenkung, ein wenig Trübsal und Plage, Überlegen und Mißlingen aufeinander folgt, da kann sich der Mensch an wirkende Kräfte und ihren Gebrauch gewöhnen, so daß er an dem Unbedeutenden dem Großen entgegenreift.

Wir stehen nicht im Handumdrehen, auch nicht mit dem Ausgießen des heiligen Geistes ohne weiteres auf der Geisteshöhe, daß wir ohne redliche, saure, unscheinbare Alltagsarbeit bestehen könnten. Der Geist will nur helfen, aber erarbeiten müssen wir alles selbst. Der beste Weg, um innerlich zuzunehmen, ist die hausbackene Berufsarbeit, wenn sie unverdrossen geübt wird in Ausübung der neuen Kraft, die uns still und heimlich geleitet und unvermerkt unsere graue Alltäglichkeit mit dem Glanze von Herrlichkeit überstrahlt.

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Jünger Jesu sind Sünder wie alle, nur sind sie geständig und voll Sehnsucht herauszukommen und darum herzlich bereit, die Vergebung, die sie stets erleben, jedermann zuteil werden zu lassen, der auch sündigt. Die Jünger Jesu sind der Ort, an dem alle Sünden verziehen werden, weil sie selbst der Verzeihung bedürftig sind.

Religionen arbeiten immer auf Heilige hin, und wenn einer dann einen gewissen Grad und Schimmer von Heiligkeit erreicht hat, dann pflegt er unausstehlich selbstgerecht und hartherzig zu sein. Von solchen Leuten mit dieser gewissen, nachrechnenden Geduld getragen zu werden, wirkt auf einen gewöhnlichen Menschen wie eine stete Aufregung und Herausforderung. Aber einen Menschen zu treffen, der auch nicht besser ist wie ich, und der gerade deshalb freundlich bereit ist, mir ohne Maß und Grenze Verzeihung angedeihen zu lassen, weil er selbst deren immer bedarf, das ist eine Herzerquickung.

 

Hier ist das untrüglichste Unterscheidungszeichen der Geister! Wie stehen sie zu fremder Sünde? Wer bloß in der Religion steht, der verdammt Sünde und Sünder. Wer aber Kind des Vater ist, schämt sich unter der fremden Sünde und empfindet sie als eigene und bemitleidet den Sünder unter allen Umständen. Natürlich. Jede Sünde ist eine entscheidende Macht zwischen Gott und Menschheit. Wer sie getan hat, ist viel weniger wichtig als die Frage, wie sie wegkommt. So lange es neben uns Menschen gibt, die durch Sünde von Gott ausgeschlossen sind, so lange ist das Reich Gottes noch nicht voll da, so lange sind wir Mitschuldige dieser Trennung dessen, was zusammengehört. So lange müssen wir brennen, dem armen Sünder die Augen zu öffnen für das unendliche Erbarmen des Vaters und auch willig sein, alle Folgen der Sünde auf uns zu nehmen und so lange mit darunter zu leiden, als sie besteht. Das verstehen aber nur Kinder des Vaters. Andere können es gar nicht begreifen.

 

Wie klein sind wir doch alle mit unsern religiösen Vorstellungsreihen gegenüber dem Erleben Gottes, der sichtlich gar nicht danach fragt, ob jemand ein bißchen schlechter oder ein bißchen besser war, sondern der ungefragt nach Gut und Böse alle Menschen ohne weiteres umgebärend erneuern kann, sobald seine Stunde geschlagen. Schwäche, Unvermögen, Schlechtigkeit und alle die winselnde Armseligkeit, die uns Menschen umgibt, sind also nur kleine Zufälligkeiten, die mit unserem eigentlichen Sein, wie es vor Gott steht und jeden Augenblick leuchtend hervortreten könnte, gar nichts zu schaffen haben.

 

Die böse Vergangenheit eines Menschen ist ja doch kein Hindernis für Gott, ihn sogleich zu erretten. Es ist wahr, es sind Scheidewände da zwischen Gott und Menschen, die sich auch unter Umständen in Ketten und Kerker kund geben können, aber es ist durchaus keine Ursache, daß sie nicht jeden Augenblick könnten durchbrochen werden, denn es gibt keine Wirklichkeit außer Gott.

 

Möchten's doch alle wissen, daß in Gott Leben und Heil für alle Gebundenen liegt, daß alles Seufzende und Gequälte los werden kann im lebendigen Gott, ohne weiteres, durch ein Wort, eine einzige Berührung mit dem Auferstandenen, daß keine Religion, keine Krankheit dauernd dem Menschen etwas anzuhaben vermag! Schon das wäre ein unendlicher Gewinn, wenn jeder Gebundene den Mut gewönne, zu sich selbst zu sagen: Das alles ist nur vorläufig! Auch mein Heil liegt in Gott und kommt ganz gewiß, kommt ohne mein Zutun, ohne meine Frömmigkeit und irgendein geistliches Getue, es muß kommen, weil ich Mensch bin, und der Mensch Gottes ist! Wer den Mut zu diesen Gedanken und Hoffnungen gewönne, der würde auch willig und fähig sein, noch eine Weile im Schwersten auszuhalten.

 

Es handelt sich für jeden Menschen nur darum, einmal wirklich eingetaucht zu werden in das Wesen des Reiches Gottes, und weg ist mit einem Male die bindende Kraft von allem, was ihn vorher hielt und bestimmte. Tod und Leben, Gegenwärtiges und Zukünftiges, Hohes und Tiefes, Sünde und Krankheit, alles das sind ja nur Nebel, die auf das Ich des Menschen ohne Einfluß sind und verschwinden, augenblicklich verschwinden vor der Sonne des Himmelreichs. Warum aber Menschen sich so lange und so schwer drunter plagen, ist eine andere Frage. Da sie nicht ohne Gottes Willen auf uns lagern, dürfen wir ihm schon zutrauen, daß wir selbst noch einmal drüber jauchzen werden, hindurchgegangen zu sein. Ich denke immer, alle diese Dinge, so schwer und ernstlich sie oft belasten, so sehr sie anscheinend viele verderben, dienen zur Gesundheit des Menschen, und sind seine Adelsvorrechte, als würde uns gesagt: Ihr seid die einzigen Wesen im Weltall, denen man dergleichen zumuten kann. Ihr werdet's schon tragen können.

Wie es aber auch sein mag, es bedarf nur des Eintauchens in das Wesen des Auferstandenen, und alles Belastende bröckelt ab. Dafür ist Saulus ein Beispiel, als wollte Jesus sagen: Das mache ich aus einem Religionseiferer und Polizeispion, und das kostet nur ein einziges Wort. Ich brauche mich ihm nur vorzustellen, dann kommt der wahre Mensch herauf aus allen Giftnebeln.

Es schadet gar nichts, daß der Saulus einzig dasteht in der Geschichte. Alles Göttliche wächst gliedlich und will sich entwickeln. Solche gewagte Eingriffe, wie jene Vorstellung des Auferstandenen, die sie eine Bekehrung genannt haben, kann nur der Meister machen und wird seine Meisterschaft darin bekunden, daß er sie nicht alltäglich macht. Für uns genügt, daß es einen Paulus gibt, und daß es den Auferstandenen nur ein Wort kostet, um den wahren Menschen hervorzubringen. Wer mag dann ausdenken, was in jedem einzelnen verborgen ist?

Nur sollen sie hier mit ihren Redensarten daheim bleiben und nicht von dem Damaskus schwatzen, das sie auch erlebt hätten, sondern sich beugen vor der Majestät des Mächtigen, der dieses ganz ungewöhnliche Geschehnis werden zu lassen für gut fand.

 

Die Leute, die in der hintersten Ordnung zum ewigen Leben stehen, hat Gott genau ebenso lieb, wie die in der vordersten und den mittleren Reihen, und ich glaube beinah, er erlebt mehr Freude an den letzten, wie an den ersten. Die schwer Erlösten sind unbedingt die Zuverlässigsten. Auf den hart gesottenen Unglauben sieht man im Himmel mit gespannter Sehnsucht und wohlwollender Erwartung. Wenn der erst kommt, wird alle Welt voll der Herrlichkeit des lebendigen Gottes.

 

Das Gute Gottes will durchaus alle haben, sobald aber die vielen dazu kommen, läßt es meistens nach. Weil die vielen ihren eigenen Massengeist mitbringen und ihr Massendenken dem göttlichen Umdenken entgegensetzen. Sie müssen aber alle umdenken, und das mögen die vielen nicht.

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Kein Mensch braucht zu verzagen, wenn er irgendwie gebunden ist. Je geduldiger er's trägt, um so besser. Er darf auch manchmal um Lösung bitten, aber selten, nur nicht jammern und betteln. Die Lösung kommt ganz gewiß. Vielleicht einmal ganz unversehens mitten auf einem scheinbaren Unglückswege. Echtes Unglück gibt's nicht. Was wir Unglück nennen, ist nur Schein und Irrtum. Wem Gott alles ist, der ist immer im Glück.

 

Es wird nie gemessen: wieviel hast du Sünden und Fehler auf dir? sondern gefragt: wie stellst du dich dazu? Wie stellst du dich zu Gott? Sünden sind Krankheiten. Es gibt für den rechten Arzt weder schwere, noch leichte Krankheiten, denn alle sind heilbar. Es sind nur nicht alle Kranken heilbar.

 

Kein Menschenleben und kein Kampf, auch kein schmerzliches Unterliegen kann ganz vergeblich sein. Es ist ein Samenkorn, das vielleicht lange liegt, aber schließlich aufersteht zu köstlicher Ernte.

 

Es geht keine Kraft verloren – niemals, und es ist keine einzige Kraftanstrengung umsonst. Keine Mühe, die je ein Mensch angewandt hat, um vorwärts zu kommen, ist vergeblich, und wenn er auch niemals einen Erfolg davon sehen sollte. Ihre Wirkung bleibt oft aufgespeichert im tiefsten Inneren und wird einmal eine Kraftquelle, wenn man ihrer am nötigsten bedarf.

 

Jammere ein wenig, wenn deine Kraft erlahmt, aber nur ja nicht zu lange. Falle hin, aber stehe sobald als möglich wieder auf. Weine nur, aber vergiß ja das Lachen nicht.

 

Wenn du doch zuweilen nicht widerstehen kannst und immer wieder von deinen Leidenschaften trotz aller Kraftanstrengungen überwältigt wirst, was dann? – Ei dann kommst du ohne weiteres wieder und fängst immer wieder von vorn an, je schneller du's tust, um so besser, und lässest nicht nach, bis du dich hindurchgeglaubt hast an das Herz des Vaters, und dein Göttliches in dir zum sieghaften Bewußtsein gelangt ist. Vergebung ist mehr vorhanden, als du sündigen kannst. Du magst siebenmal sündigen, aber siebenmal siebzigmal wird vergeben.

So lernt auch der Mensch an sich selbst scheiden zwischen Sünder und Sünde, indem er die Sünde bedingungslos der Strafe überläßt, aber selbst trotz aller Schuld am Vater festhält und alles Bindende seiner übeln Vergangenheit immer wieder niederglaubt, bis das Licht des Vaters ihn ganz erfüllt. Das kostet freilich äußerste Anstrengung aller Kräfte des Seins, aber erst dann lebt man richtig, und die wahre menschliche Natur, die rein ist und göttlich, kommt zu ihrem Rechte, aller Sünde zum Trotz. Dieser Zustand vollster Kraftentwickelung, der nur vorwärts sieht und sich durch nichts irre machen läßt auf seinem Wege zum Vater, ist das, was etwa im Reiche Gottes Glaube heißt. Er hat natürlich mit Anerkennung gewisser Sätze nicht das Mindeste zu tun, sondern ist in sich aufquellendes, überströmendes Leben. Glaube ist Entfaltung urmenschlicher Lebenskraft.

Leicht ist's ja nicht, so umzudenken, aber wem es gelingt, der bekommt auch nach außen hin eine ganz andere Stellung. Er wird auch andere Leute im Lichte Gottes ansehen lernen und überall fest an den Menschen glauben und ihn unter allen Umständen festhalten als zu Gott gehörig. Er wird den Menschen ansehen lernen mit den Augen Jesu, die immer nur das Gute sahen, und es wird offenbar, daß wir kein Recht haben, an irgend jemandem zu verzweifeln.

Durchaus schlechte Menschen gibt's ja gar nicht. Es mag sein, daß sie zur Zeit bergehoch bedeckt sind mit Schlechtigkeit, daß sie sich auch selbst für Teufel halten und in diesem Mißverstehen wie in einer grausamen Verzweiflung immer sinnlos drauf los sündigen, aber Menschen Gottes bleiben sie trotzdem. Wenn sie für sich das nicht glauben, müssen wir's für sie tun. Wir müssen es für die ganze Welt tun. Auch Gott hat die Welt geliebt und sie angesehen als zu sich gehörig.

Lernen wir so auch bezüglich der Welt umdenken, so wird das eine Kraft, die neugestaltend wirkt, und ist oft die einzige Form, in der ihr Göttliches nahe tritt. Sie ist ferne vom Vater, aber der Vater glaubt an sie und hat die Welt, also gerade die schlechte Gesellschaft, lieb. Aber wir sind ihr nahe, sind mitten drin. Die Liebe des Vaters muß in uns von der Welt gesehen werden, aller ihrer Schlechtigkeit zum Trotz. Die Schlechtigkeit ist nicht ihr Wesen, nur ihre Erscheinung. Sie muß vergehen, und ihr wahres Sein wird offenbar werden. Wenn wir sie mit neuen Augen betrachten, lernt die Welt am ehesten wieder an sich und ihren Zusammenhang mit dem Vater glauben. Darin aber liegen die Kräfte ihrer Erlösung.

Damit hören eine Menge Verdrießlichkeiten auf, die trennend unter den Menschen ihr Wesen treiben, namentlich die verschiedene Wertung der Menschen oder der dumme Unterschied zwischen guten und bösen Menschen. Das alles beruht ja nur auf falscher Fragestellung. Wir lernen vielmehr das Sein Jesu begreifen, der von alledem nichts wissen wollte, zu allem ganz gleichmäßig herzlich und geduldig war, wir merken, daß er der Allernatürlichste, die Wahrheit selbst war.

In dem Maße also, als es einem Menschen gelingt, sich umzudenken und in die Gedanken Gottes hineinzudenken, muß er ein lebendiger Quell werden, voll Heil für seine weiteste Umgebung. Darum setzt das Reich Gottes der Schuld entgegen das Umdenken und hält diese Kraft für größer als die Kraft der Sünde.

Sünden sind wirklich Wolken, die verdüsternd über dem Gemüte und ganzen Sein des Menschen lagern. Aber durch solche Wolken muß der Mensch sich unentwegt hindurchglauben an den Vater hin und unter äußerster Kraftanstrengung, auch unter den verzweifeltsten Umständen an ihm festhalten, bis die Sünde ihre Macht und Kraft verliert. Denn der Mensch ist in sich schließlich doch stärker als seine Sünde. Je einfacher und kindlicher er sich an den Vater anklammert, um so früher wird er frei.

Diese innere Haltung wird eine sehr leicht erkennbare äußere Folge haben. Weil der Mensch nach der Gemeinschaft des Vaters brennt, stellt er sich ganz in die Wahrheit. Das zeigt sich darin, daß er alle Folgen seiner Fehler auf sich nimmt. Er stellt sich selbst unter das Gericht, freiwillig und mit Bewußtsein, und spricht: Der Strafe entziehe ich mich nicht. Mit mir mag werden, was da will, nur eines gebe ich unter keinen Umständen zu, verdammen lasse ich mich nicht. Er kommt wie ein Kind zu seinem Vater: Gefehlt habe ich, aber hier bin ich. Strafen kannst du mich, aber von dir wegstoßen kannst du dein Kind nicht.

 

Das ist das einzige Mittel, allmählich von schlechten Gewohnheiten loszukommen. Wer sich unter die Folgen seiner Fehler beugt, verliert die Lust dran. Sie werden ihm ganz zum Ekel. Die wahre Reue heißt: Sündige nicht mehr!

Es ist weder verwunderlich noch belastend, wenn der Mensch in seinem Ringen und Werden mannigfach unterliegt. Unter den heute Lebenden ist nicht ein einziger, der dieses Mißgeschick nicht teilte. Demnach wird der wahre Mensch für den Unterliegenden, auf welchem Gebiete auch seine Schwäche liege, nur Mitleiden haben. Solange wir uns ärgern, sind wir in jedem Falle die Unterlegenen, auch wenn wir uns für das Gute ärgern. Wir müssen immer den Standpunkt des Siegers zu erringen trachten. Die Hauptsorge jedes Siegers ist aber, Frieden zu schaffen und den Frieden in volle Versöhnung auszugestalten.

Der wahre Mensch ist also Träger der Versöhnung. Wo Wahneifer und Bitteres herkommt, da ist nicht der Geist Jesu, auch wenn man sich noch so christlich gebärdet. Es gibt kein deutlicheres Kennzeichen für die Wahrheit des Menschen, als den Stand des Friedens und der Versöhnung. Wer haßt, hat den Kampfplatz nach außen verlegt statt nach innen und steht nicht in der Linie des Fortschritts und Sieges.

 

Wir werden uns zunächst alle, an welchem Punkte unseres Seins wir uns auch betrachten, mit Sünde bedeckt sehen. Menschen, die sich einen andern Anschein geben und den Eindruck des Gutseins oder wenigstens Besserseins hervorrufen, sind in der Regel nicht ehrlich. Man tut im allgemeinen gut, den Verkehr mit auffallend Braven tunlichst zu beschränken.

Es will manchmal scheinen, als bedürfe der Mensch vulkanartig zuweilen der rücksichtslosen Übertretung des Hergebrachten wie zur innern Klärung, Befreiung, Beruhigung. Wehe dem Menschen, der sich allewege zahm und kritiklos dem Herkommen unterordnet, der niemals überschäumen kann und niemals rücksichtslos untersucht, ob's auch so wirklich recht ist, ob das Fromme auch wirklich Gott gefallen kann. Die Wahrheit bricht sich unter Umständen auch durch Fehler Bahn.

Offenbar kann das Reich Gottes auch die leiseste Heuchelei nicht vertragen. Das geringste Stäubchen von Schein- und Schillerwesen schließt ohne weiteres aus von seiner Gemeinschaft. Kein Sünder ist ihm zur Aufnahme und Errettung zu schlecht, aber kein Heuchler kann in ihm bestehen.

 

Es begegnen uns zuweilen Menschen, die mit dem Bösen weniger verknüpft erscheinen, wie wir selbst, freundliche Spielarten der Gattung Mensch, harmlose, nette Menschenkinder. Aber es scheint uns oft, als ob ihnen gerade in ihrem Gutsein etwas fehle, ein gewisses Salz, ein Eigengeschmack. Sie erwecken uns den Eindruck, als ob ihre Herzensgüte auf Kosten ihrer inneren Tiefe über ihr Wesen ausgeflossen wäre.

 

Es scheint, daß Mattherzigkeit der Zustand ist, der auch im Himmel am wenigsten vertragen und als vorläufig unrettbar angesehen wird.

Man will doch im Himmel nicht mattherzige Nachsprecher, sondern ganze Leute. Männer der Tat, nicht des wohlmeinenden Geschwätzes. Man liebt den Haß und man haßt das Wohlwollen. Auf einen einzigen zielbewußten Mann, sei er freundlich oder feindlich gesinnt, ist im Himmel mehr freundliches Aufmerken als auf Massen wohlgesinnter Durchschnittsmenschen. Im Himmel sieht man das Wesen und die ewige Wahrheit und weiß den Schein und die zufällige Wirklichkeit wohl davon zu unterscheiden.

Einem Kriegsherrn liegt hauptsächlich am Herzen, gesunde, starke, mutige Männer zu Soldaten auszuheben. Den Parademarsch werden sie dann schon lernen, wenn sie unter den Fahnen sind. Ob der Eifer rechts gerichtet ist oder links, das hat nicht viel zu sagen, wenn er nur da ist und aus der Wahrheit ist. Das bleibt ewig gewiß, namentlich angesichts der unerschöpflichen Übermacht des Himmelreichs, daß, wer aus der Wahrheit ist, auch die Stimme Jesu hört, und wenn er sie hört, ihr auch gehorcht. Es wird aber im Himmel nicht verlangt, daß er eher gehorcht, als er Jesu Stimme hört. Denn das ist nicht aus der Wahrheit gehandelt. Wenn man das wüßte, würde viel unnützes Eifern unterbleiben.

 

Weltflucht kann unmöglich die Absicht Jesu gewesen sein, im Gegenteile Gemeinschaft mit der Welt auf jede Weise, bei jeder Gelegenheit, nur innere Zugehörigkeit zum Himmelreiche dabei. Es ist, als sei für die Welt nichts nützlicher, als wenn bei allen Gelegenheiten jemand mit dabei ist, der zum Vater gehört. Der darf natürlich nicht als Bekehrer mit sauertöpfischen Mienen und salbungsvollen Redensarten dabei sitzen, sondern mit der ganzen Freundlichkeit des Himmelreichs, das ohne Ausnahme jedem gehört, in dem es keine anderen Rangordnungen gibt, als daß der Vornehmste aller Knecht zu sein versteht.

 

Die Welt ist so schmutzig! Ganz gewiß. Aber auch der reinlichste Offizier geht unbekümmert um die Reinlichkeit in die Schlacht und kommt schmutzbedeckt aus der Schlacht. Wenn der Sieg erfochten ist, kann man sich schnell säubern. Wer bloß an sich herumputzt, wird niemals Sieger werden.

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Wir sind alle unterwegs. In diesem Worte liegt unsere ganze Unvollkommenheit und Unwissenheit, aber auch Fortschrittsbedürftigkeit und Fortschrittsfähigkeit nicht minder wie eine bestimmte Zielgewißheit ausgedrückt. Ein Weg ist nicht Selbstzweck, sondern hat sein Recht im Ziele, und er ist notwendig mit allen seinen Schwierigkeiten und Unbequemlichkeiten, weil es ohne ihn kein Ziel gibt.

Das ist auch eine Eigentümlichkeit eines Weges, daß er nicht ohne weiteres übersehen werden kann. Deutlich ist immer nur der Punkt, an dem man sich gerade befindet, und seine allernächste Umgebung. Alles weitere ist ziemlich unsicher. Wer wegeskundig ist, wird zwar bei jeder neuen Wendung des Weges immer das Rechte treffen, aber das Beschreiten und Finden eines Weges ist immer wie eine Kette von einzelnen Erlebnissen, die einem nacheinander nahe treten.

Durch den steten Wechsel wird jeder Weg erleichtert, denn der Wechsel teilt sich der Stimmung des Schreitenden unwillkürlich mit. Je näher man dem Ziele kommt, desto deutlicher wird es, desto leichter wird der Weg und um so geringer erscheinen seine Mühen, um so zuversichtlicher wird der Wanderer. Je näher am Ausgangspunkte, um so unsichtbarer, ungewisser ist das Ziel, um so schwieriger erscheint der Weg und seine Dauer, und wer kennt nicht das schreckliche Bewußtsein, daß man sich nicht entschließen kann, sich den Mühen eines Weges zu unterziehen, und doch weiß, daß man ihn gehen muß, da der längere Stillstand am Ausgangsorte unerträglich geworden? Keine Mühe des Weges ist schwieriger als das Unbefriedigende solchen Zagens und Zweifelns. Stillstand widerspricht der menschlichen Natur. Jedem Menschen ist das Vorwärtsbewußtsein und die Fortschrittsverpflichtung eingepflanzt. Wer das nicht benutzt, muß im Stillstande verkrüppeln. Ein Kind, das nicht laufen lernen wollte, müßte binnen kurzem zum Krüppel werden, und ein Mensch, der auf einem gewissen Ausgangspunkte stehen bleibt, verkümmert. Was man leiblich einen Krüppel heißt, nennt man geistig einen Philister. Beide stellen in sich selbst die Unwahrheit des Menschen dar. Aus der Unlust des Schreitens wurde mit Naturnotwendigkeit die Unfähigkeit zum Vorwärtskommen, und das quälende Bewußtsein, seinen Lebenszweck verfehlt zu haben, macht den Philister so unausstehlich, denn das eigene Unbehagen flutet auf seine Umgebung.

Nein, der Mensch ist ein Wanderer, dem ein Ziel winkt. Er hat das Ziel nicht, er irrt darum mannigfach, aber wer nicht irrt, entwickelt sich nicht. Wer den Irrtum ausschließt, schließt die Bewegung aus, und Bewegung ist Leben.

 

Es ist das Naturwidrigste, was es gibt, wenn ein Mensch irgendwo stehen bleiben will. Ein solcher lehnt sich auf wider die Grundwahrheiten seines Seins. Es gibt ja an sich keinen Stillstand. Wenn wir aber unseren Willen zum Stillstand mißbrauchen, so liegt zwischen unserem Wollen und unserem Sein eine unüberbrückbare Kluft. Die kann für uns nur schädlich sein. Denn das Sein ist stärker als das Wollen, und das Ich verbraucht seine besten Kräfte zum nutzlosen Widerstand, statt zur fördernden Einheit.

Diese Wahrheit muß durchaus verstanden werden. Sie leitet sich ab aus Raum und Zeit. Du hast es irgendwo und irgendwie gut. Du möchtest zum Augenblicke sagen: Verweile doch, du bist so schön. – Irrtum. Es fliegt alles vorüber, und du wirst vielleicht ganz anderswohin geführt. Du kannst nicht aufgehen in der Freude am Glück. Die nächste Zeit findet dich vielleicht tief im Leid sitzen. Darin bleibst du ebensowenig. Es gibt keine hoffnungslosen Unglücksmenschen. Es geht alles vorüber und wird alles anders. Es muß werden. Du durchlebst das ja in Raum und Zeit.

Da wir nun jeden Augenblick an einem anderen Orte sind, und zwar an einem meilenweit verschiedenen, haben wir auch jeden Augenblick einen anderen Standpunkt und eine andere Anschauung. Scheinbar wechselt der Ausblick ja nicht, weil die Verhältnisse viel zu groß sind. Aber im Laufe der Zeit muß sich's doch bemerkbar machen. Darum müssen wir uns den Verhältnissen, in die wir gestellt sind, soweit anpassen, daß wir auch innerlich bereit werden, Standpunkt und Anschauung fortschreitend zu wechseln. Das Klügste und Naturgemäßeste ist immer, selbst zu wollen, was man muß. Wir dürfen uns auch auf die schönste Weltanschauung und die denksichersten Lehrsätze nicht festnageln lassen. Wir sollen sie auch nicht wie eine Mode willkürlich und beliebig wechseln, wohl aber gesetzmäßig, in dem unaufhaltsamen Zuge nach vorwärts, den das ganze All in sich trägt und in uns spiegeln muß. Unser Wechseln muß ein beständiges Wachsen sein. Damit wachsen wir immerfort heraus aus dem Hergebrachten.

Zeit und Raum sind beide die Wahrzeichen des Fortschritts. In den Fortschritt bist du hineingeboren, weh dir, wenn du ihm nicht dienst! Der große Gedanke, der alles hineinbaute in die ungehemmte unendliche Bewegung und Vorwärtsfreudigkeit, würde an dir allein branden. Dich selbst würde er zwar bedingslos vorwärts reißen, aber deinen Willen, der sich entgegenstemmt, dein Ich würde er wohl zerbrechen.

 

Wenn jemand fühlt, daß er nicht reif ist, so ist er's noch nicht. Er braucht also mehr Zeit und darf sich durch keinerlei Mißerfolg irre machen lassen. Zeit gibt's ungeheuer viel. Die Zeit zum Werden ist reichlich bemessen. Je mehr es dem Menschen gelingt, den Mut zum Werden und das Vertrauen auf den Sieg der Wahrheit zu bewahren, um so früher wird er in sich selbst fest werden und reifen.

 

Das Werden ist das Glück und die Seligkeit des Seins. Ein Sein, das werden kann, befindet sich in einem eigentümlichen Vorwärts, und wir können uns kaum etwas anderes vorstellen, als daß jedes Vorwärts seiner Vollendung und Vollkommenheit zustrebt. Wer das weiß, der hat eigentlich das Glück. Er sieht hinein in die Wahrheit seines Seins und muß jauchzend inne werden: sie trägt mich vorwärts und aufwärts.

Wir sollen uns tragen lassen von dem Werdestrom nach vorwärts, nach dem Geiste, und dem Geiste innerlich recht geben wider den Stoff, das Vollkommene festhalten in unseren Gedanken und das Unvollkommene verleugnen und wegwerfen.

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Keine Not ist von ungefähr. Eine jede will etwas sagen, und es sollte niemanden verdrießen, wenn ihm etwas gesagt wird. Man soll sich nur nie durch eine Not zerschmettern lassen oder sie als Strafgericht nehmen. Nein, sie ist ein Wink zum Leben. Aufrichten lassen muß man sich durch sie. Die Not tritt ein mit der Folgerichtigkeit eines Naturgesetzes und bedeutet: Jetzt muß etwas anders gemacht werden.

 

Niemand schreitet nur vorwärts. Er fliegt immer fast ebensoviel zurück. Es gibt nicht nur Flut, es gibt ebensoviel Ebbe. Viele trauern darüber, wenn sie nicht unausgesetzt vorwärts fliegen. Sie möchten der Natur vorauseilen und stürmen ohne Besinnung immer weiter. Auch sie sind im Irrtum. Sie verstehen Raum und Zeit nicht. Jedes Vorwärts bedingt ein Rückwärts, aber dieses schließt sich mit ihm ebenmäßig zum Kreise, zu einem Ganzen, zusammen. Geschlossene Kreise des Seins bezeichnen die Fortschritte auf unserer Bahn. Anders geht keine Entwickelung vor sich. Sie kann nicht. Raum und Zeit stehen ihr entgegen.

Wirkung und Gegenwirkung, Flut und Ebbe, Schlag und Rückschlag nennt man in der sichtbaren Natur die Paare sich gegenseitig bedingender Wirkungen. Bedeutsam ist, daß die gleichen Wirkungen auch im geistigen und geistlichen Leben vorhanden sind.

Als David zum Könige gesalbt war und seine erste Heldentat verrichtet hatte im Namen Jehovas, wurde er nicht König, sondern landflüchtiger Verbannter. Aus der höchsten Höhe mußte er in die tiefste Tiefe hinabsteigen. Als Elias Feuer vom Himmel herabgezwungen hatte und das Volk zur Anerkennung Jehovas genötigt, legte er sich todesmatt und Tod verlangend unter den Wachholderbaum und mußte von da in die Einsamkeit des Horeb. Als Paulus sich bekehrt hatte und voll Feuereifers die neue köstliche Wahrheit zu predigen begann, wurde er nicht der große Apostel, sondern mußte nach Arabien und nach Tarsus an den Webstuhl, und wo du selbst Großes, Göttliches zu erleben gewürdigt wirst, mache dich auf tiefe Demütigungen gefaßt.

 

Geistesfortschritte entwickeln sich an Gegensätzen, und Rückschläge sind Spuren des Werdens. Gerade an ihnen kann erkannt werden, daß die Vorwärtsbewegung der Menschheit nicht zum Stillstand kommen wird, ehe sie vollkommen ist. Je gewaltiger das Erlebnis, desto tiefer müßte der Rückschlag sein, und wir freuen uns, daß auch Jesus diesen oft recht unbequemen Weg der Vorwärtsbewegung des menschlichen Geistes gehen mußte und willig ging, und im Verkehr mit Menschen, namentlich im anregenden Verkehr, wäre es gut, wenn man sich darauf einrichten wollte. Man kann am Ebben das Leben ebenso erkennen und sich daran freuen, wie am Fluten des Geistes.

 

Es ist bitter zu beklagen, daß solche Erkenntnisse im wesentlichen der Christenheit abhanden gekommen sind. Wenn alle, auch die kleinsten und verborgensten Bezeugungen Gottes, am menschlichen Geiste immer gefaßt würden im Sinne von Aufgaben und im Blicke auf den inneren Rückschlag, der durchaus eintreten muß, so würde gewiß heute der Glaube nicht in dem Maße abhanden gekommen sein. Jeder der einen Eindruck vom Heile Gottes bekommt, sollte denken: Jetzt wird mir gewiß die Aufgabe gestellt, mich mit diesem Bewußtsein durch eine Zeit oder eine Kette von Erlebnissen öder Gottverlassenheit hindurchzukämpfen, die das, was ich heute habe, versuchen wird in Frage zu stellen. Statt dessen wurde es üblich, allerlei göttliche Hilfe im Sinne von Ehrungen zu fassen und zu denken: Natürlich, ich wußte es ja, daß mir solches auf Grund meiner Trefflichkeit, wenn sie auch nicht immer tadellos war, zukommt. Wenn dann die Aufgabe kommt, die man lösen soll, wird solcher Leute Herz zu Wasser, ihr reiches Erleben vorher wird völlig in Frage gestellt und erscheint ihnen oft genug als Irrtum. Da nun ebenso feststeht, daß jede geistliche Niederlage schon den Keim zu einer neuen in sich trägt, so kann es schließlich dahin kommen, daß gerade das Leben der Menschen, die am meisten für Göttliches in Aussicht genommen und in die hoffnungsvollsten Anfänge gestellt waren, verkümmert. Umgekehrt muß freilich auch gelten, daß jeder Sieg, den gläubiges Festhalten an Gott erringt, den nächsten wesentlich erleichtert, und das ist's, wozu Gott dem Menschen helfen will, nur zu Siegen, nie zu Ehrungen und Orden. Die Geschichte der Christenheit ist leider eine Geschichte von Niederlagen geworden statt von Siegen.

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Alles Sein bewegt sich dem Glücke zu. Es sehnt sich bewußt oder unbewußt nach dem Guten, das durchaus werden muß, weil das die Triebkraft des Ganzen ist. Die Sehnsucht nach Vollkommenheit ist das Grundgesetz, das als tiefster Zug allem Sein eingeschrieben ist. Wo Vollkommenheit zum Bewußtsein kommt, da ist das Glück.

 

Gibt es Glück in der Welt? – so darf man nicht fragen. Die Frage ist falsch gestellt. Auch wenn ein lieber, leichter Sinn die Frage fröhlich bejahen wollte, so hätte er noch keinen sonderlichen Nutzen. Er bliebe am einzelnen hängen und fände etwa in dieser oder jener Lage, diesem oder jenem Erlebnis das Glück und das Gute. So ist's aber eng begrenzt. Leute, die sich ihrer Glücksumstände und guten Erlebnisse rühmen, tun es in der Regel nicht lange. Solange nämlich, bis eines Tages das große Leid über sie kommt. Dann verneinen sie gewöhnlich das Gute, das Vergangene, und bleiben in irgendeiner schwarzen Finsternis gefangen, bis der Tod sie zerdrückt. So ist's Unzähligen ergangen, die froh ihren Lebensweg in der entzückenden Vollkraft der Jugend antraten, denen das Glück gleichsam angeboren war, die sich dann auch noch glücklich verheirateten und schließlich in immer schwärzeren Schatten versanken und als vergrämte Leute vor der Zeit endeten.

Man muß überhaupt ganz anders fragen. Wer recht fragen will, muß die ganze Wucht seines Seins hineinlegen und mit einer Zuversicht, die ein Zurückweichen einfach nicht kennt, seine Frage in die Welt schleudern. Er muß sie stellen nicht in guten und leichten Tagen, sondern gerade aus der Tiefe der Not und des Leides heraus. Denn es weht ein großes Leid überall in der Welt, das seine Schatten in jedes Herz senken möchte. Dann muß die richtige Frage wie ein Felsen in das Meer des Elends gestellt werden, daß seine Wogen dran branden, ob sie ihn auch hoch bedecken. Die Frage, die einzig Berechtigung hat und wert ist, gestellt zu werden, lautet: Wo ist das Glück?

Denn es ist da, es liegt überall und lacht aus allem heraus. Es ist die Kraft, auf die die ganze Welt gegründet ist, das Licht, das in allem Sein leuchtet, die eigentliche Urkraft aller Dinge. Der Tod, das Leid, das Unvollkommene, ist nur der Schatten.

Das wahre Glück besteht darin, daß der Mensch Machtfülle gewinnt, die ihn über die Welt der Dinge stellt und seine eigentliche Wahrheit, seine Größe und Herrscherstellung offenbart. Es muß aber eine Machtfülle sein, die der Allgemeinheit zugute kommt und jeden daran teilnehmen läßt, die den Gegensatz von Gewalttätigen und Unterdrückten völlig aufhebt.

Dieses Glück kann nur erarbeitet und sauer erworben sein. Sonst hätte es ja keinen Bestand. Es könnte aber nicht angeeignet werden, wenn es nicht an sich da wäre. Es muß die Fülle sein, die die Welt durchflutet, und die der Mensch in seinen Dienst nimmt. Die Welt muß durchwaltet sein von Gutem. Allem Sein muß Beglückendes zugrunde liegen, und was die Menschheit sich davon aneignet und erwirbt, das ist ihr Glück.

 

Das Leben haben kann nichts anderes bedeuten, als es selbst besitzen und des Lebens mächtig sein. Das Leben soll nicht uns haben und eine Zeitlang in seinem Strome schwimmen lassen, bis es uns irgendwo und wie strandet, sondern wir sollen des Lebens Herr sein und es immer aufs neue aus uns aufquellen lassen. Dann heißt's erst voll leben, wenn man seines Lebens mächtig ist. Wie es dann gestaltet ist, und in was für Formen es sich abspielt, ist nicht so wichtig. Äußerlichkeiten, die mit dem Wesen der Sache und dem Glück des Seins nichts zu tun haben. Dann erst ist das Leben Freude. So lange es uns hat, ist es Plage. Wir sind einmal so angelegt, daß wir keine Fesseln vertragen können, nicht einmal die goldenen Lebensfesseln.

Diese Lebensmächtigkeit ist auch das, was die Bibel nennt das ewige Leben. Wenn wir unseres Lebens Herren sind, hört's gewiß nicht auf. Regieren wir das Leben, so noch vielmehr den Tod.

Man kann's auch anders sagen, ohne den Sinn zu ändern: Das ist das ewige Leben, daß sie den Vater erkennen. Wer seiner Wahrheit inne wird, der wird auch Gottes inne, der hat das Leben, und es gibt keine Gewalt, die es ihm entreißen könnte. Die Form mag wechseln – was liegt an Formen! – aber das Wesen des lebendig kraftvollen Seins muß bleiben, weil es immer neu aufquillt, auch in immer neuer Form. Die ganze Natur zeigt den ungeheuren Reichtum der Lebensformen, und man gewinnt den Eindruck, daß es mit den vorhandenen längst nicht erschöpft ist. Nur das Leben selbst muß man haben, dann findet sich auch die Form.

Ewiges Leben hat mit dem Tode und Sterben natürlich nichts zu tun. Wie soll man glauben, daß ein ewiges Leben in dem Augenblicke beginnt, wo einem das bißchen Sein so brutal weggerissen und zerstört wird! Nein! Ewiges Leben ist eine höhere Stufe des Seins, die neue Ebene, die wir durchaus erklimmen müssen. Hat man sie erreicht, so ist das Sterben belanglos. Es nimmt nicht, was man ewig besitzt. Aber es gibt auch nicht, was man nicht hat. Aus Gott quillt das ewige Leben und hat weder zeitlich noch wesentlich mit dem Tode irgendeine Beziehung.

Glaube ist Lebenswille.

 

Alle Siege, die ein Mensch erringt, alle Leistungen, die er vollbringt, müssen vorher im Geiste fertig sein und treten im entscheidenden Augenblick nur heraus in die sichtbare Wirklichkeit. Ist innerlich alles vollendet, so gibt's weder Furcht noch Zweifel. Das Mißlingen ist ja schon überwunden. Wer zweifelt, beweist, daß er unfertig ist. Ihm hilft höchstens ein glücklicher Zufall zu einem unverdienten Siege. Diesen Geisteszustand der Selbstgewißheit kann man Glaube nennen. Ihm gelingt alles. Er beherrscht alles.

 

Leben heißt, den Augenblick besitzen.

 

Die Dinge sind ganz gleichgültig. Sie sind das, wozu wir sie machen. Sind wir stärker als die Dinge – und wir sind dazu da, alles zu beherrschen – so ist die Welt herrlich. Es fügt sich auch alles wie von selbst, als wollte es dem starken Geiste untertan sein. Lassen wir aber die Dinge uns über den Kopf wachsen, so ist natürlich die Welt ein Jammertal und das Leben kaum wert, gelebt zu werden. Wer über die Welt und das Leben darin nicht jauchzen kann, bezeugt, daß er mit diesen Dingen nicht fertig, sondern von ihnen gemeistert wird.

 

Es gibt Männer, oft recht hohe Beamte, deren ganzes Sein drin aufgeht, Verfügungen zu treffen und zu unterschreiben oder irgendein Räderwerk im Gange zu erhalten. Es gibt Frauen, deren Zeit nur ausgefüllt ist mit dem Gedanken an Kochen, Waschen und Staubwischen. Würde man ihnen das nehmen, so würden sie dran sterben, geradeso wie unendlich viele arbeitsame Menschen daran sterben, daß sie sich zur Ruhe setzen. In diesen Fällen hat die Zeit uns verarbeitet, nicht wir sie. Unser Ich ist verzehrt worden von der Summe unserer Pflichten. Wir sind auf diesem Wege furchtbar ehrenwerte Leute, die von Rechtschaffenheit triefen, aber tote Werkzeuge, keine lebendigen Menschen. Arme Tröpfe trotz aller Ehrungen und Orden.

Wir müssen uns anders abfinden mit der Zeit. Wir müssen uns über die Dinge stellen und ihnen zurufen: So, jetzt kommt einmal her. Jetzt tue ich dies, jetzt tue ich das, immer gerade, was am nächsten liegt und sich zuerst aufdrängt. Ob in einem festen Beruf oder außerhalb eines solchen, ist ganz gleichgültig. Aber mit keinem Dinge vermische ich mich, und wenn ich alles erledigt habe, dann bleibe ich übrig und bin in alledem stark geworden, denn ich habe das alles überwunden, und kein einziges hat mich gefangen. Solche Leute gelangen zum ausgereiften Ich, zur Klarheit und Kraft des Lebens. Sie werden nie alt, sondern bleiben innerlich immer jung. Ihnen hat die Zeit nichts an. Sie bleiben auch meist bei guter Gesundheit und bringen's im allgemeinen hoch hinauf, und wenn schließlich die Sichtbarkeit abfällt, hat man den Eindruck: diese haben die Zeit überwunden. Sie sind übergegangen in ein neues Sein als vollgereifte wahre Menschen.

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Wer sein Glück finden will, muß sein ganzes Sein unmittelbar anschließen an das große Walten, das das All durchzieht, und das Leben und volle Befriedigung für jedermann gewährt.

 

Es gibt eigentlich nur Ein Gebot für den Menschen. Eine allgemein gültige Formel dafür kann man nicht aufstellen. Denn die Wahrheit kann einmal nicht in Formeln gefaßt werden. Aber man kann's so ausdrücken: Öffne dein ganzes Wesen dem großen Sein, das die Welt durchwaltet. Aber das andere gehört dazu: Denke dich in den anderen Menschen hinein.

Es gibt ein großes Naturgesetz, das wenige kennen, das heißt: Alle Geister haben gemeinsame Interessen. Sie sind also alle für einander haftbar. Scheinbar sind die Interessen ja widerstreitend und infolgedessen auch ihre Träger. Aber das ist nur Kurzsichtigkeit und kleinliches Wesen. Anscheinend sind vieler Menschen Vorteile widersprechend, aber im Geiste und in der Wahrheit gibt es kein Gutes, das nicht für alle da wäre, und ist keiner ganz glücklich, solange es nicht alle sind. Wer in der wahren Glückslinie steht, muß daher das Gute des anderen suchen, dann findet er das eigene.

 

Das Wesen des Menschen hat nur seine Wahrheit, wenn es in Gott ruht und die menschliche Natur nur der sichtbare Ausdruck verborgenen Gotteslebens ist. Ohne diesen Zusammenschluß muß jedes natürliche Wesen die schmerzlichen Äußerungen geheimen Mangels an sich tragen und in gewissen Organen, die sich gerade als Not- und Schmerzensträger eignen, zum Ausdruck kommen, sei es nun, daß sie sich im Leibe selbst finden, oder außer ihm, etwa in der Familie oder irgendwelchen Lebensverhältnissen. Man sollte sich bei jeder Not fragen: Welche unnatürlichen Zustände an mir macht sie offenbar? Hat jemand Furcht und Sorge, der lebt ohne Gott. Armut ist meistens der Ausdruck unnatürlicher Lebensführung. In Gott gibt es auch keine Krankheit. Diese ist meist der leibliche Ausdruck der Furcht. Man sollte trachten, jede Not zu immer erneutem Anstoß werden zu lassen, den Weg des Glaubens, den Weg zum Vater zu suchen.

 

Menschen sind wie Gläser, die zum Füllen dastehen. Ein Glas faßt nur sein vorbestimmtes Maß, aber der köstliche Inhalt erfüllt es ganz. Wäre es größer, so könnte ja unendlich viel mehr eingeschüttet werden, ohne Maß und Ziel, aber es faßt nur, was es vermag. So geht's den Menschen und den Zeiten mit der Aufnahme der Wahrheit Gottes. Wem eine Ahnung aufgegangen ist vom Vater, der ist voll davon, daß nichts mehr daneben Raum hat. Das ist ja kein Begriff, sondern ein Ergriffensein, ein Erlebnis, das mit nichts zu vergleichen, das fortan den einzigen Lebensinhalt bildet. Wo so vielerlei Begriffsgrößen ihr wildes Wesen führen, auch wenn neben anderen der Vaterbegriff da ist, da ist der Vater selbst nicht. Noch nicht.

 

Wer Gott nicht hat, der hat unfehlbar einen Götzen.

Das Große setzt ein in der Alltäglichkeit. So ist der Weg gangbar für jeden. So wird jeder auf seine besondere Weise in immer weitere Tiefen der Herrlichkeit gelangen. Jeder wird große Entwickelungen auch des Verstehens durchmachen, denn es kommt alles in Fluß und Werden. So offenbart sich das Himmelreich. Nicht anders. Seine ersten Spuren machen sich im täglichen Leben bemerkbar.

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Wir sind auf den Weg der Wirklichkeiten gestellt. Der muß gegangen werden. Es darf nicht bloß gedacht und gefühlt werden.

Aber wie soll man gehen? Nun, wenn der Weg gefunden wäre, brauchte man ja nicht darüber zu reden. Hier soll gesucht werden. Hier liegt auch Schutt der Jahrhunderte und ist vieles ungeheuer erschwert. Aber doch ist täglich für jeden Menschen ein Anknüpfungspunkt gegeben. Wenn nur jeder am täglichen Brot wenigstens aufmerksam werden wollte auf den Vater, so wäre schon viel gewonnen. Unwillkürlich würde in das Essen selbst und ebenso in den Erwerb ein Neues kommen, wie ein beglückender Hauch des Himmelreichs. Schon dieses Aufmerken brächte in das Leben einen höheren Schwung hinein. Und von da aus könnte es dann weiter gehen.

So fing's bei Jesu an. Der klarbewußte Ausgangspunkt des Himmelreichs war für ihn der Augenblick, als er sich weigerte zu essen, wo der Vater unmöglich zustimmen konnte. Von dort aus ging er seinen großen Lebensweg ... So würde es möglicherweise auch bei uns anfangen, wenn zunächst einmal die Speise und die ganze äußere Lebenshaltung nur zunächst überdacht und dann in manchen Punkten geändert würde. Z. B. Wenn jedermann sich weigern würde, unrechtes Gut zu genießen und seinen ganzen Besitzstand durchsehen und davon lösen wollte. Das wäre gleich für viele ein Anfang des Himmelreichs.

 

Das Essen bringt im Menschen die größte Veränderung hervor, die er täglich erlebt. Mindestens ändert's seine Stimmung, es baut seinen Körper, ist Ausdruck seines Wesens und seiner Gesundheit und die Quelle all seiner Leistungsfähigkeit. Wer Essen und Trinken in die Gemeinschaft des Vaters rückt, heiligt den ganzen Menschen nach Leib und Geist.

 

Zweimal hat Jesus an entscheidender Stelle den Himmelreichsmenschen einen Fingerzeig gegeben. Das eine Mal, als er sie beten lehrte, das andere Mal, als er Abschied nahm aus der Sichtbarkeit. Zwei bedeutungsvolle Gelegenheiten. Bei der ersten knüpfte er sie selbständig an an das Himmelreich, bei der zweiten bestätigte er ihre Selbständigkeit. Beide Male zeigte er in bedeutungsvoller Weise nicht auf Geistiges, sondern auf Leibliches. Beide Male auf den Stoff und das Allerstofflichste im menschlichen Leben, auf Essen und Trinken. Das erste Mal hieß es: Suchet im täglichen Brote die Gemeinschaft des Vaters, das zweite Mal: Suchet im Essen und Trinken mich, aber nicht nur nach dem Geiste, sondern nach Leib und Blut.

Aber gerade hier hat noch niemand recht gesucht. An dem Ersten haben sie sich überlegt, was alles unter Brot zu verstehen und zu erbetteln sei und haben an vielerlei gedacht. Nach dem, was katechismuslernende Kinder mit großer Mühe und Seufzen ihrem Gedächtnis einprägen müssen, scheint der Begriff »tägliches Brot« ein außerordentlich dehnbarer zu sein.

Bei dem Zweiten haben sie sich gestritten und sich über die Erklärung nicht einigen können, und schließlich hat jede Partei auf ihre Weise eine religiöse Zeremonie draus gemacht, irgendein zu Ideen verflüchtigtes Essen, möglichst geistlich, möglichst fern von der alltäglichen Wirklichkeit, daher auch so selten wie möglich oder so voll Schrauben und Schwierigkeiten und Bedenklichkeiten, daß einfache Leute sich nicht herausfinden.

Wenn wir aber bedenken, daß Jesus immer am Nächstliegenden ansetzte, sollten wir da nicht den Fingerzeig haben, daß er für das Allernächstliegende das Essen und Trinken hält? Das ist's ja auch in unserem eigenen Empfinden. Wenn wir nun merken, daß er keine Gedanken wollte, sondern zu wirklichen Versuchen ermutigen, dann könnte eigentlich jeder Esser auf Erden zum Versuche eingeladen sein.

Am Ende heißt's wirklich: Suchet mich im Leiblichen. Das Gute, was er vom Himmelreich überall zur Darstellung brachte, war doch Gesundung der Leiber. Legt er die Hand auf die Speise und stellt diese unter seinen Schutz und Zucht, so bedeutet das Gesunderhaltung der Leiber. Wenn hier richtige Zustände eintreten, dann muß das auch eine Gesundung der Geister als notwendige Folge nach sich ziehen.

Geht man in der Speise einen Gottesweg, so folgt alles übrige von selbst nach, denn wie die Speise uns das ganze Leben ermöglicht und die Grundlage legt für alle Beschäftigungen, so muß von hier aus die neue Gemeinschaft mit dem Vater und Christo in alle Lebensbeziehungen hineingetragen werden. Aber man sollte sich nicht den Kopf darüber zerbrechen oder gar sinnlos streiten, wie das möglich ist, sondern es schlicht versuchen.

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Wer doch einen Weg wüßte, der unfehlbar in die Freiheit des Geistes führt! Es würden nicht viele und nicht wenige, alle würden ihn wandeln, denn jeder sehnt sich heimlich danach. Aber auch die Freiheit, der Geist gehört wie das Leben in das große Bereich dessen, was wir Natur nennen können, obgleich Natur nur ein Wort ist für das große Geheimnis des Seins, das aus Gott quillt.

Die Freiheit entsteht wie das Leben, denn sie ist eine Form des Lebens. Wie wurde das Leben? Eines Tages war eine, waren Millionen lebendige Zellen geworden. Vorher gab's eine gallertartige, schleimige Masse, aber aus dieser Masse waren durch Häufchen geschlossene Zellen – geworden. Wer hatte sie gemacht? Die Erde hatte sie hervorgehen lassen. Die Erde? Nun der Stoff. Der Stoff? Nun ja, denn der Stoff ist eine Offenbarungsform des Geistes, und Geist ist Leben. Also wurde das Leben.

Kein einziges Stoffteilchen hat sich hineingereckt in den Kreis des Lebens. Es wußte ja gar nichts davon. Es wurde aber von seinem Walten erfaßt, als alles soweit war, daß Leben dasein konnte.

Ebenso geht's mit der Freiheit. Kein Mensch kann sagen: Jetzt will ich frei sein. Kein Zeitalter kann beschließen: Jetzt soll eine Zeit der Freiheit anbrechen. Es wird, wenn es Zeit ist. An sich ist das, was wir Geist nennen, im einzelnen ebenso wie in der Menschheit gebunden. Wir haben alle nicht unsern freien Willen, sondern nur die Ahnung davon. Wir handeln tatsächlich in der Gebundenheit. Darum haben die maßgebenden Geister auf Erden die Gebundenheit immer zu erhalten gesucht, weil sie in ihr eine Notwendigkeit sahen. Aber es lebt etwas, es entwickelt sich etwas ganz ohne unser Zutun, und das ist Freiheit. Man kann es durch Drängen und Schieben nicht fördern und durch Abschließen nicht aufhalten.

 

Wie gelangt man also zur Freiheit? Das beste ist, man öffnet die Augen für die unendliche Gottes- und Lebensherrlichkeit, die uns umgibt und läßt sich anstecken von den Geistesströmungen, die unsere Lebensluft durchziehen, so wird man von selbst hineingetragen, wie auf Adlers Flügeln, und alle werden mitgetragen. Es geht durch Engen und durch Dunkel und Schwierigkeiten dem großen Ziele zu, und das Ziel der Entwickelung heißt: Die herrliche Freiheit der Kinder Gottes.

 

Die innere Freiheit wächst sich aus in der Selbstherrschaft des Menschen. Sie ist die Geistesgewalt, die den ganzen Menschen leiblich und seelisch im Gleichgewicht hält. Das ist das, was die Bibel gelegentlich »ewiges Leben« nennt, ein Zustand, in dem Kraft, Gesundheit unerschöpflich wie ein lebendiger Quell von innen heraus aus der unsichtbaren und geheimnisvollen Tiefe des letzten Seins ohne Aufhören herausströmt und alle Regungen der niederen Stofflichkeit und der seelischen Empfindungswelt beständig regelt und den Menschen in eine Hoheit und Größe hüllt, wie sie nur reiner Geist hervorbringt. Man weiß nicht, woher es kommt, und wohin es zielt, aber man spürt deutlich seine Gewalt und Größe.

Diese Selbstherrschaft des Menschen äußert sich nach außen in einem Strome lebendiger Kräfte, die dem Lebensgesetze folgen: Ehre und achte in jedem anderen den Menschen und behandle ihn auf die Einheit im Geiste hin. Das ist weder eine Formel, noch irgend etwas Religiöses, sondern der unwillkürliche Ausdruck der Freiheit im Geiste, die überallhin befreiend und veredelnd wirkt. Es ist die göttliche Behandlungsweise, in der allein der Mensch gedeihen kann, die aber unmöglich wirken könnte, wo nicht vorher eine Fülle von Freiheiten geschaffen ist.

 

Treue gegen sich selbst, Unabhängigkeit nach außen, das ist das Ja und Nein der Freiheit.

Das ist eine Eigentümlichkeit der Freiheit. Wer sie einmal geschmeckt hat, kann sie nie entbehren. Man kann die Freiheit eigentlich nicht erklären, so wenig wie irgend etwas, was in der Welt Wert und Kraft hat. Aber sobald man sie erlebt, hat sie's einem angetan und läßt einen nimmer los.

 

Eine wundervolle Entdeckung wird die Menschheit auf dem neuen Wege noch machen. Nicht nur werden die Geister auf diesem Wege wirklich versöhnt, sondern es wird auch ihre herrliche Eigenart aufwachen. Jeder Geist ist etwas ganz einzigartiges, ein Wesen, das sich heute oft nur nicht herausgetraut aus der Einerleiheit der bestehenden Fächer und Schubladen.

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In dem Maße als der Mensch Gutes denkt, wird Gut eine beherrschende Macht, die sich von ihm aus seiner ganzen Umgebung mitteilt. Ebenso erzeugen böse Gedanken eine böse Umwelt um den Menschen und werden Mächte des Verderbens. Es ist daher nicht auszudenken, wie wichtig für das Werden eines Menschen seine Gedankenwelt ist. Jeder Gedanke ist eine Kraft, die fähig wäre, auf den Stoff umgestaltend zu wirken, wie der Wind auf die Wasserwogen, wenn er nicht augenblicklich durch andere Geistkräfte wirkungslos gemacht würde. Aber für uns behält er seine Macht immerhin, und es ist sehr wichtig, daß Lebensgedanken, gute Gedanken, den Menschen und sein Werden umgeben und ihn selbst füllen und nicht etwa böse, schwarze, finstere. Letztere würden bald in Form von Übeln an ihm oder um ihn in sichtbare Erscheinung treten.

 

Wer klug ist, hüte seine Gedanken. Es ist durchaus nicht gleichgültig, was einer bei sich denkt, und womit er sich im Geiste anfüllt. Das Denken ist die Macht, die ihn beherrscht. Es drückt sich leiblich an ihm aus. Es prägt seine Gesichtszüge, es wird fühlbar für seine Umgebung. Ich bin fest überzeugt, daß es in vielen Fällen Gesundheit oder Krankheit hervorruft und darstellt. Man kann krank werden, wenn einem ein Ziegel auf den Leib fällt, gewiß. Aber viele sind krank, weil Gedankenmächte um sie und in ihnen sinnliche Darstellung suchen. Denn der Geist giert nach Offenbarung im Sichtbaren. Mit Urkraft begehrt er, sich sichtbar zu machen. Das ist sein brennendes Wesen, sein flammender Trieb.

 

Die unsichtbaren Ursachen vieler Krankheiten suchten die Alten in der Wirkung von Geistern, wie wir etwa in der Wirkung kleinster Lebewesen, wobei wir den Vorteil haben, die kleinen Unsichtbaren wenigstens mit Hilfe gewisser Werkzeuge zu Gesicht zu bringen, dafür aber nicht wissen, ob sie die erste, oder nur die letzte Ursache sind. In vielen Fällen versagen unsere Kenntnisse ganz.

Vielleicht wird ein späteres Geschlecht auch rein geistige Einflüsse auf Menschen anerkennen, denn Geist ist nichts wesentlich anderes als Stoff. Wer Freude an Erklärungen hat, könnte sagen: Geist ist eine Stoffform, die wir vorläufig weder mit unsern einfachen, noch bewaffneten Sinnen bestimmen können. Aber vielleicht finden sich noch solche Sinne. Wir empfinden doch häufig die Blicke und fühlen die Gedanken anderer Leute und wissen auch oft genug, ohne Anwendung von Werkzeugen oder nur Worten die Willensentschließungen anderer zu beeinflussen.

 

Dabei kann der Mensch viel tun, seine Gesundung zu fördern oder zu verzögern. Der Mensch hat nämlich die Möglichkeit, sich in Finsternis zu hüllen, oder dem Lichte offen zu bleiben. Wer überall nur das Schwere, Verdrießliche und Bemühende sieht und beachtet, der stellt sich ins Unglück, das bald um ihn immer ungeheuerlichere Formen annehmen wird. Er leistet dem Stoff keinen Widerstand, so daß dieser ihn zwingt.

Es gibt Menschen, denen es eine gewisse Wollust bereitet, immer im Schweren herumzuwühlen und Düsteres zu denken. Es ist aber gar nicht gleichgültig, woran wir herumdenken. Gedanken sind Kräfte, denn es sind Geistesäußerungen. Wir verbinden uns durch unser Denken entweder mit Mächten der Finsternis oder des Lichts. Eines ist ganz gewiß. Durch verbittertes Denken werden wir völlig ausgeschaltet aus dem Strome des Glücks und unfähig, an jeder Vorwärtsbewegung teilzunehmen. Währt der Zustand lange, so verkümmern wir und versinken im Tode. Wir würden nicht sterben, wenn wir uns nicht freiwillig in das Sterben hineinstellten durch Aufnahme des Düsteren und Drückenden.

Wer also diesen Zug an sich bemerkt, sollte alle Kraft ansetzen, sich neue Gedanken zu schaffen. Namentlich sollte er, solange er schwach ist, von verdüsterten oder innerlich entleerten Menschen tunlichst abrücken und sich zwingen, überall auf das Gute und Belebende zu achten. Wer seinen Geist mit guten Gedanken anfüllt, wird bald merken, daß sie unendlich viel stärker sind als die unguten. Diese haben nur darum heute soviel Macht, weil sie die Massen noch beherrschen, und die Zahl der Lichtsträger noch so gering ist. Trotz aller großen Fortschritte der Zeit dürfen wir nämlich nicht vergessen, daß wir erst in den Anfängen des Menschwerdens stehen.

Wem es aber gelingt, sich den Lichtsgedanken offen zu halten, der wird nicht nur selbst licht sein, sondern auch bald anfangen zu leuchten, und zwar ganz unbewußt. Im Unbewußten liegt der Wert des Leuchtens. Bei den großen Blendlaternen der Zeit merkt man zuviel Absicht durch. Der Kundige weiß, daß hinter der Lichtquelle nur ein großes Blech steht, das die wenigen Strahlen solange vervielfältigt, bis sie wirklich blenden. Sie können aber nur nach einer Seite leuchten, nach allen anderen sind sie rabenschwarz.

Die eigentlichen Lichtsträger leuchten, ohne es zu wissen, aus dem unpersönlichen Leben heraus. Sie leuchten nach allen Seiten und ahnen ihren Wert gar nicht. Aber sie haben es schwer, in ihrer einsamen Stellung das Glück festzuhalten, gegenüber der allgemeinen Unglückseligkeit der Massen. Ich kenne einige Menschen, die schüchtern immer fragen, ob sie wirklich auf dem rechten Wege seien, während alle anderen doch anders geartet wären, die aber tatsächlich die einzigen Lichter ihrer Umgebung sind. Ihre Gegenwart wird oft schwer empfunden von den Verdüsterten, aber niemand wird so vermißt wie sie. Denn jeder Mensch sehnt sich doch heimlich nach Licht und Leben. Die Menschen atmen auf und fühlen sich befreit, wo sie aus einem Mitmenschen heraus die Glücksstrahlen anlachen. Ja sie bedürfen der Glücksträger, wie sie des Lichts bedürfen.

 

Es gibt keine unsichtbaren Güter, die nicht der Sichtbarkeit ihr Gepräge aufdrücken müßten. Im Sichtbaren wird das Unsichtbare gesehen und erlebt. Wer in sich einig und geschlossen ist, ist nach außen stark.

 

Das ist ein Kennzeichen des Geistes, dieses Drängen in den Stoff, in die Sichtbarkeit. Mir scheint, diesem Zuge verdankt der Stoff in der Form, in der wir ihn kennen, überhaupt seine Entstehung.

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Es ist die verborgene Weisheit des Himmelreichs, seine heimliche Seligkeit, die aber zu Zeiten nur wenigen Auserwählten mitgeteilt werden kann, das beglückende Gesetz von dem eigentümlichen Wechselverhältnis, das zwischen Leid und Herrlichkeit stattfindet, daß wir durch viel Trübsal ins Reich Gottes eingehen.

Das ist geradezu ein lebenbedingender Grundzug des Himmelreichs. Denn Herrlichkeit ist an sich unerträglich für den Staubgeborenen. Trübsal ist erträglich, wenn sie auch Anspannung aller Kräfte erfordert, um den Menschen nicht zu erdrücken. Da kommt die holde Trübsal wie ein stiller, starker Engel und lehrt den Menschen tragen und richtet ihn heimlich zu zum Gefäß, in das auch Herrlichkeit eingeschüttet werden kann. Je mehr Trübsal, desto mehr Herrlichkeit vermag er aufzunehmen. Selig, wessen Gefäß voll und groß und weit wird, Unendliches in sich einströmen zu lassen! Käme die Glut der Herrlichkeit unvorbereitet und unvermittelt, sie würde das schwache Gefäß zerspringen machen. Trübsal ist ein Kennzeichen des Himmelreichs. Wo sie stark getragen wird, da kehrt Herrlichkeit ein. Freilich wo Wehleidigkeit und weinerliches Wehwesen ist, wo nicht einmal Trübsal getragen werden kann, da kann noch viel weniger Herrlichkeit hinkommen, da ist noch nie ein Strahl des Himmelreichs hingefallen. Das Himmelreich macht unter allen Umständen lachen. Es lehrt auch über Trübsal frohlocken.

Im Leiden ist das herrlichste Geheimnis der Menschheit verborgen, die Fähigkeit, stärker zu sein als alles, eins mit Gott zu sein. Das ist nur im Leiden da, denn hier begegnet der Mensch der stärksten Gewalt, die es gibt. Ohne Leiden kann dieses Geheimnis nicht klar werden, weil es dann immer noch Möglichkeiten gibt, in denen die Kraft nicht erprobt ist. Aber wer im Leiden erprobt ist und da siegt, der ist wahrer Mensch.

Dem ist auch das Leiden kein Leid. Das ist's vorher, im Anfang, wenn es als erste Versuchung zur Schwäche in den Geist des Menschen tritt, und wenn der innerliche Ringkampf beginnt. Jesus hatte ihn in Gethsemane bestanden. Dort war es in ihm wirkliches Leid. Aber dann nicht mehr. Nachher war er so siegreich, daß er über der Wonne des Sieges den Schmerz nicht mehr empfand.

 

Auch für Jesum war das Leiden ganz allmählich durch alle Kraftentfaltungen des Himmelreichs hindurch offenbar geworden als letzte notwendige Durchgangspforte. Auch Jesu war's nicht leicht geworden, sich allen diesen Folgerungen zu unterziehen. Auch der Tapferste hat gebebt, ehe er diese Last auf sich nahm. Aber nachdem er sich ganz dafür eingesetzt, wurde der Sieg auch sein von Schritt zu Schritt und bleibt's.

Es ist also keinem Menschen zu verargen, wenn er das Leiden zunächst nicht anerkennen will, sondern sich sehnt nach Kraftentfaltung des Himmelreichs. Ja, es ist kaum anzunehmen, daß überhaupt jemand das Geheimnis des Leidens verstehen kann ohne Bezeugungen des Himmelreichs in seiner Herrlichkeit und Kraft, und es ist endlich auch dem gewöhnlichen Menschen nicht zu verargen, wenn er erbebt und der Furcht zunächst unterliegt. Aber andererseits bleibt auch gewiß, daß der Weg zum Vater gezeigt ist, wenn Jesus sagte: »Wer mir nachfolgen will, der nehme sein Kreuz auf sich und folge mir.«

Dadurch wird jedes Leiden leichter, wenn der Mensch seinen Willen dazu legt. Ja es hört damit auf, Leiden zu sein. Was uns trifft, solange wir ihm ausweichen wollen, verbittert und beschwert uns, was wir aber selbst auf uns nehmen, ist von Stund' an nicht mehr schwer.

 

Von dem Beglückenden, das Leiden unter Umständen haben kann, daß man sich rühmen und frohlocken kann über der Trübsal, hat der gewöhnliche Mensch keine Ahnung. Im besten Falle trägt er sein Leid mit frommer Ergebung und ist heilsfroh, wenn er's los ist. Wer aber unmittelbar im lebendigen Gott steht, hat ein Übergewicht des Lebens, das ihm auch Leid in Freude verkehrt.


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