Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Schon am Abend jenes Tages sah Anton, als er mit seinem Vater in Begleitung anderer Curgäste den gewohnten Abendspaziergang machte, die Bauernfamilie wieder, welche ihm am Morgen bei ihrer Ankunft durch die Schönheit der Tochter ausgefallen war.
Ein großes wollenes Strickzeug in der Hand, ging das schöne Mädchen neben der ebenfalls strickenden Mutter und Muhme einher, während der Vater mit Friedrich folgte und die kleinen Jungen neugierig vor der ersten Bude der Allee die aufgestapelten Herrlichkeiten an dem Schaufenster betrachteten. Anton machte die Herren aufmerksam auf das Mädchen. Alle wendeten sich dorthin, und Kunz Schmidt zog, als er des Geheimraths ansichtig wurde, den Hut vor ihm ab. Dieser blickte ihn gleichfalls an, erwie [24]derte den Gruß, setzte aber seine Unterhaltung mit den andern Herren fort, und der Bauer ging ruhig seines Wegs weiter.
Indeß am andern Morgen traf man sich abermals, und diesmal trat der Landmann mit der Frage an den Geheimrath heran: »Nun, Herr Geheimrath, denn so ist ja jetzt wohl Euer Titel, wie geht's denn da unten in Berlin?«
Man konnte es dem Geheimrath anmerken, daß ihm diese Anrede mißfiel. Er kannte den Bauer wohl. Schon vor langen Jahren war er mit ihm in verschiedene Berührungen gekommen, und in neuerer Zeit war Kunz Schmidt einer der Wähler gewesen, dessen bedeutender Einfluß auf seine Nachbarn und Freunde des Fabrikanten Wahl in die Nationalversammlung, und damit seine Berufung zu der Stelle fast verhindert hatte, welche dieser jetzt mit so großer Genugthuung behauptete. Einer der reichsten Bauern Westphalens, stand Schmidt im ganzen Lande wegen seiner tüchtigen Wirthschaft, seiner Einsicht und Rechtschaffenheit in hohem Ansehen.
Er mochte nicht viel über vierzig Jahre alt sein. Die große, schon dem Starkwerden des Alters sich zuneigende, aber doch sehr kräftige Gestalt trug den [25] Kopf fest und stolz auf den Schultern, und die dunkeln Augen sahen mit aufmerksamer Sicherheit um sich her. Die bräunliche Hautfarbe, das kurz geschnittene schwarze Haar, die scharfen Formen der Nase und des Mundes gaben ihm einen Ausdruck der Selbständigkeit, des Selbstbewußtseins, den die kurze und bestimmte Redeweise noch erhöhte, mit der er gegen die Gewohnheit seiner Standesgenossen sich auszudrücken pflegte. Dies Selbstbewußtsein verrieth sich sogar in der sorgfältig gehaltenen Kleidung, obschon sie nicht im Geringsten von der allgemein üblichen Tracht der Bauern abwich. Die Kniehose und die Weste von schwarzem Halbsammt, waren die erstere mit silbernen Schnallen, die zweite mit vielen seidebesponnenen Knöpfen geziert. Ueber das lockergebundene schwarzseidene Halstuch fiel ein in Klosterarbeit genähter Hemdekragen als Aufschlag herüber. Der weißleinene Rock mit kurzer Taille und langen Schößen, war mit Scharlachtuch gefüttert und an Aermeln und Brust mit großen silbernen Knöpfen besetzt. Die starken Schuhe hatten silberne Schnallen, von der Taschenuhr hingen an silberner Kette silberne Petschafte herab, und sowohl der Knotenstock als die braungerauchte Maserpfeife waren mit reichen Silberbeschlägen versehen.
[26] Nur ein wenig hatte er den großen runden Hut von schwarzem Filz bei der Begrüßung gelüftet, und stützte sich, die Füße breit von einander gestellt, gleichsam sitzend auf den Knotenstock, den er in der rechten Hand hinter sich festhielt, während er mit der linken die Pfeife für einen Augenblick aus dem Munde nahm.
So hatte er vor dem Geheimrath in einer Weise Posto gefaßt, welche eine ausführliche Antwort zu erwarten schien, weil sie sich berechtigt hielt, sie zu fordern.
Der Geheimrath blickte ihn befremdet an, ein Zug von zornigem Hochmuth flog über sein Gesicht, aber er verschwand ebenso schnell. Zu einem Lächeln übergehend, reichte er Schmidt die Hand und nöthigte ihn, sich mit ihm auf der nächsten Bank niederzulassen, weil sich dergleichen im Stehen nicht gut bespreche.
»Ihr fragt mich, wie es geht, Herr Schmidt, und werdet es doch selbst am Besten aus den Zeitungen wissen, da Ihr ja ein eifriger Politiker und Zeitungsleser seid,« sagte er. »Ich denke, man soll zufrieden sein im Lande mit dem, was wir in den paar Monaten geleistet haben, seit wir am Ruder sind. Es geht jetzt schneller vorwärts, als vor den Märztagen, da noch all die gelehrten Herren am Ruder saßen, dicke [27] Bücher durchstudirten und lange Erlasse durch die Bureaus hin- und herschrieben, ehe Dinge entschieden wurden, bei denen Alles auf die augenblickliche Entscheidung ankam. Das geht jetzt anders, wie?«
»Ob Processe jetzt schneller beendigt werden als zu der andern Zeit, das kann ich nicht wissen, Herr Geheimrath; denn ich habe nie einen Proceß gehabt – aber daß es rasch vorwärts geht mit dem, was vorwärtsgehen müßte, das sehe ich nicht. Es ist leeres Stroh genug gedroschen worden, auch jetzund wieder!«
»Was nennt Ihr leeres Stroh. 2«
»Das, was keine Frucht hat, wie Eure Adreßdebatten und dergleichen Kram!«
»Aber Schmidt, Ihr, ein so bewanderter Mann, Ihr müßt doch wissen, daß eine Adresse üblich ist in allen constitutionellen Staaten!«
»In allen Staaten, wie wir sie gehabt haben, Herr Geheimrath, mag es üblich gewesen sein. Aber wenn man sich eine neue scharfe Pflugschaar angeschafft hat, ackert kein Mensch mehr mit der alten, abgenutzten. Was wir vom Könige wollten, das hat er gewußt und hat er zu leisten versprochen am 19. März; daß wir dagegen Steuern zu leisten ha [28]ben, wußten wir auch. Wozu also ist das wochenlange Streiten gewesen um diese Adresse, die dem Lande eine gute Summe gekostet hat an unnützen Diäten für die Herren Deputirten in Berlin!«
»Wollt Ihr ernten gleich nach der Saat!« – fragte der Geheimrath. Da aber Schmidt nicht darauf antwortete, sondern in langen Zügen den Tabak seiner Maserpfeife rauchte, fügte Jener hinzu: »Gesetze, mein werther Mann, sind eine Saat, die sorglich gepflegt sein will, wenn sie gedeihen soll. Das schießt nicht über Nacht empor, das macht sich nicht im Handumwenden!«
»Ist aber doch viel schneller gegangen, als man Anno Sieben von Tilsit aus Gesetze gab und die Hörigkeit aufhob; ist auch schneller gegangen Anno Dreizehn, als man die Landwehr einführte. Macht nur die Gesetze fertig ohne viel Federlesens, ohne Verklauselirungen und Rückenhalt, und dann seht zu, wie rasch sie Wurzel schlagen werden, wenn sie nur was taugen!«
»Und was nennt Ihr Gesetze, die etwas taugen? Welche Gesetze wollt Ihr gegeben haben, die Euch so dringlich erscheinen, daß Ihr sie nicht erwarten könnt?«
Schmidt blickte dem Geheimrath erst mit einem [29] stillen Lächeln in das Gesicht, stemmte dann den Stock zwischen den Knien in die Erde, faltete beide Hände darüber, stützte das Kinn darauf und sagte, vor sich niederblickend:
»Warum ist denn das Gesetz über die Volksbewaffnung noch nicht gegeben, die man uns doch versprochen hat, und durch die man das heillose Geld sparen könnte, das jetzt auf die Soldaten verwendet wird, während wir unserer Kinder Arbeit entbehren auf der eignen Scholle? – Warum ist noch kein Gesetz gegeben, daß wir Zucker, Kaffee, Wein und Eisenwaaren so billig haben können, wie sie es unten an der Weser im Friesischen und Oldenburgischen, kaufen, während wir hier fast das Doppelte dafür zahlen? Ich nenne nur so, Herr Geheimrath, was mir gerade in den Kopf kommt.«
Der Ton, in welchem der Landmann diese Worte sprach, war im hohen Grade herrisch; er hatte den Geheimrath dabei nicht angesehen, als glaube er, daß er seinen Blick zu scheuen habe. Dieser fuhr verdrießlich empor: »Ihr sprecht, wie Ihr es versteht. Wollte man Euch willfahren und solche Gesetze geben, Ihr würdet sehen, wohin es mit Euch käme.«
»Wohin es käme? – Dahin, daß wir mehr Arbeits [30]kraft verwenden könnten auf unser Land, also mehr produciren würden; dahin, daß wir unser Getreide in England besser bezahlt bekämen, wenn man hier keinen Zoll von englischen Waaren erhöbe. Ihr würdet dann freilich Euer Rothgarn und Eure Kattune schlechter bezahlt bekommen als bisher, aber meint Ihr nicht selbst, daß wir Euch auch unsertwegen und nicht blos Euretwegen nach Berlin geschickt haben?« Dabei sah er den Geheimrath mit einem plötzlich freundlich gewordenen Gesichte, gleichsam scherzend an, sodaß dieser sich gezwungen sah, gute Miene zum bösen Spiel zu machen.
»Gewiß, gewiß, lieber Schmidt,« versicherte er, während er seine lange, steife Gestalt fest in den Paletot einhüllte, die hohen Vatermörder in die rechte Stellung brachte und mit dem Bemerken, daß er umhergehen müsse, um sich im Sitzen nicht zu erkälten, von dem Bauer fortzukommen suchte, nachdem er ihm gesagt hatte, daß sie sich ja bald wiedersehen würden, und daß er im Stande sei, alle Zweifel und Bedenken seiner Wähler vollständig zu beruhigen.
Während der Geheimrath dann mit seinem Sohne der Trinkhalle zuschritt, rief Schmidt Weib und Kind herbei, denen Anton sich genähert hatte, und ging mit ihnen ebenfalls von dannen.