Gotthold Ephraim Lessing
Abhandlungen über die Fabel
Gotthold Ephraim Lessing

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IV. Von dem Vortrage der Fabeln

Wie soll die Fabel vorgetragen werden? Ist hierin Aesopus oder ist Phaedrus oder ist La Fontaine das wahre Muster?

Es ist nicht ausgemacht, ob Aesopus seine Fabeln selbst aufgeschrieben und in ein Buch zusammengetragen hat. Aber das ist so gut als ausgemacht, daß, wenn er es auch getan hat, doch keine einzige davon durchaus mit seinen eigenen Worten auf uns gekommen ist. Ich verstehe also hier die allerschönsten Fabeln in den verschiedenen griechischen Sammlungen, welchen man seinen Namen vorgesetzt hat. Nach diesen zu urteilen, war sein Vortrag von der äußersten Präzision; er hielt sich nirgends bei Beschreibungen auf; er kam sogleich zur Sache und eilte mit jedem Worte näher zum Ende; er kannte kein Mittel zwischen dem Notwendigen und Unnützen. So charakterisiert ihn de La Motte, und richtig. Diese Präzision und Kürze, worin er ein so großes Muster war, fanden die Alten der Natur der Fabel auch so angemessen, daß sie eine allgemeine Regel daraus machten. Theon unter andern dringet mit den ausdrücklichsten Worten darauf.

Auch Phaedrus, der sich vornahm die Erfindungen des Aesopus in Versen auszubilden, hat offenbar den festen Vorsatz gehabt, sich an diese Regel zu halten; und wo er davon abgekommen ist, scheinet ihn das Silbenmaß und der poetischere Stil, in welchen uns auch das allersimpelste Silbenmaß wie unvermeidlich verstrickt, gleichsam wider seinen Willen davon abgebracht zu haben.

Aber La Fontaine? Dieses sonderbare Genie! La Fontaine! Nein wider ihn selbst habe ich nichts; aber wider seine Nachahmer, wider seine blinden Verehrer! La Fontaine kannte die Alten zu gut, als daß er nicht hätte wissen sollen, was ihre Muster und die Natur zu einer vollkommenen Fabel erforderten. Er wußte es, daß die Kürze die Seele der Fabel sei; er gestand es zu, daß es ihr vornehmster Schmuck sei, ganz und gar keinen Schmuck zu haben. Er bekannteIn der Vorrede zu seinen Fabeln. mit der liebenswürdigsten Aufrichtigkeit, »daß man die zierliche Präzision und die außerordentliche Kürze, durch die sich Phaedrus so sehr empfehle, in seinen Fabeln nicht finden werde. Es wären dieses Eigenschaften, die zu erreichen, ihn seine Sprache zum Teil verhindert hätte; und bloß deswegen, weil er den Phaedrus darin nicht nachahmen können, habe er geglaubt, qu'il falloit en recompense egayer l'ouvrage plus qu'il n'a fait.« Alle die Lustigkeit, sagt er, durch die ich meine Fabeln aufgestützt habe, soll weiter nichts als eine etwanige Schadloshaltung für wesentlichere Schönheiten sein, die ich ihnen zu erteilen zu unvermögend gewesen bin. – Welch Bekenntnis! In meinen Augen macht ihm dieses Bekenntnis mehr Ehre als ihm alle seine Fabeln machen! Aber wie wunderbar ward es von dem französischen Publico aufgenommen! Es glaubte, La Fontaine wolle ein bloßes Kompliment machen, und hielt die Schadloshaltung unendlich höher als das, wofür sie geleistet war. Kaum konnte es auch anders sein; denn die Schadloshaltung hatte allzuviel reizendes für Franzosen, bei welchen nichts über die Lustigkeit gehet. Ein witziger Kopf unter ihnen, der hernach das Unglück hatte, hundert Jahr witzig zu bleibenFontenelle., meinte sogar, La Fontaine habe sich aus bloßer Albernheit (par betise) dem Phaedrus nachgesetzt; und de La Motte schrie über diesen Einfall: mot plaisant, mais solide!

Unterdessen, da La Fontaine seine lustige Schwatzhaftigkeit, durch ein so großes Muster, als ihm Phaedrus schien, verdammt glaubte, wollte er doch nicht ganz ohne Bedeckung von seiten des Altertums bleiben. Er setzte also hinzu: »Und meinen Fabeln diese Lustigkeit zu erteilen, habe ich um so viel eher wagen dürfen, da Quintilian lehret, man könne die Erzählungen nicht lustig genug machen (egayer). Ich brauche keine Ursache hiervon anzugeben; genug, daß es Quintilian sagt.« – Ich habe wider diese Autorität zweierlei zu erinnern. Es ist wahr, Quintilian sagt: Ego vero narrationem, ut si ullam partem orationis, omni, qua potest, gratia et venere exornandam putoQuinctilianus Inst. Orat. lib. IV. cap. 2., und dieses muß die Stelle sein, worauf sich La Fontaine stützet. Aber ist diese Grazie, diese Venus, die er der Erzählung soviel als möglich, obgleich nach Maßgebung der SacheSed plurimum refert, quae sit natura ejus rei, quam exponimus. Idem, ibidem., zu erteilen befiehlet, ist dieses Lustigkeit? Ich sollte meinen, daß gerade die Lustigkeit dadurch ausgeschlossen werde. Doch der Hauptpunkt ist hier dieser: Quintilian redet von der Erzählung des Facti in einer gerichtlichen Rede, und was er von dieser sagt, ziehet La Fontaine, wider die ausdrückliche Regel der Alten, auf die Fabel. Er hätte diese Regel unter andern bei dem Theon finden können. Der Grieche redet von dem Vortrage der Erzählung in der Chrie – wie plan, wie kurz muß die Erzählung in einer Chrie sein! – und setzt hinzu: εν δε τοις μυθοις απλουστεραν την ερμηνειαν ειναι δει και προσφυη· και ως δυνατον, ακατασκευον τε και σαφη: Die Erzählung der Fabel soll noch planer sein, sie soll zusammengepreßt, soviel als möglich ohne alle Zieraten und Figuren, mit der einzigen Deutlichkeit zufrieden sein.

Dem La Fontaine vergebe ich den Mißbrauch dieser Autorität des Quintilians gar gern. Man weiß ja, wie die Franzosen überhaupt die Alten lesen! Lesen sie doch ihre eigene Autores mit der unverzeihlichsten Flatterhaftigkeit. Hier ist gleich ein Exempel! De La Motte sagt von dem La Fontaine: Tout Original qu'il est dans les manieres, il etoit Admirateur des Anciens jusqu'a la prevention, comme s'ils eussent été ses modeles. La brieveté, dit-il, est l'ame de la Fable, et il est inutile d'en apporter des raisons, c'est assez que Quintilien l'ait dit.Discours sur la Fable, p. 17. Man kann nicht verstümmelter anführen, als de La Motte hier den La Fontaine anführet! La Fontaine legt es einem ganz andern Kunstrichter in den Mund, daß die Kürze die Seele der Fabel sei, oder spricht es vielmehr in seiner eigenen Person; er beruft sich nicht wegen der Kürze, sondern wegen der Munterkeit, die in den Erzählungen herrschen solle, auf das Zeugnis des Quintilians, und würde sich wegen jener sehr schlecht auf ihn berufen haben, weil man jenen Ausspruch nirgend bei ihm findet.

Ich komme auf die Sache selbst zurück. Der allgemeine Beifall, den La Fontaine mit seiner muntern Art zu erzählen erhielt, machte, daß man nach und nach die aesopische Fabel von einer ganz andern Seite betrachtete, als sie die Alten betrachtet hatten. Bei den Alten gehörte die Fabel zu dem Gebiete der Philosophie, und aus diesem holten sie die Lehrer der Redekunst in das ihrige herüber. Aristoteles hat nicht in seiner Dichtkunst, sondern in seiner Rhetorik davon gehandelt; und was Aphthonius und Theon davon sagen, das sagen sie gleichfalls in Vorübungen der Rhetorik. Auch bei den Neuern muß man das, was man von der aesopischen Fabel wissen will, durchaus in Rhetoriken suchen; bis auf die Zeiten des La Fontaine. Ihm gelang es die Fabel zu einem anmutigen poetischen Spielwerke zu machen, er bezauberte, er bekam eine Menge Nachahmer, die den Namen eines Dichters nicht wohlfeiler erhalten zu können glaubten als durch solche in lustigen Versen ausgedehnte und gewässerte Fabeln; die Lehrer der Dichtkunst griffen zu; die Lehrer der Redekunst ließen den Eingriff geschehen; diese hörten auf, die Fabel als ein sicheres Mittel zur lebendigen Überzeugung anzupreisen; und jene fingen dafür an, sie als ein Kinderspiel zu betrachten, das sie, soviel als möglich auszuputzen, uns lehren müßten. – So stehen wir noch! –

Ein Mann, der aus der Schule der Alten kömmt, wo ihm jene ερμηνεια ακατασκευος der Fabel so oft empfohlen worden, kann der wissen, woran er ist, wenn er z. E. bei dem Batteux ein langes Verzeichnis von Zieraten lieset, deren die Erzählung der Fabel fähig sein soll? Er muß voller Verwunderung fragen: so hat sich denn bei den Neuern ganz das Wesen der Dinge verändert? Denn alle diese Zieraten streiten mit dem wirklichen Wesen der Fabel. Ich will es beweisen.

Wenn ich mir einer moralischen Wahrheit durch die Fabel bewußt werden soll, so muß ich die Fabel auf einmal übersehen können; und um sie auf einmal übersehen zu können, muß sie so kurz sein als möglich. Alle Zieraten aber sind dieser Kürze entgegen; denn ohne sie würde sie noch kürzer sein können: folglich streiten alle Zieraten, insofern sie leere Verlängerungen sind, mit der Absicht der Fabel.

Z. E eben mit zur Erreichung dieser Kürze braucht die Fabel gern die allerbekanntesten Tiere; damit sie weiter nichts als ihren einzigen Namen nennen darf, um einen ganzen Charakter zu schildern, um Eigenschaften zu bemerken, die ihr ohne diese Namen allzuviel Worte kosten würden. Nun höre man den Batteux: »Diese Zieraten bestehen erstlich in Gemälden, Beschreibungen, Zeichnungen der Örter, der Personen, der Stellungen.« – Das heißt: Man muß nicht schlechtweg z. E. ein Fuchs sagen, sondern man muß fein sagen:

Un vieux Renard, mais des plus fins,
Grand croqueur de poulets, grand preneur de lapins,
Sentant son Renard d'un lieue etc.

Der Fabulist brauchet Fuchs, um mit einer einzigen Silbe ein individuelles Bild eines witzigen Schalks zu entwerfen; und der Poet will lieber von dieser Bequemlichkeit nichts wissen, will ihr entsagen, ehe man ihm die Gelegenheit nehmen soll, eine lustige Beschreibung von einem Dinge zu machen, dessen ganzer Vorzug hier eben dieser ist, daß es keine Beschreibung bedarf.

Der Fabulist will in einer Fabel nur eine Moral zur Intuition bringen. Er wird es also sorgfältig vermeiden, die Teile derselben so einzurichten, daß sie uns Anlaß geben, irgendeine andere Wahrheit in ihnen zu erkennen, als wir in allen Teilen zusammengenommen erkennen sollen. Viel weniger wird er eine solche fremde Wahrheit mit ausdrücklichen Worten einfließen lassen, damit er unsere Aufmerksamkeit nicht von seinem Zwecke abbringe oder wenigstens schwäche, indem er sie unter mehrere allgemeine moralische Sätze teilet. – Aber Batteux, was sagt der? »Die zweite Zierat, sagt er, bestehet in den Gedanken; nämlich in solchen Gedanken, die hervorstechen und sich von den übrigen auf eine besondere Art unterscheiden.«

Nicht minder widersinnig ist seine dritte Zierat, die Allusion – Doch wer streitet denn mit mir? Batteux selbst gesteht es ja mit ausdrücklichen Worten, »daß dieses nur Zieraten solcher Erzählungen sind, die vornehmlich zur Belustigung gemacht werden«. Und für eine solche Erzählung hält er die Fabel? Warum bin ich so eigensinnig, sie auch nicht dafür zu halten? Warum habe ich nur ihren Nutzen im Sinne? Warum glaube ich, daß dieser Nutzen seinem Wesen nach schon anmutig genug ist, um aller fremden Annehmlichkeiten entbehren zu können? Freilich geht es dem La Fontaine, und allen seinen Nachahmern, wie meinem Manne mit dem BogenS. die erste Fabel des dritten Buchs. ; der Mann wollte, daß sein Bogen mehr als glatt sei; er ließ Zieraten darauf schnitzen; und der Künstler verstand sehr wohl, was für Zieraten auf einen Bogen gehörten; er schnitzte eine Jagd darauf: nun will der Mann den Bogen versuchen, und er zerbricht. Aber war das die Schuld des Künstlers? Wer hieß den Mann, so wie zuvor, damit zu schießen? Er hätte den geschnitzten Bogen nunmehr fein in seiner Rüstkammer aufhängen und seine Augen daran weiden sollen! Mit einem solchen Bogen schießen zu wollen! – Freilich würde nun auch Plato, der die Dichter alle mitsamt ihrem Homer aus seiner Republik verbannte, dem Aesopus aber einen rühmlichen Platz darin vergönnte, freilich würde auch er nunmehr zu dem Aesopus, so wie ihn La Fontaine verkleidet hat, sagen: Freund, wir kennen einander nicht mehr! Geh auch du deinen Gang! Aber, was geht es uns an, was so ein alter Grillenfänger, wie Plato, sagen würde? –

Vollkommen richtig! Unterdessen, da ich so sehr billig bin, hoffe ich, daß man es auch einigermaßen gegen mich sein wird. Ich habe die erhabene Absicht, die Welt mit meinen Fabeln zu belustigen, leider nicht gehabt; ich hatte mein Augenmerk nur immer auf diese oder jene Sittenlehre, die ich, meistens zu meiner eigenen Erbauung, gern in besondern Fällen übersehen wollte; und zu diesem Gebrauche glaubte ich meine Erdichtungen nicht kurz, nicht trocken genug aufschreiben zu können. Wenn ich aber itzt die Welt gleich nicht belustige, so könnte sie doch mit der Zeit vielleicht durch mich belustiget werden. Man erzählt ja die neuen Fabeln des Abstemius ebensowohl als die alten Fabeln des Aesopus in Versen; wer weiß, was meinen Fabeln aufbehalten ist und ob man auch sie nicht einmal mit aller möglichen Lustigkeit erzählet, wenn sie sich anders durch ihren innern Wert eine Zeitlang in dem Andenken der Welt erhalten? In dieser Betrachtung also, bitte ich voritzo mit meiner Prosa –

Aber ich bilde mir ein, daß man mich meine Bitte nicht einmal aussagen läßt. Wenn ich mit der allzumuntern und leicht auf Umwege fahrenden Erzählungsart des La Fontaine nicht zufrieden war, mußte ich darum auf das andere Extremum verfallen? Warum wandte ich mich nicht auf die Mittelstraße des Phaedrus und erzählte in der zierlichen Kürze des Römers, aber doch in Versen? Denn prosaische Fabeln; wer wird die lesen wollen! – Diesen Vorwurf werde ich ohnfehlbar zu hören bekommen. Was will ich im voraus darauf antworten? Zweierlei. Erstlich, was man mir am leichtesten glauben wird: ich fühlte mich zu unfähig, jene zierliche Kürze in Versen zu erreichen. La Fontaine, der ebendas bei sich fühlte, schob die Schuld auf seine Sprache. Ich habe von der meinigen eine zu gute Meinung und glaube überhaupt, daß ein Genie seiner angebornen Sprache, sie mag sein, welche es will, eine Form erteilen kann, welche er will. Für ein Genie sind die Sprachen alle von einer Natur; und die Schuld ist also einzig und allein meine. Ich habe die Versifikation nie so in meiner Gewalt gehabt, daß ich auf keine Weise besorgen dürfen, das Silbenmaß und der Reim werde hier und da den Meister über mich spielen. Geschähe das, so wäre es ja um die Kürze getan und vielleicht noch um mehr wesentliche Eigenschaften der guten Fabel. Denn zweitens – Ich muß es nur gestehen; ich hin mit dem Phaedrus nicht so recht zufrieden. De La Motte hatte ihm weiter nichts vorzuwerfen, als »daß er seine Moral oft zu Anfange der Fabeln setze und daß er uns manchmal eine allzu unbestimmte Moral gebe, die nicht deutlich genug aus der Allegorie entspringe«. Der erste Vorwurf betrifft eine wahre Kleinigkeit; der zweite ist unendlich wichtiger, und leider gegründet. Doch ich will nicht fremde Beschuldigungen rechtfertigen; sondern meine eigne vorbringen. Sie läuft dahinaus, daß Phaedrus, sooft er sich von der Einfalt der griechischen Fabeln auch nur einen Schritt entfernt, einen plumpen Fehler begehet. Wieviel Beweise will man? Z. E.

Fab. 4. Libri I
        Canis per flumen, carnem dum ferret natans,
Lympharum in speculo vidit simulacrum suum etc.

Es ist unmöglich; wenn der Hund durch den Fluß geschwommen ist, so hat er das Wasser um sich her notwendig so getrübt, daß er sein Bildnis unmöglich darin sehen können. Die griechischen Fabeln sagen: Κυων κρεας εχουσα ποταμον διεβαινε; das braucht weiter nichts zu heißen, als: er ging über den Fluß; auf einem niedrigen Steige muß man sich vorstellen. Aphthonius bestimmt diesen Umstand noch behutsamer: Κρεας αρπασασα τις κυων παρ' αυτην διηει την οχθην; der Hund ging an dem Ufer des Flusses.

Fab. 5. Lib. I
        Vacca et capella, et patiens ovis injuriae,
Socii fuere cum leone in saltibus.

Welch eine Gesellschaft! Wie war es möglich, daß sich diese viere zu einem Zwecke vereinigen konnten? Und zwar zur Jagd! Diese Ungereimtheit haben die Kunstrichter schon öfters angemerkt; aber noch keiner hat zugleich anmerken wollen, daß sie von des Phaedrus eigener Erfindung ist. Im Griechischen ist diese Fabel zwischen dem Löwen und dem wilden Esel (Οναγρος). Von dem wilden Esel ist es bekannt, daß er ludert; und folglich konnte er an der Beute teilnehmen. Wie elend ist ferner die Teilung bei dem Phaedrus:

Ego primam tollo, nominor quia leo;
Secundam, quia sum fortis, tribuetis mihi;
Tum quia plus valeo, me sequetur tertia;
Male afficietur, si quis quartam tetigerit.

Wie vortrefflich hingegen ist sie im Griechischen! Der Löwe macht sogleich drei Teile; denn von jeder Beute ward bei den Alten ein Teil für den König oder für die Schatzkammer des Staats beiseite gelegt. Und dieses Teil, sagt der Löwe, gehöret mir, βασιλευς γαρ ειμι; das zweite Teil gehört mir auch, ως εξ ισου κοινωνων, nach dem Rechte der gleichen Teilung; und das dritte Teil κακον μεγα σοι ποιησει, ει μη εθελης φυγειν.

Fab. 11. Lib. I
        Venari asello comite cum vellet leo,
Contexit illum frutice, et admonuit simul,
Ut insueta voce terreret feras etc.
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Quae dum paventes exitus notos petunt,
Leonis affliguntur horrendo impetu.

Der Löwe verbirgt den Esel in das Gesträuche; der Esel schreiet; die Tiere erschrecken in ihren Lagern, und da sie durch die bekannten Ausgänge davonfliehen wollen, fallen sie dem Löwen in die Klauen. Wie ging das zu? Konnte jedes nur durch einen Ausgang davonkommen? Warum mußte es gleich den wählen, an welchem der Löwe lauerte? Oder konnte der Löwe überall sein? – Wie vortrefflich fallen in der griechischen Fabel alle diese Schwierigkeiten weg! Der Löwe und der Esel kommen da vor eine Höhle, in der sich wilde Ziegen aufhalten. Der Löwe schickt den Esel hinein; der Esel scheucht mit seiner fürchterlichen Stimme die wilden Ziegen heraus, und so können sie dem Löwen, der ihrer an dem Eingange wartet, nicht entgehen.

Fab. 9. Libr. IV
        Peras imposuit Jupiter nobis duas,
Propriis repletam vitiis post tergum dedit,
Alienis ante pectus suspendit gravem.

Jupiter hat uns diese zwei Säcke aufgelegt? Er ist also selbst Schuld, daß wir unsere eigene Fehler nicht sehen und nur scharfsichtige Tadler der Fehler unsers Nächsten sind? Wieviel fehlt dieser Ungereimtheit zu einer förmlichen Gotteslästerung? Die bessern Griechen lassen durchgängig den Jupiter hier aus dem Spiele; sie sagen schlechtweg: Ανθρωπος δυο πηρας εκαστος φερει; oder: δυο πηρας εξημμεθα του τραχηλου usw.

Genug für eine Probe! Ich behalte mir vor, meine Beschuldigung an einem andern Orte umständlicher zu erweisen, und vielleicht durch eine eigene Ausgabe des Phaedrus.


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