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Elftes Kapitel

Der Morgen graute bereits, als Raban von Bischopink noch einmal sacht und sänftiglich über die schwere Flechtenkrone glitt, die wie ein goldenes Prunkstück an seiner linken Schulter ruhte.

Die Kerzen waren dem Verlöschen nahe. Man hörte ihr langsames Tropfen, den matten Hauch ihres allmählichen Hinsterbens.

Mann und Weib in der großen Fülle des Ermattens und der Auflösung, jetzt still und ruhig geworden, von barmherzigen Schemen umgeben, die auf Stunden hinaus das Vergessen bringen.

Endlich war den Verzweifelten eine besonnene und friedliche Weihe geworden.

Raban, der Erbmann, spielte heimlich mit den goldenen Fäden und drückte von Zeit zu Zeit seinen heißen Mund auf den Scheitel der Ruhenden. Mochte sie schlummern. Sie hatte es nötig.

Der köstliche Hauch des Weibes war bei ihm. Noch einmal gedachte er des Feldhauptmanns mit dem gütigen Zuspruch, noch einmal des Schwertträgers des Königs, unter dessen schwarzem Gewand ein Herz pochte, das nicht zu den gewöhnlichen zählte, und siehe, ihm war so, als begänne sich aus Düster und Dunkel ein mattes Lichtchen zu schälen – das ersehnte Lichtchen, das Lichtchen, nach dem alle Ertrinkenden wie nach einem Strohhalm greifen.

Neben ihm war ein Sprechen und Raunen.

In einer Fensternische saß Hermann Wandscherer mit offenen Augen und gefalteten Händen.

So hatte er schon gesessen, als ihm die Nachricht von Knipperdolling und der Ägidiitorburg wurde.

Sein Geist irrte ab und gedachte der ihm gewordenen Fingerzeige.

Er hatte sie aufgenommen in stummer Ergebung, mit dem stumpfen Lächeln eines verlorenen Mannes.

Die Welt mit ihren Verzerrungen ekelte ihn an. Sie hatte ihm nichts mehr zu sagen. Nur die Sorge um das Geschick seines Kindes verband ihn noch mit dem Irdischen. Und diese Sorge, sie hatte sich an ihn geworfen wie eine hungrige Ratte. Die saß nun unter seiner dunklen Tuchschaube und begann heimlich an seinem kranken Herzen zu nagen.

Er fühlte deutlich das Rinnen des tropfenden Blutes.

Mit leeren Blicken stierte er in den werdenden Morgen.

Hinter der Kirche über dem Wasser, auch Liebfrauenkirche geheißen, hub es an zu glumsen und zu glosen. Fahle Bänder streckten sich aus, spannen einen bleichen Glanz über Giebel und Häuserzeilen. Die Liebfrauenkirche stand mit ihrem gewaltigen Schattenriß auf dieser aufhellenden Folie wie der Fels Petri, lauter und ewiglich.

Von dem mächtigen Turmstumpf, dessen Helm Knipperdolling hatte abtragen lassen, rief der Wächter die Tagwacht an.

Der erste Morgenfalk kreiste um die ragende Zinne.

Wandscherer folgte dem einsamen Flieger und flocht einzelne Sätze unvermittelt zusammen.

Er sagte: »Ich bin mit den Reinen gegangen, denn Rottmann erschien mir als einer der Reinsten unter den Reinen. Sein Wort war lauter, seine Stimme die Stimme des Herrn. Ich sagte schon einmal: Da ich Rottmann zum erstenmal hörte, da war es mir, als schritte einer vor mir her in kamelhärener Schur, den Stab in der Rechten führend, von Gott gesetzt und berufen, den Unflat aus den Kirchen zu tragen, männliches und weibliches Pfaffentum aus ihren Höhlen und Palästen zu schwefeln, wie es unsauberen Tieren geschieht, die die Wohnungen fernsündiger und gläubiger Menschen verpesten.«

Er schwieg einige Herzschläge hindurch, wischte sich über die bleiernen Augen, um dann weiter zu sprechen: »Und sein Wort kam aus dem Wortschatz der Unfehlbaren und ging zu den Strauchelnden, zu den Armen im Geiste und taufte sie wieder im Namen der heiligen Dreieinigkeit. Er umbrach den Acker der Unfruchtbarkeit, rodete Steine um Steine, Unkraut um Unkraut, säte lautere Saat in die geläuterten Schollen, und siehe: er erntete eine dreißigfältige Ernte.«

Ein tiefes Aufatmen.

Der Alte sprach weiter: »Der Geist Rottmanns ist noch immer lebendig, der grüne Anger, den er vor uns austat, ist noch immer ein grünender Anger, voller Knospen und Blüten und lieblich anzusehen. Aber viele sind dabei, diesen Geist zu entstellen, ihm die Reinheit zu nehmen, den grünenden Anger mit all seinen Knospen und Blüten zum Wasen zu machen, an dessen verdorrten Halmen und Grannen giftiges Mutterkorn aufgeht, denn im Buche der neuen Lehre blättern sie mit unreinen Fingern und lesen mit Augen, die die lautere Wahrheit in Unlauterkeit verkehren.»

Das Taglicht stieg höher, verbreitete sich.

Ein zweiter Morgenfalk kreiste um die ragende Zinne.

Wandscherer erhob sich.

Die fiebrige Stirne preßte er gegen eine der Scheiben.

Die feuchte Kühle tat ihm wohl.

Und nochmals begann der Alte zu sprechen, gegen die Fensterraute, gegen den Morgen, der das Glas mit seinem frischen Atem berührte: »Wie anders noch, als der große Prophet aus Harlem, als Johannes Matthisson auf milchweißem Pferd und mit feuerfalbem, fließendem Bart ausritt, um auf der Loddenheide die große Feldschlacht zu schlagen, aber dahinsank, im Angesicht des ewigen Gottes, die unverfälschte Lehre gleich dem Pelikan mit dem eigenen rinnenden Blut ernährend. Wie anders noch, als der andere kam, in der Unschuld der Jugend, und sein Haupt von Salböl triefte. Aber nun muß ich sehen ...« und er kehrte das Antlitz dem stillen Gemach zu, das aufheiterte in der jungen Morgenfrühe: »Herr, du mein Gott! Möglich, es wäre besser gewesen, ein anderer hätte statt seiner das Zepter ergriffen, wäre statt seiner König geworden, denn ich glaube nicht an den Cherub mit den siebenfältigen Schwingen, nicht an die Heilsamkeit der aufgepeitschten Sinne, nicht an das Weib auf dem rosinfarbenen Tier, nicht an die Botschaft. O du mein Jesus ...!«

Vor ihm erloschen die Kerzen.

Sie blakten unter häßlichem Atemholen.

Er hob die Arme.

»Ich will nicht und kann nicht ... und wenn Rottmann und Knipperdolling auch tausendmal glauben – ich glaube nicht und kann nicht mehr glauben.«

»Vater ...!«

Elisabeth Wandscherer erwachte aus dumpfer Betäubung, aus schwerem Traum, der sie nur noch verstörter gemacht hatte.

Langsam streckte sie sich, als wäre sie von langem Siechtum auferstanden.

Raban war bei ihr, umarmte sie, preßte ihren zermarterten Leib mit der Liebe eines Samaritans an seine Brust, drückte ihr einen Kuß auf die Lippen.

Sie wehrte ihn ab.

»Raban, was ist mit dem Vater? Hat der König gesprochen? Wollen die Blätter schon fallen?«

Er winkte ab.

»Ist Dusentschuer da?« fragte sie weiter, immer noch am schmalen Rande des Traumes pilgernd. »Ist er gekommen, mir das Angebinde, das furchtbare Angebinde mit den Perlen aus der Monstranz von Sankt Lamberti um den Nacken zu legen?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Von diesen Perlen tropft der Angstschweiß Christi«, sagte sie leise.

Sie wurde zu einem Bild, aus Stein gemetzet.

Die junge Morgenfrühe umgitterte sie.

Da wandte sie sich.

Ihr Blick hing starr am Munde des Vaters.

»Du – was hast du über das Geschick deiner Tochter beschlossen? Was soll ich tun, und was gebietest du?«

Sie tastete nach der Hand des Geliebten.

»Raban, es geht um Preisgeben und Hinwelken, um Erweckung und Wiederauferstehen.«

Dabei hatte sie ihren Vater nicht aus dem Auge gelassen.

»Warte, mein Kind«, sagte dieser.

Sein Gesicht war ruhig geworden, als hätte die Hand des Todes es versonnen gemacht, es verklärt mit sanftem Streicheln.

Dann redete er, aber was er redete, paßte nicht zu seinem verklärten Antlitz. Es war ein gekünsteltes Lächeln. Er sagte: »Alles Lachen ist verschüttet und abgetan in meinem Haus. Ich höre das Gekrächz von Krähenscharben. Sie wollen die Silberfischlein Petri aus meinem Weiher fischen. O ihr Kormorans! Ihr Verderber der stillen Teiche! Geschrieben steht: Ahasverus, der König, bestellte Männer in allen Landen seines Königreiches, daß sie schöne Jungfrauen zusammenbrächten gen Schloß Susan, und welche Dirne ihm gefiel, die sollte Königin werden an Vasthis Statt.«

Er fuhr sich mit der weißen Hand über die Augen und sprach weiter, als gingen seine Worte unter einem sachten und befruchtenden Maienregen dahin: »Es war aber ein jüdischer Mann zu Schloß Susan, der hieß Mardochai, ein Sohn Jairs, des Sohnes Simeis, des Sohnes des Kis, ein Benjaminiter. Und er war Vormund der Hadassa, das ist Esther, eine Tochter seines Oheims; denn sie hatte weder Vater noch Mutter, und war eine schöne und feine Dirne ... und da ihr Vater und Mutter starben, nahm sie Mardochai auf zur Tochter und wartete ihrer.«

Der befruchtende Maienregen hielt an, nur schien es, als begänne schon hinter dem befruchtenden Maienregen ein düsteres Wetter zu steigen, ein fernes Murren zu grollen.

Er packte die Hand seines Kindes, die schmale und bleiche Hand, die schmal und bleich war wie die eines schuldlosen Priesters, berufen, die konsekrierte Hostie aus dem Tabernakel zu heben.

»Und so wurde Esther genommen zu des Königs Hause, unter dem Schutz Hegais, des Hüters der Weiber ... wurde auch zu Ahasverus geführt, nachdem sie zwölf Monate im Frauen-Schmücken gewesen war, sechs mit Balsam und Myrrhe und ebenfalls sechs mit köstlichen Spezereien und Narden. Und er gewann sie lieb über alle des Harims und machte sie zur Königin an Vasthis Statt, denn ihr Antlitz war lieblich, ihre Zierden ragten wie Lanzenspitzen, und ihr Nabel faßte mehr denn eine Unze Benzoesalbe.«

Und nochmals: »Eine Unze Benzoesalbe.«

Er ließ die Hand seiner Tochter.

Die Worte zerschroteten ihm zwischen den Zähnen, die Stimme wurde hart und zerbrochen, und er flocht die Finger gegeneinander, als er weiter redete, abgehackt und mit Augen, die aus den Höhlen hervorquollen: »Und Mardochai, der Jude, rieb sich die Hände, freute sich der ragenden Lieblichkeiten des erkorenen Weibes, denn siehe: er ging vor dem Herrscher in königlichen Kleidern, blau und weiß, mit einer güldenen Krone, angetan mit einem Leinen- und Purpurmantel ... und die Stadt Susan jauchzte und war fröhlich. War fröhlich ... war fröhlich ...!«

Das Wetter brach los.

Hermann Wandscherer hielt sich nicht länger. Sein Blut kam ins Stürmen. Er hatte ein brennendes Chaos vor Augen. Seine Hände krampften sich ein, lösten sich wieder, tasteten ins Wesenlose.

»Und Susan jauchzte ... jauchzte ihm zu ... jauchzte dem Juden zu ... Mardochai, dem Kuppler ...! Himmel und Herrgott! Was ...?!« und seine Stimme schlug um: »Sehe ich aus wie Mardochai, der Jude, der seine Tochter verkuppelte in der guten Stadt Susan? Trage ich des Königs Kleider, blau und weiß, einen Leinen- und Purpurmantel?! Nein – ich bin nicht Mardochai, der Jude. Will es nicht sein. Eher verfaule mir die Zunge im Gaumen, verdorre mir die Hand, mit der ich die neue Lehre beschworen. Nein, ich bin nicht Mardochai, der Jude ...« und der sonst so stille und geruhsame Mann, dessen glattrasiertes Gesicht allzeit unter Gottes Frieden die eigene Seele widerspiegelte, wandte sich jählings – wie aus Eisen geschmiedet.

Zwei Schritte trat er vor.

Dann hoben sich seine Arme. Die Finger spreizten sich.

Bleiern sanken sie nieder, legten sich breit und schwer auf die Schultern Rabans.

»Ich denke an den Feldhauptmann von der Ägidiiburgpforte. Recht hat der Mann, und ich spreche mit seinen eigenen Worten: Ihr seid ein Bischopink, Erbmann. Schluckt's 'runter wie 'ne häßliche Pille. In der Dawert wird hartes, aber gesundes Brot gegessen. Da gibt's Hunde, die bellen nicht, aber sie beißen. Zeigt Euch der Erbmänner würdig ... und letzten und furchtbaren Endes: treibt's mit Eurem Weib wie der Fähndrich auf verlorener Walstatt. Euch bleibt die Fahne der Ehre. Wickelt Euch und das blonde Weib in das seidene Tuch und verkostet mit ihm das köstlichste Ding, was es gibt zwischen Himmel und Erde. Das verhagelt dem anderen die besten Gemüse ... und ich setze hinzu: Und wenn ihr dran sterbet.«

Zwei weiche Arme warfen sich an ihn.

»Vater ...!«

»Du Einzige – du!«

Liebevoll zog er sie an sich.

»Die Fahne ist heilig, und eine verlorene Walstatt ist es doppelt und dreifach. Unter dem seidenen Tuch habt ihr in höchster Not die Freude des Paradieses gefunden – und nochmals gesagt: Und wenn ihr dran sterbet. Ich selber – ich stehe euch Pate, und hab' ich euch Pate gestanden, ich wende mich an Schacht von Delfingen und sage: Herr Feldhauptmann, hier meine Brust. Ein braver Mann wünscht durch einen braven Mann zu sterben. Stoßt zu ...« und er breitete die Arme, als sei er gewillt, den Stoß zu empfangen.

Er taumelte.

Raban und Elisabeth fingen ihn auf.

Sie betteten ihn.

»Der Geist will kommen ... ich sehe ... er reicht mir die Hände ...«

Eine volle Morgensonnengarbe vergoldete den Leib des geworfenen Mannes. Sie verklärte sein bleiches Gesicht und schmeichelte ihm die letzten Worte von den schmalen Lippen herunter.

Bald nachher standen die Herolde der Welt wiederum über den Wolken, angetan mit dem Gewand eines Leviten.

Weiß in Gold und mit klingenden Silberschellen an den Ärmelstauchen.

Sie waren wie Engel, ihre Gesichter wie Sonnen, ihre Haare gleich flammenden Feuergarben.

Man erblickte nichts Höheres und nichts Ehrfurchtgebietenderes zwischen Himmel und Erde.

Und der fünfte Engel posaunete.

Da erschauerte das Land Westfalen und das Geläger des Bischofs und die Hauptstadt in ihm, die reiche Stadt mit den vielen Türmen und Kirchen, deren Altäre unter dem Reichtum ihrer Denkwürdigkeiten und Reliquien den Atem verloren. Der Engel aber posaunete: »Denn siehe: ein weiß Pferd ging hervor, und der darauf saß, hatte einen Bogen, und er zog sieghaft aus, auf daß er siegte. Und es ging heraus ein ander Pferd. Das war rot; und der darauf saß, dem ward gegeben, den Frieden zu nehmen von der Erde, und daß sie sich untereinander erwürgeten. Komm! Und es ging heraus ein drittes Pferd. Das war schwarz; und der darauf saß, hatte eine Wage in der Hand. Und ich hörte eine Stimme unter den Tieren sagen: Ein Maß Weizen um einen Groschen, drei Maß Gerste gleichfalls um einen Groschen; dem Öl und dem Wein aber tu kein Leid. Und nochmals: es ging hinaus ein viertes Pferd. Das war fahl; und der darauf saß, des Name hieß Tod, und die Hölle folgete ihm nach. Ich sah die Seelen derer, die erschlagen waren, und hörte sie rufen: Herr, du Heiliger und Wahrhaftiger, wie lange richtest du nicht und rächest unser Blut an denen, die auf Erden wohnen.«

So die Posaune.

Und die Posaune verstummte.

Und als sie verstummte, geschahen erschreckliche Dinge in Münster, die die Menschheit zerrütteten und von denen der Chroniste im Kirchspiel des heiligen Lambert also erzählte: »Eines Tages, nachdem die Bürger von Sion ihr Getreide von den erreichbaren Feldern hatten einbringen können, die Herbstzeitlosen bereits in einzelnen violetten Klümpchen die Wiesen bestickten, auch hier und da etliche Bäume schon ihre lichtfarbigen Golddublonen ausmünzten, hub es an, in bedenklicher Weise, wenn auch noch in weiter Ferne, mit dem eigenartigen Hummeln von Pferdebremsen und Hornissen zu tönen. Das Hummeln verstärkte sich, wurde zu einem rhythmischen Schreiten und Pochen. Dieses Mal ausgiebiger und nachhaltiger denn früher. Das ganze Vorland schüttelte unter dem Kalbsfell der infulierten Spießträger, dem Gebrüll der marschierenden Landsmannschaften.

Der Bischof hatte sich in blankes Eisen geworfen, und seine Stirn war die eines Wiedergeborenen und Zuversichtlichen; denn er hatte Zufuhr erhalten, Zufuhr an klingenden Münzen, an Söldnern und Feldschlangen, die schon hier und da begannen, ihr ›Deo gratias‹ durch die Lüfte zu heulen. Der Kurfürst von Köllen, der grimmige Herzog von Braunschweig-Grubenhagen, sowie sonstige gefürstete Herren und Grafen weilten im Lager, um Johannes Leydanus nebst Anhang aus der nunmehr verpesteten Stadt Münster zu schwefeln, ihm das gotteslästerliche Dasein für ewige Zeiten ans Galgenholz zu bringen. Selbst der zugeknöpfte Landgraf von Hessen sandte Verstärkung. Seine beste Kartaune, auch die Teufelskanone geheißen, war in Stellung gegangen, bedient von zwölf Knechten und dem Stückmeister Fritze Lampadius, dem es ein leichtes war, Steine zu wälzen, Bäume zu entwurzeln und sein auserwähltes Feldstück zu einer wirklichen und wahrhaftigen Teufelskanone zu machen.

Nachdem die Stadt schon drei Tage hindurch unter Feuer gestanden, befahl Franz von Waldeck, der Bischof, den ernsthaften Angriff.

›Hallo!‹

Da ließ Fritze Lampadius einen Gewaltigen fahren, ein Zeichen dafür: jetzt haben wir und die Herzallerliebste das erste Wörtchen zu sprechen ... und siehe: sie sprachen das Wörtchen ... und der Himmel barst und krachte wieder zusammen ... und vom massigen Turm der Kirche über dem Wasser löste sich ein Mauerbrocken, der bei seinem Niederstürzen zehn Häuser zerpochte, dazu eine Wolke Staubes aufwirbelte, wie Moses sie sah, als er auf dem Berge Sinai die zehn Gebote Gottes einholen mußte.

Darob ließ Fritze Lampadius einen weiteren dahingehen und sagte: ›Das wäre geleistet, denn wenn der Heros der Arkeley und seine Teufelskanone ...‹

Er kam nicht weiter, verstummte vielmehr, wie die Großen verstummen, wenn ein Größerer das Wort an sie richtet.

›Brav so, Herr Stückmeister, das nenne ich mir mit Satanszungen geredet. Es stinkt nach Hölle und Schwefel, aber auch nach Lorbeerblättern und sonstigen Zutaten.‹

Der Bischof stand vor ihm.

Von oben bis unten in blauem Eisen.

Er rasselte mit Krebs und Kacheln und sagte zum andern: ›Ich bin nicht Christus, der Herr, aber ich bin sein Stellvertreter auf Erden. Heute werden keine Eselsfeste gefeiert, sondern Feste, die den Anabaptisten die Suppen verstänkern. Heute kalbt selbst die Haferraufe bei der Fuhrmannskneipe vor eitel Vergnügen. Nur weiter so, und ums Morgenrot stehen vierhundert Galgen in der guten Stadt Münster.‹

Dann ging er.

Als er außer Hörweite war, gefiel sich Fritze Lampadius in dem nämlichen Spielchen und schmunzelte ganz verloren dahin: ›Kraut und Lot haben frei Fahrt! Vergönnt mir's, Herr Bischof! Den sollt Ihr fressen, wenn wir unsern ausbedungenen Sold nicht bis zum schäbigsten Rader albus empfangen, denn mit den geistlichen Machthabern ist gemeiniglich nicht gut Kirschen essen zusammen. Am priesterlichen Segen und Weihwasserquast fehlt's nicht. Die geben sie über die Maßen. Aber an klingenden Groschen – da hapert's. Statt sie in die ehrlichen Artollereifäuste zu legen, werfen sie selbige ihren Kebsen ins Mieder und freuen sich wie die Spiegelkarpfen, wenn sich die goldenen Füchse abwärts schnüren, über Brüstlein und Bäuchlein, um sich irgendwo ein gut Losament zu vergewissern, des gesicherten Unterkommens wegen und der Wohlanständigkeit halber. Also Herr Bischof ...!‹ und er ließ aufs neue die Teufelskanone laden und richten, um abermals einen tüchtigen Mauerbrocken aus dem Turm über dem Wasser herauszupoltern.

›Avanti!‹ und das Himmelreich barst und krachte wiederum mit einem heillosen Donner und Getöse zusammen.

Aber auch die in Münster blieben nicht müßig.

Schon Tage um Tage und Nächte um Nächte scharwerkten selbst die Weiber und Kinder, bestellten die Wälle mit eisernen und kupfernen Kesseln, taten Schwefel, Pech und Kalk hinein, um bei Gelegenheit den Feinden 'ne gesegnete ›Prosit die Mahlzeit‹ vorzusetzen. Sie richteten eiserne Gabeln, umwickelten solche mit Werg und Harzen, trugen Steine zusammen, stündlich bereit, mit ihnen die Sturmhauben der Gegner zu brechen, schanzten in den Kastellen und vorgeschobenen Werken herum und waren überall zu finden, woselbst äußerste Not war.

Und Johannes Leydanus ...?! Als der erste Mauerbrocken zehn Häuser und damit fünfundsiebenzig Menschenkinder zerpochte, riß er sich aus den weichen Armen der Königin und denen seiner Kebsweiber ... rüstete sich ... schiente sich von oben bis unten ... jetzt ein anderer ... Sankt Michael ähnlich und ein wehrhafter Herzog unter den Herzögen.

›Stirb oder siege!‹ rief ihm Divara noch nach, schöner als die Herrin Vasthi, herrlich in ihrem blonden Fleisch, dem Glitzern von hundert und aberhundert Pyropen, den tönenden Kettlein.

›Ich werde‹, gab er lachend zurück, saß auf, ordnete seine Scharen und ließ sie marschieren im Namen des Geistes und seiner Gesichte.

Das Volk jauchzte ihm zu.

Seine Stimme war die eines heldischen Führers und Gerechten in Israel.

Und item und item ... Als der zweite Mauerbrocken herausgepocht wurde, stand er bereits auf dem höchsten Bollwerk, das nach Telgte hinaussah und die ganze Gegend beherrschte, um von hier aus den Ansturm der Bischöflichen abzuweisen, ihm ein Ziel und Ende zu setzen.

Neben ihm erhob sich die schwarze Gestalt Knipperdollings, düster, unwirsch, mit Floren umkleidet.

Hier hatte schon vor Zeit Matthisson, der Prophet aus Harlem, neben ›Männe Ungeschlacht‹ gestanden, als dessen Stimme gegen den Feind rollte mit der Allgewalt eines brünstigen Stieres.

Mit den nämlichen Worten bedrohte der König den vorrückenden Gegner: ›Durch mich spricht der himmlische Vater, der Sachwalter im Reich der ewigen Gestirne. Ihr da – Ihr seid ein Unflat vor dem Herrn, ein Widersacher des Königs der Könige. Hallo, du verrotteter Bischof! Fort mit Euch und Euren Helfershelfern; ihr alle lebet im Tempel der Unzucht; denn Papismus ist Babel, ist der Pfuhl aller Sünden und fleischlichen Laster. Hinweg mit dem gottfernen Narrentum! Nieder mit Euch, nieder in den Sud und den Qualm der Hölle!‹ und er streckte die Hand gegen den benachbarten Wallbrummer aus: ›Spei ihm ins Maul – dem Verruchten!‹

Und ›Männe Ungeschlacht‹ tat seine Pflicht. Sein Schlund öffnete sich mit dem Getose des Nilpferdes. Brüllen und zuckende Blitze! und unter Stank und Geleucht turtelte die Kugel dahin, schnaufte mit der Gewalt eines Untiers, um letzten Endes auf Mord und kaputt unter das bischöfliche Fußvolk zu schlagen.

Gleichzeitig tat auf der benachbarten Kreuzschanze ›Jans Pumpernickel‹ die nämliche Arbeit.

›Hosianna und Ehre sei Gott in der Höhe!‹

Der König regte und rührte sich nicht.

Er hatte Verzückungen.

Engel stiegen hernieder, gesellten sich ihm, dreitausend zur Rechten, dreitausend zur Linken, alle gewappnet mit kostbaren Erzen, gleich den Besternten Salomos, des gewaltigen Königs in Israel.

Keine Furcht wandelte ihn an. Er wußte: nicht die Wiedergetauften allein, auch die himmlischen Heerscharen liehen ihm ihre Schwerter und Schilde, waren ihm Beistand und Bundesgenossen.

›Hosianna und Ehre sei Gott in der Höhe!‹

Die Schlacht war im Gange.

Unter schrecklichem Schall und Getöse, unter dem Schrillen der Schlegelpfeifen, dem donnernden Pochen der Pauken und Trommeln trugen die Bischöflichen ihre lebendigen und toten Waffen vor. Marschierende Spießknechte, Reitergeschwader, Faschinenbündel, umflochtene Strohmieten, Riedgras und Reisig, Leitern und flammende Torste, fliegende Fahnen und die eigentlichen Sturmkolonnen! und dazwischen das alte Lied, das mit Wolfgebelfer über die Ebene heulte:

›Wir kamen vor Sibentod,
Wir kamen vor Sibentod,
Da hatten wir weder Fleisch noch Brot –
Strampedi mi
A la mi presente al vostra signori ...

und war kein Ende des entsetzlichen Singens und Blökens.

Von vier Seiten her erfolgte der Angriff. Von der Agidiitorburg bis weit über die Kreuzschanze hin – in langen Reihen, in dunklen Geschwadern, mit dem klebrigen Ziehen und Zögern der Weinbergschnirkel, mit dem unwiderstehlichen Vorwärtsdrängen der Wanderheuschrecken.

Dazwischen kläfften die Feldschlangen, rumpelten die Viertelskartaunen. Über Münster lagerte sich eine feuerfalbe Wolke, aus der Blitze züngelten, Donner niederkrachten, als hätte der Herr beschlossen, das heilige Sion der Erde gleichzumachen.

Der König stand aufrecht.

Nichts focht ihn an.

Ruhigen Sinnes gab er seine Befehle.

Knipperdolling hielt seinen mächtigen Flammberg gefaustet.

Das nackte Eisen zuckte und gleißte, gierig darauf, dem ersten Kopf, der sich erdreistete, über die Mauerkrone zu stieren, die Schale zu spalten.

Die ersten Stoßtrupps kamen in Sicht, füllten mit ihren Faschinen die Gräben, spreiteten Riedgras und Reisig darüber hin, um die Wasser passierbar zu machen. Verlorene Haufen drangen vor, mit Leitern und Maschinen gerüstet. Die legten sie an ... kletterten aufwärts ... stürzten zurück, glühendes Blei auf den Köpfen, brennende Pech- und Schwefelkränze um die zuckenden Nacken. Ein Heulen erfüllte die Lüfte, ein Gurgeln und Sterben den Raum zwischen Mauern und Gräben.

Immer neue Spießknechte und Söldner warf der Bischof in den fauchenden Rachen, in die brennende und stinkende Hölle.

Der König stand aufrecht.

Nichts focht ihn an.

Ruhigen Sinnes gab er seine Befehle, wußte er doch, Cherubim und Seraphim waren ihm Beiwacht, und als ihm Meldung wurde: auf dem rechten Flügel ist große Bedrängnis, lächelte er und ließ in aller Gemessenheit und Ruhe die Besatzung der Ägidiitorburg durch zweihundert seiner besten Knechte verstärken.

Hier hielt Schacht von Delfingen, der Feldhauptmann, die Widerpart.

Er stand in schwerstem Ringen und Würgen.

Sein zersplissenes Gesicht war wie das eines kalkuttischen Bronzeputers.

Eins lohnte sich ihm. Er hatte Luderfresse die Strafe erspart, die seinem Arschleder angedrohte siebenschwänzige Katze in Gnaden erlassen. Dafür focht dieser mit der Wucht und Beharrlichkeit eines westfälischen Kohlenbrenners von den Osninghängen. Beider Schwerter hämmerten dicht nebeneinander.

Das des Feldhauptmanns stand blau in der Luft, um sich kurz darauf wieder blutig in den Himmel zu heben.

Schon fünfundzwanzig infulierte Mannen hatte er ans Messer geliefert, von der Mauer geworfen, ihnen das »de profundis« gesungen.

Der Umkreis dampfte.

Aus dem Graben stieg Jammern und Zähneknirschen.

Immer neue Köpfe schoben sich vor. Die Gegner verdoppelten sich, vervierfachten sich – gesäte Drachenzähne, aus denen geharnischte Männer emporwuchsen. Bischöfliche Köpfe, scheußliche Köpfe!

»Vorwärts Luderfresse! Vorwärts mit Glanz und Gloria, mit

Halliro! dum dirre, dum deine,
Halliro! dum dirre, dum dum!«

und wiederum wurden die Leitern leer, stolperten die Stürmer und Dränger mit zerspaltenen Schädeln in die grausigen Tiefen.

Dann kam Verstärkung. Noch einmal ließ Schacht von Delfingen den Zweihänder spielen und rasierte einem gegnerischen Hauptmann Haupt und Eisenschaller von den Schultern herunter. Da war's alle mit ihm.

Das Blei einer feindlichen Hakenbüchse durchriß ihm die Brust.

»Brav so!« konnte er noch hinwerfen, »denn jede Kugel aus 'ner properen Büchse ist für mich 'ne propere Kugel. Gott helfe mir, Amen!«

So starb Schacht von Delfingen in den Armen Luderfresses eines ehrlichen Soldatentodes, aber die Torburg tat einen tiefen Schnaufer und behauptete sich als der besten eine.

»Halliro! dum dirre, dum deine ...«

Noch viel Stunden währte das Ringen. Dann aber ... ums Abendwerden erschütterte Sion unter einem tausendfältigen Jubel: »Heilo, wir siegten!«

Der Bischof war flüchtig.

Cherubim und Seraphim zogen mit geflammten Schwertern ins Vorland.

Unter ihrem Schutz und Schirm warf Johannes Leydanus die Abgewiesenen bis weit über ihr Geläger hinaus, schlug nieder, was die Schwerter seiner Mannen erreichten, und ritt, Knipperdolling zur Seite, wieder gen Münster, reich an Beute und Feldzeichen, getragen von der Gunst seines Volkes, als ein König unter den Königen, als Herr über den Weltenkreis, als ein wahrhaftiger Priester im neuen Tempel des neuen Jerusalems.

›Hosianna dem König!‹

Der geschlagene Bischof jedoch lagerte weit hinter Telgte.

Auch Fritze Lampadius hatte seine Teufelskanone zurückführen müssen.

Er war wie ein Hund, dem man den delikatesten Markknochen wieder aus der Schnauze gerissen.

›Verdammich!‹

Der kurze Stückmeister mit dem rostroten Haarschopf stieß einen gewaltigen Fluch aus.

Das war ihm noch niemals begegnet im Leben, ihm und seinen Geschütz nicht, so abgeschmiert zu werden, so gottslästerlich um sein Honnör gekommen zu sein, und seine Faust drohte gen Münster, wo ›Jans Pumpernickel‹ und ›Männe Ungeschlacht‹ noch immer ihre Mäuler aufrissen und alle Glocken den Feier- und Lobgesang sangen: › Gloria in altissimis Deo et in terra pax hominibus bonae voluntatis.

Seine Faust drohte noch immer.

›Himmel verdammich, warten wir ab! Noch ist nicht aller Tage Abend geworden. Ich und die Teufelskanone haben auch noch zu sprechen. Dies schon als Vorschuß ...‹ und er machte kehrt, richtete sein hinteres Stückwerk und flammte.

›Wohl bekumm's und gute Verdauung!‹

Er lachte, denn um ihn war ein Duft nach westfälischem Lauch und westfälischen Zwiebeln. Neben ihm aber saß ein hessischer Spießknecht, der legte die Stirn in mürrische Falten und sang über die verlorene Stätte hin:

›Mir Landsknecht waren in großer Not,
Es blieben wohl drei Tausend tot
Zu Münster unter den Mauern.
Wüßten mein Vater und Mutter das,
Sie würden mir helfen trauern.‹

Glocken und weihevolles Abendrot! und in diese hinein ritten der König und Knipperdolling der Stadt zu.

Der Träger des Schwertes, noch angegriffen von den Müheseligkeiten des Kampfes, warf ein schiefes Auge auf seinen hohen Begleiter.

›Herr‹, sagte er endlich, ›ich hätte eine Bitte an Euch, denn Zusage verpflichtet.‹

›Und diese wäre, mein Lieber?‹

Das Auge des Propheten leuchtete in lauterer Himmelsbläue, denn er freute sich des heutigen Tages und schien wohlgeneigt, mit vollen Händen zu geben.

›Herr, gedenket des Raban von Bischopink und der Elisabeth Wandscherer.‹

›Was sollen mir diese?‹

›Herr, ich sage nur, gedenket der beiden.‹

Da wurde die Himmelsbläue aus den Lichtern des Königs genommen. Sie wandelte sich ins Graue hinein und ließ sich mit gelblichen Punkten durchsprenkeln.

›Träger des Schwertes‹, sagte er schartig, ›beschwert mich heute nicht mit Liebesgeschichten. Man muß solche Seelenpein hinwegbeizen. Vielleicht findet sich morgen eine gelegene Stunde.‹

›Warum erst morgen, wo ich heute drum bitte?‹

›Weil ich es will.‹

›Herr, das ist eine bittere Antwort.‹

›Nehmt sie für bitter; auch ich habe vielfach Wermut und Myrrhe zu schlucken. Laßt mich. Das Heute ist mein. Ich lasse es mir nicht gegen bessere Einsicht verludern.‹

›Herr ...!‹

›Ruhe, mein Bester.‹

Da schwieg Knipperdolling. Aber sein Antlitz verfärbte sich, wurde zu Kreide ... und an seinem Herzen nagte es mit den scharfen Zähnen eines bissigen Frettchens.«

Der Chroniste von Sankt Lamberti jedoch tat einen tiefen Atemzug, spritzte den Kiel aus und legte die Feder beiseite.

Wachen Auges harrte er der kommenden Dinge und des weiteren Geschehens.


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