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Seit dem Ruf in der Nacht hatte sich kein Ruf gleicher Art wiederholt. Drei Tage lang hatte man an Bord nur davon gesprochen; dann lenkten unbedeutende Ereignisse die Passagiere ab, und Valmont selbst dachte nicht mehr daran. Um so mehr, als eines Morgens Herr Hardant eine ziemlich befriedigende Erklärung gefunden hatte:
»Warum soll man schließlich nach einem Geheimnis suchen, wenn die Wahrheit vielleicht ganz einfach ist? Man baut Stationen an allen Punkten der Erde: wer kann sagen, ob diese Rufe nicht von Versuchen irgendeiner dieser Stationen herrühren? Zum Teufel nochmal, wenn sich ein Unglück ereignet hätte, würde man's schon erfahren haben!«
Und Craille schloß, indem er diese Erklärung annahm:
»So daß die Wiederholung dieses Phänomens noch nichts beweisen würde. Nur in einem einzigen Fall wären wir berechtigt, unsere Untersuchungen wiederaufzunehmen: und zwar, wenn die Mitteilungen ausführlich und klar werden. Dann aber würde das Problem gelöst sein, und die Liebhaber des Geheimnisvollen müßten ihre Hoffnungen zu Grabe tragen!«
In der Funkkabine erklärte Valmont Fräulein Hardant die Grundzüge der drahtlosen Telegraphier
»Zusammenfassend: eine drahtlose Station besteht im wesentlichen aus der Antenne, der Abstimmung, der Funkenstrecke, dem Kondensator, dem Transformator, dem Umschalter und dem Dynamo.«
Er hielt inne:
»Diese technischen Ausdrücke machen Ihnen wohl angst?«
»Aber nicht im mindesten«, entgegnete das junge Mädchen; »im Gegenteil, das, was Sie mir sagen, interessiert mich in größtem Maße.«
»Im übrigen«, beeilte sich Valmont hinzuzufügen, »sind wir damit bereits fertig; Sie sind eine ausgezeichnete Schülerin, und wir können jetzt zur Praxis übergehen. Diese ist unglaublich einfach, vorausgesetzt, daß man einiges Talent dafür hat. Und nun kann's losgehen. Alles ist still, nichts bewegt sich: mit einemmal zeigt Ihr Detektor den Durchgang eines Stromes an. Horchen Sie! Was hören Sie nun? Allerlei Geräusche, die einen sind kurz, die anderen sind lang: das sind die Zeichen des Morse-Alphabetes, von denen jedes einen Buchstaben darstellt; Sie werden sehr bald so weit sein, daß Sie sie wie ein gewöhnliches Alphabet ablesen können. Soweit das Hören. Was die Bedienung anbelangt, so ist sie ebenfalls wenig kompliziert. Sie werden sehen.«
Er begann nun langsam, ihr den Gang des Apparates zu zeigen. Therese hörte aufmerksam zu, mit reizendem Ernst. Alle Augenblicke fragte er ängstlich:
»Langweilt Sie das auch nicht? ...«
»Aber nein.«
»Wir können unterbrechen; wir werden später weitermachen ...«
»Aber nein.«
Sie empfand bei dieser Arbeit ein wirkliches Vergnügen, aus Wissensdurst, wie sie sagte; in Wirklichkeit war es hauptsächlich wegen der Annehmlichkeit, in der Nähe des Offiziers bleiben zu können. Er selbst vergaß manchmal seine Rolle als Lehrer, zögerte zwischen zwei Erklärungen, um das kleine niedliche Köpfchen zu betrachten, die Schönheit dieser schmeichelnden Augen, die bald vor Aufmerksamkeit ernst waren, bald durch eine vorübergehende Müdigkeit – vielleicht durch ein anderes Gefühl – unbeweglich und nachdenklich schienen.
Nach kaum zwei Unterrichtsstunden kannte Therese bereits das Alphabet. Als fleißige Schülerin studierte sie es auch in ihrer Kabine und war von ihrer Arbeit so gefesselt, daß sie sich an den Schiffsspielen nicht mehr beteiligte.
Ein anderer als Herr Hardant wäre durch die Neigung, die seine Tochter für einen einfachen Offizier zeigte, beunruhigt gewesen. Er aber fand nichts Schlimmes dabei, denn er liebte Therese zu sehr, um etwas gegen ihre Absichten und Neigungen zu unternehmen. Valmont war jung, arbeitsam und außerordentlich intelligent: mochte ihn Therese ruhig wählen, er würde ihm in der Gesellschaft eine Stellung sichern und ihm später seine eigene übertragen. Sein Vermögen war groß genug, so daß er sich keine Sorge machte, dasjenige seines Kindes zu vermehren.