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Das weimar'sche Theater ein Hoftheater. Der dramatischen Kunst ist die Mitwirkung der Nation unentbehrlich. Goethe's und Schiller's Grundirrthum, sich nur an die kleine Zahl der Gebildeten zu wenden. Das Theater muß beides, unterhalten und belehren. Goethe's Versuche mißlangen, weil er die öffentliche Meinung verachtete. Die jenenser Studenten im Theater in Weimar. Goethe versucht das Publikum in den Aeußerungen seines Beifalls oder Tadels gewaltsam zu beschränken. Rücksichtslose Behandlung der Schauspieler. Diese verehren ihn dennoch. – Schwierigkeiten der Leitung. Wirkung der gemeinsamen Thätigkeit Goethe's und Schiller's. Aufführung des Wallenstein. Devrient's Kritik über das weimar'sche Theater. Schwierigkeiten in der Aussprache der Worte und in der Deklamation des Verses. Wie weit man von der Natur abkam. Wiederaufnahme der französischen Tragödie. Goethe kein Dramatiker. Seine Bearbeitung von Shakespeare's Romeo und Julia, und was er daran verdarb. Nach Schiller's Tode nimmt Goethe's Interesse für das Theater ab. Der Hund des Aubry. Karl August entläßt den Dichter von der Leitung des Theaters in verletzender Form.
Wie groß die Leidenschaft des Weimar'schen Hofes für theatralische Darstellungen war und wie eifrig Goethe sie theilte, ist bei der Schilderung seiner ersten Weimar'schen Zeit bereits erwähnt worden. Das Schauspielhaus lag von dem Brande des Vorjahres in Trümmern. So improvisirte man kleinere Theater im Walde bei Ettersburg und im Thale bei Tiefurt, wo zierliche Höflinge bei Fackelschein und Hörnerklang paradirten. Auch Schauspiele wurden improvisirt, andere wieder mit großer Sorgfalt ausgearbeitet. Das Publikum war wie es in Liebhabertheatern gewöhnlich ist. An diese Verhältnisse, die im sechsten Abschnitte des vierten Buches näher dargelegt sind, erinnern wir hier, um den Gegensatz hervorzuheben, worin diese weimar'sche Bühne zu allen andern deutschen Bühnen stand, und wie sie der wesentlichen Bedingungen entbehrte, welche sie über eine bloße Erholung geistreicher Dilettanten hätten erheben können. Das Drama muß natürlich erwachsen. In Weimar erwuchs es nicht aus einer Richtung des Volksgeistes und richtete sich nicht an das Volk, sondern es entsprang aus der Muße eines Hofes und diente dem Dilettantismus. Die Schauspieler bestanden nicht aus verlaufenen Schreibern, ehrgeizigen Ladenjünglingen, schwärmerischen Barbieren und Taugenichtsen von Studenten, sondern es waren Prinzen, Edelleute, Dichter, Musiker. Statt vor einem wirklichen Publikum zu spielen – dieser vielköpfigen, vielsinnigen, aber für das Drama unentbehrlichen Jury, deren Urtheile in der Hauptsache immer richtig sind – spielten sie vor Höflingen, deren Urtheil selbst dann keinen großen Werth gehabt hätte, wenn es frei von Rücksichten gewesen wäre, und das war es doch niemals. Die Folgen lassen sich errathen. Als ein Vergnügen des Hofes war dies weimar'sche Theater eine angenehme Erholung und nicht ohne Gewinn, aber sein Einfluß war verderblich. Der Ausgangspunkt war ein verkehrter; nicht auf diese Weise kann die dramatische Kunst blühen, nicht so können die Moliere und Shakespeare ihre Kraft entwickeln. Das Theater bedarf der Mitwirkung einer Nation. Wohl mögen gelehrte Akademien Wörterbücher ausarbeiten, eine Literatur können sie nicht hervorbringen; wohl mag eine geistige Kaste Bibliotheken anlegen, eine Philosophie kann sie nicht schaffen, und wenn alle Höfe das Theater patronisiren, so entsteht dämm noch kein nationales Drama. Das liegt tief in der Natur der Dinge begründet. Deutschland hat nie ein Drama gehabt, weil es nie eine Bühne gehabt hat, welche national sein konnte oder wollte. Lessing erkannte, was Noth that, aber ihm fehlte die Macht, es zu schaffen. Schiller schlug schon früh den falschen Weg ein und alle seine edlen Bemühungen blieben vergebens.
Goethe und Schiller waren von den bedeutenden Einflüssen, die sich durch die Bühne ausüben ließen, auf das tiefste überzeugt und suchten ein deutsches Drama zu schaffen, welches hoch über den elenden Machwerken stände, die damals den öffentlichen Geschmack verdarben. Ein ideales Drama wollten sie schaffen, in welchem die erhabensten Kunstformen zur Darstellung kämen. Aber ihr erster Schritt war ein verkehrter. Voll Ekel über die rohen Theaterstücke der Zeit und voll Mißtrauen gegen den Instinkt der öffentlichen Meinung hielten sie sich an die kleine Zahl der Gebildeten. Bildung galt ihnen mehr als Leidenschaft, die Bühne sollte eine literarische Anstalt sein, das heißt mit andern Worten: sie sollte nicht volksthümlich sein. Von diesem Grundirrthume waren sie durch keine Erfahrung abzubringen. Während der ganzen Zeit ihrer Reform waren die Hauptvorstellungen im alten Stil. Zuerst gab eine herumziehende Schauspielergesellschaft mit einem wechselnden Repertoire Oper, Schauspiel und Posse, so gut sie konnte und mit besserm Erfolg, als sich die neue Schauspielkunst vom hohen Stil rühmen durfte. Selbst als Schiller die Bühne mit seinen Meisterwerken verherrlicht hatte, war die Direktion durch die stete Nothwendigkeit das Publikum zu amüsiren, gezwungen, dem gewöhnlichen Geschmack seine gewöhnliche Speise zu geben. Die große Frage bei einer Bühne ist, wie sich die Ansprüche des großen Publikums, das unterhalten sein will, mit den Forderungen der Kunst, welche über die bloße Unterhaltung hinausgehen, vereinigen lassen. Es giebt viele Schriftsteller, die es gut verstehen zu unterhalten, aber ein höheres Ziel nie erreichen; wieder andere haben hohe Ziele, können aber nicht unterhalten. Unter den Schauspieldichtern kommen jene ihrer Aufgabe näher als diese; der wahre Dramatiker ist der, der beides zu vereinigen weiß. Shakespeare und Moliere, um die größten zu nehmen, sind so unterhaltend wie tiefsinnig, und ihre Werke leben heute noch, weil sie auch heute noch unterhalten. Othello, Hamlet, Macbeth, Tartüffe, die Schule der Frauen, und der Kranke aus Einbildung sind für den Tölpel in seiner Weise ein Genuß wie für den gebildetsten Kritiker. Goethe und Schiller dagegen verfielen in den Irrthum, das Drama würde als bloßes literarisches Erzeugniß mehr Wirkung haben, als wenn es das nationale Leben im heitern Spiegelbilde wiedergäbe.
Im Jahre 1790 wurde das neue Theater in Weimar eröffnet. Goethe übernahm die Leitung mit größerer Machtvollkommenheit, als ein Theaterdirektor je gehabt hat; selbst vom Erfolge war er unabhängig. Der Hof bezahlte alle Kosten, und die Bühne stand dem Dichter zu beliebigen Versuchen zur Verfügung; er machte ihrer viele, alle schlugen fehl. Er beaufsichtigte die Proben und studirte die Schauspieler mit großer Sorgfalt ein. Shakespeare's König Johann und Heinrich IV., und von seinen eigenen Stücken der Großkophta, der Bürgergeneral, Clavigo, die Geschwister, wurden aufgeführt, aber ohne besondern Erfolg, denn die Schauspieler waren mittelmäßig und wurden schlecht bezahlt, und kein Publikum war da, welches durch Beifall und Kritik Schauspieler hätte schaffen können. Das Publikum verhielt sich in Anwesenheit des Hofes kalt und hatte kaum die Kühnheit, sich zum Beifall hinreißen zu lassen, der doch für das Schauspiel der unentbehrliche Sporn und Reiz ist. Den Hof wiederum beherrschte Goethe; nur daß Karl August dabei nicht unterließ, ihm oft seine Bestellungen zu machen; er wollte seinen Spaß haben im Theater, das zeigt mehr als ein Billet, welches er ihm schrieb. Goethe's Verachtung gegen die öffentliche Meinung war unverhüllt; die Direktion äußerte er gegen den Regisseur, handle nach ihren eignen Ansichten und nicht im mindesten nach den Ansprüchen des Publikums; »ein für alle Mal – das Publikum will determinirt sein«; und zu Schiller, der durchaus derselben Meinung war, sagte er, niemand könne zwei Herren dienen und von allen Herren würde er ein deutsches Theaterpublikum zuletzt wählen. Es ist nun zwar für einen Dichter oder Philosophen sehr schön, die flüchtige Mode des Tages zu verachten und sich auf das Urtheil der Nachwelt zu verlassen, aber das Drama wendet sich an das Publikum des Tages, und während der Direktor seinen Blick auf die Nachwelt richtet, bleibt das Theater leer. »Wer machte denn der Mitwelt Spaß?« so fragt gar verständig die »lustige Person« im Vorspiel zum Faust.
Das Weimar'sche Theaterpublikum ließ sich wohl rücksichtslos behandeln, aber doch nicht für das begeistern, was ihm langweilig war; es fügte sich schweigend. In Frankreich und England und auch in den größern Städten Deutschlands läßt sich das wilde Publikum der Gallerien und das hartnäckige Parterre nur die Thorheiten auf der Bühne gefallen, die ihm Spaß machen, und keinen andern Richter erkennt es als sein eigenes Vergnügen. Ein Zusatz dieses wilden Elements wäre Goethen und Schiller bei ihren Bemühungen sehr zu Statten gekommen und hätte sie vor manchem Mißgriff bewahrt. Die Jenenser Studenten hätten vielleicht einen Ersatz geboten, wenn sie in ihren Besuchen regelmäßiger und in der Freiheit ihrer Meinungsäußerung weniger behindert gewesen wären. Studenten sind von Natur und Stand kleine Rebellen, und die Jenenser Studenten hatten diese Neigung zum System ausgebildet. Zwar machen lärmende Renommisterei, tiefe Verachtung gegen alle Philister und ein ungeheures Talent zum Biertrinken noch lange nicht einen seinen Kunstrichter, aber Jugend, Lebensfrische und Unabhängigkeit waren wesentliche Elemente für ein Theaterpublikum, und die hatten die Studenten. Ohne sie wäre das Haus oft leer gewesen; sie kamen meistens des Nachmittags von Jena herüber und ritten oder fuhren nach dem Theater wieder weg. So sehr sie das Theater belebten, für die ruhigen Weimaraner waren sie ein Greuel. Ganz bestaubt, in den verschiedensten und phantastischsten Trachten, mit ihren spitzen Käppchen, mit Schnüren und Quasten aufgeputzt, das Haar im reinsten Naturzustande, und so viel Bart als wachsen wollte, ihre kurzen Röcke bunt gefüttert, ihre Hosen von Leder, in der Hand die famose Hetzpeitsche, so – es sind fünfzig Jahre her und drüber – so strömten sie durch das Webicht über die Brücke in die Stadt, lärmend und tobend, und schreckten den stillen Ort mit einem Gebrüll, das sie Singen nannten und das sie nur unterbrachen, um zur Abwechslung die höchst friedfertigen Soldaten zu verhöhnen, die sie wegen ihrer grün und gelben Uniform Laubfrösche nannten.
Im Theater brachten diese Studenten etwas Schwung und Begeisterung hervor, aber es hielt sie einer im Respekt, der für ihr wildes Treiben eine sehr mäßige Bewunderung hatte – das war der Geheimrath Goethe Vgl. Heinrich Schmidt, Erinnerungen eines Weimarischen Veteranen S. 46, wo er die Begeisterung der Studenten für Goethe schildert.. Hören wir, wie Eduard Devrient in seiner vortrefflichen Geschichte der deutschen Schauspielkunst ihn schildert: »Mitten im Parterre saß er auf einen Sessel, sein gewaltiger Blick beherrschte und lenkte den Kreis um ihn her und hielt die Mißvergnügten oder Parteilosen im Zaum. Als die Jenenser Studenten, deren eigenmächtiges Urtheil ihm in Weimar sehr ungelegen war, – er beschränkte sie auf mancherlei Weise, verbot ihnen z. B. den Besuch des ersten Ranges – sich einmal zu tumultuarisch äußerten, erhob er sich sogar, gebot Ruhe, und drohte die Unruhigen durch die wachhabenden Husaren hinausführen zu lassen. Eine ähnliche Scene führte 1802 die Aufführung des Alarcos von Fr. Schlegel herbei, die dem Publikum denn doch als eine zu starke Zumuthung erschien und bei dem ergebenen Beifall der loyalen Partei eine starke Lachopposition hervorrief; da erhob sich Goethe wieder und rief mit donnernder Stimme: »man lache nicht!« An dieser Aufführung erscheint die Stellung, welche Schiller und Goethe dem Publikum gegenüber behaupteten, sehr frappant. Schiller hatte das Einstudiren des Stückes übernommen, da Goethe mit Bibliothek-Anordnungen in Jena beschäftigt war. Er schrieb ihm: »Für den Alarcos wollen wir unser Möglichstes thun, aber bei einer neuen Durchsicht des Stückes sind mir bedenkliche Sorgen aufgestiegen. Leider ist es ein so seltsames Amalgama des Antiken und Neuest-Modernen, daß es weder die Gunst noch den Respekt wird erlangen können. Ich will zufrieden sein, wenn wir nicht eine totale Niederlage erleiden, die ich fast fürchte. – Meine Meinung ist, die Vorstellung des Stückes so vornehm und ernst als möglich zu halten, und alles, was wir von dem Anstande des französischen Trauerspiels dabei brauchen können, anzuwenden. Können wir es nur so weit bringen, daß dem Publikum imponirt wird, daß etwas Höheres und Strengeres anklingt, so wird es zwar unzufrieden bleiben, aber doch nicht wissen, wie es dran ist.« Goethe antwortete: »Ueber den Alarcos bin ich völlig Ihrer Meinung; allein mich dünkt, wir müssen Alles wagen, weil am Gelingen oder Nicht-Gelingen nach außen gar nichts liegt. Was wir dabei gewinnen, scheint mir hauptsächlich das zu sein, daß wir diese äußerst obligaten Silbenmaße sprechen lasten und sprechen hören«. – Ein andermal schreibt er an Schiller: »Wer nicht, wie jener unvernünftige Sämann im Evangelium den Samen umherwerfen mag, ohne zu fragen, was davon und wo es aufgeht, der muß sich mit dem Publikum gar nicht abgeben.«. Zuletzt ging er gar so weit, auf einige Zeit jede laute Aeußerung des Publikums, sowohl des Beifalls wie des Mißfallens zu verbieten. Er wollte in dem, was er für angemessen hielt, in keiner Weise beunruhigt sein. Selbst die Kritik hielt er scharf im Zügel; ein Aufsatz Böttichers über seine Direktion, von dessen Abfassung er hörte, veranlaßte ihn zu der Erklärung, im Fall der Veröffentlichung werde er seine Stelle niederlegen, und Bötticher ließ den Artikel ungedruckt.
Bei dieser despotischen Stellung dem Publikum gegenüber läßt sich leicht denken, daß er gegen die Schauspieler nur befehlend auftrat. Er und Schiller waren beide der Meinung, bei Schauspielern sei nur mit dem einfachen Befehl durchzukommen; »mit Vernunft und Gefälligkeit ist nichts auszurichten,« meinte Schiller. Goethe ließ als Theaterdirektor keinen Widerspruch zu; jeder Schauspieler mußte thun, was ihm vorgeschrieben wurde; Widersetzlichkeit wurde sofort bestraft; die Männer schickte Goethe auf die Wache, den Frauen gab er Stubenarrest und stellte ihnen Schildwachen vor die Thür. Bei den besseren Schauspielern wandte er andere Mittel an: als der Schauspieler Becker sich einmal weigerte, die Rolle des ersten Jägers in Wallensteins Lager zu spielen, erklärte ihm Goethe, daß, wenn er die Rolle nicht übernehme, er selbst sie spielen werde, – eine Drohung, die Becker sofort zur Nachgiebigkeit bestimmte, da er wohl wußte, daß Goethe der Mann sei sie wahr zu machen.
Und doch bei all dieser Strenge und Härte blieb er der große, hochherzige, liebenswürdige Goethe, und die Schauspieler hingen mit Verehrung an ihm. »Nirgends, sagt Kanzler Müller, vermochte Goethe den Zauber seiner imposanten Persönlichkeit freier zu üben und geltend zu machen als unter seinen dramatischen Jüngern; streng und ernst in seinen Forderungen, unabwendlich in seinen Beschlüssen, rasch und freudig jedes Gelingen anerkennend, das kleinste wie das größte beachtend, und eines Jeden verborgenste Kraft hervorrufend, wirkte er im gemessenen Kreise, ja meist bei geringen Mitteln, oft das Unglaubliche; schon sein ermunternder Blick war reiche Belohnung, sein wohlwollendes Wort unschätzbare Gabe. Jeder fühlte sich größer und kräftiger an der Stelle, wo Er ihn hingestellt, und der Stempel seines Beifalls schien dem ganzen Leben höhere Weihe zu gewähren. Man muß es selbst gesehen und gehört haben, wie die Veteranen aus jener Zeit des heitersten Zusammenwirkens von Goethe und Schiller noch jetzt mit heiliger Treue jede Erinnerung an diese ihre Heroen bewahren, mit Entzücken einzelne Züge ihres Waltens wiedergeben und schon bei Nennung ihrer Namen sich leuchtenden Blicks gleichsam verjüngen, wenn man ein Bild der liebevollen Anhänglichkeit und des Enthusiasmus gewinnen will, die jene großartige Naturen einzuflößen wußten.«
Mit dem Gehalt der Schauspieler stand es nach Devrient's Darstellung erbärmlich schlecht. Selbst die Jagemann, des Herzogs Geliebte, die zugleich Primadonna und erste Schauspielerin war, bekam jährlich nur sechshundert Thaler und hatte eine Pension von dreihundert Thalern zu erwarten. Auch erhielten die Schauspieler nicht Urlaub wie bei andern Theatern, so daß sie lediglich auf ihren Gehalt angewiesen waren. Man hätte daher glauben sollen, die weimar'sche Bühne wäre nur für die offenbare Mittelmäßigkeit anlockend gewesen, indeß zog doch der Zauber von Goethe's und Schiller's Namen einige gute Schauspieler herbei. Zu welchen Mitteln aber bei einer so kleinen und unzureichenden Gesellschaft die Direktion ihre Zuflucht nehmen mußte, mag eine kleine Anekdote zeigen. Die Zauberflöte sollte aufgeführt werden, indeß die Königin der Nacht lebte so offenbar in einer glücklichen Ehe, daß sie unmöglich auftreten konnte; eine andere Sängerin war aber nicht zu haben; in dieser Verlegenheit ließ Goethe jene Dame hinter den Coulissen singen und ihre Rolle auf der Bühne von einer Schauspielerin pantomimisch darstellen.
Als das Verhältniß zwischen Schiller und Goethe sich immer inniger gestaltete, nahm das Theater einen wirklich ernsten Anblick an. Von jeher für das interessirt, was seine Freunde interessirte, ließ sich Goethe von der dramatischen Begeisterung Schiller's mit fortreißen und fing an, die Bühne als ein Mittel für die Kunstbildung der Nation zu behandeln. Don Carlos kam zur Aufführung, bald darauf der Egmont, den Schiller fast wie ein Singspiel und auf Effekt berechnet für die Bühne bearbeitet hatte, und das bedeutendste Werk von allen wurde in Angriff genommen, die Aufführung des Wallenstein. Die Wirkung war ungeheuer, und die weimar'sche Bühne schien es wirklich zu einem neuen und großen Stil dramatischer Darstellung gebracht zu haben. Doch war es nur ein Aufflackern. Die Bemühungen der beiden Dichter gingen fehl, das zeigte der Erfolg bald. Devrient, ein Mann von Fach, spricht sich darüber näher aus:
» Die Weimar'sche Schule, obschon sie die Forderung an den Künstler voranstellte: »etwas der Natur ähnliches hervorzubringen«, trat doch mit einem neuen Maaße des Adels und der Schönheit auf, an welchem jede Erscheinung auf dem Kunstgebiete erst ihre Berechtigung zu erweisen hatte. Die bisher gültige Richtung hatte keinesweges die Schönheit negirt, aber sie hatte nur eine schöne Wirklichkeit gesucht, jetzt wurde, in feiner Unterscheidung, die schöne Wahrheit von ihr gefordert. Bisher hatte die lebendige Natur als Maßstab gegolten, jetzt sollte ein geläuterter Geschmack zur Richtschnur werden. Der eigenthümlich deutschen Weise sollten die Schauspieler sich entwöhnen und sich in eine freiere, universelle Auffassung finden, aus der engen Begrenzung der besondern Wahrnehmung, des Individuellen, sollten sie zur Anschauung des Allgemeinen, der Gattung, zum Idealen sich erheben.
»Das waren erstaunlich neue und harte Forderungen an den Schauspieler. Bisher hatte ein gerader Verstand, ein lebhaftes und reizbares Gefühl so ziemlich ausgereicht, um das natürliche Talent emporzubringen; denn die Aufgaben lagen innerhalb seines Gesichtskreises. Jetzt wurde vornehmlich an seinen Geschmack appellirt, ein verfeinerter Sinn, eine veredelte Empfindung von ihm gefordert, welche zum Theil wissenschaftliche und antiquarische Bildung voraussetzten; denn wie bisher Natur, so sollte nun die Antike als Formenmuster für die Rede und Geberde gelten.
»Die vorhandene Standesbildung war allen diesen Ansprüchen nicht im Entferntesten gewachsen; was war also zu thun? Die Weimar'sche Schule mußte sich mit einer Anbildung begnügen, sie mußte durch äußerliche Dressur zu ersetzen suchen, was eigentlich aus höherem geistigen Leben, aus innerlich veredelter Natur hätte hervorgehen sollen. Es blieb ihr nichts anderes übrig.
»Der Geist unserer Literatur blieb mit beispielloser Gewalt zu ihrem Höhepunkte, auf dem sie sich fortan mit allen andern Nationen messen durfte; sie riß die Schauspielkunst mit sich fort, wie es eben ging. Hätte man erst versuchen wollen, die Standesbildung der Künstler so weit zu heben, als nöthig war, um mit der Siegeseile unserer Literatur Schritt halten zu können, so wäre der Moment versäumt gewesen, wo die Bühne der Nationalbildung unermeßliche Dienste leisten sollte.
»Goethe und Schiller hatten wesentlich die Mission: die Poesie zu heben, das geistige Leben der Nation in höhere ideale Regionen zu versetzen; die Literatur war ihr nächster Zweck, die Bühne erst der zweite; ja sie war ihnen wohl nur Mittel zum Zweck. Mit ganzer Hingebung an die Schauspielkunst, nur für sie und durch sie zu wirken, wie Moliere und Shakespeare, das fiel ihnen nicht ein; selbst auch nicht Lessing nachzuahmen, der sich eng an die Kunst anschloß, an das was sie leistete und zu leisten vermochte. Sie stellten sich mit ihren Gedichten wieder auf den Standpunkt des gelehrten, des selbständigen Bücherdrama's. Der uralte Zwiespalt der Gattungen trat wieder hervor, das gelehrte wieder dem volksthümlichen Drama gegenüber, die Dichtkunst gewann wieder die Suprematie über die Schauspielkunst. Don Carlos und Wallenstein waren nicht für die wirkliche Bühne gedacht und mußten erst mit großer Mühe und Einbuße dafür zurechtgeschnitten werden, bei Faust, Tasso, »die natürliche Tochter«, hatte Goethe die Aufführung nicht im Sinne und ihre Verwirklichung rangirt durchaus nur zu den theatralischen Experimenten. Ganz folgerichtig war es, daß, wie die beiden großen Dichter ihre Werke für den Theatergebrauch aptirten, je nachdem es eben ging, und keineswegs allzu scrupulös darin waren, sie auch eben so gewaltsam die Darstellungsweise zurechtrückten und stießen, und sich mit dem blos formell Geleisteten auch hier zufrieden geben mußten. War die Schauspielkunst doch eben nicht vorbereitet in ihrer Bildung, um ihrer Gedichte sich vollständig innerlich bemächtigen und sie selbstständig reproduciren zu können.
»Sollte nun die Geschmacksherrschaft dieser neuen Schule sich geltend machen, so mußte sie notwendig mit einer gewissen Despotie ausgeübt werden: mit Despotie gegen Schauspieler und Publikum, da beide im Naturalismus festgerannt waren. Wie einst die unglückliche Neuber, wie Schröder in der Mitte der achtziger Jahre, traten Schiller und Goethe in entschiedene Opposition gegen den Geschmack der Majorität. Sie behaupteten eine durchaus aristokratische Stellung dem Publikum gegenüber und verfochten das ideale Prinzip mit aller Kraft ihres überragenden Genies, ja sie verschmähten die schärfsten Angriffswaffen der Satire nicht. Aus ihrem Briefwechsel tritt uns die Geringschätzung der Massen und ihrer Geschmacksvertreter mit all der Schroffheit entgegen, welche von der Begeisterung großer Seelen für eine höhere Menschheit unzertrennlich zu sein scheint. Nirgend haben sie um den Beifall der Menge gebuhlt, nirgend dem herrschenden Geschmacke sich bequemt oder ihm gar geschmeichelt.
»Die despotische Energie, mit welcher Goethe das ideale Prinzip gegen alle Schwierigkeiten durchsetzte, mußte sich zunächst in seinem Theaterregiment geltend machen. Er hatte die Schauspielkunst gewaltsam zu sprungweisen Fortschritten zu treiben, sein Publikum zur Achtung vor den Experimenten seiner Schule förmlich zu zwingen, darum mußte er selbst Schröder an Strenge und Schroffheit der Stellung hinter sich zurücklassen.
»Wie groß die Schwierigkeit, welche hier zu überwinden war, können wir heut zu Tage kaum noch ermessen, wo die ideale Gattung, wo die verschiedensten Versarten, selbst auf den geringsten Bühnen geläufig geworden sind. Die Verssprache war verloren gegangen, der Versuch: die Reminiscenzen des Alexandrinersprechens wieder hervorzurufen, war überall gescheitert, das rhythmische Gefühl, welches die höhere Opernausbildung allerdings unter den Künstlern verbreitete, war noch nicht verständigt, noch nicht auf die Rede angewandt. Daß man selbst in Mannheim, wo die meisten Versuche mit der jambischen Sprache gemacht worden, über das Prinzip sehr unklar geblieben war, bewies Iffland's sehr mangelhafte Behandlung des Verses. Schröder hatte bei der Aufführung des Carlos in Hamburg, seinem System getreu, auf die rhetorische Seite kein Gewicht gelegt. So lagen hier Schwierigkeiten vor, ähnlicher Art, wie die, welche zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts die Verbreitung des Alexandriners und den Einfluß der schlesischen Dichterschule auf die Schauspielkunst hinderten. Ein Glück war es demnach, daß die Dichter, welche die neue metrische Sprache einführten, zugleich die besten Lehrmeister für die Ausführung waren, daß sie Gelegenheit und Gewalt genug hatten, das Problem praktisch zu lösen. War das einmal geschehen, so konnte man auf Nachahmung rechnen und der wichtige Vermittler dieser Periode, Iffland, erbot sich bereitwillig dazu.
»Zunächst aber drängte sich noch eine andere Aufgabe ein: den gereimten Knittelvers in Wallensteins Lager richtig zu behandeln. Die Meister fürchteten die Klippe, welche in der Unregelmäßigkeit des Rhythmus, in der Verführung: allzuhörbar auf den Reim zu fallen, für den Redner lag, aber merkwürdig genug schickte sich Alles ungemein schnell darein. Es war als ob der mittelalterlich-volksthümliche Vers den Deutschen im Blute läge; nur der Aufforderung bedurfte es, um ihn wieder natürlich und geläufig wie zur Zeit des Hans Sachs und Jakob Ayrer hervorzurufen.
»Das Regiesystem, welches Schröder eingeführt, das den größten Werth auf die Leseproben, als die eigentliche Basis der ganzen Kunstleistung, legte, war von Goethe adoptirt worden; in diesem Falle, wo das Rhetorische der Aufführung so neu und überwiegend wichtig war, mußten diese Proben nicht nur vervielfacht, sondern in förmliche Leseübungen verwandelt werden. Und so schwer war es, dem Rhythmus sein Recht zu verschaffen, daß Goethe im Eifer des Demonstrirens so weit gebracht wurde, eine der ersten und hochbegünstigten Künstlerinnen beim Arme zu ergreifen, ihn im Jambentakte hin- und herzuzerren und durch das Accompagnement eines ingrimmig accentuirten Aechzens den Rhythmus begreiflich zu machen.
»Es waren starke Geduldproben für alle Theile, welche die Lösung der neuen Aufgabe herbeiführte, und manche durch den früheren Prinzipalschlendrian eingerissene Gewohnheit wurde dem Werke hinderlich. So schreibt Goethe nach einer der Leseproben an Schiller: »Mad. Teller las gestern die Herzogin insoweit gut, daß sie nichts falsch las, aber zu matt und leseprobemäßig. Sie versichert: auf dem Theater würde das alles ganz anders werden. Da dieses fast eine allgemeine Schauspielermarotte ist, so kann ich sie ihr nicht besonders zurechnen, obgleich diese Albernheit hauptsächlich Ursache ist, daß keine bedeutende Rolle recht eingelernt wird und daß nachher vom Zufall so viel abhängt.«
Neben dem Rhythmus hatte auch die Aussprache ihre großen Schwierigkeiten. Die deutsche Sprache, immer schon rauh genug, wird förmlich häßlich durch die Freiheiten, die sich manche Städte und Gegenden nachlässiger Weise mit der Aussprache nehmen. Von den Schwaben, den Oestreichern und namentlich den Weimaranern hatte Goethe in dieser Beziehung Schreckliches zu ertragen. Er beklagte sich gegen Eckermann, daß die Leute b und p, d und t gar nicht für vier verschiedene Buchstaben zu halten schienen, sondern nur von einem harten und weichen b und von einem harten und weichen d sprächen; da werde denn Bein aus Pein, Baß aus Paß und Deckel aus Teckel. Schiller's Lieblingsschauspieler Graff rief, als er den großen Talma hatte spielen sehen, entzückt aus: »Dalma ist ein Gott«; ein anderer Schauspieler wollte in einer leidenschaftlichen Scene die Vorwürfe seiner Geliebten abkürzen und rief ihr zu: O ente! statt O Ende.
Der Erfolg des Wallenstein, theatralisch nicht weniger ein Erfolg als künstlerisch, schien den Streit zu Gunsten der idealen Schule entschieden zu haben, aber es schien auch nur so. Die künstlerische Seite wurde allein beachtet. Goethe ging darin so weit, daß die Schauspieler niemals das Publikum aus dem Sinn verlieren durften; er stellte die Regel auf, sie dürften nicht aus mißverstandener Natürlichkeit unter einander spielen, als wenn kein Dritter dabei wäre: sie durften nie im Profil spielen, noch dem Publikum den Rücken zukehren, drei Viertel vom Gesicht mußten immer gegen die Zuschauer gewendet sein; sie sollten die Charaktere vorstellen, aber nicht sie sein. So kehrte er denn seinen alten künstlerischen Wahlspruch völlig um und machte für die Bühne daraus: erst schön, dann wahr.
Es wird niemanden überraschen, daß diese Feindschaft gegen allen Realismus, diese Hintansetzung der natürlichen Wahrheit gegen künstlerische Idealisirung endlich zur Wiederaufnahme der Form des Drama's führte, in welcher diese Richtung ihren schärfsten Ausdruck gefunden hat, zu der französischen Tragödie nämlich. Goethe selbst übersetzte Voltaire's Mahomet, der 1800 aufgeführt wurde, und dann den Tancred. Die »Brüder« des Terenz, die Einsiedel übersetzte, der Jon von Schlegel, die Schiller'sche Uebersetzung der Phädra von Racine und endlich Schiller's eigene Braut von Messina zeigen zur Genüge, wie weit sich die weimar'sche Schule von allem entfernte, was einem modernen nationalen Drama ähnlich war. Um den Unverstand zu krönen, wurde jenes Lustspiel des Terenz, sowie das von Niemeyer übersetzte »Mädchen von Andros« in römischen Masken aufgeführt, wodurch man denn des wesentlichsten Elements der neueren Schauspielkunst, des lebendigen Ausdrucks in Auge und Miene, sich gänzlich begab. Zum Dilettantismus war nur noch ein Schritt – den Schauspielern den Kothurn anzulegen und Stücke in lateinischer und französischer Sprache aufführen zu lassen.
Zu gleicher Zeit wurden mit Shakespeare, Calderon und Gozzi, unter Auslassung jedoch der Volksscenen, Versuche gemacht und Weimar als eine große Kunstschule gepriesen. Das gelehrte Publikum nahm das gläubig hin, aber auch das Publikum sonst? Darauf mag Goethe selbst die Antwort geben. »Hier in Weimar, sagte er zu Eckermann, hat man mir wohl die Ehre erzeigt, meine Iphigenie und meinen Tasso zu geben, allein wie oft? – Kaum alle drei bis vier Jahre einmal. Das Publikum findet sie langweilig. Sehr begreiflich! Die Schauspieler sind nicht geübt, die Stücke zu spielen, und das Publikum ist nicht geübt, sie zu hören ... Ich hatte wirklich einmal den Wahn, als sei es möglich, ein deutsches Theater zu bilden, allein es regte sich nicht, und rührte sich nicht, und blieb alles wie zuvor.«
Ein deutsches Theater durch einige poetische Werke und Wiederaufnahme vergangener Kunstrichtungen gründen zu wollen, das war eine Täuschung, in die nur jemand verfallen konnte, der wesentlich kein Dramatiker war. Das eigenthümliche Genie, welches den Dramatiker macht, habe ich Goethen bereits wiederholt abgesprochen, und wenn ich dabei bisher auf seine eigenen dramatischen Werke mich berufen konnte, so ist nun als letzter und entscheidender Beweis seine Bearbeitung von Shakespeare's »Romeo und Julia« anzuführen, auf die er selbst freilich nicht wenig stolz war. Der Gegenstand ist interessant genug, um ein näheres Eingehen zu rechtfertigen; zwei große Dichternamen kommen dabei in Frage, Goethe's Ansichten über dramatische Kunst treten auf das schärfste hervor, und wir erhalten eine weitere Bestätigung, wie hoffnungslos es war, von solchen Ansichten eine Neugestaltung des deutschen Theaters zu erwarten.
Es giebt kaum ein Shakespeare'sches Stück, welches ein großer dramatischer Dichter mit so verständigem Grunde umzuarbeiten unternehmen darf, als Romeo und Julia; denn so lebensvoll es ist in seinen Charakteren und seinem dramatischen Gange, so ist es doch in mancher Beziehung eins der am schlechtesten geschriebenen Stücke Shakespeare's. Fast in jeder Scene trägt es die Spuren der Jugendlichkeit. Der häufige Reim, die künstliche Rhetorik, die vielen Concepte statt der kraftvollen, von Leidenschaft stark gefärbten Sprache, die Shakespeare in seinen spätem Stücken so herrlich zu meistern versteht, verweisen es unwiderleglich in die Jugendzeit des Dichters. Man wird mich indeß nicht für blind halten gegen die wunderbare Schönheit dieses Werkes, das glänzende Vorzüge genug besitzt, um längst mit Recht ein allgemeiner Liebling zu sein. Es ist zwar das Werk des jungen Shakespeare, aber ächt shakespeare'sch. Das Stück hat eine lebendige Entwicklung, einen Reichthum an Scenen und Charakteren, und die Charaktere sind so wahr wie dramatisch. Der alte Capulet, Tybalt, die Amme, Peter, die Bedienten, der Apotheker – alle nur Nebenfiguren, aber jede eine ausgeprägte Individualität, mit knappen und doch freien Zügen meisterhaft gezeichnet. Die Hauptfiguren, Romeo und Julia, Mercutio und den Bruder Lorenzo genügt es zu nennen.
Ein Dramatiker nun, sollte man denken, der den Mängeln dieses Stückes abhelfen wollte, müßte seinen ganzen Fleiß auf die wirklichen Schwächen richten, den Weizen von der Spreu sondern, auf keinen Fall aber einen der frischen Züge verwischen, welche den Charakteren Leben geben, noch auch die dramatische Behandlung antasten, welche die Scene belebt. Und doch gerade dies und nur dies hat Goethe gethan. Als er seine Bearbeitung eben beendet hatte (im Januar 1812), sprach er sich über den Grundgedanken, der ihn dabei geleitet, gegen Schiller's Schwägerin mit den Worten aus: »Die Maxime, der ich folgte, war: das Interessante zu concentriren und in Harmonie zu bringen, da Shakespeare nach seinem Genie, seiner Zeit und seinem Publikum viele disharmonische Allotria zusammenstellen durfte, ja mußte, um den damals herrschenden Theatergenius zu versöhnen.« Er hoffte von der zum Geburtstage der Herzogin anstehenden Aufführung »guten Effekt«. Mit welchem Rechte, mag uns die Bearbeitung selbst zeigen, die in Boas »Nachträgen zu Goethe's Werken« veröffentlicht ist.
Shakespeare eröffnet sein Drama mit einer jener lebensvollen Expositionen, die für das Stück von wesentlicher Bedeutung sind und unsere Aufmerksamkeit von vorn herein fesseln. Die Diener der Capulet's treiben sich in den Straßen von Verona umher und beim ersten Zusammentreffen mit den Montague's kommt es sofort zu Schlägen; Tybalt und Benvolio mischen sich rasch in den Streit, die beiden Alten, Capulet und Montague, sind auch bald bei der Hand. Die ganze Fehde der beiden Häuser – welche, wohl zu merken, den Knoten des Stückes bildet – lebt vor uns. Das Auftreten des Prinzen, der für die Zukunft jeden Ruhestörer mit dem Tode bedroht, führt ein zweites tragisches Motiv ein. Die ganze Exposition ist ein wahres Meisterstück von dramatischer Kunst. Aber Goethe verstand so wenig was dramatisch war, daß er in seiner Bearbeitung eben diese Exposition ganz gestrichen hat und die Tragödie wie eine komische Oper mit einem Chor der Diener anfangen läßt, welche Lampen und Kränze vor Capulet's Hause aufhängen.
Zündet die Lampen an,
Windet auch Kränze d'ran,
Hell sei das Haus! u. s. w.
Masken gehen vorüber und treten in das Haus. Romeo and Benvolio kommen und unterhalten sich; sie erzählen uns von dem Streit der beiden Familien, den Shakespeare vor uns leben ließ. Auf Rosalinde deutet Romeo wohl hin, aber der phantastisch übertriebene Ausdruck seiner Verliebtheit, der bei Shakespeare dem Ausdruck der Leidenschaft für Julia mit soviel Absicht entgegengestellt ist, den hat Goethe gestrichen. Im Begriff, in Capulet's Haus einzutreten, wo Benvolio dem Romeo ein schöneres Mädchen als seine Rosalinde zu zeigen verspricht, gesellt sich Mercutio zu den beiden, und nun befällt den Shakespeare-Kenner ein blasses Staunen über die Verwüstung, die Goethe an dieser poetischen Gestalt angerichtet hat. Nicht nur ist die berühmte Stelle von der Königin Mab weggelassen, sondern Mercutio erklärt auch, er wolle aus dem Ballsaal wegbleiben, weil man ihn sonst an seiner hübschen Figur erkennen würde! Ich muß die ganze Stelle geben, damit ich vor dem Verdacht des Uebertreibens gesichert bin:
Romeo:
Komm du mit!
Nimm einen Mantel, nimm ein fremd Gesicht.
Mercutio:
Das laß ich bleiben: Alles hilft mir nichts!
Es kennt mich jedes Kind, ich weiß wie's zugeht.
Ich bin ein ausgezeichneter Mann; ich habe Charakter in Gestalt und Stimme, im Gehen und Kommen, in jeglicher Bewegung.
Benvol.:
Freilich! dein Wänstchen hat einen besonders spitzfindigen Charakter.
Mercut.:
Ihr habt gut reden, ihr andern Zahnstocher, ihr Bohnenstangen! ihr hängt Lappen auf Lappen über euch her: wer will euch daraus herauswickeln? Aber ich, mit dem schwersten Mantel, mit der wunderbarsten Nase, ich mag auftreten wo ich will, gleich lispelt einer hinterdrein: da geht Mercutio! bei meiner Treu, es ist Mercutio! – Wäre das nicht höchst ärgerlich, wenn es mir nicht zum Ruhm gereichte! Denn da ich einmal Mercutio bin, so sei ich denn Mercutio und immer Mercutio. Nun gehabt euch wohl! Macht eure Geschäfte so gut es gehen will; ich suche meine Abenteuer auf dem Kopfkissen! Ein lustiger Traum soll mich erquicken, indeß ihr den Träumen nachlauft und sie so wenig haschen könnt als ich.
Dann bin ich frisch, wenn auch Aurora thränt
Und ihr vor Müdigkeit, vielleicht vor Liebe, gähnt.
(ab.)
Das hat Goethe aus Shakespeare's Mercutio gemacht! Die Ballscene folgt. Die Amme ist beibehalten, aber ihre ganze Individualität ist zerstört, jeder charakteristische Zug unbarmherzig verwischt. Die mit dieser Scene vorgenommenen Veränderungen sind unbedeutend, die hauptsächlichste ist das Auftreten des Prinzen, der mit Mercutio das Fest besucht und durch gesellschaftlichen Verkehr mit den beiden Familien Frieden zwischen ihnen stiften will. Die alte Fehde wird wieder besprochen, als wenn Reden und Schildern die Handlung ersetzen könnte. Im Uebrigen bleibt die Goethe'sche Bearbeitung dem Shakespeare'schen Original sehr getreu, nur zwei Veränderungen verdienen Erwähnung, die eine eine Verbesserung, die andere ein starker und unerklärlicher Fehler.
Zuerst der Fehler: Shakespeare hat den ruhigen, ehrsamen Paris, der seine Werbung um Julia an ihre Eltern richtet, und den heißblüthigen Romeo, der bei Julia selbst um sie wirbt, mit gewohnter Schärfe gegen einander gestellt; jener erbittet sich das Jawort des Vaters, ohne sich um die Tochter zu bekümmern; dieser erobert sich das Mädchen und trotzt der Feindschaft des Vaters. Was soll man von Goethe's dramatischer Auffassung denken, daß er diesen Gegensatz ganz beseitigt hat? Sein Paris erklärt Julien seine Liebe, hat sie lange im Stillen angebetet, ehe er ihres Vaters Zustimmung nachzusuchen wagt!
Die zweite Aenderung ist eine dramatische Verbesserung, so sehr auch die Vergötterer Shakespeare's darüber aufschreien mögen. Goethe läßt das Stück mit Julia's Tode schließen und nur noch den Bruder Lorenzo in kurzen Worten auf die Bedeutung des tragischen Ausgangs hinweisen. Das ist unstreitig besser als die höchst undramatische und langweilige Erzählung der dem Leser oder Zuschauer bereits sämmtlich bekannten Thatsachen, mit welcher bei Shakespeare das Stück schließt.
In dieser Goethe'schen Bearbeitung wurde Romeo und Julia nicht nur in Weimar aufgeführt, sondern hielt sich auch aus der berliner Bühne lange Jahre. Die berliner Kritiker waren zuerst durchaus nicht gut darauf zu sprechen; namentlich mißfiel ihnen, wie wir durch Zelter wissen, die Verbesserung am Schluß; die Einbuße an langer Weile war ihnen schmerzlich.
Kehren wir nach Weimar und seinem Theaterwesen zurück. Der Versuch Goethe's und Schiller's, ein deutsches Theater zu schaffen, ist bereits ausführlich genug charakterisirt worden; daß er mißlingen mußte, war unvermeidlich; trotzdem hat er unsere volle Theilnahme, da ihm das edelste Streben zu Grunde lag. Dieses Streben ging einen falschen Weg, aber es war ein Irrthum großer Geister, welche über die Bedürfnisse des Tages hinaus sahen. Sie konnten sich nicht entschließen zu glauben, daß das Theater, in welchem sie eine so erhabene Verkörperung der Kunst sahen, für das Publikum die weltliche Kanzel zu sein aufgehört hatte und zu einem bloßen Vergnügungsort herabgesunken war.
Mit Schiller's Tode ließ die thätige Theilnahme Goethe's am Theater nach. Gegen Ende des Jahres 1813 wurde ihm der Hofmarschall Graf von Edelingk als Mitglied der Intendanz zur Seite gegeben, doch blieb die höchste Entscheidung immer noch in den Händen des Dichters. Im Jahre 1817 trat sein Sohn, August von Goethe, mit in die Direktion. So war das Theater belastet mit einem Geheimen Rath, der es beherrschte, aber nichts mehr dafür that, mit einem Hofmarschall und einem jungen Kammerherrn. Hinter den Coulissen sah's auch nicht besonders aus. Die Geliebte Karl August's, die als Frau von Heygendorf geadelte Karoline Jagemann, hatte längst eine Intrigue eingefädelt, die Goethen von der Leitung des Theaterwesens verdrängen sollte. Sie war gegen den Freund ihres fürstlichen Geliebten nie besonders freundlich gewesen; auf den Einfluß Goethe's hatte sie eine natürliche Eifersucht; als Schauspielerin seiner Leitung untergeben, hatte sie sicher tausendfältigen Anlaß zu kleinen Beschwerden. Hätte der Dichter in der Neigung des Herzogs nicht so fest gestanden, so wäre ihre Rivalität schon eher zum Ausbruch gekommen. Endlich fand sich eine Gelegenheit.
Es war um die Zeit (1817), wo der Pudel eines herumziehenden Schauspielers, Namens Karsten, als »Hund des Aubry« in dem bekannten Melodrama dieses Namens herumgastirte und überall, in Deutschland wie in Paris, das Publikum entzückte. Man kann sich denken, mit welcher schmerzlichen Entrüstung Goethe von dieser Entweihung der Bühne hörte; mit unverhohlener Empörung sprach er sich darüber aus. Der Herzog war ein großer Thierfreund und Hundeliebhaber und es war leicht, ihn auf die Künste des Pudels neugierig zu machen. Als Goethe zuerst davon hörte, das vierbeinige Talent solle nach Weimar eingeladen werden, verwies er stolz auf den Artikel der weimar'schen Theatergesetze: Hunde dürfen nicht mitgebracht werden. Nun stellte man dem Großherzog vor, wie Unrecht es von Goethe sei, immer auf seinem Kopf zu bestehen und den Wünschen seines Fürsten selbst in einer solchen Kleinigkeit zu widerstreben. Der Hund wurde heimlich verschrieben und kam trotz Goethe's fortdauernder Weigerung an. Am Tage der Theaterprobe schrieb Goethe dem Großherzog, da ihm das Theater bisher ein Heiligthum gewesen, so erbitte er sich die Erlaubniß, der Aufführung nicht beiwohnen und sich als beurlaubt ansehen zu dürfen. Er ging nach Jena. Dergleichen Widerspruch ertragen Fürsten einmal nicht, und Karl August blieb doch immer ein Fürst. Er schrieb ihm die folgenden Zeilen, die noch dazu allen Theatermitgliedern schriftlich mitgetheilt wurden:
»Aus den mir zugegangenen Aeußerungen habe ich die Ueberzeugung gewonnen, daß der Geheimrath von Goethe wünscht, seiner Funktion als Intendant enthoben zu sein, welches ich hiermit genehmige.
Karl August.«
Ein gleichzeitiger Privatbrief milderte die Härte dieser Entlastung in folgender Weise: »Lieber Freund! Verschiedene Aeußerungen Deinerseits, welche mir zu Augen und Ohren gekommen sind, haben mich unterrichtet, daß Du es gerne sehen würdest, von denen Verdrießlichkeiten der Theaterintendanz entbunden zu werden, daß Du aber selbiger gerne mit Rath und That an die Hand gehen würdest, wenn, wie dieses wohl ofte der Fall sein wird [gemüthlicher kann man nicht schreiben], Du von der Intendanz darum ersucht würdest. Ich komme gern hierin Deinen Wünschen entgegen, dankend für das viele Gute, was Du bei diesen sehr verworrenen und ermüdeten Geschäften geleistet hast, bittend, Interesse an der Kunstseite desselben zu behalten, und hoffend, daß der verminderte Verdruß Deine Gesundheit und Lebensjahre vermehren soll. Einen offiziellen Brief, diese Veränderung betreffend, lege ich bei und wünsche wohl zu leben?« Auf Goethe's Dankschreiben aus Jena erfolgte dann noch ein kurzes Billet von Karl August ganz in der alten Weise: »Zieh hin in Frieden und wenn Du wieder kommst, so besuche mich.« Auch bleibt in allen folgenden Briefen der Ton unverändert.
So verzog sich die Wolke zwischen den alten Freunden wieder, aber die Leitung des Theaters von neuem zu übernehmen, ließ sich Goethe durch keine Bitten bestimmen. Die Uebereilung und die unbedachten Aeußerungen seines Freundes konnte er verzeihen, aber er war stolz genug, an seinem Entschlusse festzuhalten, daß er mit einem Theater, welches sich zu der Darstellung eines Pudels erniedrigt habe, nichts zu thun haben wolle.
Welch' ein bitterer Hohn und in dem Hohn welch' eine Moral liegt in dieser Geschichte! Die Kunst, die Weimar verschmäht, muß einem Pudel weichen!