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Ein reicher junger Engländer, der Gellerts fromme Schriften gelesen hatte, gedachte bei dem Dichter die Probe aufs Exempel zu machen. Er erschien im Hause Gellerts und jammerte ihm eine lange Geschichte von kranken Eltern, harten Gläubigern und gestohlener Reisekasse vor. Gellert ging an seinen Schrank und zählte sein Geld.
»Vierzehn Taler hab ich noch«, sagte er, »und der Himmel weiß, wann ich etwas wiederbekomme. Dennoch – hier haben Sie zehn Taler.«
»Edler Mann!« sagte der Engländer. »Behalten Sie Ihr Geld. Ich wollte nur sehen, ob Ihr Leben mit Ihren Lehren übereinstimmt.«
Gellert lächelte, legte das Geld wieder in den Schrank, holte aus, hieb dem Besucher eine denkwürdige Ohrfeige herunter und setzte ihn eigenhändig vor die Tür.
Als Pückler-Muskau nach seinem Ausscheiden aus dem Staatsdienst 1815 durch England reiste, war er einmal in einem aristokratischen Hause eingeladen, dessen Besitzer, Mitglied des Oberhauses, Herr über einen beträchtlichen Teil der englischen Grundfläche, ein zornmütiger und unberechenbarer Mann war. Pückler hatte das Unglück, ein Glas Rotwein umzustoßen. Der duftende Lafitte ergoß sich über das damastene Gedeck.
Dem Engländer schoß der rasche Zorn zu Kopf, so daß er rot wurde wie die begossene Stelle des Tischtuchs.
»Ist das bei Ihnen in Deutschland so üblich?« fragte er.
»Üblich natürlich nicht«, versetzte Pückler gelassen. »Immerhin kann es vorkommen. Aber es ist bei uns üblich, daß der Gastgeber dann kein Wort darüber verliert.«
Ein sehr tüchtiger Unternehmer, der in Neuyork eine Anzahl gutgehender Stätten irdischer Vergnüglichkeit besaß, hatte vernommen, daß in Konstantinopel der Harem des entthronten Sultans Abdul Hamid noch vollzählig versammelt und für neue Verwertung verfügbar sei. Er machte sich unverweilt auf den Weg, um die Damen für eine Schaustellung in Neuyork zu erwerben, in der Hoffnung auf so etwas ähnliches wie Tausend und eine (ausverkaufte) Nacht.
Man weiß auch, daß er in Konstantinopel ankam und zur Besichtigung schritt; weiteres aber weiß man erst wieder von dem Augenblick an, da er zwei Stunden später schweißtriefend und mit der Miene eines Mannes, der Furchtbares gesehen hat, auf dem Zentralbahnhof erschien und eine Fahrkarte für den allernächsten irgendwohin abgehenden Zug forderte.
Randbemerkung aus einem Neuyorker Blatt:
»Wie wir hören, litt Napoleon der Erste sehr unter der Zwangsvorstellung, die Fensterscheiben eines jeden Hauses, an dem er vorüberkam, zählen zu müssen.
Wenn er heute lebte, würden wir ihn zu einem Besuch in Amerika einladen. Da hätte er dann mit Scheibenzählen hinlänglich zu tun, um für den Rest seines Lebens politisch ungefährlich zu sein.«
Jener »reisende Engländer von Distinktion«, den man aus zahllosen Anekdoten kennt und der keine Sehenswürdigkeit mit seiner Besichtigung verschont, kam nach Ferney, um den Herrn von Voltaire zu besichtigen. Er sei auf dem Wege nach Rom, sagte der Besucher: ob er dem Mister Voltaire etwas mitbringen dürfe?
Voltaire grinste. »Bringen Sie mir die Ohren des Großinquisitors mit«, sagte er.
Der reisende Engländer von Distinktion brachte es fertig, eine Audienz beim Papst Ganganelli zu erhalten und ihm den schauerlichen Wunsch des Herrn von Voltaire mitzuteilen.
Der Heilige Vater lächelte. »Der Wunsch ist leider unerfüllbar«, sagte er. »Ein Inquisitor hat weder Augen noch Ohren.«
Als Stanislaus Leszcinsky, seines Zeichens König von Polen, seinen letzten Zahn verlor, besaß er den Humor, sich einen Hofzahnarzt anzustellen; und nicht minder humorvoll war die Wahl, die er für diesen Posten traf: Sie fiel auf Herrn L'Ecluse, einen treuen Karrenschieber der Thespis, einstmals Direktor der Varietés Amusantes zu Paris. Das Ergebnis dieses Zusammenwirkens finden wir in einem von Herrn L'Ecluse später verfaßten Verse niedergelegt:
Mein hoher König hatte keinen Zahn.
Das war für mich ganz gut; doch muß ich sagen:
Er war verbissen in den argen Wahn,
ich selber hätte weder Zahn noch Magen.
Ich sah – wie ich gewissenhaft hier melde –
von Zähnen nichts – und nichts von seinem Gelde.
Ein reisender Engländer kam einmal, so weiß Pitaval zu erzählen, nach Spanien und ließ sich das berühmte Kloster el Escorial zeigen. Da es ein sehr vornehmer Engländer war, so führte ihn der Abt in eigner Person. »Dieses Kloster«, sagte der Abt, »ließ König Philipp der Zweite erbauen, um ein Gelübde zu erfüllen: Er wolle, hatte er gelobt, das Kloster stiften, wenn Gott ihn in der Schlacht von St. Quentin würde siegen lassen.« »God's heaven, Ehrwürdiger Vater«, sagte der Engländer, »was muß der König für eine Angst gehabt haben, um ein so großes Gelübde zu tun!«
»Denken Sie«, sagte ein polnischer Diplomat am englischen Hofe zu Stanhope, »einer meiner Kuriere ist auf dem Wege nach Warschau von den Wölfen gefressen worden!«
»Die armen Tiere!« sagte Stanhope. »Hunger muß doch etwas Fürchterliches sein!«
»Wie alt sind Sie eigentlich?« fragte die Mutter Friedrichs des Großen einen englischen Diplomaten, der Gesandter in Petersburg gewesen war und auf der Heimreise am preußischen Hofe Besuch machte.
»Fünfzig Jahre, Majestät«, antwortete der Gesandte.
»Fünfzig Jahre?« verwunderte sich die Königin. »Haben Sie mir dieses Alter nicht schon vor drei Jahren genannt, als Sie nach Petersburg reisten?«
»Gewiß, Majestät«, gab der Engländer zu. »Aber ich habe dem lieben Gott vorgeschlagen, daß er mir die drei Jahre, die ich in Rußland verbracht habe, nicht anrechnet.«
Man berichtete der Königin Christine von Schweden, daß die Engländer ihrem Könige Charles den Kopf abgeschlagen hatten.
»Recht haben sie«, sagte Christine. »Er wußte ja doch nichts damit anzufangen.«
Der dänische König Christian der Vierte empfing im Jahre 1611 einen in höchst kränkenden Ausdrücken gehaltenen Fehdebrief von Karl dem Neunten, König von Schweden.
Christian, diplomatischen Floskeln durchaus abhold, antwortete:
»Deine Beschuldigungen sind erlogen. Dein Fehdebrief ist ein Narrenstück. Nimm Nieswurz.«
Fontenelle, der weltmännische Witzkopf, wurde einmal gefragt, wodurch sich der Wesensunterschied der Frauen bei den verschiedenen Völkern am deutlichsten offenbare.
»Durch ihr Verhalten bei einer Untreue ihres Geliebten«, versetzte Fontenelle. »Die Französin bringt ihre Nebenbuhlerin um. Die Italienerin bringt ihren Geliebten um. Die Spanierin bringt ihre Nebenbuhlerin und ihren Geliebten um. Die Deutsche bringt sich selber um. Die Engländerin löst die Verlobung auf. Alle aber heiraten einen anderen.«
Als die Nachricht nach Frankreich kam, daß der unglückliche dänische Minister Graf Struensee sein Verhältnis mit der Königin, das er immer geleugnet hatte, auf der Folter gestanden habe, fand der französische Mathematiker Borda Anlaß zu einer berichtenswerten Bemerkung.
»Da sieht man den Unterschied«, sagte er. »Ein Franzose hätte es jedem erzählt, aber keinem gestanden.«
Voltaire wurde gefragt, ob er nicht Neigung verspüre, eine Geschichte Englands zu schreiben.
»Die Geschichte Englands«, antwortete Voltaire, »müßte vom Henker geschrieben werden. Der hat doch da drüben alle geschichtlichen Angelegenheiten zu Ende geführt.«
Wie man weiß, haben die Franzosen nach Beendigung der Napoleonischen Feldzüge den Engländern die unlautere Entführung französischer Kunstschätze vorgeworfen – eine Beschuldigung übrigens, die von den anderen Kriegsbeteiligten nicht minder laut, aber wahrscheinlich mit größerem Recht gegen die Franzosen erhoben wurde.
Wie dem auch sei – im Jahre 1815 verlor Wellington, Blüchers Mitsieger von Waterloo, eines guten Tages im Salon der Frau von Duras die Geduld, weil der Beginn einer angekündigten Liebhaberaufführung sich ungebührlich verzögerte. Er stand auf und hob mit frevlerischer Hand einen Zipfel des Vorhanges, um das dahinter Verborgene zu erforschen.
»Geben Sie sich keine Mühe, Mylord«, sagte Frau von Duras. »Hier ist nichts zu holen.«
G. K. Chesterton, der Dicke, und Bernard Shaw, der Magere, trafen in einer Gesellschaft zusammen.
Chesterton sagte:
»Immer, wenn ich Sie sehe, muß ich mir vorstellen, es wäre eine Hungersnot ausgebrochen.«
Shaw antwortete:
»Richtig. Und immer, wenn ich Sie sehe, muß ich mir vorstellen, Sie wären daran schuld.«
Der große französische Geiger Alexandre Jean Boucher (1770-1861) wurde, als er zu einem Konzertgastspiel nach England reiste, in Dover von den britischen Zollbeamten zutiefst erschreckt: Er sollte für seine drei Konzertgeigen Einfuhrzoll zahlen. Vergebens beteuerte er, daß er nicht die Instrumente, sondern die ihnen zu entlockenden Klänge in England verkaufen wolle; die Zöllner bestanden auf Zahlung und wollten den Wert der Geigen wissen. Boucher gab ihn, was man verstehen, wenn auch nicht verzeihen wird, höchst niedrig an: Worauf die Zöllner einander zuzwinkerten und fünfzehn vom Hundert mehr boten. Damit waren nach in England geltendem Recht die Instrumente dem Staat verfallen, der auf diese sinnreiche Weise zu niedrig deklarierte Waren billig zu erwerben pflegte.
Boucher bat. Er flehte. Er weinte. Die Zöllner blieben hart. Er riß schließlich eine Geige aus dem Kasten und begann zu spielen. Er spielte wie der Gott der Musik persönlich. Die edelsten Geigentöne der damaligen Welt perlten und sangen durch den Zollschuppen von Dover. Die Zöllner lauschten freundlich und nicht ganz ohne Aufmerksamkeit. Aber ihre Herzen blieben steinern.
Da tat Boucher einen tiefen Atemzug, schluckte Etliches hinunter und setze erneut den Bogen an: Klar und kräftig klang es durch den Zollschuppen: »God save the King.«
Die Zöllner nahmen Haltung an; jedes eben noch so strenge Zöllnerauge feuchtete eine patriotische Zähre. Unbehelligt zog Boucher mit seinen drei Geigen von dannen.