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Batteux erkläret die Fabel kurzweg durch die Erzählung einer allegorischen HandlungPrincipes de Litterature, Tome II. I. Partie p. V. L'Apologue est le recit d'une action allegorique etc.. Weil er es zum Wesen der Allegorie macht, daß sie eine Lehre oder Wahrheit verberge, so hat er ohne Zweifel geglaubt, des moralischen Satzes, der in der Fabel zum Grunde liegt, in ihrer Erklärung gar nicht erwähnen zu dürfen. Man siehet sogleich, was von meinen bisherigen Anmerkungen auch wider diese Erklärung anzuwenden ist. Ich will mich daher nicht wiederholen, sondern bloß die fernere Erklärung, welche Batteux von der Handlung gibt, untersuchen.
»Eine Handlung, sagt Batteux, ist eine Unternehmung, die mit Wahl und Absicht geschiehet. – Die Handlung setzet, außer dem Leben und der Wirksamkeit, auch Wahl und Endzweck voraus und kömmt nur vernünftigen Wesen zu.«
Wenn diese Erklärung ihre Richtigkeit hat, so mögen wir nur neun Zehnteile von allen existierenden Fabeln ausstreichen. Aesopus selbst wird alsdann deren kaum zwei oder drei gemacht haben, welche die Probe halten. – »Zwei Hähne kämpfen miteinander. Der Besiegte verkriecht sich. Der Sieger fliegt auf das Dach, schlägt stolz mit den Flügeln und krähet. Plötzlich schießt ein Adler auf den Sieger herab und zerfleischt ihn.«Aesop. Fab. 145. – Ich habe das allezeit für eine sehr glückliche Fabel gehalten, und doch fehlt ihr, nach dem Batteux, die Handlung. Denn wo ist hier eine Unternehmung, die mit Wahl und Absicht geschähe? – »Der Hirsch betrachtet sich in einer spiegelnden Quelle, er schämt sich seiner dürren Läufte und freuet sich seines stolzen Geweihes. Aber nicht lange! Hinter ihm ertönet die Jagd, seine dürren Läufte bringen ihn glücklich ins Gehölze, da verstrickt ihn sein stolzes Geweih, er wird erreicht.«Fab. Aesop. 181. – Auch hier sehe ich keine Unternehmung, keine Absicht. Die Jagd ist zwar eine Unternehmung, und der fliehende Hirsch hat die Absicht, sich zu retten, aber beide Umstände gehören eigentlich nicht zur Fabel, weil man sie, ohne Nachteil derselben, weglassen und verändern kann. Und dennoch fehlt es ihr nicht an Handlung. Denn die Handlung liegt in dem falsch befundenen Urteile des Hirsches. Der Hirsch urteilet falsch und lernet gleich darauf aus der Erfahrung, daß er falsch geurteilet habe. Hier ist also eine Folge von Veränderungen, die einen einzigen anschauenden Begriff in mir erwecken. – Und das ist meine obige Erklärung der Handlung, von der ich glaube, daß sie auf alle gute Fabeln passen wird.
Gibt es aber doch wohl Kunstrichter, welche einen noch engern, und zwar so materiellen Begriff mit dem Worte Handlung verbinden, daß sie nirgends Handlung sehen, als wo die Körper so tätig sind, daß sie eine gewisse Veränderung des Raumes erfordern. Sie finden in keinem Trauerspiele Handlung, als wo der Liebhaber zu Füßen fällt, die Prinzessin ohnmächtig wird, die Helden sich balgen, und in keiner Fabel, als wo der Fuchs springt, der Wolf zerreißet und der Frosch die Maus sich an das Bein bindet. Es hat ihnen nie beifallen wollen, daß auch jeder innere Kampf von Leidenschaften, jede Folge von verschiedenen Gedanken, wo eine die andere aufhebt, eine Handlung sei; vielleicht weil sie viel zu mechanisch denken und fühlen, als daß sie sich irgendeiner Tätigkeit dabei bewußt wären. – Ernsthafter sie zu widerlegen würde eine unnütze Mühe sein. Es ist aber nur schade, daß sie sich einigermaßen mit dem Batteux schützen, wenigstens behaupten können, ihre Erklärung mit ihm aus einerlei Fabeln abstrahieret zu haben. Denn wirklich, auf welche Fabel die Erklärung des Batteux passet, passet auch ihre, so abgeschmackt sie immer ist.
Batteux, wie ich wohl darauf wetten wollte, hat bei seiner Erklärung nur die erste Fabel des Phaedrus vor Augen gehabt, die er, mehr als einmal, une des plus belles et des plus celebres de l'antiquité nennet. Es ist wahr, in dieser ist die Handlung ein Unternehmen, das mit Wahl und Absicht geschiehet. Der Wolf nimmt sich vor, das Schaf zu zerreißen, fauce improba incitatus; er will es aber nicht so plump zu, er will es mit einem Scheine des Rechts tun, und also jurgii causam intulit. – Ich spreche dieser Fabel ihr Lob nicht ab; sie ist so vollkommen, als sie nur sein kann. Allein sie ist nicht deswegen vollkommen, weil ihre Handlung ein Unternehmen ist, das mit Wahl und Absicht geschiehet, sondern weil sie ihrer Moral, die von einem solchen Unternehmen spricht, ein völliges Genüge tut. Die Moral istFab. Aesop. 230.: οις προθεσις αδικειν, παρ' αυτοις ου δικαιολογια ισχυει. Wer den Vorsatz hat, einen Unschuldigen zu unterdrücken, der wird es zwar μετ' ευλογου αιτιας zu tun suchen; er wird einen scheinbaren Vorwand wählen, aber sich im geringsten nicht von seinem einmal gefaßten Entschlusse abbringen lassen, wenn sein Vorwand gleich völlig zuschanden gemacht wird. Diese Moral redet von einem Vorsatze (dessein); sie redet von gewissen, vor andern vorzüglich gewählten Mitteln, diesen Vorsatz zu vollführen (choix): und folglich muß auch in der Fabel etwas sein, was diesem Vorsatze, diesen gewählten Mitteln entspricht; es muß in der Fabel sich ein Unternehmen finden, das mit Wahl und Absicht geschiehet. Bloß dadurch wird sie zu einer vollkommenen Fabel, welches sie nicht sein würde, wenn sie den geringsten Zug mehr oder weniger enthielte als, den Lehrsatz anschauend zu machen, nötig ist. Batteux bemerkt alle ihre kleinen Schönheiten des Ausdrucks und stellet sie von dieser Seite in ein sehr vorteilhaftes Licht; nur ihre wesentliche Vortrefflichkeit läßt er unerörtert und verleitet seine Leser sogar, sie zu verkennen. Er sagt nämlich, die Moral, die aus dieser Fabel fließe, sei: que le plus faible est souvent opprimé par le plus fort. Wie seicht! Wie falsch! Wenn sie weiter nichts als dieses lehren sollte, so hätte wahrlich der Dichter die fictae causae des Wolfs sehr vergebens, sehr für die Langeweile erfunden; seine Fabel sagte mehr, als er damit hätte sagen wollen, und wäre, mit einem Worte, schlecht.
Ich will mich nicht in mehrere Exempel zerstreuen. Man untersuche es nur selbst, und man wird durchgängig finden, daß es bloß von der Beschaffenheit des Lehrsatzes abhängt, ob die Fabel eine solche Handlung, wie sie Batteux ohne Ausnahme fodert, haben muß oder entbehren kann. Der Lehrsatz der itzt erwähnten Fabel des Phaedrus machte sie, wie wir gesehen, notwendig, aber tun es deswegen alle Lehrsätze? Sind alle Lehrsätze von dieser Art? Oder haben allein die, welche es sind, das Recht, in eine Fabel eingekleidet zu werden? Ist z. E. der Erfahrungssatz
Laudatis utiliora quae contemseris Saepe inveniri |
nicht wert, in einem einzeln Falle, welcher die Stelle einer Demonstration vertreten kann, erkannt zu werden? Und wenn er es ist, was für ein Unternehmen, was für eine Absicht, was für eine Wahl liegt darin, welche der Dichter auch in der Fabel auszudrücken gehalten wäre?
So viel ist wahr: wenn aus einem Erfahrungssatze unmittelbar eine Pflicht, etwas zu tun oder zu lassen, folget, so tut der Dichter besser, wenn er die Pflicht, als wenn er den bloßen Erfahrungssatz in seiner Fabel ausdrückt. – »Groß sein ist nicht immer ein Glück« – diesen Erfahrungssatz in eine schöne Fabel zu bringen möchte kaum möglich sein. Die obige Fabel von dem Fischer, welcher nur der größten Fische habhaft bleibet, indem die kleinern glücklich durch das Netz durchschlupfen, ist, in mehr als einer Betrachtung, ein sehr mißlungener Versuch. Aber wer heißt auch dem Dichter, die Wahrheit von dieser schielenden und unfruchtbaren Seite nehmen? Wenn groß sein nicht immer ein Glück ist, so ist es oft ein Unglück; und wehe dem, der wider seinen Willen groß ward, den das Glück ohne sein Zutun erhob, um ihn ohne sein Verschulden desto elender zu machen! Die großen Fische mußten groß werden; es stand nicht bei ihnen, klein zu bleiben. Ich danke dem Dichter für kein Bild, in welchem ebenso viele ihr Unglück als ihr Glück erkennen. Er soll niemanden mit seinen Umständen unzufrieden machen; und hier macht er doch, daß es die Großen mit den ihrigen sein müssen. Nicht das Großsein, sondern die eitele Begierde groß zu werden (κενοδοξιαν), sollte er uns als eine Quelle des Unglücks zeigen. Und das tat jener AlteFab. Aesop. 243. Phaedrus libr. IV. Fab. 5., der die Fabel von den Mäusen und Wieseln erzählte. »Die Mäuse glaubten, daß sie nur deswegen in ihrem Kriege mit den Wieseln so unglücklich wären, weil sie keine Heerführer hätten, und beschlossen, dergleichen zu wählen. Wie rang nicht diese und jene ehrgeizige Maus, es zu werden! Und wie teuer kam ihr am Ende dieser Vorzug zu stehen! Die Eiteln banden sich Hörner auf,
— — — ut conspicuum in praelio Haberent signum, quod sequerentur milites, |
und diese Hörner, als ihr Heer dennoch wieder geschlagen ward, hinderten sie, sich in ihre engen Löcher zu retten,
Haesere in portis, suntque capti ab hostibus Quos immolatos victor avidis dentibus Capacis alvi mersit tartareo specu.« |
Diese Fabel ist ungleich schöner. Wodurch ist sie es aber anders geworden, als dadurch, daß der Dichter die Moral bestimmter und fruchtbarer angenommen hat? Er hat das Bestreben nach einer eiteln Größe, und nicht die Größe überhaupt, zu seinem Gegenstande gewählet; und nur durch dieses Bestreben, durch diese eitle Größe, ist natürlicherweise auch in seine Fabel das Leben gekommen, das uns so sehr in ihr gefällt.
Überhaupt hat Batteux die Handlung der aesopischen Fabel mit der Handlung der Epopee und des Drama viel zu sehr verwirrt. Die Handlung der beiden letztern muß außer der Absicht, welche der Dichter damit verbindet, auch eine innere, ihr selbst zukommende Absicht haben. Die Handlung der erstern braucht diese innere Absicht nicht, und sie ist vollkommen genug, wenn nur der Dichter seine Absicht damit erreichet. Der heroische und dramatische Dichter machen die Erregung der Leidenschaften zu ihrem vornehmsten Endzwecke. Er kann sie aber nicht anders erregen als durch nachgeahmte Leidenschaften; und nachahmen kann er die Leidenschaften nicht anders, als wenn er ihnen gewisse Ziele setzet, welchen sie sich zu nähern oder von welchen sie sich zu entfernen streben. Er muß also in die Handlung selbst Absichten legen, und diese Absichten unter eine Hauptabsicht so zu bringen wissen, daß verschiedene Leidenschaften nebeneinander bestehen können. Der Fabuliste hingegen hat mit unsern Leidenschaften nichts zu tun, sondern allein mit unserer Erkenntnis. Er will uns von irgendeiner einzeln moralischen Wahrheit lebendig überzeugen. Das ist seine Absicht, und diese sucht er, nach Maßgebung der Wahrheit, durch die sinnliche Vorstellung einer Handlung bald mit, bald ohne Absichten zu erhalten. Sobald er sie erhalten hat, ist es ihm gleichviel, ob die von ihm erdichtete Handlung ihre innere Endschaft erreicht hat oder nicht. Er läßt seine Personen oft mitten auf dem Wege stehen und denket im geringsten nicht daran, unserer Neugierde ihretwegen ein Genüge zu tun. »Der Wolf beschuldiget den Fuchs eines Diebstahls. Der Fuchs leugnet die Tat. Der Affe soll Richter sein. Kläger und Beklagter bringen ihre Gründe und Gegengründe vor. Endlich schreitet der Affe zum UrteilPhaedrus libr. I. Fab. 10.:
Tu non videris perdidisse, quod petis; Te credo surripuisse, quod pulchre negas.« |
Die Fabel ist aus; denn in dem Urteil des Affen lieget die Moral, die der Fabulist zum Augenmerke gehabt hat. Ist aber das Unternehmen aus, das uns der Anfang derselben verspricht? Man bringe diese Geschichte in Gedanken auf die komische Bühne, und man wird sogleich sehen, daß sie durch einen sinnreichen Einfall abgeschnitten, aber nicht geendigt ist. Der Zuschauer ist nicht zufrieden, wenn er voraussiehet, daß die Streitigkeit hinter der Szene wieder von vorne angehen muß. – »Ein armer geplagter Greis ward unwillig, warf seine Last von dem Rücken und rief den Tod. Der Tod erscheinet. Der Greis erschrickt und fühlt betroffen, daß elend leben doch besser als gar nicht leben ist. Nun, was soll ich? fragt der Tod. Ach, lieber Tod, mir meine Last wieder aufhelfen.«Fab. Aesop. 20. – Der Fabulist ist glücklich und zu unserm Vergnügen an seinem Ziele. Aber auch die Geschichte? Wie ging es dem Greise? Ließ ihn der Tod leben, oder nahm er ihn mit? Um alle solche Fragen bekümmert sich der Fabulist nicht; der dramatische Dichter aber muß ihnen vorbauen.
Und so wird man hundert Beispiele finden, daß wir uns zu einer Handlung für die Fabel mit weit wenigerm begnügen als zu einer Handlung für das Heldengedichte oder das Drama. Will man daher eine allgemeine Erklärung von der Handlung geben, so kann man unmöglich die Erklärung des Batteux dafür brauchen, sondern muß sie notwendig so weitläuftig machen, als ich es oben getan habe. – Aber der Sprachgebrauch? wird man einwerfen. Ich gestehe es; dem Sprachgebrauche nach heißt gemeiniglich das eine Handlung, was einem gewissen Vorsatze zufolge unternommen wird; dem Sprachgebrauche nach muß dieser Vorsatz ganz erreicht sein, wenn man soll sagen können, daß die Handlung zu Ende sei. Allein was folgt hieraus? Dieses: wem der Sprachgebrauch so gar heilig ist, daß er ihn auf keine Weise zu verletzen wagt, der enthalte sich des Wortes Handlung, insofern es eine wesentliche Eigenschaft der Fabel ausdrücken soll, ganz und gar. –
Und, alles wohl überlegt, dem Rate werde ich selbst folgen. Ich will nicht sagen, die moralische Lehre werde in der Fabel durch eine Handlung ausgedrückt, sondern ich will lieber ein Wort von einem weitern Umfange suchen und sagen, der allgemeine Satz werde durch die Fabel auf einen einzeln Fall zurückgeführet. Dieser einzelne Fall wird allezeit das sein, was ich oben unter dem Worte Handlung verstanden habe; das aber, was Batteux darunter verstehet, wird er nur dann und wann sein. Er wird allezeit eine Folge von Veränderungen sein, die durch die Absicht, die der Fabulist damit verbindet, zu einem Ganzen werden. Sind sie es auch außer dieser Absicht, desto besser! Eine Folge von Veränderungen – daß es aber Veränderungen freier, moralischer Wesen sein müssen, verstehet sich von selbst. Denn sie sollen einen Fall ausmachen, der unter einem Allgemeinen, das sich nur von moralischen Wesen sagen läßt, mit begriffen ist. Und darin hat Batteux freilich recht, daß das, was er die Handlung der Fabel nennet, bloß vernünftigen Wesen zukomme. Nur kömmt es ihnen nicht deswegen zu, weil es ein Unternehmen mit Absicht ist, sondern weil es Freiheit voraussetzt. Denn die Freiheit handelt zwar allezeit aus Gründen, aber nicht allezeit aus Absichten. – –