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VII

»Herr Beurke?«

»Das bin ich selbst.«

»Mein Name ist Hardant, Direktor der Transozeanischen Gesellschaft.«

»Ah! Freut mich sehr! Haben Sie die Güte, Platz zu nehmen.«

»Ich komme nicht als Käufer zu Ihnen, sondern um einige Aufklärungen zu erbitten, die den Untergang meines Schiffes betreffen. Sie haben gewiß Nachrichten von Ihrem Teilhaber, Herrn Solding, und ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie, falls er Ihnen andere Einzelheiten mitgeteilt haben sollte als die veröffentlichten, mir diese zur Verfügung stellen würden.«

»Ich kann sogar mehr tun, als Ihnen den Inhalt eines Briefes mitzuteilen. Herr Solding ist seit zwei Tagen in Paris; er wird Ihnen selbst sagen, was er weiß. Da ist er übrigens.«

Eigentlich war Solding ein beleibtes, rosiges Männchen. Der Schiffbruch, die auf dem Boot zugebrachten Stunden hatten seine Gesundheit erschüttert, und sein Gesicht behielt einen tragischen Widerschein der durchlebten Ängste.

Der Unterschied zwischen ihm und seinem Teilhaber Beurke – groß, kräftig gebaut, schlank und sehnig – war auffallend.

»Gestatten Sie zunächst, mein Herr,« sagte Hardant ihn begrüßend, »daß ich meiner Freude Ausdruck gebe, Sie nach den furchtbaren Ereignissen lebend zu sehen.«

»Lebend schon,« sagte Solding etwas bestürzt, »aber in welchem Zustand! ...«

Er wies auf seine Weste, die ihm viel zu weit geworden war und blickte in den Spiegel, der das Bild seiner mitleiderregenden Wangen wiedergab.

»Das macht nichts ... das ist nicht so schlimm«, lächelte Herr Hardant. »Ich werde Sie aber nicht lange in Anspruch nehmen. Ich weiß, daß Sie erst vorgestern angekommen sind, und begreife Ihr Ruhebedürfnis. Es ist mir nur um einige Angaben über den Schiffbruch zu tun.«

Soldings Gesicht verdüsterte sich. Das Wort »Schiffbruch« genügte, um ihn in den Zustand äußerster Nervosität zu versetzen. Er erklärte es Herrn Hardant.

»Das ist begreiflich«, erwiderte dieser; »diese Nervosität zeigt sich übrigens auch in Ihrer Erzählung, in Ihrer Aussage vielmehr ... Denn sie ist nicht nur voller Einzelheiten über die Katastrophe selbst, sondern auch voller Erinnerungen, Mutmaßungen, Schlußfolgerungen.«

»Ich habe gesagt, was ich wußte«, antwortete Solding mit müder Stimme.

»Sie haben aber auch einige Sachen gesagt, die mehr als bloße Angaben, fast möchte ich sagen, Kommentare waren ... Wenn ich an Ihren Bericht denke ...«

»Mein Bericht ... mein Bericht,« brummte der Juwelier, »ich kenne ihn nicht mal selbst! Ich habe ihn nicht gelesen ... Sie können mir glauben, daß ich anderes im Kopf hatte, als ihn mit meinen Erinnerungen zu vergleichen ... Mein Bericht, Herr? Er enthält sicher neben den Sachen, die ich wirklich sagte, auch Sachen, die man mich hat sagen lassen. Der Reporter, der mich interviewte, hat oft nicht nur die Fragen, sondern auch die Antworten gemacht. Es ist möglich, daß der Sinn meiner Worte so gedeutet worden ist, daß ...«

»Gerade deswegen, um mir über diesen Punkt Klarheit zu verschaffen, lege ich Wert auf die Unterredung mit Ihnen.«

Eine Kundin trat ein und ließ sich von Beurke Schmuck vorlegen; Herr Hardant schlug vor:

»Vielleicht können wir anderswo ungestörter sprechen als hier? Ich wage nicht, Sie in mein Hotel zu bitten; da ich aber andererseits so schnell als möglich wieder abreisen möchte ...«

»Gut. Gehen wir herüber.«

Sie traten in einen kleinen Salon ein, der durch einen purpurroten Sammetvorhang vom Laden getrennt war.

»Sie sagten soeben,« begann Hardant, »daß Sie den Artikel, auf den ich anspielte, nicht gelesen hätten. Hier ist er; wollen Sie, bitte, davon Kenntnis nehmen und mir die Stellen bezeichnen, die sich nicht mit Ihren Aussagen decken.«

»Überflüssige Vorreden«, brummte der Juwelier in einem Ton unverhohlener Enttäuschung; »Sie scheinen mich einem Verhör unterziehen zu wollen.«

»Verhör ist ein starkes Wort dafür; ich möchte Ihnen nur einige Fragen stellen: das ist etwas anderes.«

»Mein Herr,« fiel ihm der kleine Mann ins Wort, »machen Sie bitte Gebrauch von dem, was gedruckt ist; ich habe nichts anderes zu sagen.«

»Ich fürchte, daß wir uns beide verrannt haben«, erwiderte Herr Hardant. »Sie sind nervös, was nach diesem Unglück zu begreifen ist; Sie werden verstehen, warum ich es ebenfalls bin, sobald ich Ihnen erklärt haben werde, in welche Unruhe mich der vorliegende Artikel versetzt hat. Denn er ist geeignet, einen Offizier zu beschuldigen, für den ich bis zum Gegenbeweis die größte Hochachtung bewahren werde.«

Dies war in einem höflichen und schmerzlichen Ton gesagt worden; Solding hatte seine Ruhe wiedergefunden, nahm die Zeitung und begann zu lesen. Herr Hardant beobachtete ihn. Das Gesicht des Lesers verriet in keinem Augenblick die geringste Überraschung, den leisesten Widerspruch.

»Das sind meine eigenen Worte«, sagte er zum Schluß.

»Wissen Sie, daß diese außerordentlich bedeutungsvoll sind«, murmelte Herr Hardant. »Vergleichen Sie die Tatsachen, bedenken Sie die Zusammenhänge, die – sehr verständliche – Sorge, Ihr Gut zu retten, die sonderbare Hartnäckigkeit, die der Kapitän der Erfüllung Ihres Wunsches entgegensetzte. Ohne daß jemand Ihre Erinnerungen beeinflußt, ohne daß jemand auf Ihre Gefühle eingewirkt hätte, lassen Sie von sich aus durchschimmern, daß der Kapitän der › Shanghai‹ ...«

Er hielt inne, trocknete sich die Stirn und fuhr fort:

»Jetzt muß ich zögern, ... einen Satz auszusprechen, an den Sie selbst vielleicht gar nicht gedacht haben ... und der, einmal ausgesprochen ... Sehen Sie, ich lese in Ihren Augen, daß Sie meine Angst ermessen, ... daß Sie die Worte, die ich auf den Lippen habe, erraten ... Es gibt Sätze, die ein Seemann ... die ein Chef nicht ...«

»Ich fühle nicht mehr Kraft dazu, als Sie selbst, mein Herr.«

»Also muß ich derjenige sein, der es ausspricht«, betonte Herr Hardant mit einer kaum hörbaren Stimme: »Sie glauben also: Kapitän Deherche wußte, daß sein Schiff untergehen würde?«

»Ja,« antwortete Solding, ohne zu zögern.

Herr Hardant sprang auf:

»Sind Sie sich über die Anschuldigung, die Sie soeben vorbrachten, klar? Das Verbrechen, dessen Sie diesen Offizier verdächtigen, ist vielleicht das unmenschlichste von allen! Baratterie! Das Verbrechen der Baratterie, das alle Marinen mit dem Tode bestrafen!«

Solding riß die Augen auf:

»Ich begreife nicht ... Es sei denn, daß es ein Verbrechen ist, sich darüber klar zu sein, daß das Schiff, das man befehligt, nicht in der Verfassung ist, in See zu stechen oder zumindest einem Sturm standzuhalten, wie dem, der uns heimgesucht hat. Herr Deherche machte den Eindruck eines ängstlichen Menschen, von der Last einer überwältigenden Verantwortung erdrückt, aber nicht den eines Verbrechers.«

Herr Hardant wurde plötzlich leichenblaß.

»Glauben Sie etwa auch an das Märchen vom schlechten Zustand der › Shanghai‹?«

»Ich glaube an nichts; ich sage, was ich gesehen habe.«

»Wenn es so wäre, muß man annehmen, daß die Gesellschaft sich schuldig gemacht hat, als sie das Schiff auf die Reise schickte?«

»Ich vermeide es, über Dinge zu sprechen, die ich nicht kenne; ich verstehe nichts von Schiffahrt, aber ich wiederhole, ich bin gezwungen, mich den Tatsachen zu beugen, vor allem, da die nachträglich von mir eingeholten Aufklärungen ihnen eine seltsame Überzeugungskraft verleihen.«

»Es würde zu weit führen, wenn man alle Gerüchte, die in Umlauf sind, ernst nehmen würde«, spottete Herr Hardant. »Auch Sie und Ihr Teilhaber sind nicht vor üblen Nachreden geschützt. Man sagt – ich beeile mich, hinzuzufügen, daß ich nicht daran glaube –, daß Sie Ihre Ladung, nicht wie Herr Beurke behauptete, unter Wert versichert hätten, sondern für das Doppelte ... wenn nicht für das Dreifache.«

»Das ist eine Lüge!« schrie der Juwelier.

»Wie soll man das jetzt beweisen, nachdem die Steine auf dem Meeresgrund liegen? Sie sehen, in welch schiefe Lage der ehrlichste Mensch kommen kann, sobald die Verleumdung einsetzt. Glauben Sie mir auf mein Ehrenwort, daß die › Shanghai‹ ein ausgezeichnetes Schiff war, genau so wie ich Ihnen glaube, wenn Sie mir erklären, daß Sie ein derartiges Manöver nicht durchgeführt haben ... Im übrigen ist es eine Kleinigkeit für mich, an Hand meiner Dokumente die Beweise für das, was ich über mein Schiff behaupte, zu erbringen ... Sie aber?«

Solding ereiferte sich:

»Ist denn unser finanzielles Mißgeschick noch nicht groß genug, daß man versucht, es durch abscheuliche Unterstellungen noch zu verschlimmern?«

»Und unseres?« entgegnete Herr Hardant bitter. »In all dem sind wir beide Opfer eines niederschmetternden Verhängnisses, und ich sehe nicht ein, weshalb man unvorhergesehene Ereignisse erfinden muß, um das Drama zu vergrößern. Bedenken Sie, daß ich Ihre Erzählung sofort entkräftigen könnte. Denn bevor die › Shanghai‹ in See stach, lag sie fünf Wochen im Trockendock; unsere Ingenieure und die unserer Versicherung haben sie von oben bis unten besichtigt; folglich sind wir also jeder Verantwortung enthoben. Ich handle aber als moralischer Vormund eines Kindes, dessen Vater bei dem Schiffbruch umkam. Und deswegen verlange ich von Ihnen, durch eine ruhig überlegte neue Erklärung die erste unter dem Druck einer begreiflichen Aufregung, einer entschuldbaren nervösen Erschütterung entstandene nicht etwa zurückzuziehen, sondern in der Übertriebenheit ihrer Ausdrücke abzuschwächen. Ich verlange das von Ihnen im Namen einer Witwe und eines Waisenknaben. Ich bin Vater; ich habe ein Kind, das ich über alles liebe; vielleicht sind auch Sie Vater? ... Sie werden verstehen.«

»Ich verstehe«, flüsterte Solding sehr erregt. »Noch heute abend werde ich diejenigen Punkte richtigstellen, die mein Gedächtnis nur mangelhaft wiedergegeben hat. In Wirklichkeit war ich mir der Tragweite meiner Erklärungen nicht bewußt. Ich wurde mir erst bei dem, was Sie sagten, darüber klar. Sicherlich war ich seit der Abreise unruhiger, als ich es wahr haben wollte. Und so haben denn die geringsten Begebenheiten Dimensionen angenommen ... Ich bin betrübt, tief betrübt. Wenn nur die arme Frau das nicht gelesen hat ... das wäre ja furchtbar.«

»Sie kennt diesen Artikel nicht ... Die Unglückliche hatte nicht den Mut, eine Zeitung zu öffnen.«

Solding atmete auf.

»Ach! Dann bin ich zufrieden.«

Während er sprach, hob sich der Vorhang, und Beurke erschien.

»Entschuldigen Sie, bitte ... Ich muß meinen Sozius einen Augenblick sprechen ... Es handelt sich um einen Posten Steine, die man uns anbietet, und ich möchte gern deine Meinung wissen ...«

Herr Hardant erhob sich:

»Ich wollte gehen, ich lasse Sie ...«

»Nein, eine Minute noch,« sagte Solding, »ich komme sofort wieder; ich muß Ihnen noch einiges sagen.«

Er faßte den Vorhang; bevor er ihn zur Seite schob, raunte ihm Beurke ins Ohr:

»Ansehen, betasten, wägen, aber schweigen!«

Solding betrachtete verwundert seinen Sozius; Beurke legte einen Finger auf seine Lippen und wiederholte:

»Schweig!«

Dann fuhr er mit lauter Stimme fort, als ob es sich um einen angefangenen Satz handelte:

»... nicht uninteressant; auf jeden Fall kann man ja mal sehen.«

Sie traten in den Laden. Der Kunde, der auf einem Stuhl mit dem Rücken zum Glasschrank saß, erhob sich ein wenig. Beurke trat hinter den Ladentisch und stellte vor:

»Mein Sozius.«

Der Unbekannte, dessen Augenlider hinter einer großen Brille zwinkerten, warf beim Anblick des Neugekommenen einen Blick auf die Straße. Beurke bemerkte es, fuhr aber in sehr natürlichem Tone fort, indem er sich weiterhin an Solding wandte, ohne den Unbekannten einen Moment aus den Augen zu verlieren:

»Der Herr möchte einige Steine verkaufen oder zumindest abschätzen lassen.«

»Nein, nicht abschätzen,« sagte der Kunde, »ich kenne den Wert der Sachen ...«

Dann lachte er befriedigt. Solding hatte sich gesetzt und, die Lupe in der Hand, betrachtete er die Steine, einen nach dem anderen. Es waren vier sehr schöne: ein Diamant, zwei Smaragde und ein Rubin.

»Wie findest du sie«, fragte Beurke.

»Hm ...«, murrte Solding, indem er wörtlich die Anweisungen seines Freundes befolgte.

»Nicht schön?« höhnte der Verkäufer, den Sinn des Brummens verkennend.

»Hm ...«, machte Solding zum zweitenmal, ohne den Kopf zu heben.

Aber Beurke antwortete an seiner Stelle:

»Doch, mein Sozius ist nur ein wenig wortkarg.«

»Es ist auch nicht so leicht, solche Steine nicht zu bewundern; sowas sieht man nicht alle Tage ...«

»Oder wenigstens selten«, sagte Solding, sein Schweigen aufgebend.

Während einer Sekunde schwiegen die drei Männer, die Augen auf die Steine geheftet.

Beurke unterbrach das Schweigen.

»Was verlangen Sie?«

»Hundertzwanzigtausend.«

»Donnerwetter!«

»Sie werden das Doppelte kriegen!«

»Hm ...«, machte Solding und rutschte auf seinem Stuhl hin und her.

»Ja,« schloß Beurke, »das Geschäft interessiert uns, und sobald Sie uns gesagt haben werden, woher Sie die Steine haben ...«

Die Augen des Unbekannten klapperten noch heftiger und er antwortete:

»Ist das nötig? ...«

»Unerläßlich.«

Er kratzte sich den Kopf:

»Ich verstehe, aber ich bin ja bloß ein Vermittler; die Person, die mich mit dem Verkauf beauftragt hat, will vielleicht nicht, daß ihr Name genannt wird, ... ich will sie also fragen ... Und wenn sie einverstanden ist ...«

Er langte mit den Fingern nach den Steinen; Solding bedeckte sie mit der Hand; Beurke schlug vor:

»Könnten Sie nicht telephonisch anfragen?«

»Nein«, sagte der Unbekannte mit veränderter Stimme.

»Ist die Person denn so hochstehend oder so geheimnisvoll?«

»Weder das eine noch das andere, aber geben Sie mir meine Steine wieder.«

»Ihre Steine? Ihre Steine?« lächelte Beurke.

Während er noch sprach, war er um den Tisch herumgegangen und wandte sich zur Tür, um dem Unbekannten den Weg zu versperren. Bevor er sie erreichte, stürzte sich dieser auf ihn, stieß mit dem Kopf gegen seine Brust, so daß er umfiel, raffte zwei der vier Steine, die auf dem Ladentisch funkelten, auf und, indem er die durch seinen Angriff hervorgerufene Bestürzung ausnützte, raste er zur Tür, öffnete sie und rannte mit einer Behendigkeit, die man ihm nicht zugetraut hätte, davon.

Die Arme in einer schützenden Bewegung ausgestreckt, brüllte Solding:

»Haltet den Dieb! Haltet den Dieb!«

Beurke hatte sich bereits erhoben und nahm die Verfolgung des Mannes auf.

Bei dem Lärm erschien Herr Hardant. Solding schrie noch immer und raufte sich die Haare.

»Was ist denn los?« fragte Herr Hardant.

»Gestohlen! ... Gestohlen!« stammelte Solding.

Hardant betrachtete die offene Tür und den geschlossenen Glasschrank.

»Gestohlen? Wo? Was? ...«

»Die Steine, die er uns verkaufen wollte ...«

»Sie verlieren den Verstand? Man stiehlt doch nicht, was man verkauft!«

Da schüttelte ihn Solding, dem die Augen aus dem Kopf hingen, an den Aufschlägen seines Rockes und schrie ihm ins Gesicht:

»Das waren die Steine, die ich, ich selbst, in den Tresor der ›Shanghai‹ eingeschlossen hatte!«


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