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Es war anderen Tages ...
Unvermittelt erschien wieder der Mönch. Er trat aus dem Nichts, aus musselinartigen Floren, die keine Flore mehr waren. Neben ihm geisterte die unheimliche Kerze, um bald zu verlöschen.
Unter seiner Führung wandelte sich der Schauplatz der Dinge.
Wir gewannen den Domplatz, im Volksmund das ›heilige Sion geheißen.‹
Ein dunstiger, schwüler Septembermorgen überlagerte die Stadt, brütete in Straßen und Gäßlein, legte sich bleiern auf die Herzen der Menschen.
Die alten Linden, die die weite Hegung umstanden, ähnelten den grauen Schwestern der ewigen Anbetung. Kein Blättchen kehrte sich auf die andere Seite, so still war es ringsum geworden, so müde, so mit den wächsernen Händen einer Lichtjungfer gezeichnet.
Die dunstige und schwüle Morgenfrühe hatte alle Lebensfreude aus den Bäumen genommen, aus den Kehlen der gefiedelten Sänger, die sonst nicht müde wurden, ihre munteren Schlegelpfeifen ertönen zu lassen – und war doch ein Sieg gewesen, wie die Kriegsfama noch keinen über die münsterischen Heiden hinausposaunt hatte.
»Das ändert sich«, sagte der Mönch.
Das schmale Gesicht verlängerte sich.
Etwas unsagbar Trauriges war bei ihm.
Er hob den Kopf und schaute in das dichte Gewirr von Zweigen und Zweiglein.
Seine Blicke hafteten bei einzelnen falben und gelblichen Flecken, die zwischen dem Astwerk hingen und sich nicht regten und rührten.
»Das ist es«, sprach er leise in sich hinein, »das läßt sich nicht fortwischen, das wird immer gelber und falber, und ich möchte so gerne einen frohen Psalm Davids anstimmen, vorzusingen auf der Gittith mit acht Saiten, der da endet: Du tust mir kund den Weg zum Leben; vor dir ist Freude die Fülle und ein lieblich Wesen zu deiner Rechten ewiglich. Aber es bleibt ein vergebliches Mühen.«
Seine Blicke lösten sich nicht von den welkenden Blättern. Sie zogen ihn an, sie waren ihm die Vorboten eines furchtbaren Geschickes.
»Lasset uns beten«, und er betete das Vaterunser mit verhaltener Stimme.
Zwischen den alten Lindenstämmen zeigten sich die grauen Mauern der hohen Domkirche, die des Herrscherpalastes und die des angegliederten Hauses der Königin und Kebsweiber, wo jegliches mit Gold und Silber bestellt war, köstliche Teppiche die Schritte abdämpften und rare Spezereien und Narden den gesättigten Reiz des Auserwählten noch bezaubernder machten.
Der Mönch sah nach dem Anbau der Königin und dem der Kebsweiber, dann wieder nach dem Gewirr von Ästen und Zweigen, an denen die Zitronenfalter regungslos hingen.
»Bald fallen die Blätter«, sagte er heiser.
»Das ändert sich auch«, meinte er schließlich, und siehe: durch die Wipfelkronen ging ein Hin und Her, ein kaum wahrnehmbares Auf und Nieder, das an Wohllaut zunahm und sich allgemach verstärkte. Ein feines Lüftchen tat sich auf, zerstreute die stickigen Nebelschwaden und nahm die drückende Schwüle hinweg, die qualvolle Stunden hindurch unter den Bäumen gebrütet hatte.
Eine milde, lauliche Septembersonne lachte vom Himmelreich.
Ein munterer Buchfink schmetterte seinen ›Reiterherzu‹, ein zweiter die ›Zizigallweise‹, und es war letzten Endes ein Musizieren zwischen den Blättern wie in den Tagen des ersten Linden- und Buchengrüns.
Mit dem Schlage neun strömte das Volk zu. Tausend Hände schafften und werkten, solche von Zimmerleuten und Schreinern, von Gewandschneidern und Zapfern, von Fleischermeistern mit ihren Gesellen und Garköchen. Tische und Bänke wurden genagelt, Girlanden gezogen, Velarien ausgespreitet, ein Mastenwald von fliegenden Fahnen errichtet, von buntfarbigen Tüchern, die anmutige Volten schlugen und in die ›Zizigallweise‹ und den ›Reiterherzu‹ gar lieblich hineinknatterten.
Inmitten des Platzes erhob sich die königliche Tafel, reich bestellt mit allem, was nötig erschien, den Tag froh und in hoher Feier zu begehen, denn der Herr über alle Fürsten und Gaugrafen hielt heute sein Siegesfest, und jeglicher, der sich als gut anabaptistisch ausweisen konnte, wurde in Gnaden gebeten, sich an fünf gebratenen Ochsen, zehn Schweinen, Gänsen, Ferkeln und Legionen von Rauchwürsten, Geselchtem und Mistkratzern höchlichst zu delektieren – im Namen der Wohllust und eines unersättlichen Magens.
Noch war kein Mangel an Proviant zwischen den Mauern. Die Magazine strotzten von den Früchten des Feldes, die Kornkammern krachten unter der Last der Roggen- und Weizensäcke, in den Ställen rappelten noch die Viehketten, kullerten die Truthühner, schnatterten die Entvögel, krähten die Hähne noch so gesinnungstüchtig von ihren Misthaufen herunter, als gölte es, den Anabaptisten die Mäuler zu stopfen bis zum Tage des Gerichtes.
Die Fleischhauerzunft hatte alle Hände voll zu tun, ebenso die Bäckergilde, ebenso die Fraternitäten der Garköche und Bierbrauer.
Immer mehr strömte das Volk zu: geladene Gäste und ungeladene Haselanten.
Hosianna! Der Herr des neuen Tempels, der Lorbeergeschmückte, Johannes Leydanus hielt heute sein Siegesfest ... und als die zwölfte Mittagsstunde von der hohen Domkirche herniederbrummte, lief ein heller Trompetenschrei über die Hegung.
Gleichzeitig öffneten sich die Tore der Hofburg und die des Frauenhauses.
Alle Hälse streckten sich, alle Knie beugten sich und berührten die Erde.
»Der König! Der König!«
Unter Glitzern, mit klingenden Zinken und Pfeifen kam es seines Weges gegangen.
Zwölf Pagen in den Farben des Gesalbten eröffneten den Zug. Aus ihren Gürteltaschen verstreuten sie Silberlinge, die frisch aus der Münze gekommen. Spießknechte und Harnascher schlossen sich ihnen an. Ihnen folgte Johannes Leydanus, gekrönten Hauptes, in lichtweißer Seide. Ihm zur Seite, das goldene Krönlein auf dem kupferfarbigen Haar, schritt Divara, die Herrin, schön wie der erste Morgengruß auf den Bergen, blendend in ihrer üppigen Fülle und Weibeshoheit, einer Valadinne ähnlich und dennoch keusch und züchtig wie eine Heilige zwischen brennenden Wachskerzen. Ein blühender Reigen von Nebenfrauen geleitete sie, zwölf an der Zahl, als da waren: Maria Heckerin, Christina Rhoden, Anna Laurenzin, Margaretha Modersonin und andere mehr, mit Gewändern bekleidet, wie sie die Hetären trugen auf der Insel Meropis, Spinnweben ähnlich und mit silbernen Sternchen durchzittert. Die Großen reihten sich an. Unter ihnen Knipperdolling und Krechting, Rottmann und Dusentschuer, nebst den Geschworenen des Zwölfer- Rates, alle in dunklen Schauben, geschmückt mit dem Wiedertäuferpfennig aus lauterem Golde.
Den Beschluß machte einer in flammendem Rot.
Der trug enges Gewand, eine ausladende Gugel mit geschnittenen Augenhöhlen, das aufgestellte Schwert zwischen den Händen.
Meister Hans aus der Grünen Stiege war der ruhende Punkt, das letzte und gewichtige Wort in der Stadt des neuen Tempels. Nach der von ihm getätigten Arbeit war dem Gesetze Genüge geschehen, die lästerliche Zunge zu ewigem Schweigen verdammt worden.
»Der König! Der König!« und nochmals brach das zwischen Bäumen und Tischen eingepferchte Volk in brausendem Jubel aus. Zinken und Pfeifen mischten sich ein, und von allen Türmen läuteten die Glocken ein sonores › Te Deum laudamus‹ über die Stadt hin. Die im gegnerischen Lager mußten es hören. Der Bischof verfärbte sich, als wäre ihm die Gräte eines zehnpfündigen Weserhechtes zwischen die hochwürdigen Kiemen geraten.
»O dieses Münster!«
Aber Münster feierte, taumelte von einem Himmelreich in das andere, lobete Gott und pries seinen Johannes Leydanus als den Leviten aller Leviten, den Herrn der überirdischen Thronen und Herrschaften.
Als zöge Jesus in Jerusalem ein, so wurde er begrüßt und erhoben, wurden ihm an Stelle der Palmblätter Astern und Nelken gestreut, auch sonstig duftiges Kräuterwerk, was die Gärten zu dieser späten Jahreszeit noch aufzubringen vermochten.
»Hosianna – dem König!«
Bald darauf waren die Throne besetzt, die Bänke eingenommen.
Aufgelegt wurden: an den Tischen der Bürger prätzelnde Bratwürste mit westfälischem Kraut, während im Bering der Großen Pfauhähne ihre schillernden Räder schlugen und auserwählte Bissen sich anpräsentierten.
Dann kamen: dort Rindslendenstücke, hie Schweinerippchen in bibbernden Sülzen und Galreien.
Nach dem zweiten Gang erhob sich der König.
Seine Stimme war die eines fadendünn geschliffenen Bidenhänders, weithin reichend und mit silbernem Klingen,
»Geliebte im Herrn! Höret, ihr Völker, und vernehmet das Wort Gottes, der mir gebietet, an seiner Statt euch Gruß, Heil und Segen zu bringen. Die Zeit ist gewaltig, und gewaltige Zeiten werden nicht durch Schellenherzöge regieret. Durch mich spricht der ewige Vater, spricht Jesajas, der große Prophet, und also redet dieser in feurigen Zungen: Der Herr ist groß und gerecht. Er verschlingt den Tod, nimmt die Tränen von allen Angesichtern und wird aufheben die Schmach seines Volkes in allen Landen.«
Er hob die Augen, und in diesen Augen spiegelten sich die blauen himmlischen Lichter.
»Mache dich auf«, fuhr er fort. »Zeuch deine Stärke an, schmücke dich herrlich, du heilige Stadt Jerusalem, denn es wird hinfort kein Unreiner zu dir hineingehen. Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Boten, die den Frieden ausrufen. Gutes predigen, Heil verkündigen, die da sagen: Dein Gott ist der König!«
Er hob sein römisch Glas und hielt es dem Volk hin.
»Sind nicht die Boten gekommen, o Sion, und haben sie dir nicht die Glorie der Schlachten verkündet? Sie kamen in Waffen und Wehren, mit flammenden Schilden und brachten die Nachricht: die Walstatt ist unser! Der Herr hat seine Wage gestreckt und gewogen, und siehe: das Reich vom neuen Tempel ist Sieger geblieben. Meine Apostel sind dabei den Weltkreis zu erobern und damit zu schließen. Drum freue dich, Sion, sei fröhlich im Geiste, feire die Stunde und mehre dich gleich den Sandkörnern auf den Dünen, gleich den Bildern unter den Bildern des Firmaments. Und des zum Zeichen: ich leere mein Glas bis auf den letzten güldenen Tropfen.«
Und also geschah es ... und ein Brausen entstand gleich dem Brausen des Eichwaldes bei Sturm und Ungewitter, und dauerte fort, bis die Schaffner aufs neue ansetzten, dazu mit Fleiß auftrugen: Kapaunen, Watvögel und sonstiges Geflügel aus den benachbarten Baumbergen, Barben aus den Grüften der Stadt, Schweinsfüßchen in gesäuerten Aufgüssen.
Dazu würzeten die Cantores das Mahl mit dem getragenen Liebe vom ›Löffeln‹, während die Spielleute sich schon heimlich danach sehnten, den üblichen Tanz mit Flöten- und Viola di Gamba-Begleitung beflügeln zu dürfen, alles zu Ehren Gottes und im Hinblick auf die ewigen Seligkeiten.
Nach dem Mahle wurden ungesäuerte Weizenkuchen in Körben herumgetragen, der König brach sie den Tischgenossen mit den Worten: »Nehmet hin, esset und verkündet den Tod des Herrn.«
Desgleichen die Königin. Sie reichte einen Becher mit Wein und sprach: »Trinket daraus und verkündet den Tod des Herrn.«
Johannes Leydanus war fröhlichen Sinnes. Er scherzte mit Divara und seinen Nebenfrauen. Richtete auch zeitweilig ein heiteres Wort an Rottmann und Dusentschuer, vermied es aber, sich mit der geringsten Silbe an Knipperdolling zu wenden.
Der saß in Unmut, der Königin schräg gegenüber. Auch trug er sich mit Gedanken, die seinem dunklen Gewand angepaßt waren.
»Was habt Ihr?« fragte Divara und ließ ihren Fächer aus Pfauenfedern spielen. »Ich sah Euch nie so abwesend wie heute.«
»Herrin, ein Tag ist meistens nicht so wie der andre.«
»Das seh ich. Gibt es kein Arkan dagegen?«
»Das schon, aber eine derartige Latwerg ist schwer zu erkaufen. Sie wird aus der Apothekerei des Königs bezogen, und Könige sind unbequeme Rechenmeister.«
»Ich glaube, wir begegnen uns auf demselben Gedanken. Später, beim Tanze – ich habe mit Euch ein Wörtchen zu reden.«
»Allergnädigste, ich harre des Tanzes. Möge es zu einem ersprießlichen Ende führen.«
Sie nickte ihm zu, mit Augen, die Zuspruch und Gewährung verhießen.
Gleichzeitig huben die Spielleute an.
Der Hofmarschall hatte Order gegeben.
Erst ein zartes Quinkelieren der Flöten, dann ein tremulierendes Fingern auf der Viola di Gamba, bis die Töne stärker wurden, sich harmonisch ineinanderfügten, um schließlich eine getragene Weise anzuheben.
Da horchte die Welt auf.
Das wirre Gerede verstummte. Bis in die tiefsten Tiefen des weiten Platzes hinein lauschte man mit verhaltenem Atem.
Divara erhob sich.
Mit schimmernden Augen hängte sie sich in den Arm Knipperdollings. Das sprühende, lachende Leben an der Seite des finsteren Mannes, dessen brütender Ehrgeiz den seines Herrn um vieles übertrumpfte – das erregte die Menschen.
Die Stimme des Herolds ertönte: »Gebt Raum der Königin!« und die Königin tanzte.
Es war eigentlich kein Tanzen, vielmehr ein getragenes Gehen und Schreiten, ein Gleiten und Wandeln, ein sanftes Sichwenden und -drehen unter schmeichelnden Tönen.
Ihr kupferrotes Haar mit dem güldenen Krönlein leuchtete gleich einer Mandorla, ihre geschmeidigen Glieder wie Seltenheiten in silbernen Gewändern.
Sie erregte die Sinne, wie es die Weiber im Tempel der Astarte zu Ninive taten, wenn sie die verheißenen Liebesstunden ersehnten, der Freier sich nahte und stammelte: »Unser Gebet sei das Rufen nach Schönheit. Nichts ist schöner als das Weib. Lasset die Toren schelten und lachen. Ich bete es an und sterbe am Weibe in Gedanken, Worten und Werken, die die Kraft meines Lebens dahinnehmen, aber mein Sterben ist köstlich, vollendet sich mit Rosen im Haare, mit einem glücklichen Lächeln auf den bleichen Lippen.«
Lauter hofierten die Flöten und Geigen, inniger die Viola di Gamba.
»Majestät, ich harre des Wörtchens.«
Sie schmiegte sich an ihn.
»Darf man Euch vertrauen?« fragte sie mit Fieberaugen. »Viele Wege in Sion sind Wege, auf denen man strauchelt.«
»Herrin, verkennt mich nicht. Ich halte mein Blut zwischen den Fäusten.«
»Habt Ihr mit dem König gesprochen?«
»Herrin, ich tat es.«
»Und worüber gesprochen?«
Der Statthalter schwieg. Er kam beim Tanze der Tafel zu nahe. Er drehte ab und sprach mit heiserer Stimme: »Über den Erbmann.«
»Ich sehe, unsere Gedanken sind dieselben Gedanken, wie ich eben schon sagte. Und gedachtet Ihr dabei der Elisabeth Wandscherer?«
»Auch dieses.«
»Und was sagte der König?«
Ihr Atem flog, umhauchte den düsteren Bart ihres Partners, in dessen Fäden einzelne Funken des lichten Herbsttages glitzerten.
»Sein Wort war herb und verdrossen. Es vertröstete mich auf die heutige Stunde. Aber ich glaube ...«
»Was glaubt Ihr?«
Divara hielt den Fuß an. Ihre Brust kam ins Stürmen, die feingeäderte Brust, auf deren schneeigem Weiß die ausgebrochenen Steine von Monstranzen und Ziborien in lauterem Golde prunkten.
»Herrin«, gab Knipperdolling zurück, »mein soeben dargelegtes Bedenken gibt die beste Antwort. Die hierzu nötige Latwerg ist schwer zu erkaufen. Sie wird nur aus der Apothekerei des Herrschers bezogen, und solche sind unbequeme Rechenmeister.«
Ein kleiner, goldbeschuhter Fuß stampfte auf.
»Ich weiß, sie wiegen mit Skrupelgewichten und haben Blut an den Fingern. Aber ich will. Versteht Ihr – ich will.«
Ihre Stimme zersprang wie eine überspannte Saite.
Sie löste die Gürtelschnur ihres silbernen Kleides und knüpfte die Gürtelschnur wieder zusammen.
Dann wurde sie ruhiger.
»Noch heute habt Ihr mit dem König zu sprechen. In sofortiger Stunde. Ich bin des Hangens und Bangens müde. Mein Leib verzehrt sich darum. Ich habe qualvolle Tage und schlaflose Nächte hinter mir. Nicht um meinetwillen, denn eine Nebenfrau mehr oder weniger, das ficht mich nicht an, wirft meine Ruhe nicht aus dem Senkel. Das bißchen Drum oder Dran soll außer Rechnung bleiben. Weiber kommen und gehen, blühen auf wie Zentifolien, um andern Tages ihre Kelche hängen zu lassen. Aber um Elisabeth Wandscherer trage ich Sorge. Sie barmt mich. Ich werde ihr klagendes Auge nicht los, nicht ihr kleines, gefährdetes, armseliges Glück ... und somit: Mahnung ergeht, Euch vor Elisabeth und den Erbmann zu stellen, auf die Gefahr hin, meine Gunst zu mindern oder gar zu verscherzen. Ich will nicht, daß sich ein solches Geschöpf um Sion verblutet.«
Sie tippte ihm sacht auf die Schulter.
»Also – Herr Statthalter ...?!«
In den tiefliegenden Lichtern Knipperdollings blitzte es auf mit dem Blitzen von Rasiermesserchen.
»Herrin, hart auf hart wird es gehen. Aber ich werde, wenn auch zum guten Beschluß ein Kopf dahinrollen sollte.«
»Schweigt«, sagte sie jählings. »Brechen wir ab. Ich fühle: zwei Augen beobachten uns«, und sie legte wiederum die Hand in die ihres Partners und tanzete weiter im Schmuck ihres kupferroten Haares mit dem güldenen Krönlein, dem sinnbetörenden Reiz ihrer geschmeidigen Glieder, beim hinreißenden Knistern ihres silbernen Kleides, bis Flöten und Viola di Gamba verstummten und sie wieder Platz genommen hatte zur Rechten des Königs.
Des Stirne verfinsterte sich, trotz des Jubels des Volkes, der ihn von allen Seiten umtollte.
Sein Blick war scharf auf Knipperdolling gerichtet, dessen Hand sich streckte und einen gestrichenen Becher ungarischen Weines seinem Munde zuführte.
Er tat es als Ausgleich für seine erregten Gedanken, die ihm die Ader rauschen machten.
Der Tokaier war gut, stammte er doch aus den heimlichsten Gefächern der Domkurie und schien Süße mit höllischem Feuer zu einen.
Langsam schüttete er den schweren Trunk hinter die Samtschaube.
Dann strählte er sich den Bart mit tiefem Behagen.
»Ein preisliches Trinken!« rief Johannes Leydanus ihm zu. »Ihr führt eine treffliche Klinge, Herr Statthalter.«
»Gott sei gedankt!« gab Knipperdolling zurück. »Es stünde mir auch schlecht an, wäre es anders.«
»Wohl dem Manne, dem solches vergönnt ist, dem das Wort dabei nicht auf ein falsches Geleise gerät. Es könnte ihm übel bekommen.«
»Hat keine Not. Je besser der Tropfen, um so schmackhafter die Rede, denn ich weiß schon von der Lateinschule her: Odi profanum vulgus et arceo, was wir deutsch übersetzen: Ich mag den gemeinen Pöbel nicht und halte ihn mir fern ... und für mich ist ein unbedachtsames Wort der niedrigste Pöbel.«
Der König lachte.
»Brav gesprochen!« Er rief hinter sich: »Dem Statthalter und Träger des Schwertes einen zweiten Becher voll schweren Weines, auf daß sein Mund noch freier und geläufiger werde! Angestoßen und auf ein langes gemeinsames Leben zusammen ...« und abermals bannte Knipperdolling den köstlichen Trunk hinter Wams und Samtschaube und sagte: »Zum Wohle der Menschheit! Möge das Alter Euerer Majestät wie das eines Methusalem und dazu ein gesegnetes werden.«
»Wahrhaftig«, sagte der König, »Euer Geist bewegt sich auf glatten Dielen, und das nicht allein, trotz Eurer Leibesbeschaffenheit – Ihr tanzt noch immer eine saubere Sohle, versteht Euch auf ein minnigliches Walzen und Schleifen.«
»Auch hierfür Gott sei gedankt! denn ich trage kein Fehl an Gliedern und Sinnen.«
Und wiederum lachte Johannes Leydanus.
»Daran möchte ich zweifeln«, sagte er brüchig, die Seher hart auf Knipperdolling gerichtet. »Ihr scheint ja alles zu können. Wenn's not tut, freßt Ihr sogar geröstete Maikäfer.«
Die an der Tafel verstummten.
Was wollte der Herrscher?
Hier brütete ein Wetter am tiefen Horizont, gewillt, sich langsam vom Boden zu tasten.
Knipperdolling erhob sich.
»Herr, wie soll ich das nehmen?«
»Nehmt es, wie Ihr es wollt.«
»Herr, das ist keine Antwort für den Träger des Schwertes.«
»Statthalter, so muß ich deutlicher werden. Ihr rühmt Euch keines Gebrechen an Sinnen und Gliedern. Ich bin anderer Ansicht. Euch fehlt es an Augenschärfe.«
»Herr, das sagte mir keiner, wagte mir keiner zu sagen.«
»Ich aber tu es, ich, der König von Sion.«
Er streckte die Rechte.
Sie deutete auf die Herren an gemeinsamer Tafel, die den Zwölfer-Rat bildeten.
»Euch steht es an, für die Vollzähligkeit der Herren Sorge zu tragen. Vornehmlich am heutigen Tage.«
Sein Wort nahm an Galle und Herbe zu.
Die feine und doch harsche Gestalt straffte sich auf.
»Ich wiederhole zum anderen: Euch fehlt es an Augenschärfe. Ihr zählt zwölfe der Angeforderten, ich aber nur elfe.«
Knipperdolling stieß einen heiseren Laut aus.
Dann wandte er sich: »Schaffner, füllt mir den Becher.«
Er sprach es mit der Gelassenheit eines Mannes, der alles auf eine Karte setzt.
Beider Augen begegneten sich mit der Kälte von Eiskristallen.
Divara verfärbte sich. Die Lindenblätter säuselten ängstlicher. Selbst die Himmelsleuchte schien trüber zu brennen. Dunkle Schatten zogen herauf.
»Herr«, sagte der Statthalter, »Ihr sucht was, um mir an den Kragen zu gehen.«
»Das steht auf einem anderen Brette verzeichnet. Vorläufig bleibt es dabei: Ihr zählt zwölfe der Herren, ich aber nur elfe.«
Da hob Knipperdolling den Becher.
Frei und perlend stand er im Raume.
»Ein Hoch dem König der Könige!« rief er mit ungebändigter Stimme über die Hegung. »Ein Hoch dem Herrn des neuen Tempels! Gott segne ihn, Gott erhalte ihn, Gott stärke ihn in seinem Werken und Wirken, in seinem Tun und Lassen. Als Mehrer des Reiches herrsche er über die Völker des Erdkreises, führe sie auf fette Weiden, die im Morgentau eines ewigen Frühlings stehen, versorge sie mit Manna und Honigwaben. Aber halten zu Gnaden, Herr König! Ihr irrt Euch. Meine Augen sind wie die einer Pantherkatze. Tag und Nacht sind sie gleich, verstören sich nicht. Genau wie Ihr – ich sehe den Rat der Zwölfer nur mit elfen besetzt. Der Älteste fehlt.«
»Warum fehlte der Älteste?!« schäumte der König.
»Weil er in Not ist. Der Älteste liegt auf den Tod!«
»Wer liegt auf den Tod?«
Knipperdolling setzte das Glas ab.
»Hermann Wandscherer, der Tucher. Die Sterbeglocke sperrt schon das Maul auf. Stündlich kann sie mit ihrem Miserere beginnen. Er krankt um das Leid seiner Tochter. Herr, ich flehte schon gestern. Ihr verwiest mich auf heute. Jetzt ist die Stunde gekommen, die Stunde der Güte und die der Barmherzigkeiten. Herr, Euch wurde die Macht, zu richten und zu rechten, mit Feuer und blankem Eisen zu strafen, aber auch die heilige Macht und Obliegenheit, die Strauchelnden aufzurichten, den Mühseligen und Beladenen das Kreuz von den Schultern zu nehmen, auf daß Tod und Heimsuchungen ihre Macht verlieren ... und so bitte ich denn: Gedenket des Raban von Bischopink und der Elisabeth Wandscherer. Weigert Euch nicht länger. Benedeit ihre Ringe und gebt sie zusammen ... und auf daß es geschehe ...« und wiederum stand der Kelch frei und perlend in der Höhe: »Es lebe der gütige König, es lebe Johannes Leydanus!«
Ein donnerndes Hoch brauste über Sion dahin bis in die entlegensten Kirchspiele.
Der Herrscher zuckte mit keiner Maser und Faser.
Er war ruhiger als der Kopf eines Sargnagels.
Nur seine Lippen zischelten: »Ich will Dusentschuer sprechen.«
Und Dusentschuer kam.
Um das Buonarottigesicht mit dem verstrudelten Bart und dem wirren Haarschopf spielte ein zufriedenes Grinsen.
Er wußte, was kommen sollte.
»Herr und König, immer zu Diensten.«
»Dann antwortet. Wie steht es mit der Arbeit, die ich Euch in Bestellung gegeben?«
»Die Kettlein sind gerichtet, die Nesteln geflochten, die Schmelzsteine so halber eingesetzt. Es mangelt nur noch die Probe am Fleisch.«
»Die wird Euch ...« und der König wandte sich ab, umschritt die Tafel und legte Knipperdolling die Hand auf die Schulter.
»Ich danke Euch für den gütigen Zuspruch. Er kam von Herzen, das weiß ich, und Dinge, die von Herzen kommen, soll man auch in der eigenen Herzkammer treulich aufbewahren. Das soll hiermit geschehen. Das verspreche ich Euch. Aber erinnert Euch auch an die Worte, die ich seinerzeit an die Wandschererin richtete. Ich sagte: Am Tage der Hochzeit möchte ich nicht mit leeren Händen erscheinen. Geduldet Euch, bis die Blätter fallen.«
»Herr, es geht um eine verzehrende Liebe.«
Die Augen des Herrschers wurden zu bleiernen Augen.
»Männlein, Männlein«, sagte er grantig, »Ihr seid Statthalter und Träger des Schwertes. Nichts weiter. Nicht mehr wie das Schwarze am Nagel. Drum mischt Euch nicht in solche Geschäfte. Sie bekommen Euch nicht. Ihr habt genug an Eurer eigenen Hausehre zu tragen. Es bleibt dabei: wenn die Blätter fallen. Was dann geschieht, das liegt lediglich in meinem Ermessen.«
»Herr, Ihr seid als König heilig verpflichtet ...«
Das Haupt Knipperdollings erhob sich.
»Einer aus der Zwölfer-Gemeinschaft, ein Mann wie Hermann Wandscherer darf nicht durch das Leid seines einzigen Kindes über die Bretter gestreckt werden.«
Auch Rottmann tat Einspruch.
Mit erhobenen Händen trat er näher heran.
»Herr, auch die Cherubim und Seraphim bitten um Milde. Eure Gnaden und Barmherzigkeiten würden das Himmelsgewölbe durchstoßen und eine frohe Botschaft vor den Sitz des Ewigen tragen.«
»Schweigt und kümmert Euch um Euer Priestertum. Ich habe mit diesem zu sprechen«, und zu Knipperdolling gewendet: »Also Ruhe damit. Ein Buchstabe mehr, und es könnte Euch böslich ergehen.«
Er tat einen jähen Blick auf Meister Hans aus der Grünen Stiege.
Der zuckte in seinem roten Wams, das wie Mohnblumen blutete.
Knipperdolling jedoch warf sich hoch. Alles tobte und zitterte in ihm. Der Wein machte ihn aufsässig, peitschte sein Herz, daß es ihm wie eine tobende Schleuse zurauschte, wild und gewaltsam.
»Also böslich ergehen?! Das mir?!« und sein Wort rollte dahin, als hätte ›Jans Pumpernickel‹ von der Kreuzschanze gerufen. »Herr, das ist nicht Sitte im heiligen Sion. Man wirft keinen Anabaptisten über Bord, auch nicht die Liebe eines anabaptistischen Weibes!«
»Und wenn ich es als König gebiete ...?!«
»Auch dann nicht«, und eine mächtige Faust polterte auf Tisch und Tafeltuch. »Nein, auch dann nicht, Herr König! Was?! Stellte ich nicht mein eigenes Recht hintenan? War ich nicht Euer Schrittmacher? Habe ich Euch nicht zu Thron und Zepter gekürt, obgleich ich fühlte: auch du bist berufen?! Habe ich Euch nicht die Pfade geebnet, die Teppiche gespreitet, Euch erhöht und erhoben unter den Großen des Weltkreises?! Aber handelt Ihr so – so seid Ihr nur ein König des Fleisches, keiner vom Geist und im Sinne des himmlischen Vaters ... und ginge es nach Recht und Gesetz, kein anderer denn ich ...« und die flache Hand des Erregten schlug auf das düstere Wams, daß es krachte.
»Mensch – Ihr, Ihr wagt es ...?!«
Stirn stand gegen Stirn und Auge in Auge.
»Das ist Königsverrat. Ihr steht auf der Reepschlägerei, mir den Strick auf der Haspel zu drehen. Ihr habt Werg zwischen den unlauteren Fingern. Dem wird Widerpart gesetzt. Meister Hans ...!«
Der trat vor und legte Kopf und Gugel zur Seite, um besser hören zu können.
Es wisperte etwas durch die Luft, das da lautete: »Wer der gesetzlichen Obrigkeit aufsagt, gehört ans Schwert.«
Knipperdolling stand aufrecht.
»In mir wohnt der Geist, und der Geist ist lebendig in mir. Was kann mir geschehen? Ich achte der Drohung nicht.«
Da warf sich Divara zwischen ihn und den König.
»Herr, laßt ihn das Wort nicht entgelten!«
Sie schmiegte sich an ihn, sie schluchzte, sie weinte.
»Herr ...! Herr ...!«
Ihre Stimme überschlug sich in angstvoller Wallung.
»Weib, ich weiß, was du spinnst. In diesem Gespinst wohnt Otterngezücht, das mir die Stunde verekelt. Aber ich werde diesem Gezücht wie Speicherratten die Köpfe zertreten. Ich bin wie Ziska vom Kelch, wie die beiden Prokope. Wer gegen sie war, küßte den Rasen. Ich habe es satt und genug, mit lampartischen Tücklein zu spielen.«
»Herr, der Wein spricht aus ihm!« flehte sie weiter. »Er ist seiner Sinne nicht mächtig. Vergebt ihm. Wartet bis morgen. Bedenkt Euch, denn er wird Einsicht gewinnen.«
Ihre blühenden Arme umhalsten ihn. Ihr silbern Gewand wurde eins mit dem seinen. Ihr kleiner Mund legte sich fest auf seine blutleeren Lippen.
Sie ließ ihn nicht los.
»Erbarmen! Erbarmen!«
Er atmete schwer. Wie ein Messer wühlte sich sein Blick über die Hegung, als ob er Gewaltiges sähe ... denn plötzlich ...
Das Volk drängte jäh auseinander, hatte des Vorgangs nicht acht, das sich an der königlichen Tafel abspielte.
Mit schweren Atemstößen: »Tut Buße! Tut Buße!« kam es gefahren, wandelte es durch die erregte Menge – zerfetzten Kleides, zerzausten Haares und Bartes, entblößten Halses und mit Augen, wild wie die eines Stieres.
»Tut Buße! Tut Buße! denn die Sonne verfinstert sich und die Sterne fallen vom Himmel herunter.«
Mit mächtigem Stab, im Schweiß und Blut seines Angesichtes, in zerrissenen Schuhen und Strümpfen durchmaß der Fremde die Gassen, die sich ihm willig öffneten – unter lautem Geschrei und dem Toben einer aufgepeitschten und rasenden Herde.
»Das ist Taschenmacher, der ausgesandte Apostel!«
»Tut Buße! Tut Buße!« schrie dieser.
Und siehe: so war es. Es war Anton Taschenmacher, der also daherkam, Taschenmacher, der Bekenner und Deuter, der früher als Komödiantenspieler die Märkte absuchte, auch sonstige Kurzweil betrieb, reich an Gaben des Verstandes und der zusprechenden Rede.
Der nun trat vor den König und die Großen des Reiches, warf seinen Stab ab, streckte die Arme gen Himmel und sagte mit einer vom Rost der Tage und der Ängste zerquälten Stimme: »Herr, wie hat der Allmächtige die Tochter Sion mit seinem Zorn überschüttet! Er hat die Herrlichkeit Israels auf die Erde geworfen. Er hat nicht gedacht an seinen Fußschemel am Tag seines Zornes. Und also kommt es: die Weiber werden geschwächt in den Straßen von Münster und die Jungfrauen in den westfälischen Städten. Es will Abend werden in Sion.«
»Unsinn! wo sind meine Jünger?«
»Ich bin einer von ihnen.«
Um des Gewaltherrn Stirne zuckte es auf.
»Das seh ich. Wo bleiben die anderen?«
»Die besten unter ihnen wurden gehenkelt und ihr Alter nirgends geachtet.«
»Mensch, wovon redest du?«
»Von Euren Aposteln, und ich bin einer von ihnen.«
»Ich höre nicht richtig. Ich will wissen, wo sind meine Jünger geblieben, und wo predigen zur Zeit die, die ich gen Mitternacht sandte?«
Da holte der Apostel seine hageren Arme ein, die wie gedörrte Stockfische waren, und sagte: »In Osnabrück wurden Heinrich Brentrup und Dionysius Vinne gerädert.«
»Trotz meiner Salvakondukte?«
»Ja, Herr, trotz Eurer Salvakondukte.«
»Das sagt Ihr so ruhig?«
»Ja, Herr, weil sich die Wahrheit der Ruhe befleißigt.«
»Und die, die ich gegen Mittag und Abend schickte, das Wort zu verkünden, was ist aus diesen geworden?«
Der König hatte Lohe und Brunst vor den Augen. Er streckte den Hals vor.
»Gebt Antwort.«
»Der Bischof machte kurzen Prozeß. In Soest hängt Lorenz Vischer am Galgen, in Coesfeld ließ er Bernard Focke und Heribert Beckmann im Feuer schmoren und ihre Asche zerstreuen.«
»Und die übrigen alle?«
Johannes Leydanus fuhr gleich einem Besessenen auf.
»Hundekanaille, auch dieses soll dir von der Zunge herunter.«
»Geköpft oder lebendigen Leibes begraben.«
»Durch Bischöfliche?«
»Durch Bischöfliche oder deren Helfershelfer.«
»Du lügst!« raste der König und packte den Sendling an den Hals, daß er aufschrie. »Du lügst! Meine Jünger sterben nicht ... wollen nicht sterben ... können nicht sterben. Was der Herr des neuen Tempels entsandte, ist gefestet gegen Strick und Strang, gegen Feuer und Wasser. Bube, du lügst. Du willst nur mich und mein Zepter verkleinern, uns die Glorie nehmen – du Würger der Wahrheit«, und mit lautem Gezische!: »Und du allein bist übrig geblieben – du Feigling!«
»Ihr sagt es!« schrie der Apostel und machte sich frei ... »aber kein Feigling!«
Der Mensch wurde rasend.
»Nicht feiger denn Ihr!« krächzte er mit heillosem Munde, mit geifernden Lippen. »Nein, nicht feiger denn Ihr, sondern größer, tapferer, frömmer in Gott und seinen Geboten. Tut Buße, denn Eure Widersacher werden über Euch kommen, wie sie über die Apostel kamen mit Strick und Strang, mit Feuer und Wasser. Sie sind stärker als Ihr, und mit ihnen schreiten die Chöre der Engel ... Tut Buße ...!«
»Sperrt ihm das Maul, Meister Hans!«
Ein einziger Aufschrei durchriß das Himmelsgewölbe ... und bevor er noch abstoppte, saß bereits der Apostel auf der blutigen Scholle, den abrasierten Kopf zwischen den Füßen.
Das Entsetzen und die Stille unter dem Sargdeckel senkte sich über dem Domplatz.
Die Menschen lagen auf den Knien.
Schrecken ergriff sie, und dennoch: sie beteten für Johannes Leydanus, den Stellvertreter des himmlischen Vaters auf Erden.
Der wandte sich.
»Knipperdolling«, sagte er leise, »Ihr waret nahe daran. Aber Gott sei gedankt, Euer Kopf sitzt noch auf der richtigen Stelle ... und so Ihr mir versprechet ... Ich liebe des Caroli Quinti Tisch- und Tafelspruch: Immer klaren Wein in der Flasche. Also besinnt Euch, sonst – ich könnte zu einem Tamerlan werden«, und er wandte sich: »Trompeten und Pauken durch Sion! Dem Volke, was des Volkes ist. Es wird weiter gefeiert!«