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Abgesehen von dem Polizei-Inspektor schien der Ehemann der bestohlenen Frau Knott den Einbruch am wenigsten tragisch zu nehmen, so sehr der Verlust ihn auch betraf. Das mochte seinen Grund darin haben, daß er ein kühl rechnender Geschäftsmann war, der sich durch eigene Kraft emporgearbeitet hatte und der an die Wechselfälle des Glückes gewöhnt war. Er war deshalb auch gegen Fehlschläge und Enttäuschungen jeglicher Art gewappnet, überdies waren die gestohlenen Juwelen durch Versicherung gedeckt.
Nach und nach erfaßte Pearson die Einzelheiten des Zwischenfalles. Frau Knott hielt sich trotz ihres Reichtums keine Jungfer, sondern brachte ihre Sachen selbst in Ordnung. Jeder von den Eheleuten besaß einen Schlüssel zu dem Schlafzimmer, das sie beim Verlassen stets unter Verschluß nahmen. Manchmal trugen sie die Schlüssel mit sich herum, doch meist gaben sie sie im Geschäftszimmer ab. Frau Knott hatte den größeren Teil ihres Schmuckes, unter anderem auch das Diamantenhalsband, am vergangenen Abend getragen und beim Schlafengehen sorgfältig im Juwelenkasten verschlossen. Sie hatte die Gewohnheit, diesen Behälter morgens in einen Koffer zu stellen, der ein besonderes Sicherheitsschloß besaß.
So war es auch am heutigen Morgen geschehen. Frau Knott hatte das Schlafzimmer als letzte verlassen und kam im Straßenkostüm herunter, da sie der Signora Mattelli versprochen hatte, sie gleich nach dem Frühstück an die Bahn zu begleiten. Die Italienerin hatte am gleichen Tisch mit ihr und ihrem Gatten gefrühstückt, und beide Damen verbrachten die wenigen Minuten, die ihnen dann noch bis zum Aufbruch verblieben, in der Halle. Pearson hatte sich an der gleichen Stelle von der Signora verabschiedet.
Frau Knott hatte ihren Zimmerschlüssel nicht im Geschäftszimmer abgegeben, sondern bei sich behalten. Nach der Verabschiedung von der Signora machte sie in Begleitung ihres Gatten vom Bahnhof aus einige Besorgungen. Als sie in das Hotel zurückkehrte, ging sie sofort in ihr Schlafzimmer, wo sie zu ihrer Bestürzung ihren Koffer aufgebrochen vorfand.
Der Polizei-Inspektor hatte naturgemäß Erkundigungen über die übrigen Hotelgäste eingezogen und die Ohren ganz besonders gespitzt, als die Italienerin erwähnt wurde. Er witterte einen Streich von fremdländischen Gaunern. Es war jedoch vollkommen einleuchtend, und auch die Polizei konnte sich dem nicht verschließen, daß Signora Mattelli unmöglich die Diebin sein konnte, da sie sich von dem Augenblick an, wo Frau Knott den Juwelenkasten fortgeschlossen hatte, bis zu ihrer Abfahrt nach London ununterbrochen in Gesellschaft der Frau Knott befunden hatte. Frau Knott legte Wert darauf, zu erklären, daß sie niemals ihren Juwelenkasten fortgeschlossen habe, ohne dessen Inhalt vorher zu kontrollieren. Sie hätte das auch am heutigen Morgen getan, und jedes Wertstück, das sie besaß, sei vorhanden gewesen. Die Schmuckstücke, die sie zu tragen gewohnt war, befänden sich jetzt an ihr.
Der Inspektor stellte einige Fragen über die Dame, die soeben abgereist war. »Sie sagen, daß Sie in der letzten Zeit viel mit der Signora zusammen waren. Ich vermute, daß Sie nicht viel mehr über sie wußten, als daß sie eine Ausländerin war?«
Frau Knott antwortete etwas gereizt. Der Argwohn des Inspektors ihrer reizenden Freundin gegenüber! schien sie etwas zu verletzen. »Ich werde wohl ebenso viel über sie gewußt haben, wie man im allgemeinen von den Leuten weiß, denen man in einem Fremdenheim begegnet. Signora Mattelli sprach von sich mit großer Offenheit und hat mir allerhand aus ihrer unglücklichen Ehe erzählt. Sie lebt von ihrem Gatten getrennt.«
Der Beamte schien durch die letzte Mitteilung keinen guten Eindruck zu bekommen. »Ach so, die Signora lebte von ihrem Gatten getrennt? Sie ist heute nach London abgereist, wie Sie sagen. Wissen Sie vielleicht etwas über ihre weiteren Pläne nach ihrer Ankunft in London?«
Ja, Frau Knott wußte alles darüber. Die Signora wollte einige Monate in London verbringen und hatte eine möblierte Wohnung in der Gegend von South Kensington genommen, für welche sie sechs Guineen wöchentlich zahlte. Der Inspektor erbat sich die Anschrift und trug sie in sein Notizbuch ein. Sie scheine eine vermögende Dame zu sein, bemerkte er dabei lakonisch.
»Ohne Zweifel war der Dieb mit den Örtlichkeiten genau bekannt,« bemerkte er zum Schluß. »Jedenfalls schlich er sich unbemerkt ein, ging direkt nach dem wenig benutzten Durchgang, der in das Toilettenzimmer führt, und betrat von dort aus das Schlafzimmer, wo er den Koffer aufbrach. Ich möchte sagen: auf sachverständige Art. Glücklicherweise hat der Dieb ein paar Fingerabdrücke zurückgelassen. Wenn er, wie ich vermute, ein Gewohnheits-Verbrecher ist, wird Scotland Yard in der Lage sein, ihn festzustellen.«
Nachdem er dies kurz und bündig erklärt hatte, empfahl sich der Inspektor und versprach, die geschädigte Frau Knott über die weitere Entwicklung der Angelegenheit auf dem Laufenden zu halten.
Am Spätnachmittag des nächsten Tages trafen ein paar liebenswürdige Zeilen der Signora bei Frau Knott ein. Sie hätte durch die Abendzeitungen von dem frechen Diebstahl gehört und sofort geschrieben, um ihrem glühenden Wunsche Ausdruck zu geben, daß man den Dieb bald fassen möge. Sie, Frau Mattelli, könnte sich nicht vorstellen, daß ihre liebe Freundin den Verlust der Schmucksachen verwinden könne. Im übrigen spreche sie augenblicklich nicht gern von ihren eigenen Angelegenheiten, aber sie möchte doch kurz erwähnen, daß es ihr in ihrer jetzigen Wohnung sehr gut gefalle, und daß sie sich bereits behaglich eingerichtet habe. Sie rechne bestimmt auf den Besuch von Frau Knott, sobald diese durch London käme.
»Ein sehr herzlicher Brief!« erklärte befriedigt die Empfängerin, nachdem sie ihn einem kleinen Kreis aufmerksamer Zuhörer vorgelesen hatte, »er ist so recht ein Beweis für Signora Mattellis liebenswürdigen Charakter.« Keine Macht der Welt hätte die aufrichtige Bewunderung Frau Knotts für ihre neu gewonnene Freundin erschüttern können.
Pearson kannte natürlich keine Geheimnisse vor seiner geliebten Cecile, und als sie an jenem Nachmittag frisch und strahlend herunterkam, erzählte er ihr sogleich sein sonderbares Erlebnis vom Tage vorher. Was sie da hörte, erschreckte sie fast. Auch sie fand die Begegnung der Signora mit einem so abenteuerlichen Kerl in einem entlegenen Landhaus äußerst verdächtig.
»Ich habe zu niemand darüber gesprochen, nur du allein weißt es, und ich werde wohl auch weiterhin Verschwiegenheit bewahren; doch erzähle ich es später voraussichtlich meinem Freund Shaddock. Vielleicht wäre es richtig gewesen, den Polizei-Inspektor in Kenntnis zu setzen, ich möchte aber nicht gern in andere Affären verwickelt werden. Meine in Paris gemachten Erfahrungen haben mir alle Lust genommen, freiwillig den Detektiv zu spielen.«
Cecile pflichtete dieser Ansicht mit vollster Überzeugung bei. »Laß kein Wort verlauten!« bestärkte sie ihn. »Nur du und ich sollen wissen, was du gesehen hast. Vermutlich würde das, was du angeben könntest, der Polizei auch nicht viel nützen. Erinnerst du dich, welche Abneigung ich empfand, als du bei der Signora Anschluß suchtest, um sie über die Geheimnisse in der Affäre Valrose auszuhorchen? Du siehst, es ist nichts Gutes dabei herausgekommen.«
Etwas später fügte Cecile noch hinzu: »Ich glaube, wir tun am besten, wenn wir alles für uns behalten und Mutter und Väterchen kein Wort davon sagen. Die ganze Valrose-Geschichte ist ihm peinlich. Er weiß, daß seine Freunde sich darüber aufgehalten haben. Auch mir ist das zu Ohren gekommen. Wenn Väterchen erfahren würde, daß diese Italienerin einst die Freundin Valroses war, so würde das alles wieder in ihm aufrühren.«
»Man sieht wieder, wie vorsichtig man mit Reisebekanntschaften sein sollte,« entgegnete Pearson, du siehst, wie Frau Knott sich durch die hübsche Erscheinung und das liebenswürdige Auftreten der Signora hat täuschen lassen. Sie hat denselben Fehler begangen wie dein Vater bei Valrose; denn ich war Ohrenzeuge, wie Frau Knott die Signora zu einem mehrwöchigen Besuch einlud, sobald sie wieder zu Hause sein werde.«
Thurston interessierte sich wenig für den Juwelendiebstahl. Er nannte Frau Knott eine Närrin, weil sie ihren Schmuck nicht in einem Schrankfach auf der Bank untergebracht hatte, bevor sie die Reise antrat. Was hatte es für einen Zweck, eine Menge fremder Leute auf ihre funkelnden Juwelen neidisch zu machen?
Was die Signora betraf, so glaubte Thurston gleichfalls, daß sie in die Angelegenheit verwickelt sei. »Zweifellos bestand der Zweck ihres Hierseins darin, nach sogenannten Geschäften auszulugen. Dabei lief ihr diese eitle, aufgedonnerte Person in den Weg. Sie studierte die Gewohnheiten von Frau Knott, kundschaftete ihr Schlafzimmer aus und zeichnete alles sorgfältig auf, um dann dem Dieb das Material auszuhändigen. Nun wird sie ein paar Monate in London Unterschlupf suchen, um dann dasselbe Spiel von neuem zu beginnen.«
Das war es, was der Finanzmann im Kreise seiner Familie äußerte. Allen anderen gegenüber aber hüllte er sich in Schweigen. Er glaubte, daß es so gut wie unmöglich sein werde, der Signora Mattelli etwas nachzuweisen, und er fürchtete wegen verleumderischer Nachrede belangt zu werben. Gelegentliche Bemerkungen, jedoch, die hier und dort von weniger vorsichtigen Gästen gemacht wurden, ließen erkennen, daß der Finanzmann mit seiner Ansicht nicht allein dastand.
Die Londoner Polizei setzte eine hohe Belohnung aus, aber die Juwelen kamen nicht wieder zum Vorschein, und auch der Dieb konnte nicht ermittelt werden. Durch die Fingerabdrücke war erwiesen, daß der Diebstahl von einem in London nicht registrierten Verbrecher verübt worden war; der französischen Polizei dagegen war er bekannt. Erkundigungen in der Nachbarschaft förderten die Tatsache ans Licht, daß sich ein Fremder ein paar Nächte lang in der Umgegend von Scarborough aufgehalten habe. Die alte Frau, welche das kleine Landhaus vermietete und ihren Lebensunterhalt als Scheuerfrau verdiente, wußte aber nichts weiter über diesen Mann anzugeben, als daß er an die Tür geklopft und bei ihr angefragt habe, ob sie ihn für ein oder zwei Nächte aufnehmen könne. Bezahlt habe er im voraus. In der Nacht vor dem Diebstahl war sie abwesend, weil sie eine kranke Freundin pflegte.
Als Cecile und Pearson diese Neuigkeiten erfuhren, hegten sie nicht den geringsten Zweifel mehr, daß die elegante Italienerin mit dem Diebe im Bunde stand. Und der Juwelenräuber konnte niemand anders sein, als jener Mann, den sie in dem kleinen Landhaus aufgesucht hatte.
So erstaunlich sich auch die Dinge in bezug auf die famose Signora entwickelt hatten, wurden sie durch einen Brief Shaddocks an seinen Freund Pearson noch viel rätselhafter.
»Ich telephonierte Sie in Duke Street an. Da ich keine Antwort erhielt, vermute ich, daß Sie verreist sind und Ihren Diener mitgenommen haben. Deshalb schicke ich diese Zeilen in Ihr Büro, mit der Weisung, sie Ihnen sofort nachzusenden. Berton ist im Lande und hat soeben einen unerhört frechen Diebstahl in Scarborough verübt, bei dem er einen hübschen Posten Juwelen erbeutet hat. Sie werden natürlich wissen wollen, wie wir seine Persönlichkeit feststellen konnten. Es geschah folgendermaßen: der Dieb hatte Fingerabdrücke hinterlassen, die uns zur Prüfung übergeben wurden. Dieser Spitzbube war jedoch bei uns nicht registriert. Da die Polizei von Scarborough aber einen Ausländer in Verdacht hatte, schickten wir sie nach Frankreich und Italien hinüber. In Paris wurde festgestellt, daß es Bertons Finger waren. Die dortige Polizei hatte ihn schon zweimal unter ihrer Fuchtel gehabt, wie Sie durch Deschamps wissen. Ich habe augenblicklich keine Zeit, mehr über die Sache zu schreiben, doch sind wir auf der Spur dieses Ehrenmannes. Besuchen Sie mich bitte, sobald Sie wieder in London sind; ich will Ihnen dann alles erzählen, was ich weiß.«
Das ging denn doch über die Hutschnur! So war es also Berton gewesen, den Pearson, offenbar äußerst geschickt verkleidet, gesehen hatte!
Pearson besprach den Inhalt des Briefes ausführlich mit Cecile, welche nach Frauenart höchst beunruhigt darüber war, daß dieser Mensch, der ihren Liebsten hatte ermorden wollen, noch frei umherlief. Würde er seinen ruchlosen Angriff wiederholen? Pearson tat sein Bestes, seine Braut zu beruhigen.
»Aber ich halte es nun doch für das Richtigste, auf einen Tag nach London zu fahren, um Shaddock meine Erlebnisse zu berichten,« schlug der junge Mann vor. »Deinen Angehörigen brauche ich nicht den Grund mitzuteilen; ich werde einfach sagen, daß ein Brief meines Geschäftsführers meine Anwesenheit in London dringend erforderlich macht.«
Pearson reiste also nach London, und Thurston, der der Erholungszeit allmählich überdrüssig wurde, begleitete ihn. Pearson sollte am folgenden Tage nach Scarborough zurückkehren, um während der letzten vierzehn Tage, die ihnen noch vorbestanden, die Damen unter seinen Schutz zu nehmen.
In London angekommen, rief Pearson sofort Shaddock an. Er schlug vor, Pearson solle ihn am Abend in seinem Hause in Brixton Hill aufsuchen.
Gelegentlich dieses kurzen Telephongesprächs teilte Pearson noch mit, daß er sich zufällig in Scarborough befunden habe, als der Diebstahl sich ereignete, und aus dem Grunde nach London gekommen sei, um Shaddock in dieser Angelegenheit einige wichtige Mitteilungen zu machen. »Famos,« jubelte Shaddock. »Kommen Sie so schnell wie möglich. Ich bin voller Ungeduld, zu hören, was Sie mir zu sagen haben!«