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Zweiter Abschnitt.
Bettina und Napoleon.

Weimar kommt wieder zur Ruhe. Bettina besucht Goethe. Ihr Charakter. Das wahre Sachverhältniß ihrer Beziehung zu Goethe. Er verbietet ihr sein Haus. Ihr »Briefwechsel Goethe's mit einem Kinde« ist ein Roman. – Napoleon auf dem Erfurter Congreß; empfängt Karl August, Goethe und Wieland. Seine Unterhaltungen mit Goethe. Schmeichelhafter Eindruck auf diesen. Beethoven's gesuchte Unabhängigkeit und Goethe's angebliche Servilität.

Es ist für Goethe sehr bezeichnend, daß er während der Schreckenstage der Plünderung am meisten besorgt war, seine wissenschaftlichen Sammlungen und Papiere zu retten; alles andere konnte ersetzt werden, dieser Verlust wäre unersetzlich gewesen. Er verlor nichts. Andere waren weniger glücklich; von Herder's Nachlaß wurde vieles vernichtet, Heinrich Meyer verlor alles, selbst seine Zeichnungen. So lächerlich wie betrübend hat man ihm auch das zum Vorwurf gewendet; sein gutes Glück legt man ihm als kluge selbstsüchtige Berechnung aus; als wenn in solchen Tagen sich Berechnungen anstellen ließen!

Der Herzog, den man von preußischer Seite selbst zuredete, sich mit dem Sieger abzufinden, legte sein Kommando nieder und kehrte unter lautem Jubel des Volks nach Weimar zurück. Durch den Beitritt zum Rheinbund mußte er den Frieden erkaufen; Weimar athmete auf. Goethe benutzte die wieder eingetretene Ruhe, die Farbenlehre und den Faust drucken zu lassen, damit sie in Zukunft vor jeder Gefahr der Zerstörung sicher seien. Auch nahm er den Gedanken an das epische Gedicht »Wilhelm Tell« wieder auf. Ein neues Unglück unterbrach die kaum begonnene friedliche Thätigkeit: am 10. April 1807 starb nach kurzer Krankheit die Herzogin-Mutter Amalia; als in den letzten Zeiten die Stürme von allen Seiten auf sie eindrangen, ihr Land verwüstet, ihr Sohn zuerst in seiner Herrschaft bedroht, dann seiner Unabhängigkeit für lange beraubt ward, ihr Bruder, der Herzog von Braunschweig starb, da hielt ihr Herz nicht länger, und ihr muthiger Geist erlag dem Andrang solcher Schicksale. Goethe feierte ihr Andenken in einem Nachruf, den der Herzog beim Trauergottesdienst in allen Landeskirchen vorlesen ließ.

Gleich darauf, am 23. April, kam Bettina nach Weimar. Wir müssen bei dieser sonderbaren Erscheinung, die in der deutschen Literatur des neunzehnten Jahrhunderts einen bedeutenden Platz einnimmt, etwas länger verweilen. Jeder kennt Bettina »das Kind«, Bettina Brentano, die Tochter jener Maximiliane Laroche, mit der Goethe in der Wertherzeit in freundlichem Verkehr stand, die Frau Achim von Arnim's, des phantastischen Romantikers, die Verehrerin Goethe's und Beethoven's, eine Zeit lang hoch in Gunst bei Friedrich Wilhelm IV., und Verfasserin jenes seltsamen, aber keineswegs wahrhaften Buches »Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde«. Sie gehört zu jenen Phantasten, denen alles erlaubt scheint. Mehr Kobold als Weib, aber nicht ohne Blitze von Genialität, die ganzen Bogen voll Unsinn Glanz leihen, entzieht sie sich aller Kritik und spottet jedes Urtheils. Nimmt man's ernst mit ihr, so zucken die Kenner die Achseln; »sie ist eine Brentano« – damit ist alles gesagt: die Brentano's gelten in Deutschland nicht eben für verständig.

Ich möchte gegen Bettina nicht härter sein als nöthig, aber wenn ich ihrer Phantasterei auch alles Mögliche zu gute halte und ihr für die vielen bezeichnenden Anekdoten über Goethe dankbar bin, die sie aus den Unterhaltungen mit seiner Mutter erhalten hat: die Geschichte ihres Verhältnisses zu Goethe muß ich ernsthaft nehmen, weil daraus ein eben so falscher wie kränkender Vorwurf gegen sein Andenken erwachsen ist. Manche arglose Leser ihres Buches, mögen sie auch von den leidenschaftlichen Ausdrücken ihrer Liebe zu Goethe und von ihrem Benehmen gegen ihn halten was sie wollen, fühlen sich durch seine Kälte gegen sie tief verletzt, während wieder andere noch heftiger darüber entrüstet sind, daß er diese tolle Leidenschaft unterhalten, mit Gedichten und Schmeicheleien genährt habe, und noch dazu in der selbstsüchtigen Absicht, aus ihren Briefen Stoff für seine Gedichte zu entnehmen! Beide Ansichten beruhen auf einer vollständigen Verkennung des Sachverhalts. In dem Briefwechsel freilich findet sich für die eine wie für die andere reichlicher Beweis, und gegen den Beweis läßt sich nur eines einwenden; dieses eine aber ist entscheidend: »Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde« ist ein Roman des Kindes Bettina.

Wäre die Schuldige nicht eine Frau und nicht eine Brentano, so würde ich einen härteren Ausdruck gebrauchen, denn der Roman tritt nicht etwa als Dichtung auf, welche die Wahrheit umspielt, sondern giebt sich ganz ernsthaft als getreuer Beitrag zu Goethe's Lebensgeschichte. Wie viel daran wahr ist, wie viel übertrieben, wie viel rein erfunden, bin ich nicht in der Lage zu ermitteln; aber Riemer, der alte und vertraute Freund Goethe's, der bei Bettina's Besuch in seinem Hause lebte, hat nachgewiesen, daß der Briefwechsel »ein Roman ist, der von der Wirklichkeit Zeit, Ort und Umstände entlehnt«, und von andern Seiten habe ich genug erfahren, um sowohl Goethe's Benehmen wie ihr eigenes in einem ganz andern Lichte zu sehen, als sie in ihrem Buche anwendet.

Ein Mädchen wie eine Elfe, jung, heißblütig, betet den großen Dichter aus der Ferne an, läßt ihn das in ihren Briefen wissen, erweist seiner Mutter Aufmerksamkeiten, die glücklich ist, ihren Sohn so vergöttern zu hören und von ihm sich zu unterhalten. Er seinerseits ist betroffen von ihrem außergewöhnlichen Geiste, ist ihr dankbar für die Freundlichkeit gegen seine Mutter und schreibt ihr möglichst herzlich, ohne sich in ein näheres Verhältniß einzulassen. Sie kommt nach Weimar, fällt ihm in die Arme, schläft gleich bei der ersten Unterredung auf seinem Schooße ein und trägt von da ab ihre Verehrung und Eifersucht unverhohlen zur Schau. So nämlich erzählt sie selbst. Man sieht, die Lage war für Goethe sehr unangenehm: er achtundfünfzig Jahre alt und angebetet von einem Mädchen, welches, obgleich schon eine Frau an Jahren, wie ein Kind aussah, und angebetet zwar mit der halb wahnsinnigen, halb eigensinnigen Schwärmerei einer Brentano – was sollte er machen? Er konnte ihre Leidenschaft schnöde mißbrauchen, oder sie hart zurückweisen, oder endlich dazu lächeln und ihr den Kopf streicheln, wie man ein drolliges Kind liebkost. Das waren die Wege, die ihm offen standen. Er wählte den letzteren, bis sie selbst durch das Uebermaß ihrer Schwärmerei ihn zwang, den zweiten einzuschlagen. Zuerst machte ihm die Koketterie und Laune des Kindes Spaß, ihr blendender Verstand fesselte ihn; aber als ihre Verehrung zudringlich und ermüdend wurde, mußte er sie so oft zur Ruhe verweisen, daß ihm endlich allen Ernstes die Geduld ausging. Solch ein Verhältniß hatte unmöglich Bestand, das war klar. Sie nahm sich Freiheiten wie ein Kind und wollte doch nicht wie ein Kind behandelt sein. Sie ward ihm zur Last.

Wie Riemer erzählt, klagte sie gleich bei diesem selben ersten Besuche gegen ihn über Goethe's Kälte. Diese Kälte, fügt er mit Recht hinzu, war lediglich Geduld; gegen ihr Andrängen konnte sie freilich kaum Stand halten. Der erste Besuch in Weimar dauerte nicht lange; beim zweiten, im Jahre 1811, gab sie ihm durch ihr eigenes Benehmen einen schicklichen Vorwand, ganz mit ihr zu brechen – ein Vorwand, wie ich überzeugt bin, den er mit Freuden ergriff. Was ich darüber von völlig verläßlicher Seite erfahren habe und in der Hauptsache für durchaus genau halte, ist folgendes: Eines Tages ging Bettina mit Goethe's Frau in die Kunstausstellung, für die sich Goethe sehr interessirte; ihre boshaften Bemerkungen, namentlich über Heinrich Meyer, verletzten Christiane, die ihr scharf darauf diente. Es kam zum Wortwechsel und endlich zu gröblicher Beleidigung. S. Anhang V. Goethe nahm seine schwer gekränkte Frau in Schutz und verbot Bettina sein Haus. Vergebens bat sie ihn bei einem folgenden Besuche um eine Zusammenkunft; er war entschlossen; er hatte einem Verhältnisse, welches nicht Freundschaft sein konnte, sondern nur Verlegenheiten brachte, für immer ein Ende gemacht.

Das ist die wirkliche Geschichte, so weit ich sie habe entwirren können. Prüfen wir jetzt die Aechtheit des »Briefwechsels«, insofern derselbe den beiden Vorwürfen gegen Goethe, er sei abwechselnd kalt und zärtlich gegen sie gewesen und er habe ferner ihre Briefe als Stoff für seine Gedichte benutzt, Vorschub leistet. Riemer bestreitet, daß er überhaupt zärtlich gegen sie gewesen; er fragt sehr mit Recht, wie es denkbar sei, daß die Kälte, über die sie bei ihrem ersten Besuche in Weimar geklagt habe, in ihrer Abwesenheit zu der Liebe sich erwärmt haben solle, die in den Sonetten glüht, welche er nach ihrer Behauptung an sie richtete. Gewiß ist das schon an sich nicht zu glauben; aber das Geheimniß wird vollends dadurch aufgeklärt, daß Riemer bestimmt leugnet, diese Sonette seien an sie gerichtet. Goethe schickte sie ihr zu, wie andern Freunden auch; aber geschrieben wurden sie für eine ganz andere. Der Beweis ist sehr einfach. Die Sonette waren fertig, ehe Bettina nach Weimar kam, und hatten schon Riemern zur Durchsicht vorgelegen. Riemer wußte auch, an welche Dame diese leidenschaftlichen Liebesergüsse gerichtet waren, und wollte nur den Namen nicht nennen. Jetzt ist kein Grund mehr zu schweigen; es ist einfach zu sagen, daß Goethe die Sonette für Minna Herzlieb in Jena schrieb (von der wir gleich mehr hören werden), wie das schon das Spiel mit ihrem Namen im zehnten Sonette (Herzlieb, Lieb Herz) hinlänglich andeutet. Und nicht nur diese Sonette, die Goethe in Jena während Riemer's eigener Anwesenheit und für eine Dame in Jena schrieb, hat Bettina sich angeeignet, sondern auch andere Gedichte, die wie Riemer wußte, zwischen 1813 und 1819 entstanden, wo sie Achim von Arnim's Frau war und (seit 1811) keinen Zutritt in Goethe's Hause hatte. Einer Frau sein Haus verbieten und doch Liebesgedichte an sie richten, ihren Zudringlichkeiten eine Kälte entgegensetzen, über die sie sich laut beklagt, und doch Sonette an sie ausströmen, in denen der Puls der Leidenschaft heftig schlägt, – das ist ein Verfahren, welches auf das bloße Zeugniß des Bettina'schen »Briefwechsels« nicht zu glauben ist. Wir sind daher kaum überrascht, wenn Riemer weitergehend erklärt: »von einigen ihrer Briefe kann man dreist sagen, sie seien nur das in Prosa aufgedröselte meta- und paraphrasirte Poëm Goethe's; denn man hört noch das Sylbenmaß hindurch mit der Wort- und Satzfolge«. Statt daß Goethe ihre Briefe zu Gedichten verwendet habe, beschuldigt Riemer demnach sie selbst, sie habe seine Gedichte ihrerseits in Briefe verwandelt. Auf eine so öffentliche und bestimmte Beschuldigung mußte gleich die Erwiderung folgen, oder sie durfte als bewiesen gelten; trotzdem ist Bettina nach Varnhagen's Versicherung bis an ihr Lebensende bei der Aechtheit des Briefwechsels geblieben; jetzt hat Hermann Grimm nach Einsicht der Originale (deren Veröffentlichung er zugleich in ungewisse Aussicht stellt) die Unächtheit eingeräumt.

Mit dem Nachweis der Unächtheit des Bettina'schen Briefwechsels fallen auch alle die Annahmen, welche man in Bezug auf Goethe's Benehmen darauf gegründet hat, zu Boden. In der That, bei einigem Nachdenken erscheint die Annahme, Goethe habe ihre Briefe zu dichterischem Stoff benutzt, als die tollste Erdichtung; denn nicht nur war er an eigener Erfindung verschwenderisch und an Stoff unerschöpflich, er zeichnete sich auch besonders dadurch aus, daß er immer seinen eigenen Gefühlen und Erlebnissen Ausdruck gab, niemals den Gefühlen und Erlebnissen anderer.

Damit scheiden wir von Bettina. Eine neue und ganz andere Gestalt tritt auf: Napoleon auf dem Erfurter Congresse. Im September 1808 trafen sich die Kaiser von Frankreich und von Rußland mit hohem Gefolge von kleineren Potentaten in Erfurt. Es war ein glanzvolles Schauspiel. Talma und die kaiserliche Truppe aus Paris spielten ihre französischen Tragödien vor einem »Parterre von Königen«. Ganz vorn an im Parterre saßen die beiden Kaiser in vertraulichem Gespräch, etwas dahinter die Könige, endlich die regierenden Fürsten und die Erbprinzen. Im ganzen Parterre sah man nichts als Uniformen, Ordensbänder und Sterne. In den Parterrelogen saßen hohe Offiziere und die ersten kaiserlichen Beamten; im ersten Rang Prinzessinnen und vornehme Damen. Eine starke Wache von Grenadieren der Kaisergarde war am Eingang des Theaters aufgestellt. Wenn einer von den beiden Kaisern vorfuhr, so wurden die Trommeln dreimal gerührt; kam ein König, nur zweimal. Durch ein Versehen der Schildwache erhielt eines Tages der König von Würtemberg die Ehre des dreimaligen Trommelschlags; da rief der wachthabende Offizier ärgerlich hinaus: taisez-vous, ce n'est qu'un roi – still doch, es ist nur ein König.

Auf diesem Congresse empfing Napoleon auch den Herzog von Weimar, Goethe und Wieland mit vieler Freundlichkeit. Goethe wurde am 29. September nach Erfurt berufen und wohnte an demselben Abend der Aufführung der Andromache bei; am folgenden Tage war beim Herzog große Tafel, am Abend wurde Britannicus gegeben. Im Moniteur vom 8. Oktober ist Goethe unter den vornehmen Gästen mit genannt: »er scheint unsere Schauspieler vollkommen zu würdigen und vor allem die aufgeführten Meisterwerke zu bewundern«. Am 2. Oktober wurde er zur Audienz beim Kaiser bestellt. Er traf ihn beim Frühstück, ihm zur Seite Talleyrand und Daru, hinter ihm Savary und Berthier. Das Weitere lassen wir Goethe selbst erzählen; die Skizze, in der er diese Erfurter Tage gezeichnet hat, ist zu charakteristisch. »Der Kaiser winkt mir heranzukommen. Ich bleibe in schicklicher Entfernung vor ihm stehen. Nachdem er mich aufmerksam angeblickt, sagt er: vous êtes un homme. Ich verbeuge mich. Er fragt: wie alt seid ihr? Sechzig Jahr. Ihr habt euch gut erhalten – Ihr habt Trauerspiele geschrieben. Ich antwortete das Nothwendigste. Hier nahm Daru das Wort, der, um den Deutschen, denen er so wehe thun mußte, einigermaßen zu schmeicheln, von deutscher Literatur Notiz genommen; wie er denn auch in der lateinischen wohlbewandert und selbst Herausgeber des Horaz war. Er sprach von mir, wie etwa meine Gönner in Berlin mochten gesprochen haben, wenigstens erkannt' ich daran ihre Denkweise und ihre Gesinnung. Er fügte sodann hinzu, daß ich auch aus dem Französischen übersetzt habe, und zwar Voltaire's Mahomet. Der Kaiser versetzte: es ist kein gutes Stück, und legte sehr umständlich auseinander wie unschicklich es sei, daß der Weltüberwinder von sich eine so ungünstige Schilderung mache. Er wandte sodann das Gespräch auf den Werther, den er durch und durch mochte studirt haben. Nach verschiedenen ganz richtigen Bemerkungen bezeichnete er eine gewisse Stelle und sagte: warum habt ihr das gethan? es ist nicht naturgemäß, welches er weitläufig und vollkommen richtig auseinander setzte. Ich hörte ihm mit heiterem Gesichte zu und antwortete mit einem vergnügten Lächeln: daß ich zwar nicht wisse ob mir irgend jemand denselben Vorwurf gemacht habe; aber ich finde ihn ganz richtig und gestehe, daß an dieser Stelle etwas Unwahres nachzuweisen sei. Allein, setzte ich hinzu, es wäre dem Dichter vielleicht zu verzeihen, wenn er sich eines nicht leicht zu entdeckenden Kunstgriffs bediene, um gewisse Wirkungen hervorzubringen, die er auf einem einfachen natürlichen Wege nicht hätte erreichen können. Der Kaiser schien damit zufrieden, kehrte zum Drama zurück und machte sehr bedeutende Bemerkungen, wie einer der die tragische Bühne mit der größten Aufmerksamkeit gleich einem Criminalrichter betrachtet und dabei das Abweichen des französischen Theaters von Natur und Wahrheit sehr tief empfunden hatte. So kam er auch auf die Schicksalsstücke mit Mißbilligung. Sie hätten einer dunklern Zeit angehört: Was,« sagte er, »will man jetzt mit dem Schicksal? die Politik ist das Schicksal.«

Die Unterhaltung dauerte fast eine Stunde. Napoleon war sehr gnädig, erkundigte sich nach Goethe's Familie und fügte fast zu jedem Satze hinzu: qu'en dit M. Goet? (was sagt Hr. Goethe dazu?) Als Goethe fortgegangen war, wiederholte er zu seiner Umgebung: voilà un homme! (das ist ein Mann!)

Einige Tage darauf kam Napoleon nach Weimar, und große Festlichkeiten fanden ihm zu Ehren statt; darunter eine Jagd auf dem Schlachtfelde bei Jena, ein großer Ball bei Hofe und die Aufführung von Voltaire's »der Tod Cäsar's«, worin Talma den Brutus spielte. Auf dem Balle unterhielt sich Napoleon lange Zeit mit Goethe und Wieland, sprach über alte und neue Literatur, berührte Shakespeare, den er als Franzose nicht begreifen konnte, und sagte zu Goethe: ich wundere mich, daß ein so großer Geist wie Sie nicht die scharf begrenzten Gattungen liebt ( les genres tranchés). Goethe hätte ihm erwidern können, die großen Geister seien fast alle das wahre Gegentheil von tranchés gewesen, aber natürlich war es nicht seine Sache, den Kaiser zu belehren. Nach einigen weiteren hochtrabenden Aeußerungen über die Tragödie meinte Napoleon, Goethe solle den Tod Cäsar's auf eine würdigere Weise schreiben als Voltaire. »Das könnte die Hauptaufgabe Ihres Lebens werden. Man müßte darin der Welt zeigen, wie Cäsar die Menschen beglückt haben würde, wenn man ihm Zeit gelassen hätte, seine umfassenden Pläne auszuführen.« Unwillkürlich muß man dabei an Goethe's Jugendplan einer Tragödie Julius Cäsar denken; wie wäre die ganz das Gegentheil geworden von dem genre tranché, welches Napoleon so sehr bewunderte.

Annehmbarer als dieser Vorschlag, in seinem Alter noch Tragödien zu schreiben, und zumal napoleonische Tendenztragödien, war die Aufforderung, nach Paris zu kommen. »Kommen Sie nach Paris, ich verlange das von Ihnen; Sie werden da eine größere Weltanschauung gewinnen und ungeheure Stoffe für Ihre dichterischen Schöpfungen finden.« Da Goethe niemals in einer großen Weltstadt wie Paris oder London gewesen war, so hatte die Einladung viel Verführerisches. Wie Kanzler von Müller erzählt, sprach er mit ihm oft darüber, was wohl eine solche Reise kosten würde und wie man in Paris lebe, aber die Unbequemlichkeit der damals noch langen Reise und sein eigenes vorgeschrittenes Alter ließen es nicht zur Ausführung kommen.

Am 14. Oktober erhielten er und Wieland von Erfurt aus das Kreuz der Ehrenlegion – damals wirklich eine Ehre. Ueber alles, was zwischen ihm und Napoleon vorgegangen war, beobachtete Goethe zunächst das vollste Schweigen; erst viele Jahre später schrieb er die Unterredungen in den Tag- und Jahresheften nieder, und auch da gab er nur eine dürftige Skizze. Aus die oft wiederholte Frage, welche Stelle in Werther Napoleon als unnatürlich bezeichnet habe, antwortete er stets mit einem ausweichenden Scherz und verwies die Frager auf das Buch selbst, an dem sie ihren Scharfsinn üben könnten. Selbst an Eckermann wollte er es nicht sagen. Ueberhaupt liebte er es in diesen späteren Jahren, mit seinen Lesern Versteck zu spielen, und hatte Freude daran, wenn sie seine Geheimnisse zu enthüllen sich abquälten. Im vorliegenden Falle ist das Geheimniß durch Kanzler von Müller aufgeklärt, der in seinen »Erinnerungen« den genauesten Bericht über Goethe's Unterredungen mit Napoleon giebt. Die Ausstellung, welche Napoleon am Werther machte, war merkwürdigerweise genau dieselbe, die Herder 1782 bei der Revision des Romans gemacht hatte (vgl. oben S. 46); beide tadelten nämlich, daß Werther's Melancholie, welche ihn zum Selbstmord treibt, nicht rein aus unglücklicher Liebe hervorgehe, sondern nebenher aus gekränktem Ehrgeiz. Herder erklärte diese Vermischung der Motive für einen künstlerischen Fehler, Napoleon für einen Verstoß gegen die Natur, und, auffallend genug, Goethe stimmte ihnen zu. Aber gegen alle drei, Herder, Napoleon und Goethe, ist die einfache Thatsache entscheidend, daß Jerusalem-Werther wirklich an verletztem Ehrgeiz so gut wie an unglücklicher Liebe litt, und daß Goethe ihn so ließ wie er ihn fand; seine Schilderung im Werther entspricht genau dem Berichte, den ihm Kestner über Jerusalem und sein trauriges Ende gab.

Durch die Aufmerksamkeit Napoleon's fühlte sich Goethe höchlich geschmeichelt, und er hatte dessen kein Hehl. Darüber haben denn Leute, die vor solchen Schmeicheleien ganz sicher sind, ein lautes Geschrei erhoben, als sei das sehr verächtlich. Aber die Aufmerksamkeiten eines Napoleon hätten auch die finstere Stirn eines Republikaners glätten können, und Goethe, der nichts von einem Republikaner hatte, war sein Leben lang für die Freundlichkeiten gekrönter Häupter sehr empfänglich. Ueber diesen Punkt wird gewaltig viel Unwahres gesprochen, und die lautesten Schreier sind gewöhnlich grade die, welche sich vorkommenden Falls am meisten von Hofgunst blenden lassen würden. Wenn man sie von Goethe's Servilität und seiner Verehrung für hohe Personen schwatzen hört, sollte man wirklich meinen, sie ständen auf einer sittlichen Höhe, von der sie mit einem überlegenen Mitleid, welches den Defekt an Verstand ersetzt, aus ihn herabschauten. Namentlich eine Anekdote führen sie gern an, die ich deshalb hier mittheilen will, damit wir sie in ihrer wahren Bedeutung würdigen können. Sie betrifft einen Vorfall, den Beethoven mit Goethe 1812 in Teplitz erlebte; er schreibt darüber an Bettina: »Könige und Fürsten können wohl Professoren machen und Geheimräthe etc. und Titel und Ordensbänder umhängen, aber große Menschen können sie nicht machen, Geister, die über das Weltgeschmeiß hervorragen, das müssen sie wohl bleiben lassen zu machen, und damit muß man sie in Respekt halten; wenn so zwei zusammen kommen, wie ich und der Goethe, da müssen auch große Herren merken, was bei unser Einem als groß gelten kann. Wir begegneten gestern auf dem Heimwege der ganzen kaiserlichen Familie. Wir sahen sie von weitem kommen, und der Goethe machte sich von meiner Seite los, um sich an die Seite zu stellen; ich mochte sagen, was ich wollte; ich konnte ihn keinen Schritt weiter bringen; ich drückte meinen Hut auf den Kopf, knöpfte meinen Oberrock zu und ging mit untergeschlagenen Armen mitten durch den dicksten Haufen. – Fürsten und Schranzen haben Spalier gemacht, der Erzherzog Rudolph hat den Hut abgezogen, die Frau Kaiserin hat gegrüßt zuerst. – Die Herrschaften kennen mich. – Ich sah zu meinem wahren Spaß die Procession an Goethe vorbei defiliren. Er stand mit abgezogenem Hute tief gebückt an der Seite. Dann hab' ich ihm auch den Kopf gewaschen, ich gab keinen Pardon.«

Das ist die Geschichte, die man häufig als einen Beweis für Beethoven's unabhängigen Sinn und für Goethe's Servilität anführt. Es bedarf aber nur einer sehr geringen Ueberlegung, um einzusehen, daß hier Beethoven seinen Unabhängigkeitssinn in einer gesucht derben Weise bekundete, während Goethe einfach that, was die gewöhnliche Höflichkeit erfordert; vor fürstlichen Personen zur Seite zu treten und seinen Hut in der Hand zu halten, ist einmal Sitte in der Welt, so gut wie man vor seinen Bekannten den Hut abnimmt. Beethoven durfte alle solche Höflichkeiten unterlassen, seine excentrische Natur konnte sich einmal nicht in dem herkömmlichen Kreise bewegen, und ihm sah man alles nach, aber Goethe war ein Mann von Welt, ein Mann der Form, ein Hofmann und Minister; mit untergeschlagenen Armen und den Hut in den Kopf gedrückt an fürstlichen Personen vorbei zu gehen wäre für ihn eine Rohheit gewesen, die seiner Natur, seiner Erziehung, seiner Stellung und seinem Schicklichkeitsgefühl gleich stark widersprochen hätte.

Dabei mag es immerhin sein, ja, ist bei seiner Erziehung und äußeren Stellung sogar wahrscheinlich, daß sein Gruß etwas außergewöhnlich Höfliches hatte, daß er sich recht tief verbeugte, recht förmlich, recht respektvoll; denn es fällt mir nicht ein zu bestreiten, daß er auf Rang und äußere Formen Gewicht legte. Nicht nur war er von jedem republikanischen Stolze weit entfernt, er legte auf seinen Ordensstern und seine »Excellenz« mehr Werth als seine blinden Verehrer zugeben wollen, und wenn er auch Recht haben mochte zu behaupten, »die bloße Fürstlichkeit als solche habe ihm nie imponirt«, so hat er doch, namentlich in der letzten Hälfte seines Lebens, fürstlichen Personen gegenüber immer eine gewisse Scheu und Schüchternheit, die hie und da – wenn er z. B. sich zur Gnade schätzt, einen Fürsten Reuß in tiefer Unterthänigkeit verehren zu dürfen – selbst eines komischen Anstrichs nicht entbehrt. Ist das eine Schwäche – gut, so rechnet sie ihm an, aber wäre er auf solche Kindereien auch so eitel wie ein englischer Herzog auf seinen Hosenbandorden oder ein deutscher Geheimrath auf seinen Titel, zu einem ernsten Vorwurf sehe ich darin keinen Grund. So selten ist ein Dichter »Excellenz« gewesen, so wenige Dichter haben Orden getragen, daß es uns an jedem Anhalt fehlt, zu beurtheilen, ob Goethe's Eitelkeit größer oder kleiner war, als sich billiger Weise erwarten läßt. Einstweilen will mich bedünken, daß über seinen Titel zu spotten und über seinen Orden zu lachen einer Nation sehr schlecht ansteht, die so oft und so verdient wegen ihrer übertriebenen Titelsucht ausgelacht wird, und daß auch wir Engländer über Rang und Titel nicht so besonders erhaben sind, um über diese Goethe'sche Schwäche mit Fug zu Gericht zu sitzen.



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