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Anton, der zwanzigjährige Sohn eines reichen Fabrikanten, war bisher mit spielendem Leichtsinn durch das Leben gegangen. Vorsorgliche Aelternliebe hatte dem einzigen Kinde den Pfad geebnet. Er wußte, daß großer Reichthum, eine fruchtbringende Thätigkeit, ein genußvolles Leben seiner warteten, wenn er einst die theoretische und praktische Bildungsschule für seinen Beruf durchgemacht haben würde, welche sein Vater ihm vorgezeichnet hatte. Im vollen Besitze alles Dessen, was ihm wünschenswerth erschien, hatte er Niemand beneidet und Alles auf das Beste gefunden in dieser Welt, mit Ausnahme des Absolutismus und der Bureaukratie, welche sein Vater seit Jahren bekämpft hatte, so weit dies in den gegebenen Verhältnissen möglich gewesen war.
[14] Die Revolution des Jahres 1848, welche seinen Vater in die Nationalversammlung Hier ist nicht die Frankfurter Nationalversammlung in der Paulskirche, die für ganz Deutschland stand, sondern die sog. Preußische Nationalversammlung (siehe Anm. 3). und bald zu einem bedeutenden Staatsamte führte, fand in Anton einen lebensfrohen, unverdorbenen Jüngling. Von Jugend auf gewöhnt, im Vaterhause Unterhaltungen über die Erstrebungen einer constitutionellen Verfassung zur Hebung des dritten Standes zu hören, hielt er die Revolution für beendet, die nothwendige Ordnung für hergestellt, als sein Vater und dessen Standes- und Gesinnungsgenossen durch diese Umwälzung jene Geltung im Staate erlangt hatten, nach der sie bis dahin vergeblich getrachtet. Die ebenso berechtigten Ansprüche des vierten Standes, der arbeitenden Klasse, dünkte ihm eine durch die Gewalt der Ereignisse hervorgebrachte, vorübergehende Aufregung, weil diese Volksklasse nach seines Vaters Meinung keine größern Anforderungen an den Staat und an das Leben zu machen berechtigt wäre, als man sie ihr bisher zugestanden hatte. Antons Irrthum war ein verzeihlicher. Er kannte das Volk nur aus den Fabriken oder von den Gütern seines Vaters, und dieser hatte immer redlich für seine Untergebenen Sorge getragen. Es hatte Niemand Noth gelitten von all seinen Arbeitern und Insassen. Gerade darum [15] aber glaubte Anton ihm unbedingt trauen zu dürfen, wenn er die immer lebhafter werdenden Forderungen der Demokratie als thörichte Maßlosigkeiten verdammte und die politische und materielle Abhängigkeit des vierten Standes von den Besitzenden und Gebildeten als eine Nothwendigkeit, ja als einen Segen für die Arbeiter selbst bezeichnete.
Indeß trotz den mit Bestimmtheit ausgesprochenen Ansichten seines Vaters wurde der Kampf der Demokratie gegen den immer deutlicher hervortretenden absolutistischen Constitutionalismus des ersten preußischen Ministeriums nicht geringer, sondern immer lebhafter und war in voller Kraft entbrannt, als Anton von einer norddeutschen Handelsschule durch seinen Vater nach Berlin zurückgerufen wurde. Der Sturz des ersten Ministeriums, die Ernennung des zweiten hatten bald darauf seinem Vater die Stelle eines Geheimen Rathes verliehen. Der Fabrikantenstolz desselben, der sich von jetzt ab mit dem Hochmuthe des Beamten vereinigte, trug dazu bei, den einst scharfsichtigen Mann gegen die Wahrheit der Zustände zu verblenden und gegen die Demokratie zu erbittern, welche ihn bereits als einen der entschiedensten Feinde fortschreitender Umgestaltung des [16] Staatswesens, als einen der eifrigsten Vertheidiger des Stillstandes anklagte.
Für Anton war die ganze revolutionaire Bewegung bei seiner Ankunft in der Residenz nur eine neue Art der Belustigung gewesen. Die Wechselfälle des parlamentarischen Kampfes hatten ihn beschäftigt, wie der Ausgang eines Wettkampfes; die Volksversammlungen, die Clubs, ihre Redner, ihre Demonstrationen waren ihm Gegenstände einer angenehmen Unterhaltung gewesen. Die ganze revolutionaire Aufregung aber, welche die tägliche Gleichförmigkeit des Lebens zerstörte, so daß es selbst seinem strengen, bis auf die Minute pünktlichen Vaters jetzt unmöglich fiel, die frühere Regelmäßigkeit in seinem Hause aufrecht zu erhalten, waren dem Sohne als eine wahre Segnung der Freiheit erschienen. Diese leichtsinnige Zufriedenheit hatte jedoch nur einige Wochen gedauert. Sie war bald vor den Anklagen und Vorwürfen gewichen, welche die Opposition gegen seinen Vater erhoben hatte.
Die Sitzungen der Nationalversammlung, der Volksvereine wurden ihm aus Verehrung für den Vater, aus Sorge um ihn zu Gegenständen einer ernsten und aufmerksamen Theilnahme; wo man sei [17]nen Vater am Härtesten anzuklagen pflegte, fehlte er selten, und mehrmals war er zu heftigen Aeußerungen verleitet worden, die ihn in unangenehme Händel verwickelt hatten. Aber weder diese, noch die Ermahnungen seines Vaters vermochten ihn von den Volksversammlungen fern zu halten; denn die Stimme der Wahrheit verfehlte ihre Wirkung auf unverdorbene Naturen niemals. Von der Erbitterung, welche er gefühlt, als er die ersten Anklagen gegen seinen Vater, gegen die Partei der Fabrikanten und Privilegirten gehört, ging sein Verstand bald zu der Frage über, ob denn diese Partei so unbedingt in ihrem Rechte, das Volk so unbedingt im Unrechte sei, als er es im väterlichen Hause zu hören gewohnt war? Die Forderungen der Demokratie schienen ihm groß, schwer erfüllbar für den Augenblick, dennoch konnte er sich nicht verbergen, daß man in den ersten Tagen nach der Revolution Versprechen und Zugeständnisse gemacht hatte, die man jetzt nicht mehr zu erfüllen gesonnen war. Er konnte sich nicht verbergen, daß die Partei der ersten Ministerien das Volk nur als Mittel für den eignen Zweck benutzt habe und keinen Vortheil zum Besten des vierten Standes aufzugeben gedachte, obschon sie nach wie vor verlangte, daß [18] der Adel die Vorrechte opfern sollte, welche den dritten Stand beeinträchtigt hatten. Antons Gerechtigkeitsgefühl empörte sich gegen diese Unbilligkeit, Mißtrauen gegen seinen Vater, gegen die Partei, welcher dieser angehörte, faßte in ihm Wurzel.
Mit Freimuth sprach er dem Vater aus, was er empfand. Aber ein Hauptzug in dem Charakter desselben war Geringschätzung gegen die Jugend und Alles, was er unpraktischen Idealismus nannte. Wenn Anton, von dem immer reger werdenden Drange nach Wahrheit getrieben, plötzlich seine ganze Zeit dem Studium staatswirthschaftlicher Bücher und dem Umgange mit Männern zuwendete, von denen er Belehrung über die ihn beschäftigenden Fragen und Zweifel zu erhalten hoffen konnte, so ließ der Geheimrath dies ruhig geschehen, weil er zuversichtlich annahm, sein Sohn, sein Fleisch und Blut, müsse bald mit Verachtung von dem Studium der Theorien ablassen, die zwar als Theorien ihre Richtigkeit haben könnten, in der Praxis aber ein- für allemal unausführbar blieben. Daß jede in sich richtige Theorie im Leben früher oder später auszuführen sei, war eine Erkenntniß, gegen welche der Geheimrath sich mit voller Energie sträubte, weil sie ihm nicht in seine ge [19]wohnte Vorstellungs- und Handlungsweise paßte. Da sich der dritte Stand, die im Großen Gewerbtreibenden, für den Augenblick an die Spitze der Bewegung gebracht hatten, wie es für ihre Ansichten paßte, zweifelte der Geheimrath nicht, daß er die Bewegung, welche er anregen geholfen, auch aushalten und stille stehen machen könne, wie die Räder seiner Maschine, sobald das Fortschreiten ihm nicht mehr passe. Das, was ihm angemessen oder nicht angemessen war, bildete den Maßstab für seine Ansichten. Von dem Centrum der Selbstsucht ausgehend, war er ein Mann der Bewegung, ein Vertreter des Fortschritts, sobald es galt, den Adel und die Kirche niederzuhalten, ein Freund des Stillstandes, wenn die Rechte der kleinen Gewerbtreibenden, der Handwerker, Bauern, Arbeiter geltend gemacht werden sollten gegen den dritten Stand; und er war dies Alles, ohne in seinem Gewissen beunruhigt zu werden, er war es mit voller Ueberzeugung, weil er sich vor jeder bessern Einsicht mit der Energie der Beschränktheit absperrte, die sich nicht stark genug fühlt, einen neuen Weg mit Kraft und Erfolg zu betreten. Er, der einst den Hochmuth der Bureaukratie in unausgesetzten Kämpfen verfolgt hatte, war der hoch [20]müthigste Beamte geworden, während er sich willenlos den Forderungen des Hofes fügte, dessen früher von ihm selbst verspottetes Formenwesen ihn umgarnte und bestach. Vollständig beherrscht von einer im Stillen wirkenden Partei und als Werkzeug gebraucht für Plane, welche nicht in seine Ansichten gepaßt hätten, wäre er scharfsichtig genug gewesen, sie zu durchschauen, glaubte der Geheimrath und mit ihm seine Minister, den Hof nur als ein Mittel zu benutzen, mit dem man die Demokratie niederhalte, und bald war die Partei des Geheimraths sowohl durch ihre Selbstüberschätzung, wie durch ihre falsche Demuth in die traurige Stellung betrogener Betrüger gerathen.
Anton mit seinen Fragen, seinen Vorstellungen von dem Vater abgewiesen, der in des Sohnes Glauben an die väterliche Einsicht lange Zeit ein starkes Mittel in der Hand gehabt hätte, ihn für sich zu gewinnen, Anton blieb sich selbst überlassen und fing an mehr und mehr Vertrauen zu den Männern zu fassen, welche an der Spitze der Opposition standen, als der Geheimrath es bemerkte und ihn davon zurückzuführen suchte. Er wählte dazu einen praktischen Weg. Eine Reise, die er im Auftrage des Mi [21]nisteriums durch verschiedene Provinzen zu machen hatte, und auf der sein Sohn ihn begleiten sollte, bot die schicklichste Gelegenheit, ihn vor allen Dingen von Berlin zu entfernen und ihn dann in nahe Berührung mit den Volksklassen zu bringen, welche sein Vater für die alleinigen Träger des Staates, der Industrie und der Intelligenz zu halten gewohnt war.
Unter den Einflüssen dieser Reise, auf welcher der Geheimrath vorzugsweise mit Regierungsbeamten, gewerbtreibenden Gutsbesitzern oder güterbesitzenden Handelsherren und Fabrikanten zu verkehren hatte, erblichen in Antons Seele die ersten Eindrücke der Ueberzeugung wieder, die noch nicht stark genug gewesen waren, um selbständig Wurzel in ihm zu schlagen. Die Grundsätze seines Vaters, von diesem bei jedem Anlasse erläutert, wo es sich zu Gunsten der Besitzenden, zum Nachtheil der Demokratie bewerkstelligen ließ; dieselben Grundsätze wiederholt von Beamten, welche großer Achtung genossen und untadlig waren in ihrem Privatleben; wiederholt von Gutsbesitzern und Fabrikanten, deren Familien im weiten Umkreise durch Wohlthätigkeit sich Verehrung erworben hatten, gewannen Anton dem Vater wieder. Er fing an sich zu bescheiden, er glaubte sich geirrt zu [22] haben, und nahm es ruhig hin, wenn der Vater von der phantastischen Verblendung sprach, zu welcher der Schwindel des Revolutionsfiebers auch seinen Sohn so weit hingerissen habe, daß er bereits an die Utopien der Volksbeglücker geglaubt habe und auf dem besten Wege gewesen sei, aus einem tüchtigen praktischen Menschen ein nutzloser unruhestiftender Ideologe zu werden, was gar nicht für den Sohn eines staatsmännisch gebildeten Vaters gepaßt haben würde. Zufrieden, Anton von diesem Irrthume zurückgebracht zu haben, hatte nach beendeter Amtsreise der Geheimrath sich nach Pyrmont begeben, die Cur zur Wiederherstellung seiner angegriffenen Gesundheit zu brauchen, und hier war es, wo Anton uns zuerst begegnete.