Leo Leipziger
Die neuen Linden
Leo Leipziger

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VII.
Edith.

Edith konnte keine Ruhe finden. Kaum hatte sie sich auf ihr Lager hingestreckt, stand sie wieder auf, hüllte sich in ihr Morgenkleid und setzte sich an das Pult. Sie entnahm einem 60 verborgenen Fach einen Brief. Der Umschlag lautete:

    An
meine Tochter Edith.

    Nach meinem Tode uneröffnet zu übergeben.

Rosalie Gleiwitzer.

Edith zog das Schreiben aus der Hülle. Wie oft hatte sie seit dem Tode der Mutter das Papier in den Händen gehabt. . . . Der Inhalt lautete:

Mein liebes, gutes Kind!

Dir, Dir ganz allein vertraue ich die schwere Sorge, die ich mit ins Grab nehme. Mir bangt für meinen Sohn, für meine Enkel. Fifi ist herzlos. Als vor wenigen Jahren durch die Krisis, die dem Ausbruch des Balkankrieges folgte, unser Vermögen gefährdet schien, als Franz sich auf meinen Rat entschlossen hatte, seiner Gattin die volle Wahrheit zu sagen, da ließ Fifi mich zu sich rufen. Niemand weiß das bisher. Und erst nach meinem Tode sollst Du den Hergang erfahren.

Als ich zu Fifi kam, lag sie auf dem Divan; sie sah bleich aus und müde, und ihr Antlitz zeigte einen bösen, fast feindlichen Zug. Sie teilte mir mit, daß Franz ihr von dem traurigen Stand unserer 61 Vermögensangelegenheiten Mitteilung gemacht hätte, und daß sie sehr unglücklich sei. »Ich bin«, so sprach sie fast wörtlich, »als Frau Dr. Franz Gleiwitzer an Luxus gewöhnt. Ich kann ihn nicht mehr missen und kann mich auch nicht mehr einschränken. Es ist mir unmöglich, im vierten Stock zu wohnen und mir nur ein Dienstmädchen zu halten.« . . .

Du kannst Dir denken, meine liebe Edith, wie ich zugleich entrüstet und tieftraurig war. Ich weiß auch nicht mehr, was ich erwidert habe. Ich bin heimlich wie eine Diebin fortgeschlichen und habe Fifi erst wieder gesehen, als die Krisis überwunden, als alles wieder im Geleise war. Aber ich habe von jener verzweiflungsvollen Stunde die Überzeugung mitgenommen, daß Fifi meinen Franz nicht liebt, daß sie ihn lediglich geheiratet hat, um ihrer Vergnügungssucht zu fröhnen, um ihren Eltern helfen zu können.

Und eine Frau, die imstande ist, in einer solchen Stunde der Mutter ihres Gatten in dieser Weise entgegenzutreten, eine solche Frau ist auch fähig, die eheliche Treue zu brechen.

Und darum, Edith, bitte ich Dich um eines: Wache über sie, wache über Franz und über die Kinder!

Deine treue Mutter.

62 Edith seufzte laut auf. Dann flog ein müdes Lächeln über ihre Züge.

»Arme Mutter! Wenn du gewußt hättest, daß du den Bock zum Ziergärtner machst!«

Sie stand auf, öffnete die Balkontür und trat hinaus. Es war nebelig und bitter kalt. Einzelne weiße Flocken, die Vorboten des nahen Winters, schwebten langsam hernieder.

»Das tut gut,« meinte sie, »das macht die Gedanken klarer.«

Dann philosophierte sie vor sich hin:

»Wenn ich nur wüßte, warum ich mein Herz gerade an ihn gehängt habe . . . ich bin mir ja so klar über seinen Charakter, ich weiß, daß er oberflächlich ist und schlecht, grundschlecht; zu verdorben für eine dauernde, aufrichtige Neigung, zu blasiert, um eine echte Empfindung zu verstehen und zu teilen. Und ich, die ich doch durch die Wissenschaft gepanzert sein müßte gegen solche Torheiten – ich sehne mich danach, einen zärtlichen Blick von ihm zu erhaschen, ich quäle mich tagelang in der Angst, ihn zu verlieren. Allen meinen Bemühungen gegenüber bleibt er kalt und herzlos. Er macht sich nichts aus mir, darüber kann ich mich nicht täuschen. Und doch andererseits . . . Fifi kann ihn doch nicht fesseln. Seine häufigen Besuche 63 können doch nur mir gelten. Sträfliche Beziehungen zu Fifi! – Unmöglich!«

Sie dachte nach.

Er wird bei meinem Bruder gehalten wie ein Kind des Hauses. Das Beste ist gerade für ihn gut genug. Franz hat ihn gern und hegt unbegrenztes Vertrauen zu ihm. Wenn sie gemeinschaftlich ausgehen, zahlt Franz für ihn. Fritz ist doch kein hergelaufener Mensch. . . . Er stammt aus einem vornehmen Patrizierhause, er ist Korpsstudent, er ist Reserveoffizier. Und Fifi? Von ihrer Seite wäre das Verbrechen ebenso unbegreiflich. Was sie ist, dankt sie ihrem Gatten. Er hat ihre Familie vor dem Ruin gerettet, er hat für ihren Bruder getan, was noch zu tun war. . . . Nein, nein, meine arme arme Mutter hat sich getäuscht; sie hat zu schwarz gesehen. Vielleicht war jene Szene, von der sie berichtet, auch gar nicht so schlimm. Fifi ist ein schwaches Geschöpf, den Stürmen des Lebens nicht gewachsen. Sie mag vielleicht durch die plötzliche Mitteilung, durch den Ausblick auf ein entbehrungsreiches Dasein, zusammengebrochen sein. Ihre Nerven haben nachgegeben. Ohnehin hat sie keine feste Gesundheit. Schon dreimal hat sie sich Operationen unterziehen müssen. Das alles mag zusammen gewirkt haben zu jener Unterredung mit meiner 64 seligen Mutter. . . . Und dann noch eins: sie hat drei reizende Kinder; ihre Kinder sind ihr gewiß heilig. Mag ihre Leidenschaft für ihren Gatten auch nicht so groß und echt sein, der Gedanke an die Kinder muß und wird sie davon abhalten, jemals treulos zu sein. . . .

Edith schloß die Tür. Ihre Gedanken wurden heiterer und zuversichtlicher. Sie fand, daß diesen Tatsachen gegenüber ein Bedenken irgendwelcher Art nicht mehr aufkommen konnte. Es war ja alles zu logisch und zu natürlich. Nur ihretwegen kam sicherlich Fritz so oft in das Haus ihres Bruders. . . .

Aber plötzlich schien ihr doch etwas nicht zu stimmen.

»Warum«, überlegte sie, »hat Fifi noch niemals darüber mit mir gesprochen? Fritz müßte sie doch ins Vertrauen gezogen und sie veranlaßt haben, mich heimlich zu befragen.« . . .

Auch hierüber beruhigte sie sich schnell wieder. »Fifi«, so folgerte sie weiter, »ist viel zu eingebildet und eitel, um mir gegenüber einzugestehen, daß ich es bin, der sie das häufige Zusammensein mit Fritz verdankt. Vielleicht hat er sie auch gebeten, mit jeder Enthüllung zu warten, bis er mit seinen Eltern gesprochen hat.« . . .

65 So grübelte sie weiter und weiter, bis der Schlaf ihre müden Glieder umfing und ein holder Traum ihre Pläne und Hoffnungen in glücklicher Verwirklichung erscheinen ließ. Aber an den armen Richard dachte sie nicht mehr, und sein Bild erschien ihr nicht einmal im Traum. . . .

 


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