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Prolog

Joachim Halz schrieb hinten in seinem Laden, einem Raum, der mehr lang als breit war, mit schwarzen Wänden, schwarzer Decke, möbliert mit einem Ladentisch, Regalen voller Bücher, einigen Stühlen und einem Geldschrank. Dieser Laden ging auf die Utrechtschedwarsstraße, eine der ärmsten Straßen des ärmsten Viertels von Amsterdam.

Tageslicht konnte man das, was das Schiebefenster durchließ, nicht nennen: dieses unbestimmte gelbe Licht, das vom Regen des Oktobernachmittags noch verdunkelt wurde.

Hier gleicht der Regen keinem Regen in irgendeinem anderen Land. Er fällt langsam, dicht aus einem düsteren, gleichmäßig grauen Himmel auf ein Ziegelsteinpflaster, wo die Schritte gedämpft klingen, an den Wänden herunter, die so vermodert sind von Feuchtigkeit, daß man sagen könnte, im gleichen Maße, wie das Wasser vom Himmel tropfe, steige von unten her ein dichter Dampf auf, der sich in den übelriechenden Pfützen der toten Kanäle auflöst. Man kann sich vor Kälte, vor Wind, vor Sonne schützen, vor so etwas nicht. Im Innern der Häuser zerfällt der Putz, und kleine Mulden bilden sich in den Ecken der Wände und des Steinpflasters, wo schmierige Ratten kriechen, zunächst schüchtern, dann aber, das Loch erweiternd, sich festsetzen, mästen und wimmeln.

Es schlug sechs; Joachim Halz wollte gerade sein Kontobuch zuklappen. In diesem Augenblick klopfte es kurz ans Fenster. Er hob den Kopf, ließ mit einem Druck des Daumens das Schloß seines Geldschranks zuschnappen und öffnete.

Sofort drang der Wind in den Raum; dem Kachelofen entströmte eine Rauchwolke, und der Schatten eines Mannes erschien im Türrahmen.

»Was wollen Sie?« fragte Halz.

»Ist's hier richtig bei Joachim Halz, dem Steinhändler?«

»Das ist hier; was wünschen Sie?«

Der Besucher trat ein, blickte mißtrauisch um sich und schüttelte sich wie ein Hund, der aus dem Nassen kommt. Das Wasser rieselte von seinem Gummimantel, bildete um seine Füße einen leuchtenden Kreis und tropfte von der heruntergeschlagenen Hutkrempe. Nachdem er sich umgeschaut hatte, heftete er die Augen auf den Inhaber; dann hob er seine Schuhsohlen gegen die Wärme des Kachelofens und blieb schweigsam.

Halz mußte solche Art gewohnt sein, denn er fand nichts dabei, kehrte zu seinem Geldschrank zurück, nahm etwas aus einer Schublade, und erst dann wiederholte er seine Frage:

»Womit kann ich dienen?«

»Das da«, sagte der Mann und zog unter seinem Mantel einen mit einer Schnur zusammengebundenen Lederbeutel hervor.

Jetzt war es Halz, der schweigsam blieb. Nachdem der Mann seinen Regenmantel abgelegt hatte, löste er die Schnur und leerte den Inhalt des Sackes – vier kleinere Säcke – auf den Ladentisch. Er nahm drei davon, steckte sie wieder in seine Hosentasche und öffnete den vierten. Sogleich schien das Licht auf dem Ladentisch aufzuflackern. Halz schnupperte und sagte:

»Gestatten Sie, daß ich die Fensterläden schließe, ich war gerade dabei, als Sie klopften.«

Er ging hinaus, schlug die Läden zu, verriegelte sie, überblickte die einsame Straße, soweit seine Augen reichten, kehrte zu seinem Kunden zurück, trat hinter den Ladentisch und, eine Uhrmacherlupe in seine Augenhöhle klemmend, begann er die Steine zu prüfen: sechs große Diamanten, drei Smaragde in Rohschliff, zwölf Saphire und acht Rubine. Der Unbekannte folgte schweigend seinen Bewegungen, jede Hantierung der Finger scharf beobachtend. Als er das sah, kreuzte Halz die Hände auf dem Rücken. Diese Vorsichtsmaßnahme schien dem Mann zu gefallen, denn er sagte:

»Fassen Sie ruhig an.«

»Ist nicht nötig«, antwortete der Steinhändler; »ich kann's auch so beurteilen.«

Bis jetzt hatte der Mann ein schlechtes Holländisch gesprochen, untermischt mit Deutsch und Flämisch. Da er nicht gut verstanden hatte, fragte er:

»Wäre es Ihnen möglich, englisch zu sprechen?«

»Wenn Sie es vorziehen? Sind Sie Engländer?«

»Ire. Ich bin aus Cork, aber ich habe lange in den Kolonien gelebt.«

Halz maß ihn mit durchdringendem Blick und brummte:

»Wenn Sie wollen ...«

Schon hatte er den Kopf wieder gesenkt, um die Prüfung der Steine fortzusetzen; der Mann schien von der Antwort enttäuscht und fuhr in barschem Ton fort:

»Wenn ich es Ihnen doch sage ...«

»Bah,« machte der Steinhändler, »was kümmert's mich, ob Sie Engländer, Irländer oder Schweizer sind! Sie verkaufen, ich kaufe; alles andere ist mir gleichgültig. Denn ich denke, Sie sind zu mir gekommen, um das Zeug zu verkaufen.«

»Na, natürlich.«

Halz lehnte sich an die Wand, fuhr mit der Hand über seinen Mund und das Spitzbärtchen und fragte:

»Was wollen Sie fürs Ganze?«

»Potztausend, wie Sie rangehen«, grinste der Mann. »Bilden Sie sich etwa ein, daß ich das im Ramsch verkaufe wie altes Eisen?«

»Sie verkaufen es, wie Sie es gekauft haben«, antwortete Halz in ruhigem Ton. »Übrigens,« fügte er hinzu mit einer Bewegung, als wolle er die Steine zurückschieben, »ich mache nicht solche Geschäfte. Ich befasse mich nur mit dem Schleifen von Diamanten ...«

Der Unbekannte zuckte die Achseln:

»Hier? In diesem Stall? Na, alter Seeräuber, markier' nicht den Oberschlauen bei mir; wir wollen lieber weiterreden, ich glaub', wir werden schon zusammenkommen. Die Kieselsteine sind hübsch; du hast nicht oft Gelegenheit, solche zu sehen ... Mach' nicht gleich die Ware schlecht, sie ist ohne Fehler: keine Trübung, nicht ein Fleck, und ich kenne den Wert und weiß Bescheid, genau so wie du.«

Halz, der sich auf den Ladentisch gesetzt hatte und mit dem größten Diamanten spielte, sagte:

»Sprich französisch, es wird dir leichter fallen.«

Der Unbekannte ballte die Fäuste. Er war herkulisch gebaut, er hätte Halz leicht mit einer Hand hochheben können. Aber dieser kleine Alte hatte eine so ruhige Art, zu reden und vor allem irgend etwas in der Tasche seines weiten Überrocks zu bewegen, daß der Riese es für besser hielt, vernünftig zu bleiben. Er sagte nun doch französisch:

»Mach' mir ein Angebot, Stein für Stein.«

»Nein, das Ganze.«

»Nein.«

Danach sammelte er das, was er »die Kieselsteine« nannte, in der hohlen Hand und, bereit, sie in den Sack gleiten zu lassen, betonte er:

»Ist das dein letztes Wort?«

Seine Frage klang so bestimmt, daß Halz zögerte. Die Steine waren schön, wirklich, und es ist töricht, sich zu versteifen, wenn ein Geschäft möglich ist.

»Lassen Sie mich nochmal sehen.«

Der Unbekannte öffnete die Hand; Halz ordnete die Steine nach Farbe und Schliff, machte einen flüchtigen Überschlag und sagte, sie Stück für Stück mit dem Zeigefinger bezeichnend:

»Dreitausend Francs; zweitausendfünfhundert; zweitausenddreihundert; diese beiden fünfzehnhundert.«

Der Mann wartete ab, dann, in seinem Stuhl zurückgelehnt, sagte er mit ironischer Stimme:

»Willst du auch meine Uhr?«

»Meiner Treu,« antwortete Halz, ohne seine Gemütsruhe aufzugeben, »wenn es sich lohnt ... Aber genug gescherzt; zur Sache. Man wird sowas nicht so leicht los wie Banknoten; bevor ich sie absetze, werde ich sie sechs Monate halten müssen, ein Jahr, vielleicht noch länger ... Das ist totes Kapital ...«

»Du kannst sie morgen verkaufen, wenn du Lust hast.«

»Jawoll,« sagte der Steinhändler, »und die Polizei?«

»Die Polizei hat nichts damit zu tun; die Steine können nicht beschlagnahmt werden. Wenn du die Beschreibungen der in Europa seit einem Jahr, seit zwei Jahren und selbst noch früher gestohlenen Schmucksachen durchsiehst, so wirst du keine finden, die sich auf meine Kieselsteine bezieht ...«

»Wenn's so ist, warum bietest du sie mir an und nicht einem Juwelier? Er würde dir einen besseren Preis zahlen ...«

»Frag' ich dich vielleicht, warum du, reich wie du bist, in solch einem Loch haust? Du hast dein Geheimnis, ich hab' meins. Wollen wir keine Zeit verlieren, verdopple den Preis und die Sache ist gemacht.«

»Vierzigtausend rund.«

»Gemacht, vierzigtausend.«

Halz, der die Scheine aus dem Schrank geholt hatte, murmelte:

»Vierzigtausend! Vierzigtausend! Das ist ein Stück Geld ... Abgemacht ist abgemacht ... Hast du sonst nichts?«

»Da«, antwortete der Mann, zog aus seiner Tasche die drei Säckchen, leerte ihren Inhalt, wie er es mit dem ersten gemacht hatte; »dieselbe Ware, dasselbe Gewicht, der gleiche Preis.«

»Hundertzwanzigtausend!« rief der Steinhändler aus.

»Keinen Sou weniger.«

Er schickte sich an, seine Ware wieder einzupacken; Halz unterbrach ihn:

»Gott, hast du's eilig! Laß mich verschnaufen, zum Teufel! Ich überlege ... Wenn ich das Geld hätte, würde ich ja nichts sagen ... Aber ich hab' bloß die Hälfte ... Willst du sechzigtausend sofort und den Rest in drei Tagen? Kannst ganz beruhigt sein; das Geld ist sicher; mein Wort ist ebensogut wie ein Scheck.«

Während er noch sprach, zählte er bereits ein neues Geldpäckchen auf. Der Unbekannte schien zu zögern, dann entschloß er sich:

»Einverstanden.«

Halz wandte den Kopf zur Seite, um sein Lächeln zu verbergen, und zählte die Scheine mit nervösen Fingern.

»Siebenundfünfzig, achtundfünfzig, neunundfünfzig, sechzig.«

Der Mann nahm das Päckchen Banknoten und wandte sich zur Tür. Im Begriff, sie zu öffnen, drehte er sich auf dem Absatz um.

»Wenn man solch eine Summe bei sich hat, weiß man nie, ob einem nicht was Schlimmes begegnet ... Hast du nicht vielleicht einen Revolver zu verkaufen?«

»Einen Revolver? Doch, ich hab' gerade einen ausgezeichneten da.«

Er hielt einen großen Browning hin. Der Mann betrachtete ihn:

»Wieviel?«

»Hundert Francs.«

»Zieh' ab, ich hab' kein Kleingeld; da ist 'n Tausender.«

Halz wehrte ab.

»Laß doch! Ich werde diese Kleinigkeit vom Rest abziehen.«

»Wie du willst«, sagte der Unbekannte, und hob die Waffe hoch, als ob er den Mechanismus prüfen wollte.

Halz lächelte, machte eine freundschaftliche Bewegung mit der Hand und zog verschmitzt aus seiner rechten Tasche eine gleiche Waffe hervor!

» Dieser hier ist geladen, und ich brauchte nur eine kleine Bewegung zu machen, nicht wahr, um wieder in den Besitz meines Geldes zu kommen? Gestehe, an meiner Stelle würdest du nicht zögern.«

»Schieß doch!« brummte der Mann, wütend, daß man ihn so gut erraten hatte.

»Ich, schießen? Wo denkst du hin? Das Gefängnis, – schlimmstenfalls, – aber der Strick ... brrr! Möchtest du nun Patronen für den Weg? ...«

Der Mann schleuderte den Revolver mitten ins Zimmer und ging hinaus, indem er die Tür zuknallte. Halz sah, wie er sich mit großen Schritten entfernte und, unter dem Platzregen geduckt, um die Straßenecke bog. Er kehrte in seinen Laden zurück, streute den Inhalt der vier Säckchen auf den Ladentisch, betrachtete ihn lange mit Andacht, dann schüttelte ein Lachen seine Schultern, und er sagte laut:

»Einige Millionen für hundertzwanzigtausend Francs, ja, ja! Das ist nicht schlecht, alter Joachim!«

Aber das Geschäft war noch viel besser, als er dachte, denn der Unbekannte kehrte nie wieder, um den Rest des Geldes abzuholen.


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