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III

Als Wanda mit ihrem Begleiter die Dirnenschänke verließ, war es schon beinahe Morgen geworden. Eine vermummte Dämmerung hockte noch zwischen den Häusern. Nur die Kanten der Dachfirste, die Umrisse ausladender Balkone traten schon schärfer ins Grau.

Blaugast ging wortlos, mit dem Gefühl eines Flüchtlings seinen Weg, der sich in Nebel verirrte. Unwahrscheinlich kam der Tag herauf, der hinter Wolkentüchern gelauert hatte.

Wanda begegnete seinem Blick, der sie prüfend betrachtete, mit einem Gelächter.

»Dein Liebchen ist schmutzig, mein Freund. Meine Zofe war lange auf Urlaub. Du mußt mich nicht ansehn.«

»Du wirst baden und dich frisieren. Ich gebe dir Wäsche und Kleider. Und du wirst schön sein.«

Vor der Schwelle des Zimmers, als er den Riegel mit seinem Schlüssel umdrehte, überkam ihn sekundenlang die Empfindung, vor Unaussprechlichem zu stehn. Immer hatte er angesichts einer verschlossenen Tür dieses Zaudern, das ihn eindringlich anfiel, eine glücklose Stimme, die ihn bedrohte. So war er als Kind über verfallene Stufen in den Kohlenkeller gestiegen, wenn das Weinen einer verlaufenen Katze zu heldenmütigen Fahrten verleitete. So empfing ihn der Flurgang verluderter Kneipen, wo er als Zwanzigjähriger nach Wollust fahndete. Und wenn er später, ausgelaugt vom Kanzleidunst, dem Schlupfwinkel zustrebte, wo die Gefährtin ihn aufnahm, tat er es atemlos, und der Türgriff der Wohnung hatte ein dreistes Blinken, das ihn tückisch verschüchterte.

Als er im Vorzimmer den elektrischen Schalter drückte, als der weiße Stern der Deckenlampe friedfertig über den Steinfliesen aufging, war der Spuk überwunden. Geschäftig trug er Kohle und Brennholz herbei, rüstete im Badeofen ein lärmendes Feuer. Einen Augenblick noch beklemmte ihn Widerstreben, als er im Spind die Leibwäsche erraffte. Noch einmal quoll Zärtlichkeit in ihm hoch, die er gedemütigt als Zurechtweisung empfand, vor der er reuig verharrte. Die Tage, die diese Truhe betreuten, die Behutsamkeit eines Lebens kamen an ihn heran, das nicht mehr in seiner Nähe war, das ihn hinterhältig verlassen hatte.

Wanda nahm ihm das Bündel, das er ihr reichte, ohne Dank aus der Hand, schritt mit der Haltung einer lange Vertrauten zum Baderaume. Blaugast hörte den Wasserhahn brausen, Geplätscher und Summen gingen an ihm vorüber, drangen nach der Stille der letzten Wochen wie ein Tumult in seine Schläfrigkeit. Grell, unnachsichtig und nüchtern entzündete sich das Taglicht hinter den Vorhängen. Er räumte verstreute Bücher, Papierblätter und Kleidungsstücke in den Schrank, brachte sein Bett in Ordnung und setzte sich neben das Fenster. Aus der Decke, in die er sich hüllte, sickerte noch immer ein Rest seiner Fieberwärme auf ihn ein, die ihm nun wohl tat.

Jetzt erst, wo ein neues Ereignis mit der Gegenständlichkeit anhub, die ihm an Dingen des wirklichen Lebens allezeit heimlich mißfallen hatte, gab er sich Rechenschaft über sein Tun, suchte nach einer Deutung. Die Begegnung der Nacht trat gebieterisch in sein Bewußtsein, das Dunstwände und körperliche Erschlaffung vorübergehend verdunkelten. Mit Gram, der ihm wehe tat, ihn aufs neue zerrüttete, wurde ihm klar, was geschehen war. Eine Frau weilte in seiner Nähe, die in seiner Badestube ihren besudelten Körper wusch, Weibgeschöpf aus den Bezirken der Unfreude, tierhaft, unbekümmert und eitel.

»Warum nur? – Warum?« – fragte er bösegelaunt, forschte erfolglos nach einer Entgegnung.

Das Antlitz der Toten schaute verwelkt aus einem zerbrechlichen Rahmen.

Diese war nicht so gewesen. Sie war der Ruhepunkt, der ihn täuschte, der liebliche Hort goldblütiger Seligkeit. Aber jetzt war es wieder da. Das Stammeln und Fürchterlichsein, das ihn seit Knabenjahren auf abwegige Steige hetzte, blindes Glotzen in unverstandene Wünsche, sibirischer Frost und tropische Gefahren. Die ausgeschämte Dürftigkeit der Worte kam ihm zurück, mit denen der Schulfreund in seine Verwirrung getastet hatte:

»Interessieren dich Katastrophen?« –

Einen Atemzug lang wurde Blaugast ein Lichtlein gewahr, das heischend und bunt vor ihm herlief, das er mit beiden Händen aus dem Schutt der Vergangenheit aufgrub. War es nicht Hilfsbereitschaft, die der Verlorenen eine Schlafstätte anbot? Hatte nicht Güte wehleidig gezittert, als ihr Duwort ihn ansprach? War er nicht immer, ein Pilger im Unrat, dem Stern der Barmherzigkeit auf der Fährte gewesen?

Nein. Nein und nein. Zwischen Mann und Frau war keine Verheißung möglich, keine Botschaft der Würde. Es waren die Brüste des Weibes, die ihn bezwangen, schlüpfrige Brüste unter verfärbtem Kattun, Haßträume aus Niederungen, wo der Rothauch der Jugend aufgor. Es war der Fluch, der ihn peinigte, daß er sie mit in sein Haus nahm.

Ein letzter Stolz, mit der Schäbigkeit eines ruhmlos Verarmten belastet, wehrte sich gegen die Lüge. Er gedachte des Tages, den das Mühlrad der Jahre schon längst zum Stäubchen zermalmte, der gegen Schuld und Verantwortung abgewogen vergilbt und vergessen im Arsenal der Ewigkeit ruhte. Sein lange verkochtes Gift keimte noch immer in seinem Blut. Da war er mit dem Kumpan, einem Malermann, in die Wohnküche des Straßenmusikanten geraten, der sein Proletenprofil manchmal auch stundenweise gegen Modellgeld vermietete. Er war nicht daheim, nur die alte Frau polterte mit dem Stelzfuß über die Dielen. Neben dem Herd lag die Tochter im Bett, das Flicklappen zudeckten, und hustete.

»Sie hat's auf der Lunge« – erklärte die Einbeinige, als sie davor die Bestellung zur Kenntnis nahm.

»Der Doktor meint, das Wesen soll kräftiger sein; aber Gott wird schon helfen; und wir sind arme Leute –«

Geruch nach Schweiß und abgekühlten Kartoffeln machte die Kammer unwirtlich. Der Maler warf Kleingeld auf den ungesäuberten Tisch und wandte sich wieder zur Stiege. Da war Blaugast zu dem Lager des Mädchens getreten, das ihn mit unruhigen Augen ansah. Sie zupfte das Bettzeug zurecht, aber die Decke war schadhaft und schmal. Unter verschlissenen Fetzen kam ihr Bein zum Vorschein und entblößte sich bis zum Knie. Es war ein mageres, nerviges Bein, das ihn tödlich erregte. In den Gruben seiner Gelenke, unter der Wölbung gestraffter Sehnen waren Glanzlichter, die er kannte.

Der Maler stand ungeduldig, mit dem Hut auf dem Kopfe zwischen der Türe. Da hatte Blaugast in die Tasche gegriffen und einen Geldschein in die Hände der Kranken gelegt, viel zu viel für den Anlaß, viel zu beträchtlich für seine Verhältnisse. Die Schwindsüchtige dankte mit einem habgierigen Ausdruck um den trockenen Mund. Die Alte küßte verschreckt seinen Rockärmel, als er mit dem Gefühl, auf Ungehörigkeiten ertappt zu werden, dem Freund auf die Straße folgte.

Hier nahm er Abschied, lehnte befremdete Vorhalte seiner Großmut mit verlegenem Auflachen ab. Ein scharfer Geschmack auf der Zunge verursachte ihm Brechreiz. Lobworte des Malers, die dieser ihm nachrief, nahm er beschimpft auf den Weg. Die Scham, die ihn forttrieb, war ätzend und unrein. So war es immer, seitdem er denken konnte. Dieser Planet war ein Kaufhaus der Übeltat, die meuchlerisch an der Kette zerrte. Überall waren ihre Spione. An zugigen Ecken, wo Mädchen mit frühreifen Kindergesichtern Blumen und Streichhölzer feilboten, auf dem Operationstisch der Kliniken, im Elendsviertel der Vorstadt, auf Bahnhöfen, unter Viadukten. Mitleid war demaskierte Lust, Wohltun Begehrlichkeit. Einmal hatte er sich an der gefälschten Pracht der Verkündigung berauscht, die asketischer Wille reklametüchtig auf dem Markte losschlug. Heute waren nur Brocken, problematisches Geröll und Splitter zurückgeblieben, die wie glühende Eisenfeilspäne seine Seele zerschürften. Wieder, zum tausendundersten Male, sprach er die Frage in eine entgötterte Welt: Wo war die Liebe? –

Blaugast verkroch sich frierend in seinem Armstuhl. Das Gewicht einer großen, hohlräumigen Einsamkeit drückte ihn nieder. Er sah im Zimmer umher, wo Morgenfrühe gemütlos die Wände entkleidete. Ein Schluchzen, das ohne Tränen war, sprengte ihm seine Brust, daß er sich vorbeugte, mit seinen Armen ins Leere griff, mit dem Gesicht auf den Teppich fiel. Das Unabänderliche, das ihn besiegte, das sein Leben treppauf und treppab in profanen Winkelzügen bis zur Grenze des Mannesalters geführt hatte, trat mit den Füßen auf seinen Leib, schändete seine Menschlichkeit. In Jünglingstagen, weitab von der Folter seiner Verlassenheit, war manchmal Freundschaft bei ihm geblieben. Zutunliche Hast, die heiter nach seiner Handwärme griff, Kameradschaft, die ihm vertraute. Immer war es das eine, das Gitterstäbe des Paradieses mit Listkünsten lockerte, daß der goldene Vogel der Treue husch um die Ecke flog. Da war ein Mensch, der sein Herz an das seine schloß, bei Wanderungen in der nächtlichen Stadt sich brüderlich preisgab. Aber die rote Zungenspitze einer Frau war stärker als dieses Bündnis. Zwischen Steingruppen, die aus unfruchtbaren Sandhalden wuchsen, zertrümmerten Jahren, steilen Zeiten sah Blaugast die Blume der Schwärmerei. Eine brennende Sucht hob wieder, vielleicht zum letzten Male, das Haupt. Seine Hand war klamm und öffnete sich nicht mehr. Die Nichtsnutzigkeit seiner Bedrängnis rottete sich in der Kehle zusammen, daß er irr, ohne zu wissen warum, ins Gewebe des Teppichs biß und stöhnte.

Ein Geräusch ließ ihn innehalten. Wanda hatte ihr Bad beendet, stand jetzt erfrischt, im flockigen Mantel, rügend vor ihm.

»– Bist du betrunken?« –

Ihr schwarzes Haar war naß und gescheitelt. Eine unmutige Falte kniff ihre Augenbrauen zusammen, als sie den derben Fuß mit dem Badeschuh hinhielt.

»Binde mir die Sandale fester. Und sei vernünftig.« Blaugast erhob sich umständlich langsam in die Knie. Ein siedender Schmerz fuhr ihm durch Schultern und Rücken, als er die lederne Schnur über dem Fleische knüpfte. Immer tiefer neigte sich seufzend sein Mund, bis seine Stirne das blühende Bein berührte, bis seine Lippen gebrandmarkt im Kuß vergingen.

Wanda sah schweigend auf den Gebeugten.

»Steh auf!« – befahl sie fast flüsternd.

Und als er übernächtigt unter der unsichtbaren Bürde schwankte, ließ sie den Mantel zur Erde gleiten. Groß, grobknochig, nackt stand sie vor ihm. Unter den Wimperhaaren erblickte er ihre Pupillen, die sich glanzlos erweiterten. Ihre ordinäre Brust spitzte sich gierig, als er die Arme spannte, mit einem Wehlaut Besitz ergriff, lichterloh sich versengte.

Gewissensnot, Hunger, Abscheulichkeit schwemmte Sturzflut hinweg.

Aus den Stollen der Nacht war das Schicksal zu Blaugast gekommen. Das apokalyptische Weib hatte sich seiner bemächtigt. Irgendein Sturm trug Getöse herbei, Begräbnismusik, Blut aus der Tiefe. Wie ein lebloser Stein sank er zum Grunde. In die Verließe des Geschlechts, ins Irresein seines Fatums, in den Schlaf der Geächteten.


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