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Nachdem die Quarantäne für das Schiff aufgehoben, stieg Le Goutelier, als Vertreter der Gesellschaft, an Bord. Er schien ungeduldig, die Einzelheiten über die seltsame Entdeckung des Überlebenden der »Shanghai« zu erfahren. Man gab sie ihm. Dieses sich ans Leben klammern eines Wesens, das seiner Meinung nach sich' eines so großen Verbrechens schuldig gemacht hatte, erschien ihm wundersam, und er bedauerte das Schicksal der Witwe und des Sohnes.
»Wie alle Welt,« sagte er, »habe ich den Austausch der Nachrichten zwischen diesen beiden Männern leidenschaftlich verfolgt; ich kenne nichts, was dramatischer und aufregender wäre.«
Nachdem er Therese sein Beileid ausgesprochen und sie der tiefen Verehrung, die er für ihren Vater gehegt, versichert hatte, wollte er denjenigen sehen, den man bis dahin Valmont genannt hatte.
»Man darf nicht den Sohn,« erklärte er, »für die Schuld des Vaters verantwortlich machen. Das Schicksal, das Deherche vor seiner Ankunft hat sterben lassen, hat uns unsere Pflicht gezeigt, die darin besteht, den Schmerz seines Kindes zu ehren.«
Er sprach mit der ernsten Feierlichkeit, die demjenigen, den die Aktionäre nach Hardants Tod mit dem Amt eines verantwortlichen Leiters ausgestattet hatten, zukam. Der Leutnant verspätete sich indessen; Le Goutelier hatte das Schiffstor wieder erreicht, da er keine Zeit hatte, um länger zu warten, als Valmont erschien.
»Mein Herr,« sagte Le Goutelier, »ich freue mich sehr, Sie zu sehen. Ich habe alle Maßnahmen getroffen, damit die Stellung, die Sie bei uns haben, und die bisher nur provisorisch war, Ihnen endgültig gesichert wird, wenn es Ihnen recht ist, – wenn es Ihnen recht ist, indessen ...«
»Es ist mir recht, mein Herr.«
»Werden Sie den Namen, den Sie gewählt haben, beibehalten? ...«
»Ich ziehe es vor, meinen Namen Deherche wieder anzunehmen.«
Le Goutelier runzelte die Brauen:
»Bei der Gesellschaft ist man einstimmig der Ansicht, daß es besser wäre ...«
»Diesbezüglich habe ich den Rat einer Person eingeholt, zu der ich absolutes Vertrauen habe«, entgegnete höflich der Offizier.
»Diese Person ist vielleicht nicht über alle Dinge unterrichtet«, murmelte Le Goutelier in gereiztem Ton.
»Doch, mein Herr, doch«, antwortete Valmont bestimmt. »Urteilen Sie selbst ...«
Den Arm ausstreckend, wies er auf seinen Vater, der gerade erschien.
»Deherche!« röchelte Le Goutelier.
Und, über Bord springend, warf er sich ins Wasser. Valmont stieß einen Schrei aus und stürzte kopfüber ihm nach.
Le Goutelier war im Fallen mit dem Kopf an ein Boot gestoßen; ein roter Fleck zeigte die Stelle, wo er soeben verschwunden war. Valmont tauchte dreimal unter und faßte ihn schließlich. Man hob sie an Bord. Le Goutelier atmete schwach. Das Blut rann in Strömen von der Wunde seines Schädels.
»Aus«, murmelte der Arzt.
»Ach, Herr Doktor,« flehte Valmont, »tun Sie ein Wunder! Daß er noch fünf Minuten lebe! Damit er sprechen kann! ...«
Nach mehreren Äther- und Coffeinspritzen schien sich der Sterbende wieder zu beleben. Er öffnete die Augen, schloß sie aber entsetzt wieder, als er das Gesicht Deherches, über dem seinen gebeugt, erkannte.
»Le Goutelier! Le Goutelier!« schluchzte Deherche, »wollen Sie von hier gehen und Ihr furchtbares Geheimnis mit sich nehmen?«
Le Goutelier bewegte schwach die Lippen. Eine heftige Anstrengung gab ihm einen Schimmer von Leben zurück, und er betonte mit kaum vernehmbarer Stimme:
»... Ich habe die Steine gestohlen ... Deherche unschuldig ... Ich wußte, daß die ›Shanghai‹ sinken würde ... Eine Höllenmaschine an Bord ... Ich hatte sie entdeckt ... der wahre Schuldige ... war ...«
Der Tod schloß seine Lippen nach diesem letzten Wort. Deherche stieß einen Erlösungsschrei aus und drückte seinen Sohn an sein Herz; dann streichelte er ihm die Wangen wie zu der Zeit, als er noch klein war:
»Morgen sehen wir deine Mutter wieder; wie glücklich werden wir drei sein!«
Der Leutnant versuchte zu lächeln; Deherche merkte sein Zittern, nahm seinen Kopf zwischen die Hände:
»Du weinst? ...«
»Aber nein, aber nein ...«
Er biß sich die Lippen; der Vater folgte seinem Blick. Therese ging vorüber, mit gesenkter Stirn, ein zarter Schatten, der sich« in der Menge der Passagiere verlor. Deherche wiederholte mit einer seltsam besorgten Stimme:
»Du weinst? ...«
Der Leutnant hatte nicht mehr die Kraft, zu leugnen.
Eine Sekunde vollkommenen Schweigens bedrückte die beiden Männer. Noch ein Schritt, und Fräulein Hardant hatte die Schiffstür durchschritten. In diesem Augenblick wollte es «der Zufall, daß sie den Kopf wandte.
»Lebe wohl, meine arme Liebste«, stammelte Valmont.
Deherche legte einen Finger auf seine Lippen.
»Nicht Lebewohl; Le Goutelier starb, ohne den Namen preiszugeben ... Geh, sag diesem unglücklichen Kind: ›Auf Wiedersehen‹ ...«
Ende